Schlagwort: Nora Fingscheidt

The Unforgivable (2021) – Nora Fingscheidts Einstand hinter dem großen Teich

Es ist immer ein Grund zur Freude, wenn es deutschen Regisseur*Innen gelingt, international Fuß zu fassen, vor allem wenn diese in den heimischen Produktionen ihr Können unter Beweis gestellt haben. Mit Systemsprenger (2019) gelang Nora Fingscheidt vor zwei Jahren ein enorm großes, realistisches Drama, das hierzulande eine Menge Preise einheimsen konnte und auch als deutscher Vorschlag für den besten internationalen Film an die Academy herangetragen wurde. Leider schaffte er es dort nicht in die engere Auswahl. Trotzdem waren in Folge dessen sowohl der Film als auch seine Regisseurin im nicht deutschsprachigen Raum zumindest Cineasten ein Begriff. Öffneten in diesem Fall früher die traditionellen Hollywood-Filmstudios die Pforten, so sind es mittlerweile Netflix, Amazon und Konsorten, die einen genauen Blick für hoffnungsvolle Nachwuchstalente haben und diesen eine Chance auf dem internationalen Parkett geben. The Unforgivable (2021) war ursprünglich eine britische Miniserie aus dem Jahr 2009. Über einen Zeitraum von zehn Jahren und mehrere kleine Umwege gelangte sie schließlich in die Hand von Sandra Bullocks Produktionsfirma Fortis Films und zum Streaminggiganten Netflix. Und auf diesem Weg gelangte das Regiezepter in Fingscheidts Hände, die damit ihren englischsprachigen Einstand geben darf. Wie bereits gesagt, immer ein Grund zur Freude, aber auch zur Besorgnis; weil das internationale Filmbusiness, egal ob Kino oder Streaming, anderen Gesetzen gehorcht, als der deutsche Autorenfilm…

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Die besten Filme 2019 – Systemsprenger: Realismus und Expressivität

Benni ist neun. Benni ist unberechenbar. Benni hat einen langen Weg hinter sich, scheint aber nie irgendwo anzukommen. Und für Benni scheint es auch keine Hoffnung zu geben. Aber das sind bloß Sätze, Versuche der Charakterisierung, die ins Leere laufen. Um Bennis Verhalten zu verstehen oder wenigstens ein bisschen einordnen zu können, muss man es erlebt haben. Und nichts anderes macht Systemsprenger (2019) von Nora Fingscheidt: Er stellt nicht einfach dar, zeigt und charakterisiert nicht einfach Bennis Innenleben und Bennis Kampf mit sich selbst und der Außenwelt. Er macht dies zum Erlebnis. Nicht zu einem jener Erlebnisse, bei denen man genüsslich sein Popcorn in sich hineinstopft und nebenbei ein bisschen Sozialporno geliefert bekommt; nein, eines jener Erlebnisse, die ihre Zuschauer – oder besser gesagt ihre Erfahrenden – in den Kinosesseln drücken, sie durchschütteln, durchrütteln und auf sie einprügeln, so dass ihnen Hören und Sehen vergeht. Benni – fantastisch gespielt von Helena Zengel – leidet an sich, an der Welt und entzieht sich zugleich allen Rettungsversuchen. Wen sie allerdings brutal in ihre Welt hineinzieht, sind die Zuschauerinnen: Sei es durch die Farben, sei es durch den hektischen Schnitt, sei es durch ihre bloße Präsenz. Bennis Innenleben ist nicht den ganzen Film über präsent, wenn es das ist, gibt es allerdings kein Entkommen.

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