Carrie Light – Rezension zum skandinavischen Mysterydrama „Thelma“

Im Zuge des Twilight- und Hunger-Games-Booms hat sich schon seit einigen Jahren das Genre des partiell romantischen, partiell mystischen, partiell actiongeladenen Teenie-Fantasy-Schinkens entwickelt. Besonders das Mystery-Element wurde in – letzten Endes ziemlich formelhaften – Epigonen wie Maze Runner oder Divergent in den Vordergrund inszeniert. Neben den großen Blockbustern hat sich aber teilweise in der Nische, teilweise überraschend erfolgreich eine ganz eigene Interpretation der Verbindung von Teenager-Weltschmerz und Fantasy entwickelt: Bissiger, kritischer und experimenteller als die großen Mainstreamproduktionen konnten so kleine Perlen des Genrekinos wie das düstere Vampirmärchen Let the right one in oder der französische Coming-of-Age/Kannibalismus-Bastard Raw entstehen, die sich bewusst der simplen Konsumierbarkeit der epischen Teenieschmonzetten entziehen und stattdessen ambivalent, bizarr und hermetisch daherkommen. In genau diese Ecke fällt auch das skandinavische Mysterydrama Thelma von Joachim Trier, das deutlich braver als die oben genannten Meisterwerke inszeniert ist, sich mit sublimen Tönen und einer ambigen Geschichte deutlich von den US-Genrebeiträgen abhebt.

Die junge Norwegerin Thelma (Eili Harboe) zieht für ihr Studium vom Land nach Oslo, wo sie sich zu ihrer Kommilitonin Anja mehr als nur freundschaftlich hingezogen fühlt. Die in ihr aufkeimenden Gefühle verstören die bis dato abgeschottet und behütet lebende Thelma nicht nur sehr, sie stehen auch in direkter Verbindung mit einer dunklen Facette ihrer Persönlichkeit, die sie seit ihrer Kindheit verdrängt hat. Geplagt von mysteriösen epileptischen Anfällen und düsteren Visionen erkennt sie schließlich, dass in ihr Kräfte wirken, die – wenn sie außer Kontrolle geraten – fatale Konsequenzen haben können. Und nun steht Anja in ihrem Fokus.

Thelma ist über den Hauptteil seiner Laufzeit ein fast schon beschauliches Mysterydrama mit Coming-of-Age Einschlag, der sich aber Gott sei Dank nie allzu sehr in den Vordergrund drängt. Natürlich wird auch hier mit allerlei Symbolismen gearbeitet. Ähnlich wie bei Raw sind die übernatürlichen Geschehnisse immer auch Spiegelbild der erwachsen werdenden Seele, wie bei „Let the right one in“ ist jede scheinbar romantische, menschliche Interaktion immer begleitet von ihrer zwielichtigen Schattenseite, steht jede Hoffnung auf so etwas wie Normalität im Schatten des aufkeimenden, fantastischen Unheils, dem sich die Protagonistinnen nicht entziehen können.

Thelma geht aber noch ein Stück weiter als die aktuellen Teenager/Horrorparabeln; weiter zurück um genau zu sein. Die Referenzen hierbei lauten Kubrick und De Palma. Insbesondere letzter darf sowohl narrativ als auch inszenatorisch Pate stehen. Das geht sogar so weit, dass sich Thelma zwischenzeitlich wie eine einzige Hommage an Carrie (1976) anfühlt, die den Stoff ein wenig so ausspielt als würde es sich nicht um einen Horror- sondern einen Dramenstoff handeln. Statt eruptiver Gewalt gibt es meditative Kontrollverluste; die Macht der Protagonistin wird nie zum Infernal und entzieht sich sowohl erschreckender Unkontrollierbarkeit als auch kalkulierter Selbstbefreiung. Stattdessen geschehen die Dinge, wie sie geschehen; lassen sich nicht Bejubeln, zwingen den Zuschauer aber auch nicht, sich mit Erschaudern und Schrecken abzuwenden. Dadurch bleiben sowohl Story als auch Protagonistin angenehm ambivalent; im selben Maße bleiben dies auch die Antagonisten. Selbst die streng religiösen Eltern taugen nicht zum Feindbild. Nachdem sich die Hintergrundgeschichte ihrer Beziehung zu ihrer Tochter vollends entfaltet hat, werden ihre Handlungen und Motivationen umso plausibler, hassen kann man sie für ihr Verhalten jedenfalls nicht.

Dieser Fokus weg vom Schock hat natürlich seinen Preis: Im Gegensatz zu dem geistesverwandten Raw bleibt Thelma eher seicht, nimmt sich zwar auch seine düsteren Momente heraus, wandelt diese aber trotz ihrer Schwere nie in blanken Horror. Das Tragische wird nie um seiner selbst willen zum Horror, sondern bleibt auf der tragischen Ebene. Die Romantik und Erotik, die insbesondere im zweiten Drittel des Films omnipräsent sind, verwandeln sich nie in Exzess oder Ekel sondern bleiben auf einer fast schon unschuldigen Ebene stehen.

Dadurch wird der Film im letzten Akt allerdings nahezu kitschig. Das Szenario löst sich zwar nicht in Wohlgefallen auf, verpasst allerdings die Chance zur grotesken Parabel zu werden. Stattdessen präsentiert sich Thelma als ein de Palma und Kubrick Light; Carrie und Shining als Traummotive, die nie vollends in den Alptraum kippen. Das ist schön anzuschauen, aber eben auch ein bisschen bieder, insbesondere in den Momenten in denen Erinnerung an die weitaus bissigeren und härteren Vorbilder geweckt wird. In diesen Momenten wünscht man sich als Zuschauer manchmal doch ein bisschen mehr: Mehr Tragik, mehr Leid, mehr Horror… und tut dem Film damit auch ein wenig unrecht. Will er doch trotz aller Referenzen genau das sein, was er ist. Ein kleines, feines Mystery-Understatement, mit großen Emotionen, die sich hinter einer sterilen Fassade verbergen und ohne den Ballast eines konkreten Genres. Und als das ist er allemal sehenswert, auch wenn er zu den großen, starken Referenzen nicht ganz aufschließen kann.

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