Die besten Western der 90er Jahre

Während wir im letzten Jahrzehnt die Western einfach dreist zu den Epen geklatscht haben, spendieren wir dieser Urform des amerikanischen Kinos hiermit einen eigenen Artikel. Traditionell wird es dennoch nur in den wenigsten Fällen zugehen. Stattdessen gibt es Revisionistisches, Verzerrtes, Parodiertes, Dekonstruiertes und in die Mangel Genommenes. Frei nach dem Motto: Die besten Western sind immer noch die, die keine sein wollen.

Erbarmungslos [Clint Eastwood]

(USA 1992)

Um das gleich von vorne herein klarzustellen, damit hier keine Missverständnisse aufkommen: Die besten Western sind immer noch die, die das Genre in Frage stellen, destruieren oder zumindest dekonstruieren. Die Filme, die ihr Sujet ernster nehmen als angestaubte Legenden und die die dunklen Seiten amerikanischer Gründungsmythen hervorkehren. So wie der exzellente Spätwestern Erbarmungslos, in dem Clint Eastwood einen ergrauten Revolverhelden mimt. Und „Held“ muss hier in fettgedruckten Anführungszeichen stehen. Denn es gibt nichts Heldenhaftes, Kathartisches an der rohen und realistischen Gewalt, in die der „erbarmungslose“ Protagonist selbstverschuldet hineingezogen wird. Mit bitterem und zynischen Unterton entlarvt Eastwood die Falschheit überstilisierter Westernmythen und findet zu einer universellen Parabel über Gewaltmechanismen, falschen Heroismus und gewollten Heroismus, der in purer Verbitterung endet.

Der mit dem Wolf tanzt [Kevin Costner]

(USA 1990)

Der Entlarvung uramerikanischer Mythen nimmt sich auch Kevin Costners melodramatisches Westernepos „Der mit dem Wolf tanzt“ an. Ganz anders als bei Erbarmungslos steht hier jedoch nicht die Gewalt im Mittelpunkt, sondern der Clash of the Cultures, der in der Legendenbildung des 20. Jahrhunderts zu obskuren Verdrängungsmechanismen bis hin zur absurd falschen Stilisierung geführt hat. Auch Costner arbeitet bei seiner Begegnung des weißen Mannes mit den amerikanischen Ureinwohnern mit Stilisierungen, taucht seine Landschaftsaufnahmen in einen dichten, ökologischen Pathos und spielt mit indianischen mythologischen Motiven. Hinter dieser Ästhetizierung des Fremden steckt aber eine hervorragend erzählte, dicht gesponnene und vor allem realistische Geschichte um Landraub, Mord und brutale Verdrängung, die dank der empathischen, sensiblen Inszenierung nie zum bloßen Schocker verkommt, sondern die Mechanismen des Genres gegen dessen eigene Mythen anwendet. Ein epischer, hollywoodtauglicher Befreiungsschlag und damit das Beste, was dem Mainstream-Western zu Beginn der 90er Jahre geschehen konnte.

Tombstone [George Pan Cosmatos]

(USA 1993)

Kommen wir zum klassischen Westerneklektizismus und zu einem echten Bad Ass Streifen. Tombstone pendelt permanent zwischen historisch ungenauer Geschichtsreflexion, brutalem Spaghettiwestern, zynischem Spätwestern und Actionthrillerunterhaltung für die MTV-Generation. Die Geschichte von Wyatt Earp und Doc Holliday  dekonstruiert das Genre weniger, als dass sie viel mehr sämtliche Zutaten postmoderner Western nimmt und zu einem feurigen Spektakel zusammenmixt… Und das gelingt ihr ausgezeichnet. Packend erzählt, großartig gespielt, pathetisch bis spitzfindig inszeniert und dabei immer mit einer ordentlichen Portion Düsternis und rauem Bad Manner Charme. Perfektes, testosterongeladenes Western/Action/Bastard-Kino.

Little Jo – Eine Frau unter Wölfen [Maggie Greenwald]

(USA 1993)

Weg vom Westerngenre für kleine Jungs und zurück zur Genresubversion. Diese findet bei der Ballade von little Jo weder laut noch hart noch zynisch statt, stattdessen viel mehr im Rahmen und der Atmosphäre eines zurückhaltenden, nachdenklichen Biopics. Was in Little Jo im Mittelpunkt steht, ist der Alltag: Fernab von wilden Schießereien, epischen Kämpfen oder makaberen Schmutzansammlungen. Es ist einfach der enervierende, kraftraubende Alltag einer Frau, die sich versucht in einer von Männern dominierten Gesellschaft in einer von Männern besetzten Domäne durchzusetzen. Maggie Greenwald inszeniert hier aber keinesfalls ein schweres Drama, sondern ein intelligentes, packend erzähltes Westernepos, das geschickt mit seinen Dispositionen spielt, Brutale Eruptionen der anarchischen Westernwelt nicht auslässt und dennoch ganz und gar seine Protagonistin (hervorragend: Suzy Amis) in den Mittelpunkt rückt. Die Antithese zu klassichen, testosteronigen Westernklischees.

Maverick [Richard Donner]

(USA 1994)

Yeehaw!!! Zur filmischen Umsetzung der gleichnamigen Westernserie wühlt Richard Donner tief  in der Klischeekiste und kramt dort allerhand Erstaunliches hervor, um es danach ordentlich überspitzt und ironisch zu verbraten. Die launige Heist- und Westernkomödie Maverick hat alles, was von einem solchen Film erwartet werden darf: Überzeichnete Shootouts, dreist überspielte Comiccharaktere, vollkommen Over The Top inszenierte Glücksspielduelle… Laster, Liebe, Leidenschaft… und ist dabei so vergnüglich wie wohl keine andere Westernkomödie aus der Zeit. Ohne sich auch nur im Ansatz ernst zu nehmen, kreuzt Maverick Klischee über Klischee, lässt seinen Protagonisten einen Mordsspaß beim Lügen und Betrügen, räumt nebenbei noch mit ein paar Mythen auf, und ist dabei so unglaublich kurzweilig, dass man ihm sogar manche logischen Schnitzer nicht übel nehmen kann. Ein herrlich ungezwungenes Vergnügen.

Dead Man [Jim Jarmusch]

(USA 1995)

Die Western-Antithese schlechthin ist das nachdenklich, ruhig und langsam erzählte, existenzialistische Drama „Dead Man“ von Jim Jarmusch. Wie der Name bereits verspricht, steht hier der Tod im Mittelpunkt, erzählt als introspektive Odyssee, in der sich in der kalten, rauhen Wirklichkeit des alles andere als glorreichen Westens das eigene, innere Sterben widerspiegelt. Dead Man ist ein langsamer, melancholischer Trip, vollgepackt mit archaischen mythologischen Bezügen, Metaphern und einem ausgedehnten Symbolismus. Ein philosophischer, tief ins Innere gehender Film, der sein Westernfundament geschickt ausnutzt um eine universelle, menschliche Reise zu bebildern. Einer der poetischsten, schönsten und anmutischsten Western, ein Film, der Genremotive aufgreift, um sie mit feiner Klinge zu sezieren.

Wer mit dem Teufel reitet / Ride with the Devil [Ang Lee]

(USA 1999)

Ebenfalls langsam und poetisch erzählt, dabei aber weitaus eskapistischer und epischer ist Ang Lees Spätwestern „Wer mit dem Teufel reitet“ (Ride with the devil). Mit fast schon ethnologischer Genauigkeit bebildert der Taiwanesische Regisseur Nebenschauplätze des amerikanischen Bürgerkriegs, bedient sich dabei bei klassischen Westernklischess und Mythen und findet doch zu seiner ganz eigenen Erzählweise des klassischen Genres. Zentral sind hier immer die Charaktere, deren Motivationen, Ziele und Verhaltensweisen. Dank seiner ästhetizistischen Bilder, der Detaillverliebtheit und der ausufernden Settings wird „Ride with the Devil“ aber nie zur bloßen Charakterstudie und auch nicht zur trockenen, ethnologischen Arbeit, sondern zu einem bombastischen, großen und stilverliebten Western, in dem sich Charaktere und Bilder perfekt ergänzen und zu einer beeindruckenden cinemascopischen Reise in die Vergangenheit verschmelzen.

Purgatory [Uli Edel]

(USA 1999)

Ein kleiner, dreckiger Geheimtipp aus dem 90er Jahre Westernuniversum. Der amerikanische TV-Film Purgatory ist ein ungeschliffener, klischeebehafteter B-Movie, der – im wahrsten Sinne des Wortes – höllische Freude daran hat, Mythen, Bilder und Geschehnisse zu kreuzen und damit einen eigenartigen, einzigartigen Genre-Mashup zu kreieren: Exploitation, Western, Anti-Western, Actionthriller, Mystery und Horror… dabei immer eigenständig, provokant dreckig und beiläufig, und doch ein Mordsvergnügen. Klar, das ist mitunter ganz schön Trashy, meist vollkommen Over The Top, seine B-Movie-Herkunft nie verleugnend: Aber derart offensiv, verdorben und spaßig war kein anderer Western der 90er Jahre. Ein actionreiches, irres Vergnügen, das sich selbst nie zu ernst nimmt und dabei einfach teuflich unterhaltsam ist.

Zurück in die  Zukunft 3 [Robert Zemeckis]

(USA 1990)

Okay… alles andere als ein Geheimtipp, und über die Westernzugehörigkeit kann auch nochmal gerne diskutiert werden. Aber wenn es einem Film gelungen ist, Westernmythen mainstreamtauglich zu dekonstruieren, zu parodieren und zugleich auszuschlachten, dann war es der dritte Teil der „Back to the Future“ Franchise. Mit der nötigen Portion Hollywood-Naivität, viel Unterhaltungswillem und dem richtigen Schuß Ironie ist die Zeitreise in den Wilden Westen ein herrlich ungezwungenes Vergnügen, in der raffiniert amerikanische Filmmythen mit der – ebenso überzeichneten –  dreckigen Wirklichkeit des Westens konfrontiert werden. „Zurück in die Zukunft 3“ macht sich über die Westernstilisierung des Kinos ebenso lustig, wie er selbst stilisiert, comichaft überzeichnet und dreistderb seine eigene satirische Note dem spannenden Westernplot opfert. Aber mein Gott, macht das Spaß. Wunderbar selbstironisch, überdreht, Over the Top, inklusive epischem Verbeugen vor den Vorbildern. Eine durch und durch gelungenes Blockbuster-Antiwestern-Komödien-Action-SciFi-Mashup… oder so.

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Erstveröffentlichung: 2011