Die besten Mafiafilme der 90er Jahre

Exklusives Subgenre auf mehreren Ebenen: Mafiafilme bewegen sich oft zwischen großem Epos, spannendem Thriller, komplexem menschlichen Drama und machen im besten Fall in all diesen Ligen eine hervorragende Figur. In den 90ern reichte es dann tatsächlich auch für so viel Gutes, dass sie einen eigenen Artikel verdienen. Wer „Miller’s Crossing“ und „Carlito’s way“ vermisst, die gibt es hier. Fragt nicht nach Konsistenz…

Das Begräbnis [Abel Ferrara]

(USA 1996)

Warum nicht gleich mit einem kleinen Geheimtipp beginnen. Abel Ferraras „The Funeral“ ist ein düsteres, bitteres Drama, das sowohl den Crime- als auch den epischen Aspekt in den Hintergrund rückt, um sich voll und ganz seinen Protagonisten zu widmen. Die Gewalt findet hier nur in wenigen, ausgewählten Szenen statt, dafür aber umso eruptiver und erschreckender. Aber auch in der restlichen Milieustudie ist sie permanent vorhanden, latent, im Hintergrund und doch fesselnd und nur auf ihren Ausbruch wartend. Die Geschichte einer Familie und deren Totenwache ist ein depressives, hoffnungsloses Melodram, eine sensible und zugleich unbarmherzige Skizze über Ursprünge, Motivationen und verschiedenste Spielarten menschlicher Gewalt. Das organisierte Verbrechen als Spiegelbild der Gesellschaft an und für sich.

GoodFellas [Martin Scorsese]

(USA 1990)

Großkalibrisch geht es weiter und zwar in jeder erdenklichen Form: Ein hochkarätiger Cast, ein virtuoser Regisseur, ein feselnder Spannungsbogen, ein episches Sittengemälde… Martin Scorseses Goodfellas hat alles was ein herausragendes Mafiaepos auszeichnet. Ganz in der Tradition des Genreklassikers „Der Pate“ gelingt es Scorsese ein eindrucksvolles Bild des organisierten Verbrechens aus ganz persönlicher Perspektive zu zeichnen. Elegant, edel, stilisiert bis zur Glorifizierung und zugleich schockierend realistisch, brutal in seinen Konsequenzen, intelligent, reflektiert und dennoch in bombastischen, exquisit fotografierten Bildern erzählt. Dabei jedoch auch immer bissig und mitunter sogar ironisch gebrochen. Ein großes, übergroßes Meisterwerk des klassischen, amerikanischen Gangsterfilms.

Ghost Dog – Der Weg des Samurai [Jim Jarmusch]

(USA 1999)

Jedes Filmgenre verdient seine eigene Dekonstruktion. Für den Mafiafilm übernahm dies Independentregisseur Jim Jarmusch. Ghost Dog ist wie seine Genrekollegen ein Crossover aus Drama, Thriller, Epos und sublimer Action… und beschreitet doch einen ganz anderen Weg. Der Clash zwischen asiatischer Samuraicodex und westlicher Mafiaethik ist ein ausgeklügeltes, intelligentes Drama, das zwischen ästhetischer Überstilisierung und makaberer Genredestruktion pendelt. Wie ein Leon minus die Zwischenmenschlichkeit plus einer obskuren Form von Humanismus, plus groteskem Schick, der zwischen Hip Hop und Spiritualität pendelt. Irgendwie ganz einzigartig, irgendwie ganz eigenartig und dabei fesselnd, spannend und zugleich in sich gekehrt und nachdenklich. Vielleicht nicht der beste Jarmusch-Film, aber einer der besten Beiträge zum Mafia-Genre.

Casino [Martin Scorsese]

(USA 1995)

Martin Scorsese again… und mit einem weiteren kalten, unbarmehrzigen Meisterwerk. Auch hier gilt: Ausgezeichneter Cast, große Geschichte, spannende Dramaturgie… aber mit einem wesentlichen Unterschied: Elegant wie Goodfellas ist Casino teilweise auch in seiner Inszenierung, dabei aber weitaus roher, erbarmungsloser und vor allem kaltschnäuziger, inklusive einer der infamsten Hinrichtungsszenen der gesamten Filmgeschichte. Dank seiner zynischen Kaltschnäuzigkeit ist er darüber hinaus weitaus entlarvender und naturalistischer als die meisten anderen Mafiafilme seiner Zeit. Nichtsdestotrotz ein großes, gewaltiges und gewalttätiges Epos, das die Geschichte der Mafia in Las Vegas exquisit bebildert und erzählt.

Donnie Brasco [Mike Newell]

(USA 1997)

Ebenfalls düster und böse ist das spannende und mitreißende Thrillerdrama Donnie Brasco von Mike Newell. Anhand der Geschichte eines Undercover-Ermittlers in den Sümpfen des organisierten Verbrechens erzählt er von Loyalität und Dissoziativität, vom Kampf um die eigene Persönlichkeit und vom Scheitern dieses Kampfes angesichts des mafiösen Mikrokosmos. Dabei ist er unglaublich dicht an seinem Protagonisten, reflektiert aus dessen Augen das Geschehen der mafiösen Strukturen, setzt sich zugleich aber auch mit den Schattenseiten seiner eigenen Subjektivität auseinander: Ein folgenreiches, differenziertes Vexierspiel, das ständig zwischen Traditionalität und brutaler Charakterdestruktion steht, sich erst spät für eine klare Stoßrichtung entscheidet und dabei dennoch permanent die Frage nach Moral, Ehre und Persönlichkeit aufrecht hält.

Bugsy [Barry Levinson]

(USA 1991)

Weniger komplex dafür viel stilisierter geht es da schon im elegant inszenierten, exquisit bebilderten Biopic von Bugsy Siegel zur Sache. Die Lebensgeschichte des rauhbeinigen Gangsters, Playboys und kriminellen Idealisten ist ein Mafiaepos der alten, klassischen Schule: Eskapistisch, mit voyeuristischer Begeisterung für das dargestellte Milieu, mit seinem charmanten Ästhetizismus bis hin zur Glorifizierung reichend und gerade deswegen ungemein unterhaltsam und spannend. Klar, im eleganten Neo Noir Stil bleibt wenig Raum für unbarmherzigen Realismus und knallharte Genredekonstruktion. Dafür funktioniert Bugsy allerdings bestens als geschliffener Hochglanzthriller und packend bebildertes Biopic. Mafia made in Hollywood: Episch, pompös, bilderverliebt, aber auch kurzweilig, das Publikum umgarnend und mitreißend.

In den Straßen der Bronx [Robert De Niro]

(USA 1993)

Ebenfalls traditionell geht Robert De Niro in seinem Regidebüt „In den Straßen der Bronx“ vor. Die Geschichte um den Kampf zweier Männer um die Liebe, Loyalität und letztens Endes die Seele eines Kindes ist eine wundervolle Hommage an das klassische Mafiakino der 70er und 80er Jahre. Zwischen dem alltäglichen Überlebenskampf in den Straßen der Bronx der 60er Jahre und dem verlockenden Leben unter der Obhut eines mächtigen Mafiapaten entwickelt sich A Bronx Tale als packendes Coming-Of-Age-Drama ebenso wie als spannender Mafiathriller. Ein gelungener Beitrag zu dem Zusammenstoß der Hinterhöfe und Königssuiten des organisierten Verbrechens und eine interessante, niemals einseitige Vater-Sohn-Pate-Dreiecksgeschichte.

King of New York – König zwischen Tag und Nacht [Abel Ferrara]

(USA 1990)

Noch vor dem düsteren Sittengemälde „Das Begräbnis“ inszenierte Genreaussenseiter Abel Ferrara mit „King of New York“ einen ebenfalls alles andere als herkömmlichen Mafiafilm. „King of New York“ ist ein düsterer, schmutziger und infamer Gewalttrip in das Herz der urbanen Finsternis. Erbarmungslos, infam und brutal, auch zu viel für die BPjM, die das rohe, ungeschliffene Werk gleichmal indizierte. Über diese Maßnahme kann man streiten, ohne Zweifel jedoch  ist die Geschichte des Drogenbarons Frank White kaltschnäuziger und brutaler als alle anderen hier versammelten Filme. Darüber hinaus noch verstörend empathisch für die cholerische, mörderische Mentalität seines Protagonisten, und in seinem defätistischen Blick auf den New Yorker Untergrund fast schon ein apokalyptisches Inferno. Aber sehenswert… So was von sehenswert!

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Erstveröffentlichung: 2011