Ballettdrama/ Psychothriller/ Bodyhorror – „Black Swan“ von Darren Aronofsky

Verdammt noch eins! Ich war mir sicher, ich würde diesen Film lieben oder hassen. Ich war mir sicher ein Mittelding wäre nicht drin. Immerhin hat es Aronofsky schon immer geschafft mit seinen Filmen recht gut zu polarisieren. Da war „Requiem for a Dream“, für viele zu pathetisch, zu aufgesetzt in seinem düsteren Weltbild, für andere eine Offenbarung des Composite Film Genres. Da war „The Fountain“, für viele billiger, abgehobener Science Fiction Esoterik-Kitsch, für manche die postpostmoderne Antwort auf „2001 – Odyssee im Weltraum“ und ein Science Fiction Klassiker für das neue Jahrtausend. Okay… „The Wrestler“ hat allgemein positives Feedback erhalten, aber nach all den Ankündigungen, Trailern und Vorab-Kritiken musste eigentlich klar sein, dass Black Swan wieder so ein „Love it or hate it!“ Ding wird. Weit gefehlt. Ich bin voll in der „So la la“-Falle gelandet und stehe mit meiner Meinung auch offensichtlich nicht alleine da.

Aber rollen wir das Ganze erstmal von vorne auf. Im Zentrum des Films steht die Balletttänzerin Nina (Natalie Portman), Mitglied eines New Yorker Ensembles, das den Schwanensee aufführen will. Nina, die noch zu Hause bei ihrer Mutter wohnt, die sich rührend um sie kümmert, will unbedingt die Doppelrolle als schwarze und weiße Schwanenkönigin ergattern und scheint dank ihrer eisernen – bis an die Schmerzgrenze und darüber hinaus gehenden – Disziplin auch die besten Chancen dafür zu haben. Obwohl der Leiter des Ensembles (Vincent Cassel) Nina für zu frigide, scheu und ängstlich – und damit absolut ungeeignet für den Part des schwarzen Schwans – hält, ergattert sie dann auch tatsächlich die begehrte Hauptrolle. Bis zur Uraufführung des Stückes stehen ihr allerdings harte Proben bevor, die nicht nur durch die Unerbittlichkeit und Aufdringlichkeit des Leiters geprägt sind, sondern ebenso von dem Auftauchen einer scheinbaren Rivalin, der vitalen, unangepassten – und damit für den Schwan perfekt geeigneten – Lily (Mila Kunis) gestört werden. Während Nina erbittert an ihrer Rolle arbeitet, beginnt sie merkwürdige Veränderungen an sich selbst festzustellen, die sich in einen regelrechten Alptraum steigern.

Man muss kein – Achtung, Ballettanspielung – Prinz Mstiwoi sein, um zu ahnen, in welche Richtung sich die Handlung entwickeln wird. Darren Aronofsky erzählt in Black Swan ausgehend von einem Ballettdrama eine klassische Metamorphose und rückt diese in einen metaphorischen, übersymbolischen Psychothriller-Kontext. Da darf natürlich auch das kafkaeske Moment nicht fehlen, das den inneren Wandel in extremer physischer Mutation ausdrückt. Aber bevor Black Swan zum postmodernen Psychothriller/Bodyhorror-Bastard wird, ist es ein langer Weg, und den gilt es gekonnt zu inszenieren. Und natürlich macht Aronofsky hier erstmal vieles richtig. Der Mann hat einfach ein Gespür für gelungene Dramaturgie und – wortwörtlich – unter die Haut gehenden Spannungsaufbau. Dieses Talent kostet er in der hervorragenden ersten Stunde auch in jeder erdenklichen Form aus. Da wäre als erstes der omnipräsente Psychoterror, der in jeder noch so ruhigen Szene latent vorhanden ist. Die Dialoge zwischen Nina und ihrer Mutter – die unoriginellerweise eine semierfolgreiche ehemalige Ballerina ist – gehören mit ihrer klaustrophobischen, sublim bitterbösen Atmosphäre  zum Besten, was man in den letzten Jahren im Kino sehen durfte. Selbiges gilt für das Verhalten der Tänzerinnen untereinander, ihre bedrohliche Gruppendynamik und der pathologische Eifer mit dem sie zu Werke gehen.

Das diese einfachen Bilder des Miteinander funktionieren, liegt in erster Linie am herausragenden Cast. Und ja, es muss hier einfach nochmal gesagt werden (selbst wenn dies schon viel zu oft geschehen ist): Natalie Portman ist Gott! Ohne Rücksicht auf ihren Körper und ihre Seele, tanzt sie sich hier im wahrsten Sinne des Wortes so frei, wie es nur irgendwie geht. Zwischen Verzweiflung, Zusammenbruch, stiller Zerbrechlichkeit, krankhaftem Eifer und immer offensiver werdender Bösartigkeit ist sie das Epizentrum des Films. Dass Aronofsky dies in der ersten Stunde genüsslich auskostet, indem er 50% der Zeit einfach nur in einer wackelnden Oversholdereinstellung seiner Protagonistin auf ihren Wegen folgt (ernsthaft: Man sieht ständig Natalie irgendwo hingehen, etwas sehen und weitergehen, immer verfolgt von der Dogma95-Gedenkkamera): Geschenkt! Natalie Portman verdient diese Präsenz und füllt sie bestens aus. Das ist schon mehr als ein Academy Award Bewerbungsvideo, das ist die eindrucksvolle Demonstration einer der derzeit besten Schauspielerinnen überhaupt. Als wäre die innerfilmische Mutation zum Dunklen eine Reflexion ihrer eigenen Darstellergeschichte, bringt sie mit einzigartiger Präzision und unglaublicher Wandlungsfähigkeit jeden Kritiker zum Verstummen, der ihr immer noch das „Good-Girl“-Image zur Last legen könnte.

Bei einer derart beeindruckenden Performance könnte man meinen, dass die anderen Darsteller untergehen oder an die Wand gespielt werden. Weit gefehlt: Vincent Cassel (immer noch ein wenig zu unterschätzt für meinen Geschmack) erarbeitet auf großartige Weise die Vielbödigkeit des Ballettleiters: Arrogant, erhaben, süffisant, aufdringlich und letzten Endes vor allem Besessen vom eigenen Schaffen, wird sein Charakter ungemein lebendig und vielschichtig. Winona Ryder, die hier viel zu wenig Leinwandzeit bekommt, darf auf bitterböse und zugleich empathische Weise den ehemaligen Ballettstar Beth mimen, und Barbara Hershey als Ninas Mutter nutzt ihre ebenfalls zu knappe Leinwandzeit, um ein beeindruckend dunkles und beängstigendes Bild einer überfürsorglichen Mutter zu zeichnen. Am ehesten fällt da noch Mila Kunis als dunkle Anima und Rivalin aus der Reihe, deren merkwürdig inkonsequentes Verhalten  in der Konklusion der Geschichte dann aber doch noch einen nachvollziehbaren  Sinn ergibt.

Seine Darsteller weiß Aronofsky hier also zu inszenieren… und mit den Bildern sieht es in der ersten Filmhälfte ähnlich gut aus. Wie schon Lars von Trier mit seinem Antichristen (Die besten Horrorfilme der 00er Jahre) kombiniert er Naturalismus, Pathos und physischen Schmerz, um psychsischen Terror bis hin zum Bodyhorror zu generieren und diesen mit geballter Inszenierungswut und großer melodramatischer Geste zu transzendentalisieren. Und das tut dann erstmal höllisch weh: Wir sehen verwackelte, grobkörnige Handkamerabilder, wir sehen Nahaufnahmen von knackenden Zehen, von splitternden Nägeln, wir sehen und hören wie die Tänzerinnen an ihre Schmerzgrenzen gehen, festgehalten in hochauflösenden Digitalaufnahmen. Und diese schmerzhaft realistischen, authentischen Eindrücke werden immer wieder durch Phantastereien, Innerlichkeiten und aufblitzende surreale Traumsequenzen gebrochen.

Klingt doch erstmal super… Ist es auch, aber leider zieht der Film sich selbst in seiner zweiten Hälfte ordentlich den Boden unter den Füßen weg. Gott, wäre nach der ersten Stunde die Filmrolle durchgekokelt, ich hätte es gar nicht erwarten können, den Rest zu sehen und hätte „Black Swan“ schonmal präventiv zu den besten Filmen des Jahres gepackt. Leider übertreibt es Aronofsky mit seinem Supranaturalismus (oder wie auch immer man das nennen will) in der zweiten Hälfte gehörig. Das die Geschichte nach der beeindruckenden Exposition – die schon so viel mehr ist als bloß das – irgendwann ziemlich vorhersehbar wird, ist dabei noch zu verschmerzen. Ebenso die Tatsache, dass Aronofsky bei seiner Erzählung mehr und mehr mit der Pathoskeule auf die Zuschauer eindrischt. Klar, hier geht es um Ballett und das muss nunmal gewaltig und pathetisch sein. Nein, das große Problem von „Black Swan“ ist, dass er irgendwann unheimlich flach wird. Das beginnt bei der psychologischen Entwicklung: Mit den lauten Tönen kommen auch die freudianischen Holzhammer: Natürlich inklusive Drogenexzessen, homoerotischen Phantasien und eruptiven Gewaltausbrüchen. Das Böse, das zuvor hervorragend in Nuancen aufblitzte, wird plötzlich obszessiv ausgebreitet: Die düstere Mutter-Tochter-Beziehung wird zum Carrie-Gedächtnis-Feuerwerk, inklusive herrischer Unterdrückung und manischer Gewaltausbrüche. Die bösartige authentische Körperlichkeit wird zum bedeutungsschwangeren eskapistischen Bodyhorror. Und die zwischenmenschliche Dramatik, die sich zuvor noch Zeit zum Atmen ließ, wird zum großen universellem Melodram.

Besonders das Horrormoment darf hier dann tatsächlich groß geschrieben werden, inklusive lebendig werdender Spiegelbilder, dunkler Schatten, die mit aufdringlichem Sounddesign um die Ecke huschen und monströser Mutationen, die – wie sollte es auch anders sein – während des sexuellen Aktes geschehen. Nicht nur, dass das flach ist… man hat es auch schon tausendmal gesehen. Und das nicht bei intelligenten Bodyhorrorfilmen eines Cronenberg oder düsteren Arthausmonolithen eines Andrzej Żuławski sondern in der gesamten 00er US-Horrorfranchise. Black Swan wird gegen Ende in viel zu vielen Szenen zum simplen Horrorspektakel – natürlich immer noch weitaus effektiver als die unbeabsichtigten Brüder im Geiste – aber leider allzu oft genau so unfreiwillig komisch wie die Saws dieser Welt, mindestens genau so durchschaubar wie die Grudges und Rings, bis hin zum unausweichlichen Fremdschämfaktor. Die Kombination von Dogma95-Naturalismus mit klassichen Horrorbildern ist Lars von Trier jedenfalls weitaus besser – und kompromissloser – geglückt. Bei Aronofsky trieft sie nur so vor Klischees und manövriert den Film in eine Ecke, in der er sich nicht heimisch fühlen sollte.

Tut er dann auch nicht so ganz… denn am Ende reißt Aronofsky mit beeindruckenden Ballettszenen unterstützt von der unglaublichen Natalie Portman (Nochmal, und gerade für den Schlussakt: Sie ist Gott!) das Ruder herum. Im großen Paukenschlag-Finale findet „Black Swan“ zu einer gelungenen Fusion aus den beiden um die Gunst des Publikums konkurrierenden Filmhälften. Hier darf der Kinozuschauer noch einmal in seinen Sessel gedrückt werden, natürlich begleitet von Tschaikowskis großartigen Kompositionen und einer atemberaubenden Psychoterrorspirale: Das ist dann weder subtil noch flach sondern einfach nur gewaltig und bombastisch; ein furioses Finale, in seiner wunderschönen Überstilisierung genau das richtige nach diesem zerfahrenen Film. Aronofsky fährt ihr Dampfwalze, das ist klar. Aber nur wenige Regisseure wissen ein solches, alles plattwalzende Gefährt so virtuos zu lenken wie Aronofsky. Effekthascherei und große Gesten auf höchstem Niveau… und damit dann auch wieder mehr als versöhnlich stimmend. Und was bleibt dann, wenn das Licht wieder angeht? Natürlich die Möglichkeit zur Psychologisierung und Philosophierung… wahrscheinlich damit verbunden die Erkenntnis, dass das Analytische Moment des Films vollkommen an der Oberfläche geblieben ist. Wahrscheinlich ebenfalls verbunden mit der Schlussfolgerung, dass Aronofsky hier eine mal subtil sublime, mal penetrante, mal flache Geisterbahnfahrt komponiert hat, die in ihrer Inszenierung grandios, in ihrer Darstellung überirdisch (Portman=Gott), in ihrem Ausdruck höchst effektiv ist. Aber auch die Erkenntnis, dass solche Spukpaläste in der ein oder anderen Form schon weitaus besser zu sehen waren: Sei es nun die Fleischwerdung der Psychose durch Cronenberg, das Spiel mit Kunst und Horror von Lars von Trier, oder die Verbalisierung des Unbewussten von David Lynch…

Ist Black Swan also ein schlechter Film? Mit Sicherheit nicht. Dafür ist er einfach zu präzise, zu erhaben und gewaltig, zu gut gespielt (Portman… ach ihr wisst ja schon), aronofskytypisch zu kreativ inszeniert. Aber ein richtig überragender Film ist er auch nicht. Und So lala ist vielleicht auch zu ungerecht… Irgendwie ist steht er dazwischen, womöglich einfach als ein Viertel Scheitern auf halbhöchstem Niveau, als inkonesquentes Experiment, Mainstreamhorror mit Arthaus zu kombinieren, als Film, der sich selbst im Weg steht, als zwei Filme, die besser nicht zusammengeschnitten worden wären – und als mittelmäßiger Horror und außergewöhnliches Ballett-Thrillerdrama perfekt autark funktioniert hätten -, als ein Kreuzüber, dessen Ansatz mehr als löblich und dessen Umsetzung suboptimal bis zerfahren ist…. Ach was: „Black Swan“ ist ein sehenswerter Film, über dessen Qualitäten man anschließend perfekt diskutieren (oder schreiben) kann; ein Film, der 103 Minuten lang Ekel, Schaudern und Erzittern auf gehobenem Niveau bietet. Der Kinobesuch sei empfohlen, die Lorbeeren können allerdings zu Hause bleiben.

Ähnliche Artikel

Erstveröffentlichung: 2011