Die besten Tarantinoesken Filme der 2000er Jahre

Ja… richtig gelesen. Wer glaubte, wir hätten bei den besten Actionfilmen der vergangenen Dekade den Master himself vergessen, kann hiermit beruhigt werden. Hiermit widmen wir ihm eine eigene Kategorie. Aber nicht nur das, wir gönnen ihm gleich auch ein eigenes Genre. Seit dem 90er Meisterwerk Pulp Fiction gab es zahllose mal mehr mal weniger gelungene Epigonen des Tarantinoesken Kinos. Zahllos drängten sie auf den Markt, und woran sie sich genau orientierten, war vielen von ihnen selbst nicht so ganz klar… uns übrigens auch nicht. Fest steht jedenfalls: Es gibt sie. Die Tarantinoesken Filme: Genrebastarde zwischen Action, Thrill und Comedy. Oft mit Gangstern und Ganoven als Protagonisten, immer jedenfalls mit verdammt coolen Typen. Dazu reichlich Popzitate, eine gehörige Portion 70’s Exploitation-Nostalgie, B-Movie-Charme und gleichzeitig das Bemühen das eigene Werk zum Kultfilm avancieren zu lassen. Gespickt mit vielen Nonsens-Dialogen, unterlegt mit coolem Score, den Sinn für das Nebensächliche nicht vergessen, mitunter episodisch erzählt… und irgendwie kleine Jungs als Hauptzielpublikum. Nennt es Nerdfilme, nennt es Kultfilme, nennt es postmoderne Exploitation und Trash, nennt es Jungsfilme, nennt es wie ihr wollt. Hier ist die vollkommen heterogene Mischung der explosiven Genrebastarde, die wir – dem Meister zum Tribut – Tarantinoeske Filme nennen wollen. Die besten des Jahrzehnts, ganz exklusiv hier…

Sin City [Robert Rodriguez, Frank Miller]

(USA 2005)

Den Anfang macht kein Tarantino-Epigone sondern ein Seelenverwandter. Der mexikanische Regisseur Robert Rodriguez stand bereits in den 90er Jahren für eine Form des Kinos, die sich eng an die englischsprachigen, tarantinoesken Filme anschmiegte. Im neuen Jahrtausend zog er dann gleich komplett in die USA um und verfilmte Frank Millers Kultcomic Sin City. Heraus kam dabei eine adrenalingetränkte, blutdürstige und ultracoole Collage aus verschiedenen Millieus und Protagonisten rund um den postapokalyptischen Sündenfuhl. In düstere Schwarz-Weiß-Bilder getaucht berauscht Sin City durch eine raffinierte episodische Erzählweise, Thrill, Action und rabenschwarzen Humor. Ein fesselnder stilsicherer Genrebastard, der geschickt mit Klischees spielt, diese aufbricht und mit lässigem Post-Noir Flair zu begeistern weiß. Vor allem Dank seiner eng an die Comicvorlage angelehnten Bilder fast schon so etwas wie der Prototyp zukünftiger Comicverfilmungen, von denen viele, von Zack Snyder über Chris Nolan bis hin zu den aktuellen Marvel-Filmen inspiriert werden sollten.

Black Snake Moan [Craig Brewer]

(USA 2006)

Den Blues im Blut hat das hitzige Südstaaten Exploitation-Drama Black Snake Moan von Hustle & Flow Regisseur Craig Brewer. In dem fulminanten Zweikampf zwischen einer nymphomanischen Christina Ricci und dem irren Priester und Bluesgitarristen Samuel L. Jackson fliegen die Fetzen, es gibt viel nackte Haut unter der prallen Südstaatensonne zu sehen und eine ordentliche Portion besten Americana Retro-Blues zu hören. Allein die Hintergrundgeschichte um eine junge Frau, die vom Exorzisten an eine Heizung gekettet zum Guten bekehrt werden soll, klingt schon total gaga. Das daraus dennoch ein mitreißendes, glaubwürdiges und auch irgendwie schön naives Drama um Läuterung und Veränderung wird, ist ein Umstand, dem gar nicht genug gewürdigt werden kann.

Snatch [Guy Ritchie]

(Großbritannien 2000)

Schweine und Diamanten… Wenn es einen Regisseur gab, der Quentin Tarantinos Gangster-Panoramen hinterherlief, dann war es Guy Ritchie. Bereits in seinem 90er Streifen „Bube, Dame, König, Gras“ plagiierte er das US-Vorbild höchst gekonnt und setzte mit seinem wüsten episodischen Thrillercomedy-Stil sogar noch eine Schippe drauf. Ritchies Filme – die übrigens fast vollkommen ohne Frauen auskommen – sind erstklassige B-Movies für kleine Jungs: Substanzlos, albern, unrealistisch, hektisch, aber perfekt geschnitten, verspielt erzählt und vollgepackt mit urkomischen und sau coolen Dialogen (unbedingt im Original anschauen). Dabei ist Snatch trotz Flachheit und Rip Off Charakter ein herrlich ungezwungenes Vergnügen, unheimlich kurzweilig und einfach verdammt unterhaltsam.

Kill Bill [Quentin Tarantino]

(USA 2003/2004)

Vom Plagiat zum Original. Natürlich ist Quentin Tarantino bei den besten Tarantinoesken Filmen des Jahrzehnts vertreten… und das auch mehr als einmal. Den Anfang macht der Revenge-Zweiteiler Kill Bill. Geschickt verwebt Tarantino hier Martial Arts Action mit klassischen Exploitation-Zitaten, Spaghetti Western Versatzstücken, dem Black Cinema der 70er jahre und unzähligen Pop-Reminiszenzen. Kill Bill 1 und 2 sind Tarantinos wie sie im Buche stehen: Da darf auch mal eine Anime-Szene geschickt hineingeworfen werden, da darf Michael Madsen unerhört cool eine Zigarette nach der anderen rauchen, da wird im überstilisierten Comiclook literweise Blut vergossen und alle huldigen der charismatischen, heißen und brandgefährlichen Braut Uma Thurman. Kill Bill ist ein exzellenter Genrebastard, sowohl spannend als auch actionreich, urkomisch und zwischen all dem Blut und den herumfliegenden Körperteilen auch noch ungemein sexy. Auch im neuen Jahrtausend steht Quentin Tarantino für eine ganz besondere Form von Kino, deren Hype durch und durch gerechtfertigt ist.

Grindhouse: Death Proof und Planet Terror [Quentin Tarantino, Robert Rodriguez]

(USA 2007)

Quentin Tarantino die Zweite. Zusammen mit Freund und Regiekollege Robert Rodriguez brachte der Regievirtuose 2007 ein Exploitation-Doppelpack der Sonderklasse in die Kinos. Angelehnt an die Midnightmovies der 70er Jahre sind Death Proof und Planet Terror herausragende Trashwerke, die sich voll und ganz ihrem Retrocharme hingeben. Einmal Sexploitation mit heißen Frauen und schnellen Autos, ganz im Stile Russ Meyers, einmal eine blutrünstige Zombie-Splatterorgie, auf die George A. Romero stolz wäre. Dazu kommen zahllose Reminiszenzen an das B-Kino in seinen unschuldigen Anfangstagen: Fehlende Filmrollen, Tonfehler, Bildausbrennungen und natürlich lässige Jump Cuts und Anschlussfehler. Ein Trashfestival der Extraklasse.

Inglorious Basterds [Quentin Tarantino]

(USA 2009)

Quentin Tarantino zum Dritten. Der 2009 veröffentlichte Inglorious Basterds ist nicht nur eine hervorragende Hommage an den Exploitation-Kriegsfilm-Klassiker „Inglorious Bastards“ sondern zudem eine Verbeugung vor der Macht des Kinos an und für sich. In dem von Spaghettiwestern-, 70er & 80er-Trashkino und Tarantinozitaten (der Meister zitiert sich selbst) durchfluteten Film gehorcht  alles nur der Macht des Mediums an und für sich. Konsequenterweise wird dann auch ein Kino zum blutigen Racheschlachtfeld und die Geschichte wird nebenbei auch noch umgeschrieben. Die Rollen von Gut und Böse sind ohnehin von Beginn an klar abgesteckt, aus den Verbrechern des zweiten Weltkriegs werden süffisante Karikaturen (man kann gar nicht oft genug die bravouröse Leistung  von Christoph Waltz betonen) und das ganze Geschehen geht in einem infernalen Kinofinale unter. Auf seine eigene Art eine der dringlichsten und plausibelsten cineastischen Umgänge mit dem zweiten Weltkrieg und zudem eine großartige Parodie eben genau jener medialen Verarbeitung des Themas.

Kiss, Kiss, Bang, Bang [Shane Black]

(USA 2005)

Die rabenschwarze Actionkomödie Kiss, Kiss, Bang, Bang vom Lethal Weapon Regisseur Shane Black bewegt sich geschickt in den Bahnen des Tarantinoesken Kinos, ohne sich an seine Vorbilder anzubiedern. Stattdessen arbeitet der raffiniert konstruierte Genrebastard mit rabenschwarzem Humor, einer äußerst eleganten Erzählweise und unzähligen derben Fallhöhen. Der stilsichere Comedy-Thrill-Bastard verwebt zudem postmoderne Popzitate mit köstlichen Reminiszenzen an den Noir- und Detektivfilm desklassischen Hollywood, geschickt eingewobene Kinozitate mit derben, trockenem Actioneerhumor und verliert bei seiner ganzen Verspieltheit nie den Blick für das Wesentliche: Eine interessante, spannende und saukomische Geschichte irgendwo zwischen dem Malteser Falken und Schnappt Shorty.

Gozu [Takashi Miike]

(Japan 2003)

Natürlich steckt in Takashi Miikes surrealem Gozu weitaus mehr als „nur“ Tarantino aus Fernost. Dennoch bietet das Yakuza Horror Theater des japanischen Extremregisseurs auch alle Ingridenzien, die gutes Tarantinoeskes Kino zu bieten hat: Eine schwindelerregende Mischung aus Yakuza Thriller, krudem Slapstick mit einer Leiche und knallhartem surrealen Horror. Gozu ist ein abartiger, abseitiger Genrebastard, kompromisslos, konsequent, albern und erschreckend, aber auch trocken, sau cool und immer genau die richtigen Takte neben der Spur. Ein perverser Hybrid aus ein paar Dutzend Genres und mit einem Finale ausgestattet, das jeder Beschreibung spottet. Wenn es einen Regisseur gibt, der die strukturelle Herangehensweise Tarantinos an den Film – auf ganz eigene Weise – im asiatischen Kino bedient, dann ist es Takashi Miike.

The Happiness of the Katakuris [Takashi Miike]

(Japan 2001)

Genau daher soll Miike an dieser Stelle noch ein zweites Mal gewürdigt werden (in den Horrorfilmen kam er ja bereits zu Wort und auch bei anderen Genres wird er vertreten sein). The Happiness of the Katakuris ist eine groteske Mischung aus Heimatfilm, Splatter, Horrorthriller, Musical und absurder schwarzer Komödie. Der Genrespagat gelingt Takashi Miike auch hier virtuos; das heterogene Machwerk pendelt ständig zwischen B-Movie-Trash, Bollywood, bösartigem Gore-Horror und absurdem Surrealismus. Ein konsequentes Abtauchen in die Abgründe der heilen Bergwelt, angereichert mit zahllosen japanischen Popzitaten, garniert mit einem dicken Augenzwinkern und irgendwie viel zu abseitig, um von dieser Welt zu sein.

In China essen sie Hunde [Lasse Spang Olsen]

(Dänemark 2000)

Wer noch nach einem Beweis dafür sucht, dass unsere nordeuropäischen Nachbarn nicht alle Tassen im Schrank haben… hier ist er. In China essen sie Hunde ist genauso bekloppt, wie sein Titel verspricht. Irgendwo zwischen Tarantino-Hommage, Tarantino-Parodie und Tarantino-Karikatur schwitzt und schießt und albert sich diese derbe schwarze Krimikomödie von Lasse Spang Olsen durch ihr Sujet. Dabei bietet sie unnötige Explosionen, unnötige Tode, unnötige Gewalteruptionen, unnötige Gags und ein Ende, das den Zuschauer einfach nur noch sprachlos zurücklässt. Der dreist neben der Spur – am besten noch im Gegenverkehr – fahrende Film ist ein unheimlich charmant uncharmantes Vergnügen, dass seinen Vorbildern, seinen Zuschauern und sich selbst gehörig in den Arsch tritt, sich nie zu ernst nimmt und derart abartig, abseitig generiert, dass man gar nicht weiß, ob man nun angewidert, beeindruckt, amüsiert oder einfach sprachlos reagieren soll.

The Machine Girl / Tokyo Gore Police [Noboru Iguchi]

(Japan 2008, 2009)

Was den Amerikanern der Exploitation und Trash der 70er Jahre, das ist den Japanern die Kombination aus Gore- und Pinkmovie. Wüste Mischungen aus Gewalt- und Killerorgien angereichert mit viel Fetischsex und verklemmten prüden Nacktszenen. Ebenso wie die US-B-Movie-Ecke folgen auch diese japanischen Low Budget Klassiker ganz bestimmten formellen Kriterien und beinhalten immer wiederkehrende Motive. Umso schöner, dass sich Nerdregisseur Noboru Iguchi eben genau jenen Filmen auch in den 00ern angenommen hat. Seine Reminiszenzen an das japanische B-Kino sind überdrehte, durchgeknallte Mischungen aus Sex und Gewalt, ergänzt mit derben mediensatirischen Seitenhieben und selbstverständlich vollgepackt mit Blut und abartigen erotischen Phantasien. Sowohl Machine Girl als auch Tokyo Gore Police funktionieren nicht nur einfach als Hommagen sondern sind tatsächlich die meiste Zeit über genau das was sie sind: Alberne, inkohärente Splatterorgien, kranke Filme für den Nerd von nebenan, ironisch heruntergebrochen bis auf die Knochen, fatal stillos und gerade dadurch in ihrem eigenen Kosmos ungemein stilsicher. Exotischer Trash aus Fernost eben, oder aber einfach nur ein blutiges, perverses und ungemein unterhaltsames Vergnügen, abseits jeglicher cineastischer Konventionen.

Lucky Number Slevin [Paul McGuigan]

(USA 2006)

Zurück zu den Tarantino-Epigonen… Der in Deutschland nur auf dem DVD-Markt erschienene Lucky Number Slevin ist ein Gangsterfilm, der offensichtlich in der Tradition Pulp Fictions und Snatchs steht: Coole Gangster, ein noch coolerer Outsider, eine komplizierte mehrfach in sich verwobene Geschichte und zahllose Nonsensdialoge zwischen Genialität und Überflüssigkeit. Dennoch weiß die Thrillerkomödie über die gesamte Laufzeit zu unterhalten, gerade weil sie sehr lange offen lässt, in welche Richtung sie nun endgültig streben will. Erst als am Ende die Fäden zusammenlaufen, gibt es einen deftigen Plottwist und einen mehr als überraschenden Genreüberflug. Definitiv einer der anständigen Tarantino-Plagiate und zudem eigenständig genug, um nicht im Schatten des Vorbilds verweilen zu müssen.

Brügge sehen und sterben [Martin McDonagh]

(Großbritannien 2008)

Noch besser gelingt diese Eigenständigkeit der herausragenden Crime-Tragikomödie In Bruges. Was wie eine klassische Gangsterkomödie im Tarantinostil beginnt, entwickelt sich im Laufe der Handlung zu einem nachdenklichen, melancholischen Drama, das fast gar nichts mehr mit der popüberfluteten Gangsterkomödie gemein hat, die man zuerst darin vermuten könnte. In Bruges übernimmt zwar Motive des 90er Jahre Gangsterkinos, ist aber letztenendes eine ungemein berührende, tragische Konfrontation mit dem Tod. Im tristen Setting eines prophetischen Brügges warten zwei Auftragskiller auf Anweisungen von oben, schlagen die Zeit tot und verlieren sich in der eigenen Abgeschiedenheit. Ein erstaunlich leiser, subtiler Film, der zeigt, dass tarantinoeskes Kino auch ganz anders funktionieren und begeistern kann.

Erstveröffentlichung: 2011

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