Künstliche Weiten: Ein Kommentar zu James Camerons Avatar

Dieser Text ist nicht viel mehr als eine weitere Rezension zu James Camerons Avatar. Der Film wurde schon auf vielen Seiten besprochen, rezensiert, gelobt und auseinander genommen. Dieser Text versteht sich bewusst nicht als eine Empfehlung für oder Warnung vor dem Film. Er richtet sich primär an Personen, die Avatar bereits gesehen und sich bestenfalls auch ihr eigenes Urteil dazu gebildet haben. Er enthält Spoiler, vage Analyseansätze, aber insbesondere kulturelle und metamediale Gedanken. Leser, die in dem Film vor allem leichte – vielleicht auch stupide – Hollywoodunterhaltung sehen, die sie für 2 Stunden in eine andere Welt entführen kann, und die dieses Erlebnis nicht zerdenkt oder zerredet haben wollen, sollten daher an dieser Stelle aufhören zu lesen. Zuschauer, die eine klare Empfehlung oder Abratung erwarten und noch mit sich hadern, ob sie den Film anschauen sollten, denen sei gesagt, dass der Autor dieser Zeilen „Avatar“ in rein qualitativer Hinsicht miserabel fand, was auch in den folgenden Punkten immer wieder begründet werden wird. Wer den Film noch nicht gesehen hat und versucht so unvoreingenommen wie möglich hineinzugehen, sollte an dieser Stelle nicht weiter lesen, um sich den bevorstehenden Kinoabend nicht verderben zu lassen. Der Text beinhaltet lose Thesen, weder mit Anspruch auf Vollständigkeit noch darauf alle Aspekte des Films und des damit verbundenen Rummels zu erfassen. Er ist für einen Blogeintrag viel zu lang. Der folgende Text stellt eine subjektive Meinung dar.

Die Disposition:

Dem Autor folgender Zeilen ist es – wie allen Rezipienten, die sich gerne mit kulturellen Phänomenen beschäftigen – nicht gelungen, unvoreingenommen der Filmvorführung von „Avatar 3D“ beizuwohnen. Er hatte Rezensionen gelesen, seitenlange Diskussionen in diversen Internetforen verfolgt, er hatte Trailer gesehen, war von dem „Hype“ genervt und hatte eindeutige Erwartungen an James Camerons neusten Streich: Er erwartete einen inhaltlich anspruchslosen, bombastischen, mitunter kitschigen Bilderrausch, dessen dramaturgische Defizite durch die Bildgewalt des 3D Erlebnisses und die herausragende Motion-Capture-Technik überdeckt würden.

Das Projekt:

Bereits im Jahre 1995 hat James Cameron den ersten Drehbuchentwurf zu Avatar geschrieben. Natürlich ist es müßig darüber zu diskutieren, ob eine solch lange Entwicklungszeit tatsächlich notwendig war, um zu dem nun zu sehenden Endergebnis zu führen. Erstaunlich ist allerdings durchaus, dass von Produktion, Verleih und Fans immer wieder auf die weit zurückgehende Präproduktionsphase des Fantasy-Science-Fiction-Films eingegangen wird. Ebenso erstaunlich ist es, dass im Gegensatz zu anderen gigantomanischen Hollywoodspektakeln relativ zurückhaltend mit den Produktionskosten geworben wird. Während frühere epische Blockbuster (u.a. auch Camerons Titanic) bewusst mit diesen warben, und sich gerne auch mal zur Zuschauergewinnung mit dem Etikett „Teuerster Film aller Zeiten“ schmückten, wurden die Produktionskosten im Falle Avatars lange zurückgehalten. Und die im Nachhinein veröffentlichte Rechnung von 237 Millionen US-Dollar liegt – wenn man Hollywoodinsidern glauben darf – weit unter dem tatsächlichen Etat, der für das Projekt notwendig war.

Die Hoffnung:

Diese Zurückhaltung korreliert auf interessante Weise mit der Hoffnung, die von Seiten des Regisseurs und der Produzenten in Avatar gesteckt werden. Der Film soll nicht einfach nur eine Revolutionierung des Kinos sein sondern zugleich auch die Rettung dieser Institution. Denn auch wenn das Kino im letzten Jahrzehnt keineswegs so sehr unter illegalen Tauschbörsen im Internet gelitten hat, wie von den Studios gerne propagiert wird, so muss sich die Blockbusterindustrie doch einige schmerzhafte Fragen stellen: Lohnt es sich überhaupt noch teure Epen zu produzieren, wenn Filme wie „Paranormal Activity“ oder „Blairwitch Project“ mit lachhaften Produktionskosten Millionen einspielen? Warum sind die großen Box Office Hits der letzten zehn Jahre entweder Fortsetzungen (Fluch der Karibik 2 und 3) oder Bestsellerreihen, deren Hype außerhalb der Kinowelt entstanden ist (Harry Potter)? Ist es überhaupt noch möglich einen autonomen Film zu produzieren, der unabhängig von berühmten Vorgängern und anderen Märkten Erfolg hat? Wie kann sich das Kino angesichts des wachsenden Homecinema-Marktes und der Filmpiraterie im Netz behaupten?

Der Hype:

Avatar soll angesichts dieser Fragen ein Exempel statuieren. Und so taten die Verantwortlichen um die Vermarktung des Films alles, um im Vorfeld einen Hype zu generieren, der ähnlich wie bei der Mund-zu-Mund-Propaganda-Referenz „Paranormal Activity“ die Vorfreude auf den fertigen Film in unendliche Weiten steigern sollte. Unglaubliche 150 Millionen US-Dollar an Marketingkosten wurden für den Film ausgegeben. Ein paar Zahlen zum Vergleich: Das Marketing von Avatar ist damit nur 35 Millionen Dollar günstiger als die gesamte Produktion des letzten großen Box Office Hits „The Dark Knight“ (185 Millionen Dollar). Die bis dato höchsten Marketingkosten hatte Spiderman 3 mit 100 Millionen Dollar. Das Marketing von Avatar liegt um exakt 50% darüber. Die Marketingkosten von Titanic (1997), dem bis heute erfolgreichsten Film aller Zeiten betrugen 40 Millionen Dollar, also weitaus weniger als ein Drittel der Avatar-Kosten.

Erstaunlich daran ist, dass bis wenige Wochen vor Filmstart keinerlei große Mund-zu-Mund-Propaganda-Vorfreude entstanden ist, wie es zum Beispiel bei „The Dark Knight“ der Fall war.

Noch erstaunlicher ist es, dass wenige Wochen vor dem Start plötzlich weltweit Film- und Kulturforen von frischen Usern überströmt wurden, deren erste Tat es war, den Film ungesehen in den Himmel zu loben. In vielen Foren brachen regelrechte Kleinkriege zwischen Fans und Skeptikern aus. Stammuser argwöhnten, ob da hinter so mancher Tastatur nicht ein bezahlter Praktikant säße, der versuche einen Internethype zu forcieren. Unabhängig davon ob und wenn ja wie viele dieser Vorab-Fans für ihre Stimmungsmache bezahlt worden sind, ist es Avatar nicht gelungen eine Öffentlichkeit zu generieren, wie sie bei anderen Box Office Hits und Hypes entstanden ist. Man erinnere sich nur an die Leonardo Di Caprio Anhimmlung zwölf- bis vierzehnjähriger Mädchen im Jahre 1997. Den ebenso in dieser Zeit entstandenen Run auf Titanic-Dokumentationen und das Interesse an Hintergründen zum legendären Schiffsuntergang von 1912. Man erinnere sich an den Piratenfetischismus den „Fluch der Karibik“ im letzten Jahrzehnt erzeugt hat. Plötzlich wollte jeder zu Halloween oder Karneval wieder Augenklappen und Kopftücher tragen. Man denke an die zahllosen Kondolenzen nach dem Tod Heath Ledgers oder die vielen kleinen Zauberschüler mit krakelig gemaltem Blitz auf der Stirn, die vor Buchhandlungen und Filmpalästen begierig auf den neusten Teil ihrer Lieblingssaga warteten. Bei Avatar ist davon nichts zu spüren: Einige wohlwollende Rezensionen, eine kurz aufflackernde Begeisterung für die 3D-Technik und das Motion Capture Verfahren und das wars auch schon. Im Kino waren keine blau geschminkten Menschen zu sehen, kaum jemand kennt den Hauptdarsteller (Sam Worthington) oder himmelt diesen an, keine großen Bildbände und Dokumentationen über Pandora, keine ausgedehnte Fan-Fiction (immer ein zuverlässiger Indikator für die Popularität einer fiktiven Welt) und keine aufgescheuchte Filmlandschaft. Angesichts der gigantischen Marketingkosten kann der Trubel um „Avatar“ durchaus als mittelschwere Enttäuschung gewertet werden, was sich auch durchaus daran erkennen lässt, dass der Vertrieb immer wieder betont wie kommerziell erfolgreich Avatar doch sei, was wiederum zu hämischen Kommentaren im Hinblick auf die unanständigen Eintrittspreise geführt hat.

Die Dramaturgie:

Aber im Zentrum der Betrachtung sollte natürlich der Film selbst stehen, unabhängig von Hypes, Produktions- und Marketingkosten. Dass die Geschichte eindimensional ist, muss nicht weiter erwähnt werden. Vergleiche zu Pocahontas und „Der mit dem Wolf tanzt“ wurden zur Genüge erbracht. Viel merkwürdiger scheint es, dass es den Machern nicht gelingt, diese simple Geschichte kohärent und stringent zu erzählen. So scheint der Voice-Over noch zu Beginn die Struktur eines inneren Monologs zu haben, nur um urplötzlich während des Films zu einer auktorialen Erzählerstimme zu mutieren. Dies mag den Filmgenuss nicht sonderlich trüben, lässt aber den Verdacht aufkommen, dass den Machern selbst während des Drehs – oder noch schlimmer, während des Schnitts – deutlich wurde, dass die Geschichte weder durch Handlung noch durch Dialoge getragen wird. Umso stärker wird dieser Eindruck, wenn neben dem erläuternden inneren Monolog (Jake Sully) und dem auktorialen Erzähler (Jake Sully) auch noch ein dritter Erzähler eingeführt wird, der den Fortgang des Geschehens über Videoblogs erläutert (Jake Sully). Diese dissoziative Aufspaltung des Protagonisten in gleich drei verschiedene Erzählerstimmen raubt dem Film sowohl Dynamik als auch Stringenz. Die ständige Erläuterung wirkt fast wie eine Idiotisierung des Publikums: Nichts wird offen gelassen, nichts wird in Gestik, Mimik oder Dialog verdeutlicht: Stattdessen sagt uns Jack Sully über seine Gedanken, dass er unter der Behinderung leidet, er sagt uns über Videoblog, dass er sich mehr und mehr mit den Na’vi identifiziert und er erklärt uns als auktorialer Erzähler, dass die Menschen von Pandora am Ende abziehen. Für einen Film, der derart mit seiner Bildgewalt beeindrucken will hat Avatar ein äußerst geringes Vertrauen in seine Bilder. Scheinbar genügt es nicht die Handlungen zu zeigen, damit das Publikum an diesen partizipiert, nein sie müssen noch in jedes kleinste Detail hinein erläutert werden. Auch die letzten beiden großen Filme Camerons arbeiteten mit Voice Over. In „Terminator 2“ waren es die Gedanken Sarah Connors, die dem Film zwar nicht strukturierten, aber Interpretationsansätze und philosophische Überlegungen vorgaben. Bei Titanic wiederum war es die Protagonistin selbst, als deren rückblickende Erzählung und Erinnerung der Film strukturiert wurde. Beide Off-Erzählerstimmen waren in sich geschlossen, kohärent und wechselten weder Form noch Stil. Aber auch in anderer Hinsicht lohnt der Vergleich Avatars mit diesen beiden gelungenen Blockbustern.

Titanic beginnt mit einer langsamen Fahrt zum versunkenen Schiff. Anhand von pixeligen, originalen Roboteraufnahmen des Schiffs und dazwischen geschnittenen Computeranimationen wird die Faszination für den Meeresgiganten greifbar. Dem Zuschauer wird viel Zeit gegeben, das nahe Zusammenliegen von Traum und Untergang am eigenen Leib mitzufühlen. Wenn man die herausragende Eröffnungssequenz und den allmählichen, Empathie weckenden Spannungsaufbau Titanics betrachtet, lässt der Prolog Avatars einem klamm ums Herz werden. Die Situation des Protagonisten wird in wenigen Sätzen abgehakt. Anstatt Mitgefühl und Interesse für den Hauptakteuren zu wecken peitscht Avatar das Geschehen nach vorne. Ein richtiger Prolog findet nicht statt. Stattdessen wird Handlung an Handlung gereiht, die Vorgeschichte der Kolonisation Pandoras wird abgehakt, ebenso die Ankunft Sullys auf dem fremden Planeten. Es entsteht das Gefühl einer omnipräsenten Uhr, die erbarmungslos im Nacken des Geschehens tickt. Der Film hetzt von Szene zu Szene, mögliches interessantes Konfliktpotential wie das zwischen Wissenschaft, Militär und Ökonomie wird in Onelinern abgehandelt, die Vorstellung der Hauptakteure dauert nur wenige Sekunden, ein hektisches, ruheloses Verfahren, dass den ganzen Film über aufrecht gehalten wird. Die Handlung wälzt sich über die Figuren und deren Befindlichkeiten ohne jemals wirkliches Interesse an ihnen zu haben oder für sie zu wecken.

Die Charaktere:

Dies mag mit dem Umstand zusammenhängen, dass alle Charaktere des Films entweder furchtbar blass oder erschreckend eindimensional sind: Da gibt es die überforderten Wissenschaftler, den hundsgemeinen bösen Colonel, den zynischen Dollarimperialisten und natürlich den aufrichtigen, einfach gestrickten Marine. Ob die Auswahl des Simpel Jake Sully als Identifikationsfigur etwas darüber aussagt, wie Avatar über sein Publikum denkt, sei dahingestellt. Interessanter ist da schon der Blick auf die Handlungen der jeweiligen Figuren, die formeller nicht sein könnten. Der Colonel verzichtet als klassischer Antagonist im Gefecht natürlich darauf, seine Truppe weiter zu instruieren und liefert sich stattdessen lieber einen Zweikampf auf Leben und Tod mit den Protagonisten. Selbstverständlich wandelt sich dieser vom einfachen Soldaten zum Messias und Retter. Natürlich müssen die Wissenschaftler im Kampf gegen das Militär den Kürzeren ziehen, bis sie endlich Hilfe von einem echten Kerl bekommen.

Aber halt, das sind ja nur die Menschen. Immerhin gibt es auf der anderen Seite noch die Na’vi. Während die eidimensionalen menschlichen Charaktere mit einem Adjektiv auf den Punkt gebracht definiert werden können, reicht den edlen Wilden ein Substantiv: Es gibt den Stammesführer, die Priesterin, den Krieger und die exotische Love-Interest (die wie alle Na’vi eine tapfere Kriegerin ist, in der finalen Schlacht aber dennoch auf dem Drachen des Helden reitet und sich dabei an dessen kräftiger Schulter festhält): Vom Verhalten sind diese Figuren alle gleich: Launisch, wild, edel, manchmal aggressiv fauchend, manchmal besinnlich meditativ oder spöttisch gegenüber den Menschen. Der Krieger faucht nicht öfter als die Priesterin, der Stammesführer ist ebenso wild wie die Love interest, es hält sich alles erschreckend die Waage und so bleiben die Na’vi eine unklare kollektive Masse, in der Individualität keinen großen Stellenwert einnimmt.

Die Moral:

Anhand dieser Fundamente erzählt Avatar eine klassische Geschichte, die sich sowohl als Parabel auf als auch Kritik an Kolonialismus und Imperialismus versteht. Diese Kritik an früherer und aktueller US-Außenpolitik geht scheinbar gar so weit, dass sich die Vertreter des konservativen Amerikas genötigt sahen, den Film für seinen expliziten Antiamerikanismus anzuprangern – und für die Tatsache, dass Sigourney Weaver in einer Szene ohne schlechtes Gewissen raucht, das ist aber eine andere Geschichte. Und tatsächlich: Avatar gibt sich in vielerlei Hinsicht US-kritisch: Da gibt es die brutalen Militärs, die Terror mit Terror bekämpfen wollen und in allem Fremden den Feind sehen, da gibt es die Ökonomen, die neues Land entdecken, nur um dieses wirtschaftlich ausbeuten zu können, da gibt es Unverständnis für die Natives, deren Befindlichkeiten und deren Religion.

Die endgültige Moral, die der Film aber in diese schablonenhaften Darstellungen packt, ist allerdings alles andere als so konsensfähig, wie der potentielle Blockbuster es sich erhofft. Vordergründig sind die Rollen klar verteilt: Die bösen, rücksichtslosen Invasoren, die edlen Wilden, die mit der Natur in Einklang leben, die Verurteilung des ausbeuterischen Imperialismus. Damit kann jeder leben, da kann sich kaum jemand auf die Seite der Bösewichter schlagen.

Andererseits vermittelt Avatar allerdings auch eine krude Antiwissenschaftlichkeit. Die interessierten und neugierigen Forscher schaffen es nicht zu den Na’vi vorzudringen, da „ihre Gefäße bereits gefüllt sind“. Um das fremde Volk tatsächlich zu verstehen benötigt es erst einen Simpel, einen amerikanischen Soldaten, einen Mann aus der Nachbarschaft, der gerne grillt und noch lernen muss bis drei zu zählen. Der einfache, soldatische Geist ist dem der Wissenschaft meilenweit überlegen, wenn es darum geht, neue Erkenntnisse zu gewinnen.

Neben diesem plumpen Lob der Einfältigkeit stößt auch die Verklärung der edlen Wilden unangenehm auf. Alles an den Na’vi und an Pandora ist faszinierend, mystisch, pantheistisch aufgeladen, ein romantisierender Blick auf das Fremde, der eine lange Tradition hat von Karl May über wilhelminische Rassentheoretikern bis hin zu den postmodernen Ethnopluralisten. Hinter dem faszinierten Xenophilismus verbirgt sich eine subtile Form von Rassismus. Eine tatsächliche Völkerverständigung findet nicht statt. Die Fremden sind die Geheimnisvollen, Mythischen, die mit der Natur im Einklang Lebenden, aber es sind die Fremden. Das Zusammenleben wird nur temporär und durch eine rassische Einordnung möglich, hier wir, dort die, die Grenzen sind klar abgesteckt, und jeder sollte in seinem Territorium bleiben, insbesondere deswegen, da es für andere Ethnien ohnehin unmöglich ist, das Fremde zu verstehen.

Hinzu kommt die schrecklich formelle Auflösung, dass die edlen Wilden doch vom tapferen weißen Mann gerettet werden. Der Marine braucht nicht lange, um unter ihnen zu leben, und nach kürzester Zeit wird er zu ihrem Messias, Helden und Anführer. Pandora braucht den edlen Menschenkrieger, um sich gegen die Invasion zu verteidigen: Dieser redet mit den Ahnen auf eine Art wie es bisher keinem Na’vi gelungen ist, schafft es sogar, dass der Planet ihn in seinem Krieg unterstützt, er reitet den gefährlichsten Drachen der Lüfte, er wird von den Natives zum König und Schlachtenführer ernannt. Am Ende ist es doch der Mensch, der die friedlichen, aber hilflosen Außerirdischen vor seinesgleichen rettet und beschützt. Am Ende ist auch die Botschaft Avatars eine chauvinistische.

Die Welt:

Aber die Begeisterung Pandoras soll schließlich nicht durch die Geschichte oder die Moral sondern primär über die Flora und Fauna erzeugt werden. Die Defizite in der Handlung, Dramaturgie und der moralischen Botschaft… geschenkt. Sie wurden vom Autoren dieser Zeilen erwartet und wurden auch wie erwartet geboten, wenn auch in weit schlimmerer Form als befürchtet. Es wurde versucht, diese zu ignorieren, sich vollends auf die Schauwerte Pandoras einzulassen. Ein Versuch der freilich, offensichtlich misslungen ist. Und dies liegt zu großem Teil auch an der Beschaffung der gezeigten Welt selbst: Es fluoresziert an allen Ecken und Enden, Berge fliegen in der Luft, sechsbeinige Pferde rauschen über die Graslandschaft, Drachen fliegen umher und es bleibt alles erschreckend steril und emotionslos. Die größte Enttäuschung des Autoren dieser Zeilen war die über Pandora selbst. Wo beeindruckende Landschaften erwartet wurden, wirkte die ganze Welt ungeheuer klinisch, unwirklich, virtuell und konnte so niemals Plastizität oder Tatsächlichkeit erzeugen. Gerade wegen des Farb- und Lichtspielbombastes verwehrt Pandora dem Zuschauer das, was essentiell für eine künstliche Realität ist: Empathie. Stattdessen wähnt sich der Zuschauer zu jeder Zeit in einer künstlichen Landschaft, manchmal gar in einer Videospielwelt, die weder bedrohlich, noch berauschend noch gigantisch wirkt, sondern das Medium auf dem sie basiert, allzu deutlich macht. Je dicker Pandora in jeder weiteren Minute aufträgt, umso deutlicher wird seine Herkunft aus Bits und Bytes. Die glänzende, leuchtende, gigantisch aufgeladene Landschaft ist zu viel, um natürlich oder fesselnd zu wirken. An jeder Ecke gibt es Schauwerte und ästhetische Besonderheiten. Pandora ist die Form von Welt, wie sie Kreationisten für die Realität propagieren. Alles ist so durchgestylt, so hochtrabend ästhetisch, dass der Schöpfer hinter jeder Ecke hervorlukt. Nur ist dies eben kein allmächtiges göttliches Wesen oder ein intelligenter Designer sondern der Computer und die Programmierer, die sich vor ihm versammelt haben.

Die Technik:

Das ist insbesondere deswegen so traurig, da Avatar tatsächlich technisch beeindruckend ist. Dies wird besonders in der Animation der Na’vi deutlich, die die große positive Überraschung des Films darstellt. Wirkten die Trailer noch eher, als könne die Landschaft begeistern während die Charaktere doch wieder wie Figuren aus X-Box oder Playstationspielen aussehen würden, so ist es genau umgekehrt. In der hervorragenden Animation der künstlichen blauen Wesen wird Avatar lebendig. Ein Unterschied zu echten Schauspielern ist kaum auszumachen, das Motion Capture Verfahren wird zur Perfektion getrieben: Die Mimiken und Gestiken wirken trotz der 0-dimensionalen Eingeborenencharaktere zu jeder Zeit authentisch und real. Ebenso weiß die Technik in den Actionszenen zu begeistern. Der erste Flug mit dem Drachen und die finale Schlacht bieten großartige Schauwerte, die dank ihrer Geschwindigkeit und der – mittlerweile für Actionszenen obligatorischen – hektischen Schnitte, die Künstlichkeit Pandoras vergessen machen. Ebenso beeindruckend ist die Technik ausgerechnet dann, wenn die künstliche Welt Pandoras zerstört wird. Nach dem brutalen Angriff der Menschen auf die Heimat der Na’vi irren diese durch eine brennende und zerstörte Aschelandschaft, die ebenfalls zeigt, wie hochwertige Technik imposante Bilder erzeugen kann. Die Szene, in der ein brennendes Pferd durch den Ascheregen rennt vermag sogar eine echte Gänsehaut zu erzeugen. Leider bleiben diese Szenen einsame Höhepunkte in einem Film, dessen grandiose Technik sich für übertriebene – und dadurch künstlich, plump und falsch wirkende – Licht- und Farbenspiele prostituiert.

Der 3D-Effekt:

Bliebe der letzte Trumpf des Streifens. Die 3D-Technik. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese in den letzten Jahren einen gewaltigen Sprung gemacht hat. Vorausgesetzt, die derzeitige 3D-Technik hat das Ziel, das Medium zu öffnen, muss man ihr allerdings bei Avatar ein deutliches Scheitern attestieren. Positiv hervorzuheben ist, dass Avatar nur in geringem Maße von dem klassischen Effekt Gebrauch macht, Dinge direkt auf das Publikum zufliegen zu lassen. Die 3D-Effekte in Avatar wollen keine Spielereien sein, sondern sie wollen ein anderes, ein neues Filmerlebnis erzeugen. Und in manchen Szenen gelingt dies auch erstaunlich gut. Wenn der Ascheregen des blutenden Pandoras überall um den Bildschirm herumflimmert, wirkt dies ausgesprochen plastisch und lässt den Zuschauer tatsächlich intensiver in die Welt eintauchen. Ebenso beeindruckend generiert sich die Vertiefung bei Jakes Videoblogs: Der frei schwebende Bildschirm, die in die Tiefe verlagerten Schriftzeichen erzeugen das Gefühl eines dreidimensionalen Computers perfekt. Ebenso funktioniert die 3D-Technik ziemlich gut bei der Vertiefung des Raumes innerhalb der Leinwand. Bei spartanischem Gebrauch wirkt das Geschehen äußerst weit und generiert dadurch staunenswerte Bilder. Doch dann beginnt das Scheitern, immer in jenen Momenten, in denen Avatar auf den subtilen Einsatz der Technik verzichtet und den Zuschauer in das Geschehen hineinreißen will. Plötzlich drängen sich zahlreiche Grashalme in den Vordergrund, Baumstämme wachsen in den Zuschauerraum hinein, die Welt bewegt sich scheinbar aus dem Bild und in das Bild… scheinbar… denn in diesen Momenten zerstört der Film sich seinen eigenen Traum.

Der klassische Film lebt von der Kadrierung durch die Leinwand und gleichzeitig von der Versicherung, dass diese Kadrierung nur einen Bruchteil der fiktionalen Welt einfängt. Jeder durch die Leinwand, respektive durch die Kamera, gesetzte Rahmen beinhaltet ein Versprechen auf Mehr. Das ist das Mittel, mit dem Horrorfilme den Zuschauer leiden lassen. Wir sehen Danny in Shining durch die Hotelflure laufen, wir sehen nicht was hinter der nächsten Ecke wartet, aber wir wissen, dass dort etwas wartet. Das ist die Technik mit der Thriller und Actionfilme Spannung erzeugen: Wir sehen, wie sich James Bond umdreht, wie er etwas sieht, wir wissen nicht was, wissen aber, dass dort etwas ist was ihm hilft, oder Probleme bereitet. Das ist das Mittel mit dem Fantasyfilme gigantische Welten erschaffen: Wir sehen Legolas, Aragorn und Frodo über einen Hügel wandern und wissen, dahinter eröffnen sich riesige Landschaften, ein ganzes Königreich, eine ganze Welt. Die Cadrage des filmischen Mediums ist Fluch und Segen zugleich. Sie zeigt und verbirgt, sie verspricht: „Ich zeige nur einen Ausschnitt, aber hier gibt es mehr!“, Sie stimuliert die Gedanken und die Phantasie der Zuschauer, öffnet und schließt sich und erzeugt somit im besten Fall eine Illusion von Weite, ein Bild, das sie nicht zeigen muss.

Die 3D-Technik in Avatar dissoziiert diese klassische Kadrierung und zerstört sie. Wenn ein Baumstumpf in den Vordergrund gerückt ist, weit in den Zuschauerraum hineinragt, wird dem Rezipienten bewusst, dass der Baum hinter der Leinwand aufhört. Man sieht einen Teil des scheinbar dreidimensionalen Objekts, das keinen Anfang und kein Ende besitzt, man betrachtet dieses Objekt intuitiv mit der Hoffnung auf Mehr und wird in diesem Blick den Grenzen der Leinwand gewahr. Gräser, Berge, Bäume, Pflanzen: Alles was aus der Leinwand tritt verdeutlicht deren Grenzen mit dem Versuch diese zu sprengen. Die dreidimensionalisierte Natur Pandoras erscheint zu jeder Zeit als eine unvollständige Natur, wenn sie sich dem Publikum nähert. Das Versprechen auf Mehr, das in der Kadrierung schlummert wird nur zu einem geringen Teil erfüllt und dadurch ihrer Kraft geraubt. Wo man in anderen Filmen weiterhin von Millionen Meilen träumen kann, wird man hier mit ein paar Metern abgespeist, nur um dadurch die Weiten verrinnen zu sehen. Das Medium wird hinter dem Traum sichtbar. Das ist nicht nur desillusionierend sondern im höchsten Maße destruktiv, die Phantasie betreffend. Nie wurden dem Autoren die Grenzen der Leinwand so schmerzlich bewusst wie in den angesprochenen Szenen. Wo Avatar das Kino öffnen will, erreicht der 3D-Effekt des Films das genaue Gegenteil: Er offenbart ungewollt die Grenzen des Mediums, er zerreißt die Illusion, zerstört in den ärgsten Fällen seine eigenen Träume. Selten wirkte eine Technik so kontraproduktiv im Hinblick auf ihre eigene Intention. Avatar beengt das Kino und beengt sich selbst, der 3D-Effekt steht dem Versprechen eines großen Pandoras im Weg und wird damit zum medialen Widersacher der eigenen filmischen Illusion.

Das Fazit:

Was bleibt? Unverständnis über die Begeisterungsstürme bei einigen Pressevertretern, aber auch Unverständnis über die großteils durchschnittlich wohlwollenden Rezensionen nach der Formel „Bilder hui, Story pfui“. Genau ein solcher Film wurde erwartet, nicht mehr aber auch nicht weniger. Der Autor dieser Zeilen ging in den Film mit der Erwartung an einen durchschnittlichen Film. Er erwartete eine simple Story, eine plumpe, fragwürdige Moral, er erwartete Überzeichnung und epische Trashmomente. Aber er erwartete auch eine monumentale Bildgewalt, ein beeindruckendes Blockbusterspektakel, einen Fantasyfilm, der es zulässt für zwei Stunden den Verstand und den kritischen Dämonen auszuknipsen, der dank fantastischer Bilder trotz der Schwächen zu unterhalten weiß. Der Autor dieser Zeilen sah einen unterdurchschnittlichen Film, der mit keinem der letzten großen Blockbuster mithalten konnte, er sah Schludrigkeiten und mangelhafte Dialoge, die leider auch unter der Qualität sonstiger Hollywoodsimples liegen. Er sah eine hervorragende Technik, deren Potential verschenkt wurde, eine sterile, klinische, künstliche und kalt lassende Welt, er sah eine vielversprechende 3D-Technik, die letzten Endes dem Film doch zum Nachteil gereichte und der Leinwand ihre eigenen Grenzen offenbarte. Der Autor dieser Zeilen hatte geringe Erwartungen an den Film, diese wurden weit unterboten.

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Erstveröffentlichung des Textes: 2010