Die besten Theateradaptionen und verfilmten Bühnenstücke der 2000er Jahre

Theater und Kino… zwei Medien, die allzu oft in einen Antagonismus gerückt werden, in dem sie sich nicht befinden müssen. Das Theater kann einiges vom Film lernen (und viele zeitgenössische, progressive Regisseure machen davon auch Gebrauch), genau so wie das Kino viel von der Bühne lernen kann. Zudem liefert die Theaterwelt schlicht und ergreifend eine unüberschaubare Menge hervorragender dramtischer Vorlagen, die durch die technischen Möglichkeiten des Films ganz neue Seiten offenbaren können. Es folgen die Filme der letzten Dekade, die diese Möglichkeiten am besten ausgeschöpft haben. Gelungene, präzise Bühnenadaptionen, Filme die sich ästhetisch am Theater orientieren oder einfach mit den begrenzten Möglichkeiten der Bühne auseinandersetzen. Anspruchsvolle Kammerspiele ebenso wie opulente Musicals. Postmoderne Avantgardewerke ebenso wie reanimierte Klassiker. Bühne frei! Direkt nach dem Klick…

Tropfen auf heiße Steine [François Ozon]

(Frankreich 2000)

François Ozon ist ein Spinner. Anders kann man es nicht ausdrücken. Aber er ist auch ein Genie des andersartigen, abseitigen Kinos. Sein satirisches Kammerspiel Tropfen auf heiße Steine aus dem Jahr 2000 ist eine Adaption des gleichnamigen Theaterstücks von Rainer Werner Fassbinder. In der absurden, schwarzhumorigen Tragödie in dem die enge Verbindung zweier Männer im Mittelpunkt steht, geht es um Leidenschaften, bedingungslose Abhängigkeit, Liebes- und Eroswahn sowie ganz kleine alltägliche Dinge. Diese Themen werden bis zur Übersteigerung durchdekliniert: Da darf dann auch eine absurde – vollkommen unpassende – Tanzchoreographie nicht fehlen, ebenso wenig eine Geschlechtsumwandlung und permanente groteske Verzerrungen der Wirklichkeit. Ein avantgardistisches, kafkaeskes und vollkommen überzogenes, durch und durch absurdes Mentalitätsgemetzel.

Der Kaufmann von Venedig [Michael Radford]

(Italien, Großbritannien 2004)

Von der Avantgarde zum Traditionalismus. Die 2004er Verfilmung von William Shakespeares berühmter Komödie Der Kaufmann von Venedig ist eine ungemein präzise, detaillversessene Umsetzung des gleichnamigen Bühnenstücks. Der Text wurde fast komplett übernommen, das gezeigte Venedig ist ein düsterer, verschlagener und erschlagender Ort, der Antisemitismus, der der Vorlage oft vorgeworfen wurde, wird nicht kritiklos übernommen sondern in einer interessanten Collage gleich zu Beginn in Kontrast zu der Bühnen/Filmhandlung gestellt. Dadurch bekommt das gezeigte Geschehen eine neue Dimension, geht weit über die Naivität des elizabethanischen Theaters hinaus und gewinnt eine historisch korrekte, ungewöhnlich realistische Komponente.

Interview [Steve Buscemi]

(USA 2007)

Der niederländische Satiriker, Autor und Regisseur Theo van Gogh wurde 2004 das Opfer eines Attentats durch einen islamistischen Extremisten. Unabhängig davon, was man von der Arbeit des kontroversen, provokanten Künstler hält, war sein Kammerspiel „Das Interview“ ein herausragendes psychologisches Duell, das auch in der amerikanischen Version (Van Gogh plante schon länger eine Umsetzung für den US-Markt) hervorragend funktioniert. Reduziert auf den verbalen Krieg zwischen einem rüden Journalisten und einer jungen Schauspielerin widmet sich Interview mit präzisem Blick den Befindlichkeiten seiner Protagonisten. Steve Buscemi und Sienna Miller liefern sich hier ein Psychoduell der Extraklasse, garniert mit einer gehobenen Spannungskurve und raffinierten Twists.

Hautnah [Mike Nichols]

(USA 2004)

Kommunikation steht auch im Zentrum von Mike Nichols (Die Reifeprüfung) Adaption von Patrick Marbers Drama Closer (1997). Darin dreht sich alles um Liebe, Sex und Leidenschaft, ohne das auch nur ein Fünkchen nackte Haut zu sehen wäre. Erotisch ist die aufgeladene Menage a quatre trotzdem. Das liegt nicht nur an den verzaubernden Darstellern (so viel Schönheit gab es selten in einem Film geballt zu sehen) sondern auch an den exquisiten spannungsgeladenen Dialogen und der kühlen und zugleich hitzigen Gesamtatmosphäre. Das muntere Bäumchen Wechsel Dich in der gelangweilten Oberschicht ist ein faszinierender Blick auf menschliche Triebe, Bedürfnisse und Verhaltensweisen und darüber hinaus ein stimmiges, mikrokosmisches Gesellschaftsporträt der postmodernen High Society.

Dogville [Lars von Trier]

(Großbritannien 2003)

Lars von Triers Dogville fällt ein wenig heraus aus den hier genannten Filmen. Er beruht nicht direkt auf einem Theaterstück, sondern ist stattdessen „nur“ strukturell und ästhetisch mit seinem formellen Reduktionismus dem epischen Theater Berthold Brechts verpflichtet. Sein gesamtes Filmset arrangiert das düstere Drama auf einer Bühne, Räume werden mit Kreidezeichnungen angerissen, Türen pantomimisch geöffnet, gegliedert ist das Stück in eine klassische Szenen-Dramaturgie, inklusive retardierndem Moment und erdrückender Klimax. Dennoch ist Dogville ein Film, der mit filmischen Mitteln arbeitet und trotz des reduzierten Sets die volle Wucht der multimedialen Möglichkeiten auffährt. Daraus entsteht dann eine bedrückende Tragödie, eine vielschichtige Parabel, ein bösartiges Sittengemälde, das den Zuschauer gefangen nimmt, quält und nachdenklich, berauscht von tausend Eindrücken entlässt.

Sweeney Todd [Tim Burton]

(USA 2007)

Nicht nur das klassische Theater, auch der Broadway kann als Basis für hervorragende filmische Adaptionen dienen. Das Musical Sweeney Todd von Tim Burton – basierend auf Hugh Wellers musikalischem Bühnenstück von 1979 – ist eine rabenschwarze Tragikomödie um Liebe, Hass, Verbitterung und scharfe Klingen. Dank der wunderbaren rezitativen, natürlich belassenen Gesangseinlagen wirken die Ereignisse trotz Musicalcharmes bedrohlich, düster und mitreißend. Der schmutzige Gothlook des Londons des 19. Jahrhunderts ist wie geschaffen für Tim Burton; und dieser tobt sich hier dann auch so richtig aus. Sweeney Todd ist schick, gruselig, dekadent, skurril, makaber, kitschig überdreht und eigensinnig. Ein morbider, blutrünstiger Spaß

8 Frauen [François Ozon]

(Frankreich 2002)

Wir bleiben im Musicalbereich und switchen darin schnell nach Frankreich. Acht Frauen, acht Lieder, ein Mord und eine herrlich absurde, skurrile Grundsituation. Das Musical 8 femmes von François Ozon, basierend auf einem Theaterstück von Robert Thomas ist eine herrlich durchgeknallte Nummernrevue, hinter derem  schillernden Äußeren zahlreiche Verweise auf die Film- und Theatergeschichte verborgen sind. Dadurch funktioniert der Film – Ozon untypisch – sowohl für den anspruchsvollen Gourmet und Cineasten als auch für Zuschauer, die sich raffiniert konstruierte und erzählte Broadwayunterhaltung wünschen. Der perfekte Zwitter zwischen Arthouse-Anspruch und feinsinniger, überdrehter Unterhaltung.

Dancer in the dark [Lars von Trier]

(Dänemark 2000)

Und noch einmal Arthouse goes Broadway. Wie schon bei Dogville adaptiert der Avantgarderegisseur Lars von Trier bei Dancer in the Dark nicht einfach ein klassisches Bühnenstück, sondern orientiert sich ästhetisch und stilistisch an klassischen Musicalstereotypen. Der Film mit Björk in der Hauptrolle ist eine gewaltige, dem Zuschauer gegenüber gar gewalttätige Tragödie, die in die Ästhetik der 50er und 60er US-Musicalkultur eingebettet wurde. das Ergebnis ist ein mehr als verstörender Hybrid aus sprödem Dogma-Realismus, übersteigerter Tragik und kitschigen, himmlisch naiven Revuenummern. Ein dissoziatives und dennoch in sich stimmiges Filmerlebnis: Bitter, traurig, einnehmend und an genau den richtigen Stellen grotesk, surreal aufgebrochen. Ein authentisches, schwer zu schluckendes Frauenschicksal: Gewoben, zerwoben, zerfasert und in seiner mehrdimensionalen Gewalt fast schon wieder unwirklich.

Diesen Film haben wir auch in unserem Podcast besprochen.

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Bug [William Friedkin]

(USA 2006)

Bug ist ein düsterer Psychothriller-Kammerspielbastard von Regieveteran William Friedkin (Der Exorzist). In der schizophren-paranoiden Atmosphäre ihres heruntergekommenen Hotelzimmers trifft eine Kellnerin auf einen Golfkriegsveteranen. Gemeinsam steigern sie sich in ihrer Zweisamkeit hinein in einen psychotischen Horrortrip, der dominiert wird von Verfolgungswahn und der Bedrohung durch imaginäre Parasiten. Bug ist ein intensiver, beängstigender Psychotrip direkt hinein in die Abgründe der amerikanischen Gesellschaft. Irgendwo zwischen morbidem Grusel, leidenschaftlichem Wahn und sozialer Hölle. Ein klaustrophobisches, mitreißendes und verstörendes Kammerspiel.

Va Savoir [Jaques Rivette]

(Frankreich 2001)

Jaques Rivette gehört zu den großen Avantgarde-Regisseuren des 20. Jahrhunderts. Ein unermüdliches Relikt der Nouvelle Vague, immer auf der Suche nach dem Besonderem, dem Speziellen, der Aufsprengung von Zeit und Raum, der Auslotung der Grenzen und Möglichkeiten. Dieses Talent hat er auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht abgelegt. Va savoir ist ein Spiel in einem geschlossenen Raum, die Umsetzung eines Stücks im Stück, die Auseinandersetzung mit den Grenzen der Bühne, das Zerfließen von Spiel und Wirklichkeit in einer menschlichen Tragödie und die Aufsprengung des Raums, die Dehnung der Zeit und die Verflüchtigung der Realität. Rivettes Film ist spröde, schwermütig, leichtfüßig, komisch, charmant, anstrengend, dissoziativ und anspruchsvoll… ein besonderes Werk zwischen Leinwand und Bühne, schwer zu greifen, schwer zu halten, aber unbedingt sehenswert.

Frost/Nixon [Ron Howard]

(USA 2008)

Das legendäre Interview zwischen dem jungen Talkmaster David Frost und dem wegen der Watergate-Affäre zurückgetretenen US-Präsidenten diente als Vorlage für das packende Theaterstück Frost/Nixon von 2006. Nur zwei Jahre nach der Veröffentlichung des Dramas, adaptierte Ron Howard (Apollo 13) den politischen Schlagabtausch von 1977  fürs Kino. Auch auf der Leinwand funktioniert das verbale Duell zwischen den beiden scheinbar ungleichen Kontrahenten auf grandiose Weise. Das liegt nicht nur an der spannenden Thematik, die weit über politische Geschichte hinausgeht und fundamentale menschliche Schwächen aufdeckt, sondern auch an dem grandiosen Spiel der beiden Darsteller. Diese lassen das Rededuell zu einem wahren Psychokrieg werden, präzise dokumentiert, mit erlesenen Dialogen versehen und immer sowohl gewieft, raffiniert als auch spannend und anspruchsvoll.

Tape [Richard Linklater]

(USA 2001)

Richard Linklater gehört zu den unauffälligen Sternen am Independentfilm-Himmel. Sein buntes, überborderndes Meisterwerk Waking Life haben wir bereits bei den besten Zeichentrickfilmen gelobt. Aber auch im Minimalistischen und Reduzierten macht der Regisseur eine hervorragende Figur. Die Adaption des Theaterstücks Tape ist ein fantastisches Kammerspiel, das begrenzt auf ein kleines Motelzimmer voll und ganz von dem hervorragenden Spiel seiner drei Protagonisten lebt. Ihr Spiel mit Schatten der Vergangenheit und Gegenwart ist eine mitreißende Menage à trois, ein Dreikampf gegeneinander, ein Dreier Spiel miteinander und ein Dreier Schleichen umeinander. Ein fantastischer, exquisiter Echtzeittrialog, mit permanent greifbarer innerer und äußerer Spannung.

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Erstveröffentlichung: 2010