Die besten Zeichentrickfilme der 2000er Jahre

Lass es bunt sein… manchmal auch schwarz weiß… mit der Hand, mit dem Stift, vielleicht auch mit dem Computer ein wenig nachgeholfen… auf jeden Fall aber gezeichnet, gemalt, gepinselt, mit feinem Strich gezogen, mit kräftiger Farbe gefüllt, mit großen Klecksern geklotzt. Obwohl der klassische Zeichentrickfilm durch die CGI-Technik und Animationsstudios wie Pixar immer mehr an Prestige verliert und durch computeranimierte Werke sukzessive verdrängt wird, gab es in diesem Jahrzehnt einige herausragende, handgezeichnete Werke. Auch erwachsene Zuschauer durften sich über so manchen düsteren oder auch nachdenklichen und berauschenden Trickfilm freuen. Hier sind die Besten: Für jung, für alt, oder auch mal für die ganze Familie… Und den animierten und computerisierten Nachschlag gibt es dann zum nächsten Mal.

Ein Königreich für ein Lama [Mark Dindal]

(USA 2000)

Der klassische Disney-Zeichentrickfilm ist tot… Es lebe der neue Disney-Zeichentrickfilm. Nachdem Pixar und Dreamworks mit ihren Computeranimationen den Trickfilmmarkt gehörig aufmischten, hatte das traditionelle, handgezeichnete Kino einen schweren Stand beim jungen Publikum. Mark Dindal, seines Zeichens Regisseur der Walt Disney Company reagierte darauf auf seine ganz eigene Weise. Ein Königreich für ein Lama bietet eine Menge Ingridenzien klassischer Disney-Unterhaltung: Musicalcharme, niedliche Figuren, eine familientaugliche, moralische Botschaft… und doch ist hier vieles anders. So überrascht der freche 70Minüter mit urkomischen Slapstickeinlagen, zahlreichen selbstreferenziellen Momenten und einer charmant, skurrilen, eigensinnigen und schrägen Atmosphäre. Ein höchst unterhaltsamer, frischer und lebendiger Streifen, bei dem das Prädikat „für jedes Alter geeignet“ mehr ist als ein bloßes Lippenbekenntnis.

Waking Life [Richard Linklater]

(USA 2001)

Keineswegs für jedes Alter und auch nur für ein spezielles Publikum geeignet ist Richard Linklaters philosophische luzide Traumreise „Waking Life“. Der rotoskopische Film bewegt sich zwischen surrealem Realitätsverlust, traumhaft irrealen Ästhetizismen und philosophischen Gedankensplittern, die umherfliegen, aufgegriffen und wieder fallen gelassen werden. Das ganze ist dank des außergewöhnlichen Mal-, Animations- und Verfremdungsverfahrens unglaublich schön anzusehen, bewegend, nachdenklich, sowohl fordernd als auch unterhaltend und in seiner gesamten Ausführung mehr als exquisit und speziell. Einer der schönsten philosophischen Filme überhaupt.

Waltz with Bashir [Ari Folman]

(Israel 2008)

Ebenfalls in den Bereich des ungewöhnlichen Trickfilms fällt Ari Folmans Semi-Dokumentation „Waltz with Bashir“, in dem der Regisseur seine Erlebnisse während des Libanonkrieges aufarbeitet. In dem präzisen, spartanisch gezeichneten Film vermischen sich Interviews mit Rückblenden und irrealen Traumsequenzen. Aris Umgang mit dem Krieg und der Gewalt ist sowohl ein Naturalistischer, um die Wahrheit Bemühter, als auch ein poetischer, stilisierender, tief ins Innere, Subjektive Hinabtauchender. Heraus kommen atemberaubende Bilder, eine faszinierende dokumentarische Geschichte und düstere, gezeichnete Gedankenströme.

Chihiros Reise ins Zauberland [Hayao Miyazaki]

(Japan 2001)

Nur wenige Zeichentrickstudios liefern so konstant gute Qualität ab wie das Studio Ghibli aus Japan. Und nur wenige Regisseure produzieren derart konstant herausragende Zeichentrickmeisterwerke wie deren Hauskomponist Hayao Miyazaki. Auch in den 00ern wusste der Anime-Guru durchwegs zu begeistern. Die Reise der kleinen Chihiro in ein fabelhaftes Zauberland steckt voller irrwitziger, kreativer Ideen, bezaubert durch fantastische Settings, skurrile Figuren und Begebenheiten und berührt mit einem ganz eigenwilligen Charme, irgendwo zwischen naiver Schönheit und lauter, bunter Aburdität. Eine kongeniale Mischung aus schrägem Humor, stiller Introvertiertheit, knalligen Jagden durch aberwitzige Situationen und rührigen Zwischentönen. Wer dieses Jahrzehnt herausragende Animes genießen wollte, kam an den Ghiblianern einfach nicht vorbei.

Das wandelnde Schloss  [Hayao Miyazaki]

(Japan 2004)

Also bleiben wir gleich dort. Auch das anrührende Märchen „Das wandelnde Schloss“ vom selben Regisseur vermengte anmutigen Zauber, überstilisierte Romantik und heißblütige Abenteuerlust zu einem wunderbaren Märchen. Der Irrwitz von Chihiro wurde hier ein gutes Stück zurückgefahren, stattdessen mischte Miyazaki Motive europäischer und japanischer Mythologie, reicherte diese mit einem nachdenklichen, psychologischen Subtext an, verquirlte das ganze mit bunten Bildern und generierte dabei ein in seiner Botschaft universelles, in seiner Ästhetik zeitloses Stück Fantasykino: Berauschend, phantastisch, tiefgründig, emotional bewegend und immer wieder mit den eigenen Prämissen spielend.

Paprika [Satoshi Kon]

(Japan 2006)

Aber es gab auch hervorragende Animes abseits der Ghibli Studios. Der von Madhouse produzierte Paprika ist eine aberwitzige, futuristische Reise in das Reich der Träume, in denen die unglaublichsten Visionen Realität werden. Kein Wunder also, dass auch hier ordentlich geklotzt und gekleckert wird: Mit Farben, mit Bildern, mit unzähligen herausragenden Hirngespinsten, mit einem Overkill an kreativen Ideen und mit viel postmoderner Verspieltheit. Paprika ist bunt, schräg, entwirft ein an Phantasie überborderndes Szenario zwischen Traum und Realität und vergisst dabei nie seine geschickt arrangierte Science Fiction Geschichte im Eiltempo voran zu treiben. Ein tumultartiger Rausch, irgendwo zwischen traditionellem Anime, hipper Videoclipästhetik und postmoderner Achterbahnfahrt.

Persepolis [Vincent Paronnaud, Marjane Satrapi]

(Frankreich 2007)

Komplett anders gestrickt als die japanischen Anime und dennoch höchst bezaubernd ist die französische Tragikomödie Persepolis. Die Adaption des gleichnamigen Comics verarbeitet die Erfahrungen der Iranerin Marjane Satrapi während und nach den revolutionären Umbrüchen im Iran während der 70er Jahre. Dabei pendelt der Film geschickt zwischen rührenden, komischen aber auch äußerst tragischen Momenten, ohne jemals zu sehr in eine Ausrichtung abzudriften. Besonders die kindliche und jugendliche Sicht auf Krisen und Missstände erlaubt es Persepolis sein Thema feinfühlig, ohne falsche Scheu und dennoch authentisch und mitreißend zu schildern. Das verdiente Ergebnis: Ein begeistertes Publikum, zahlreiche Auszeichnungen und eine rigide Behandlung durch die iranische Zensur, die den Film für eine kurze Zeit sogar vollkommen verbot.

Princess [Anders Morgenthaler]

(Dänemark 2007)

Von der dunklen Seite des Zeichentrickhimmels stammt der dänische Psychothriller Princess, der sich mit Gewalt, Missbrauch und der Ausnutzung Minderjähriger Mädchen durch die Pornoindustrie auseinandersetzt. Der verstörende Revenge-Thriller oszilliert dabei zwischen stilisierter Anime-Ästhetik, brutalen Gewaltszenen und realen Videoaufnahmen. Ohne Rücksicht taucht er tief in ein dunkles, abartiges und brutales Millieu hinab, spart dabei ebenso wenig mit Abscheulichkeiten wie mit unbarmherziger Rachedurst und schaukelt sich dabei in seinem düsteren Rausch immer weiter nach oben. Ein kompromissloses und zugleich faszinierendes Werk und ein Zeichentrickfilm definitiv nur für die erwachsenen Zuschauer.

Lilo & Stitch [Chris Sanders]

(USA 2002)

Zurück zur universellen Familienunterhaltung, zurück zur Walt Disney Company. Aber auch diesmal mit einem nicht zu unterschätzenden Originalitätsbonus: Nicht nur dass der Film im heutigen Hawaii spielt, zudem wurde er auch noch gänzlich untraditionell mit Wasserfarben gezeichnet, was ihm einen ungemein organischen und lebendigen Look verleiht. Hinzu kommen die beiden überaus charmanten Protagonisten: Ein einsames hawaiianisches Mädchen und ein – man kann es nicht anders nennen – total durchgeknalltes Alien. Lilo und Stitch ist ein irrer, zeitgemäßer Spaß, vollgepackt mit originellen Ideen, lebendigem Humor und einer mit sich durchreitenden und dennoch sattelfesten Geschichte. Ein Fest für alle Freunde des unkonventionellen und dennoch wie immer hervorragend funktionierenden Disney-Entertainments.

Interstella 5555: The 5tory of the 5ecret 5tar 5ystem [Kazuhisa Takenouchi, Daft Punk]

(Frankreich, Japan 2003)

Vielleicht doch nur ein Kurzfilm, vielleicht gar nur eine Sammlung spannender Videoclips… und dennoch als Gesamtkonzeption ein herausragendes Stück Anime-Kino ist die cineastische Adaption der Musik des French House Duos „Daft Punk“. Der knappe 70Minüter erzählt seine Geschichte als kunterbunte Tour de Force, als wortwörtliche Space Opera, die ohne gesprochene Worte auskommt und ihre Dramaturgie einzig aus den Electro-Kompositionen in Verbindung mit den bunten Anime-Bildern schöpft. „Interstella 5555“ ist ein musikalisch grandios komponiertes Science Fiction Musical, eine gekonnte Verbindung von französischer Zeichentrick und japanischer Animeästhetik und ein stilsicherer Hybrid aus narrativer Clipästhetik und abendfüllendem Trickfilm.

The Simpsons Movie [David Silverman]

(USA 2007)

Während die TV-Serie von Folge zu Folge schlechter wurde, arbeiteten im stillen Kämmerlein die Kinder von Matt Groening bereits an der Leinwandadaption der berühmt berüchtigten US-Kultserie. Gerade im Nachhinein wird so auch der Qualitätsabfall der Serie nachvollziehbar: Immerhin waren die besten Simpsons-Autoren und Zeichner an der Umsetzung des Films beteiligt und konnten somit wenig bis gar nichts zur eigentlichen Serie beitragen. Dementsprechend wurde der erste Kinoausflug der gelben Familie zu einem nostalgischen Fest für Fans der Serie. Zwar nicht viel mehr als eine aufgeplusterte Folge, die irgendwo zwischen der neunten und fünfzehnten Staffel hätte laufen können, damit aber genau das was die Fans erwarteten: Bunt, satirisch, anarchisch, mit vielen Slapstickeinlagen, popkulturellen Zitaten und selbstreflexiven Spielereien, und auch simpsonsklassisch mit einem ordentlichen Schuss Moral.

Futurama: Bender’s Big Score [Dwayne Carey-Hill]

(USA 2007)

Noch einmal Matt Groenings Kinder, noch einmal Serienumsetzung im Breitwandformat. Der filmische Futurama-Ableger Benders Big Score schaffte es jedoch nicht ins Kino sondern landete direkt in den Videothekenregalen. Dabei hätte die herausragende Streckung der futuristischen Comedyserie bei richtiger Publicity durchaus auch einen Weg in die Lichtspielhäuser erfolgreich meistern können. Obwohl wir es auch hier mit einer aufgeplusterten klassischen Zeichentrickfolge zu tun haben, hat die Science Fiction Ideenschmiede ganze Arbeit geleistet. Benders Big Score steckt voller verrückter Ideen, abgedrehten, kreativen Einfällen, ist sau komisch, satirisch, laut, hektisch und bringt alles mit, was der Futurama-Fan sehen will. Auch die Fortsetzungen dieser „Filmstaffel“ Futuramas sind durchaus sehenswert, wenn auch nicht so kongenial wie dieser erste Teil.

South Park: Bigger, longer, uncut [Matt Stone, Trey Parker]

(USA 1999)

Wir nehmen es wieder nicht ganz so genau mit der Dekadeneinteilung. Obwohl schon 1999 in den USA erschienen war South Park der Film die perfekte Einleitung für das neue Zeichentrickjahrzehnt. Zudem ist der anarchische, bitterböse Trickfilm auch der perfekte Beweis dafür, dass Zeichentrickserien-Adaptionen mehr sein können als aufgeplusterte Doppel- oder Trippelfolgen. Bei Bigger, longer, uncut ist der Name Programm. Matt Stone und Trey Parker nutzten die Themen der kontroversen Serie, um aus diesen einen epischen Leinwandauftritt zu generieren. Es geht um nicht weniger als Krieg, Satan und Saddam Hussein, das Ende der Welt und die vermeintliche Gefahr, die von anarchischen Trickserien ausgeht. Damit ist der South Park Film nicht nur ein bombastisches Epos, sondern ebenso ein irrsinniges Stück selbstreferenzielles postmodernes Zeichentrickkino: Anarchisch, schmutzig, dilletantisch, groß und erhaben zugleich.

Renaissance [Christian Volckman]

(Luxemburg, Frankreich, Großbritannien 2006)

Zum Abschluss ein kleiner Ausflug in postpunk’sche, cyberpunk’sche Gefilde. Der düstere Science Fiction Thriller Renaissance generiert mit seinem beeindruckenden Motion Capture Zeichenstil eine elegante Zukunftsvision in Schwarz-Weiß, in der es wenig Licht und viel Schatten gibt. Der komplett auf Farbe und gar Grauschattierungen verzichtende Film ist ein spannender, dunkler Cyberpunkkrimi, der seine ästhetische Ausrichtung mit bitterster Konsequenz durchzieht. Auch wenn die (solide) Handlung und Dramaturgie nicht im geringsten mit den fantastisch spartanischen Strichzeichnungen und Schwarzmalereien mithalten kann, entführt Renaissance den Zuschauer vollständig in sein verruchtes präapokalyptisches Szenario, in dem mitunter die gesamte Welt in vollkommener Dunkelheit verschwindet. Film Noir, wie er schwärzer nicht sein könnte.

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Erstveröffentlichung: 2010