Schlagwort: 2019

The Painted Bird (2019) – Allegorie und brutaler Realismus

Ein kleiner Vogel wird von einem Menschen gefangen genommen und mit Farbe bemalt. Nachdem sein Gefieder komplett anders aussieht als das seiner Artgenossen, wird er wieder frei gelassen. Er fliegt in die Wolken zu seinen Geschwistern. Und diese stürzen sich unmittelbar auf ihn. Sie erkennen ihn nicht mehr als ihresgleichen an, halten ihn für einen Eindringling oder Feind. Und sie reagieren. Innerhalb kürzester Zeit hat sich ein riesiger Schwarm um den vermeintlichen Sonderling gebildet. Sie kämpfen, rupfen, hacken. Und am Ende dieses bizarren Schauspiels fällt der angemalte Vogel tot zu Boden. Es wäre beruhigend, in diesem gewalttätigen Bild eine Parabel zu erkennen. Eine Allegorie, die den akademischen Verstand kitzelt, das Herz aber unberührt lässt. Es handelt sich aber bei der Hoffnung nach diesem Ausweg um einen Trugschluss. Dieses Geschehen ist nicht nur ein Symbol, ist nicht nur eine Geschichte, es geschieht tatsächlich vor unseren Augen. Wir sehen die Natur brutal zuschlagen, wir wollen uns in Spiegelungen und deren Interpretationen flüchten, wir müssen aber auch einsehen, dass dies die Realität ist; kein hermeneutisches Rätsel, keine analytische Fingerübung, sondern die schonungslose Realität. Am Ende ist der kleine Vogel tot. Daran ändert auch die Frage nach der Sinnhaftigkeit, nach dem Subtext des Geschehens nichts.

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Bombshell (2019) – Toxische Maskulinität in der Nachrichtenzentrale

Können wir bitte einen kurzen Moment innehalten um Fox News zu kondolieren? Die haben es nämlich wirklich nicht leicht zur Zeit. Nachdem Trump nun endgültig, endgültig seine Wiederwahl verloren hat und die eigentlich auf der Seite des ehemaligen Hauf- und Hofsenders Trumps stehenden Demonstranten „Fox News sucks!“ gebrüllt haben, blickt das konservative Medienflaggschiff schweren Zeiten entgegen. Die rechtsextremen QAnon- und Trump-Sektierer werden der Konkurrenz am rechten Rand Newsmax und oann in die Arme getrieben, konservative Urgesteine wenden sich mit Ekel von dem Konservatismus unter Donalds Herrschaft ab, und Fox News steht irgendwo zwischen den Stühlen. Mit Schreihälsen wie Laura Ingraham, Sean Hannity und Tucker Carlson haben sie nach wie vor noch die Nestbeschmutzer an Bord, gleichzeitig müssen sie erleben, wie sich mehr und mehr Republikaner von ihrem Konzept der letzten Jahre – der bedingungslosen Trump-Folge – distanzieren. Ja, Fox hat auch noch seinen Chris Wallace, sein Nachrichtensegment, einen Rest von rationaler Würde, aber es wird hart werden, wenn sie vor der Entscheidung stehen, wie weit sie sich mit dem Ex-Präsidenten – bzw. seinen Anhängern – weiter nach rechts, beziehungsweise wie weit sie sich wieder zurück in die rechte Mitte bewegen wollen. Andererseits ist das Baby des konservativen Medienmoguls Rupert Murdoch durchaus Krisen gewöhnt. Es ist noch gar nicht so lange her, da ging das News- und Meinungsnetzwerk durch verflucht schwere Zeiten. 2016, im Jahr der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten wurde das konservative Imperium von einem harten Skandal um sexuelle Belästigung, Misogynie und Machtmissbrauch durchgeschüttelt, der die Nachrichtenverbreiter selbst zur Nachricht werden ließen. Genau von jenem Skandal handelt Jay Roachs Hybrid aus Drama und Politthriller Bombshell (2019), der in gewagtem Tempo über die Abgründe der amerikanischen Medienlandschaft rauscht.

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Funktioniert immer noch ganz gut: Jumanji 2 – The Next Level (2019)

Zu den größten Überraschungen des Remake-, Reboot-, und Sequelwahns des letzten Jahrzehnts gehört ohne Zweifel die Quasi-Fortsetzung und Neuinterpretation des 90er Jahre Fantasyklassikers Jumanji (1995), die unter dem adrenalingeladenen Titel Jumanji: Welcome to the Jungle (2017) im Kino lief. Eigentlich besitzt der Film alles, was nach einem kompletten Desaster schreit: Die Nostalgie des Vorläufers komplett über Bord geworfen, aus dem Brettspiel ein Videospiel gemacht, kreischende Action und kreischende Comedy, gegen die das Original fast schon subtil wirkt, und Wrestler Dwayne „The Fucking Rock“ Johnson in einer Lead Role. Umso überraschender, wie spaßig, unterhaltsam und auch selbstironisch dieser Fantasyflick zwischen Blockbusteraction und alberner Komödie geworden ist. Dank eines augenzwinkernden The Rock Auftritts, Dank eines unvergesslichen Jack Black im Genderswap, Dank zahlloser Referenzen und dekonstruktiver Momente ist Welcome to the Jungle deutlich spaßiger und mitreißender, als zu erwarten war. Und da der Film Dank eines Box Offices von über 950 Millionen Dollar verflucht erfolgreich war, ist es nur logisch, dass er mit einer Fortsetzung bedacht wird. Und da ist sie auch schon, nur zwei Jahre später unter dem verheißungsvollen Titel Jumanji: The Next Level (2019). Und wieder denkt man sich nicht nur klammheimlich: Dieses Mal müssen sie es aber verkacken. Die Fortsetzung eines Quasi-Reboots mit noch lauterem Titel? Noch mehr Edgyness? Noch mehr Action? Noch mehr The Rock? Das kann doch nur schief gehen.

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Cobra Kai und der amerikanische Traum

Zu den eher älteren, berühmt gewordenen, Youtube-Videos gehört ein nicht ganz fünfminütiges Video-Essay mit dem Titel The Karate Kid: Daniel is the REAL Bully. In diesem knöpft sich J. Matthew Turner den Teenager-Kampfsportklassiker Karate Kid (1984) vor und dreht dessen Handlung einmal von innen nach außen. Karate Kid ist eigentlich die Geschichte des fünfzehnjährigen Daniel LaRusso, der mit seiner Mutter nach Los Angeles zieht und dort Opfer des brutalen Bullys und Karatekämpfers Johnny Lawrence wird. Im Laufe des Films lernt Daniel den Sensei Mr. Miyagi kämpfen und es gelingt ihm mit dessen Hilfe, seine Karatefähigkeiten zu verbessern, neues Selbstvertrauen zu gewinnen und schließlich in einem Karateturnier seinen Widersacher zu besiegen. In Turners Analyse liest sich die Geschichte anders: Daniel ist ein Angeber, der trotz seiner physischen Unterlegenheit Johnny immer wieder provoziert, Mr. Miyagi verprügelt Jugendliche und nur mit unfairer dämonischer Magie können sie schließlich das Turnier gewinnen. Über zehn Millionen Klicks hat das Video seit seiner Veröffentlichung 2015 gesammelt und mit der Hilfe der Serie Cobra Kai (2018) dürften nicht wenige dazugekommen sein. Cobra Kai setzt in unserer Zeit an, gut 45 Jahre nach den Geschehnissen des Films, erzählt jedoch aus einer neuen Perspektive. Protagonist ist dieses Mal Johnny, der Antagonist folgerichtig Daniel. Mit diesem einfachen Kniff wird die Youtube-Serie, die mittlerweile von Netflix übernommen wurde und die dritte Staffel hinter sich gebracht hat, zu einer großartigen Auseinandersetzung mit Nostalgie, Kampfsport und dem amerikanischen Traum.

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Die besten Animationsfilme der 2010er Jahre – Die „Drachenzähmen leicht gemacht“-Trilogie

Das Duell zwischen Pixar und Dreamworks um die Vorherrschaft im animierten Kinderzimmer ist einer der großen cineastischen Kämpfe der 2000er Jahre. Man kann es drehen und wenden wie man will: Dreamworks hat diesen Kampf verloren. Sowohl was Box Office als auch Kritik betrifft war Pixar im frühesten 21. Jahrhundert einfach unschlagbar. Ein Meisterwerk nach dem anderen hat die Animationsschmiede rausgehauen, während Dreamworks nach dem Überraschungserfolg Shrek (2001) ziemlich ins Hintertreffen geraten ist. In den anschließenden 2010er Jahren hat sich aber einiges geändert: Nicht nur, dass Pixar mit schwachen Fortsetzungen beliebter Franchises so manchen Misserfolg verbuchen musste, der ganze Animationsmarkt schien sich plötzlich zu öffnen, neue Studios wie Sony spielten in dem großen Spiel mit, es gab ein gewaltiges Disney-Revival, insbesondere durch den Smash-Hit Frozen (2013) und langsam aber sicher schälte sich heraus, dass Pixar nicht mehr das Nonplusultra war, was Animationskunst für Kinder betrifft. Und was machte Dreamworks mit dieser neuen Realität? Viel zu wenig: Ähnlich wie ihr großer Konkurrent verließ sich Dreamworks viel zu sehr auf Fortsetzungen beliebter Franchises und daneben auf die Konstruktion wirklich abstruser Storys (Vom epischen Kampf von Weihnachtsmann, Zahnfee und dem Osterhasen gegen das Böse bis zur Geschichte eines Boss Babys schien wirklich keine Idee zu stupide oder zu albern zu sein). Und dennoch ist das Studio für drei der beeindruckendsten Animationsfilme dieser Dekade verantwortlich: Drachenzähmen leicht gemacht (2010), sowie seine beiden Fortsetzungen (2014 und 2019) sind nicht nur tolle Animationsfilme für die ganze Familie sondern darüber hinaus beeindruckende Fantasyfilme, denen es gelingt dem Fortsetzungsrausch des Animationskinos eine runde – über drei Filme erzählte – Geschichte entgegenzuhalten, die nicht nur als Familienunterhaltung sondern auch als bombastisches Fantasyspektakel funktioniert.

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Monos – Zwischen Himmel und Hölle (2019): Jugend, Naturzustand und Krieg

Bellum omnium contra omnes – Der natürliche Zustand des Menschen ist ein Krieg aller gegen alle. Jeder einzelne ist in erster Linie auf sein eigenes Überleben ausgerichtet. Um dieses zu gewähren, wird vor keiner Schandtat zurückgeschreckt. Der Mensch, der des Menschen Wolf ist, lügt, betrügt, raubt und mordet, um seine maximale Stärke gegenüber allen anderen zu behaupten. So sieht die menschliche Gesellschaft im Naturzustand aus, zumindest wenn es nach dem britischen Philosophen Thomas Hobbes (1588 – 1679) geht. Vor allem sein berühmtestes Werk Leviathan (1655) ist der radikale Gegenentwurf zu all den optimistischen und humanistischen Politik- und Moralphilosophen der Aufklärung. Wo bei Rousseau der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen ist, ist er bei Hobbes eine animalische, brutale Entität. Wo Menschen bei Locke zu einer Gesellschaft zusammenfinden, müssen sie bei Hobbes in einen solchen Rahmen gezwungen werden. Der monströse Leviathan bedeutet dabei sowohl Unterdrückung des Individuums als auch Ermöglichung einer funktionierenden gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung. Was jedoch, wenn der ungeheuerlichen Ordnung selbst das Kriegerische immanent ist? Und was, wenn diesem Leviathan, der seine Untertanen in ein kriegerisches System gepresst hat, der Kopf abgeschlagen wird? Alejandro Landes‘ Monos (2019) geht dieser existenziellen Frage nach, irgendwo zwischen Herr der Fliegen, Apocalypse Now, Frühlingserwachen und Hobbes’scher Naturphilosophie.

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First Love (2019) von Takashi Miike – Zwischen Yakuzathriller und tarantinoesker Actionkomödie

Die Filme von Takashi Miike sind immer ein Hit or Miss. Und das wird wohl auf immer so bleiben. Gut hundert Filme umfasst mittlerweile die Vita des anscheinend nie müde werdenden japanischen Regisseurs. Die meisten davon sind so spitz auf ein (asiatisches) Nischenpublikum zugeschnitten, dass sie in der westlichen Hemisphäre kaum wahrgenommen wurden und werden. Und obwohl Miike immer wieder zu seinen Liebelingsgenres, dem Samuraifilm und dem Yakuzathriller, zurückkehrt, so wildert er doch daneben in allen Genres, die ihm vor die Füße fallen: Horror, Fantasy, Musical, Experimentalfilm, Superheldenkomödie, Splatter… es scheint nichts zu geben, was vor den Händen des ebenso talentierten wie speziellen Regisseurs sicher ist. Umso erfreulicher, wenn dann doch hin und wieder ein Film von ihm das Licht der Welt erblickt, der auch unseren Sehgewohnheiten entgegenkommt und mehr traditioneller Filmkunst denn experimentellem Wahn entspricht. So ist es nun auch in seinem jüngsten Werk dem Yakuzathriller First Love (2019) der Fall. Aber gewöhnlich bedeutet in Miikes Œuvre immer noch alles andere als gewöhnlich. So lässt sich First Love zwar angenehm schauen und ist nicht all over the place, man sollte sich aber dennoch auf deutlich mehr als gewöhnliche Actionthriller-Kost einstellen.

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Knives Out (2019) – Endlich mal wieder ein sehenswertes Murder Mystery Puzzle

Psst… Heh, du! Ja, genau du. Bist du nicht der riesige Agatha Christie und Arthur Conan Doyle Fan, der vor kurzem darüber jammerte, dass Krimis nicht mehr das sind, was sie mal waren? Ja, ja, ja, ich weiß. Es sieht derzeit ziemlich traurig aus auf dem Gebiet. Weder die Sherlock Holmes Serie noch die andere Sherlock Holmes Serie geschweige denn der Guy Ritchie Film konnten die Atmosphäre der großartigen Whodunit-Rätsel der Klassiker vernünftig einfangen. Und überhaupt, gibt es im Genre überhaupt noch was vernünftiges zu finden, wenn man Spaß am Rätseln hat? Wo sind sie, die verwobenen Miss Marple-, Hercules Poirot- oder Sherlock Holmes-Abenteuer? Die Geschichten an deren Beginn eine Leiche steht und ein Dutzend Verdächtige? Die Filme, in denen es jeder hätte sein können, und der aufmerksame Zuschauer am Ende triumphierend ausrufen darf: „Hah! Ich wusste es!“? Nichts mehr davon zu sehen! Die einzigen brauchbaren Murder Mystery Filme der letzten Jahrzehnte waren ausgerechnet die Slasher-Vertreter. Aber ganz im Ernst, wir wollen kein Blut, keine Gewalt und keinen Horror. Wir wollen einfach nur ein schönes Rätsel mit skurrilen Charakteren in gediegener Atmosphäre. Eine einzige Leiche reicht völlig, und ein intelligenter Detektiv beziehungsweise eine intelligente Detektivin. Den Rest sollen der Plot und unsere Spürnasen übernehmen. Psst… Ich habe hier was für dich, für uns: Knives Out (2019) von Rian Johnson, dem es vor 15 Jahren mit dem Neo Noir Thriller Brick, ja schonmal gelang, ein totgeglaubtes Genre zu reanimieren, ebenfalls ein Krimi-Subgenre, und ebenfalls mit der richtigen Mischung aus Tradition und Dekonstruktion. Da kann doch eigentlich nichts schief gehen…

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Jojo Rabbit (2019) und die Transzendenz der Hitler-Parodie

Der jüngste Film des Regisseurs Taika Waititi Jojo Rabbit (2019) ist keine Hitler-Parodie. Diese Feststellung scheint erst einmal kontraintuitiv, darf doch Adolf Hitler auf dem offiziellen Kinoplakat mit alberner Grimasse dem jungen Protagonisten Hasenohren zeigen. Und in den Trailern zu dem Film scheint seine Figur auch mehr als prominent platziert. Aber nein, Jojo Rabbit ist weder Parodie noch Travestie des wohl berühmtesten Tyrannen in der Geschichte der Menschheit. Stattdessen gelingt der im Nationalsozialismus angesiedelten Komödie etwas anderes, etwas viel wichtigeres: Sie nimmt sich den Kult um die Person Hitler zur Brust und transzendiert diese. In ihrem Mittelpunkt steht nicht die Veralberung des Bösen sondern viel mehr eine Veralberung von dessen Überhöhung, von dessen Glorifizierung. Wenn überhaupt, dann ist Jojo Rabbit eine Auseinandersetzung mit der Hitler-Rezeption, eine Auseinandersetzung, die ebenso historisierend wie ahistorisch daherkommt. Sie ist ein Spiel mit der Ästhetik des Nationalsozialismus und ein bisschen auch ein poppiger „Was wäre wenn…“-Entwurf. Was ihr in diesem Spiel gelingt ist dabei deutlich mehr wert, als das, was unzählige Hitler-Parodien in den letzten Jahrzehnten versucht haben: Sie macht mit den Mitteln des heutigen Pop die Hitlerverehrung nachvollziehbar, weckt sogar Empathie für die Hitlerverehrer und lässt den historischen Nationalsozialismus dadurch so nah erscheinen, wie er schon lange nicht mehr war.

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Die besten Filme 2019: Porträt einer jungen Frau in Flammen von Céline Sciamma

Können wir nochmal festhalten, dass das Filmjahr 2019 unfassbar stark war? Gut, 2020 war cineastisch gesehen – aus Gründen – ein komplettes Fiasko, aber das Vorjahr hat derart überzeugend abgeliefert, dass die derzeitige Kino-Nullrunde zumindest dem Publikum fast nichts ausmachen sollte. Ich habe es jedenfalls immer noch nicht ganz geschafft, all die großartigen Filme zu schauen, die letztes Jahr die Lichtspielhäuser zum ersten Mal beglückt haben. Einer dieser Filme ist Céline Sciammas Porträt einer jungen Frau in Flammen (2019), von der Kritik hochgelobt und auch den Kinokassen mindestens mit einem Achtungserfolg – zumindest für dieses Genre – gesegnet: Portrait de la jeune fille en feu, so der wunderschöne Originaltitel, ist ein Historical Period Drama wie es im Buche steht. Weit entfernt von Pomp und Glamour eines Kostümfilms, aber auch weit entfernt vom globalen Blick eines Historienepos‘ erzählt der Film vor der Kulisse des ausgehenden 18. Jahrhunderts eine Geschichte um Liebe und Begehren und einen sehr spezifischen Blick, der den Mythos des Orpheus aus den Angeln hebt.

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Vivarium (2019) und der Horror der Vorstadt

Wenn es nach dem US-amerikanischen Kino geht, sind die Suburbs der Ort, an dem Träume wie Menschen sterben. Ein ganzes Subgenre des Horrorkinos der 80er Jahre – der Slasher-Film – lebte davon, dass sich anonyme Serienkiller in den hübschen Vorgärten verstecken konnten, um nachts die ebenso hübschen wie gleichgeschalteten Häuser heimzusuchen. Regisseure wie Sam Mendes nutzten den Mief des vermeintlich glücklichen Ortes, um große menschliche Tragödien zu erzählen, von American Beauty bis Zeiten des Aufruhrs. Und Spike Jonze und Arcade Fire erklärten in ihrem Kurzfilm Scenes from the Suburbs (2011) die ganze Ortschaft gleich zum Bürgerkriegsgebiet. Die Leinwand hat nur selten ein gutes Haar an den amerikanischen residential areas gelassen. Allenfalls in Serien wie Wunderbare Jahre werden sie ein wenig verklärt, aber selbst da nicht ohne Problematisierung und Politisierung. Es liegt ja auch irgendwie auf der Hand, den Schrecken dieser Orte hervorzukehren, die sich im kulturellen Gedächtnis irgendwo zwischen Traum (für die, die es nie dorthin schaffen) und Alptraum (für die, die dort gefangen sind) eingebrannt haben. Der irische Filmemacher Lorcan Finnegan geht in seinem Mysterythriller Vivarium (2019) noch einen Schritt weiter. In seiner Vision verwandeln sich die suburbs vom symbolischen ins wortwörtliche Gefängnis, und der Schrecken verbirgt sich nicht hinter den Fassaden, sondern ist Teil des Konzepts.

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1917 (2019) von Sam Mendes – Krieg als One Shot Poesie

Irgendwo an der Nordfront Frankreichs, irgendwann während des Ersten Weltkriegs. Zwei britische Soldaten liegen unter einem Baum und schlafen. Die kurze Verschnaufspause wird jedoch jäh gestört, als die beiden einen wichtigen Botenbefehl erhalten, der sie über die (vermeintlich vor kurzem geräumten) deutschen, feindlichen Linien führen soll. Wir folgen den beiden Soldaten, sind dicht bei ihnen, während sie sich durch den engen Schützengraben ihren Weg bahnen. Vorbei an anderen schlafenden, lesenden, rauchenden Soldaten, die auf ihren nächsten Befehl warten. Es ist eng und stickig. Schließlich gelangen die beiden zu einem der wenigen Durchgänge nach oben, klettern am Stacheldraht vorbei und schließlich auf das zuvor umkämpfte Schlachtfeld. Die Kamera fährt hinauf, und die eben erlebte Klaustrophobie macht einer erstaunlichen breiten Leere platz. Nie zuvor ist es einem Film gelungen, derart beeindruckend das Gefühl des Schützengrabens, des Stellungskrieges und der schieren Dimension eines Schlachtfeldes während des ersten Weltkriegs auf die Leinwand zu bringen. Die ersten fünfzehn Minuten von 1917 (2019) sind ein atemberaubendes, visuelles Erlebnis. Einer von jenen Filmmomenten, die einem glatt die Sprache verschlagen, eine erschlagende Demonstration der Ausmaße des Stellungskrieges und zugleich eine erschlagende Demonstration großen filmischen Handwerks. Und das ist erst der Anfang: Regisseur Sam Mendes (American Beauty) erzählt seine Vision des ersten Weltkrieges als Epos einfacher Soldaten und denkt dabei gar nicht daran von ihnen zu weichen, im wahrsten Sinne des Wortes.

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Lupa of Wall Street – Rezension zu Hustlers (2019)

Es gehört in den letzten Jahren zum guten Ton der amerikanischen Rechten, sich über Filme zu beschweren, die ihrer Meinung nach zu woke, zu feministisch, zu liberal oder zu progressiv sind. Nachdem es 2019 bereits Captain Marvel erwischt hat, ist die aktuelle Sau, die durchs altright-Dorf getrieben wird Parasite beziehungsweise dessen in patriotischen Augen ungerechtfertigte Oscar-Auszeichnung. Ein Grund dafür dürfte nicht zuletzt die Tatsache sein, dass der Right Wing Darling Joker zumindest in dieser Kategorie bei den Oscars 2020 leer ausging. Anyway, bei so viel Aufregung ist die Abneigung der Konservativen und Rechten gegenüber Lorene Scafarias Hustlers (2019) fast ein wenig untergegangen. Aber sie war da, mit allem was dazu gehört: Leider auch inklusive hysterischer Wutvideos zweitklassiger rechter Vlogger, massenhaftem Downvoting bei IMDB und viel Gift und Galle, die versprüht wurden. Und wie immer gilt, man sollte sich von denen fernhalten, die alles erdenkliche tun, um einen Film – den sie mitunter gar nicht selbst gesehen haben – schlecht zu reden und in der Öffentlichkeit schlecht dastehen zu lassen (zumal die ironischerweise meistens die ersten sind, die laut „Cancel Culture!!!11Elf“ schreien, wenn ein von ihnen geliebtes Werk aus moralischen Gründen kritisiert wird), aber man sollte sich von den Schreihälsen zugleich nicht davon abhalten lassen, einen Film unbeeinflusst und auch kritisch zu rezipieren. Here we go again. Same old game, same old game.

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Kopfschmerzen auf Zelluloid: Uncut Gems / Der schwarze Diamant (2019)

Es gibt Filme, die sind großartig inszeniert, großartig geschnitten, sie haben Tempo und der Regisseur erreicht genau das, was er erreichen will. Man kann sie für ihre Qualität respektieren, ihre Waghalsigkeit, ihren dramaturgischen Mut… und dennoch konstatieren, dass es eine einzige Qual ist, sie durchzustehen. Für viele Menschen sind das langsam erzählte, künstlerisch wertvolle und subjektiv unfassbar zähe Arthausfilme. Ich hatte damit nie ein Problem. Im Gegenteil, einen ruhig erzählten Film, der Längen aushält, kann ich genießen, gerade in der Langsamkeit (manche würden sagen Langatmigkeit) sehr viel Freude finden. Aber ich kann jeden verstehen, der keine Lust auf diese Art von Kino hat. Ich kann jeden verstehen, für den ein langsamer, zu langsamer Stil einfach nur ermüdend und quälend ist. Ich habe an dieser Stelle so weit ausgeholt, weil Uncut Gems / Der schwarze Diamant (2019) für mich genau in die Kategorie fällt: Ein Film, dessen Qualitäten ich erkenne und der dennoch eine einzige Qual für mich war, und zwar keine der guten Sorte. Und das liegt wahrscheinlich wiederum daran, weil er genau das Gegenteil von dem macht, was ich am Kino schätze: Er ist alles andere als langsam, alles andere als subtil. Er ist eine einzige laute, chaotische und hektische Irrfahrt, ein Test für die Nerven seines Publikums, und ich bin an diesem Test krachend gescheitert. Aber wie gesagt, ein schlechter Film ist dieses Thrillerdrama nicht, nur eben ein unerträglicher Film… zumindest für mich.

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Die besten Filme 2019: Marriage Story von Noah Baumbach

Was macht man, wenn man Mitte der 2000er Jahre einen der besten Scheidungsfilme aller Zeiten gedreht hat? Zumindest Noah Baumbachs scheint die Antwort klar zu sein: Man wartet 15 Jahre, bis man Netflix‘ Budget und Unterstützung im Rücken hat, und dreht dann einen Film, der noch besser ist. Ja, das ist natürlich ein spekulativer Einstieg, scheint aber an der Stelle erst einmal die plausibelste Erklärung für dieses Meisterwerk von einem Film zu sein. Nach einigen Ausflügen ins Tragikomische, unter anderem in der Zusammenarbeit mit Greta Gerwig bei Frances Ha (2012) hat sich Noah Baumbach bei seinem neuesten Film Marriage Story (2019) voll und ganz dem Drama verschrieben. Ein irreführender Titel übrigens, denn wie bereits gesagt ist hier nicht viel von der Ehe zu sehen. Viel mehr müsste der Film konsequent Divorce Story heißen, steht doch die Scheidung zweier Menschen und das damit verbundene Drama ganz im Mittelpunkt der Geschichte. Noah Baumbach wäre aber nicht einer der besten Indie-Regisseure der beiden vergangenen Dekaden, wenn er nicht genau an diesem Punkt ansetzen und alles geben würde, gegen den Strich und jenseits von melodramatischen Klischees zu erzählen. Denn neben all dem Ballast einer Scheidung, der hier höchst realistisch durchexerziert wird, ist Marriage Story doch auf faszinierende Art und Weise auch eine Liebesgeschichte… und zwar womöglich eine der schönsten und traurigsten, die dieses Jahrzehnt vorzuweisen hat.

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Die Eiskönigin II (2019) – Warum die Fortsetzung von Frozen scheitert und dennoch sehenswert ist

Niemand wird bestreiten, dass Die Eiskönigin – Völlig unverfroren (2013) einer der größten Disney- und Animationsüberraschungshits der 2010er Jahre war. Hinter einem scheinbar einfach nur weiteren Fantasyschinken der Disney Animation Studios verbarg sich zum einen ein Musical, das traditionell wie nie auf die klassischen Disney-Prinzessinnen-Geschichten rekurrierte, und zum zweiten ein Fantasyepos, das an genau den richtigen Stellen den Traditionalismus aufbrach und fast so was wie Disneys Version eines feministischen Märchens darstellte. Ein Sequel war im Grunde genommen eine ausgemachte Sache, nachdem in den Folgejahren „Let it go!“ durch allerlei Kindermünder wanderte. Und doch hat es über fünf Jahre gedauert, bis Die Eiskönigin II (2019) das Licht der Leinwand erblickte. Ja, Leinwand. Gott sei Dank kein dahingeschnoddertes Direct to DVD Sequel (was vor 20 Jahren noch selbst bei den absoluten Blockbustern wie Lion King oder Die Schöne und Das Biest Standard war). Nein, eine würdige Fortsetzung, von den gleichen Machern mit den gleichen Stimmen und sogar exakt dem gleichen Budget. Und doch haftet Frozen II ein wenig der Geruch des Hinterhergeschobenen an. Denn obwohl der erste Teil so manche losen Enden bereithält, die eine Fortsetzung fast schon zwingend erscheinen lassen, so gelingt es der Fortsetzung doch nicht so richtig, diese zu einer harmonischen Gesamtnarration zusammenzuführen.

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Ist „Miraculous – Geschichten von Ladybug und Cat Noir“ die beste animierte Kinderserie, die es aktuell da draußen gibt?

Ja, mein Gott, wie soll ich – wenn ich schon so eine steile These aufstelle – diesen Text anders betiteln als mit einer Suggestivfrage? Um es nicht allzu clickbaity zu machen, folgt die Antwort auf den Fuß: Ja, ja, ja, verdammt nochmal, und nochmal ja. Die französische, italienische, koreanische und japanische Koproduktion Miraculous – den meisten Eltern wahrscheinlich eher unter dem schlichten Titel Ladybug bekannt – ist großartige Kinder- und Familienunterhaltung; und darüber hinaus wahrscheinlich das beste, was man aktuell an kindgerechten TV-Animation geboten bekommt. Und das ist keineswegs selbstverständlich, wenn man einen Blick auf das Gesamtkonzept der Superheldinnenserie wirft. Denn ganz ernsthaft, für wen ist Miraculous gemacht? Für Kinder unter 5 Jahren, die harmlose Comic- und Superheldenunterhaltung brauchen? Für Kids kurz vor der Pubertät, die schon ein wenig in Highschool-Klischees reinschnuppern und gleichzeitig unbekümmerte Action erleben wollen? Für Teenager, die sich die kindliche Freude an albernen Kämpfen gut gegen böse bewahrt haben? Oder gar für Erwachsene, die nach einem expanded universe und vielen Cosplay-Möglichkeiten gieren? Irgendwie für alle und damit zugleich für keine Zielgruppe so richtig. Die Geschichten von Ladybug und Cat Noir sind all over the place, widersetzen sich ziemlich widerspenstig einer klaren Zielgruppenfokussierung und funktionieren gerade deshalb perfekt als Unterhaltung für die ganze – in diesem Fall wirklich ganze – Familie. Aber was macht ihr Zauber aus, warum gehen sie seit fünf Jahren so durch die Decke, und wie schaffen sie es Kita-Pyjamas ebenso zu verkaufen wie Actionfiguren wie überteuerte Sammlerstücke? Zeit dem ungewöhnlichen Mashup aus Fantasy/Action/Romantik/Comedy auf den Grund zu gehen.

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Die besten Actionfilme der 2010er Jahre: Die John Wick Trilogy mit Keanu Reeves

Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich ein Filmgenre mal in der Krise befindet. Und auch im Kontext unserer Retrospektiven sind wir des öfteren auf solche gestoßen: Der Western in den 80er Jahren, das Fantasygenre in den 90ern, Science Fiction in den 2000ern… Trends kommen und gehen, manchmal gibt es kreative oder monetäre Flauten, manchmal ist das (fehlende) Publikumsinteresse Schuld, manchmal die Ideenlosigkeit der Studios, manchmal ist es einfach nur Pech. Meistens jedoch tut die Dürrezeit dem entsprechenden Genre gut und es kann sich danach umso beeindruckender zurückmelden. Erst die Orientierungslosigkeit der Fantasy-90er ermöglichte die überwältigende Renaissance des Genres mit Hits wie Herr der Ringe oder Harry Potter. Erst in der Westernflaute der 80er Jahre konnte die Vorstellung eines Neo und Post Western reifen, erst die epische Dürre der Fantasy-90er ließ den Raum für ein Wagnis wie Herr der Ringe und erst die Kargheit des 2000er SciFi weckte das Zuschauerbedürfnis nach neuen futuristischen Welten und Weltraumopern. Vielleicht verhält es sich mit dem Actiongenre in den 2010ern genauso, aber wirklich abzusehen ist das noch nicht.

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Die neue Star Wars Trilogy (2015 – 2019) – Ein abschließendes Urteil

Zwei große Serien haben das Blockbusterkino der 2010er Jahre geprägt. Dass beide Franchise-Neuinterpretationen aus dem Hause Disney kommen, ist kein Zufall. Mehr als je zuvor dominierte Disney in diesem Jahrzehnt das Blockbusterkino; allerdings nicht nur wie zuvor den Animations- und Familienfilmbereich – mit Werken wie dem in Kinderzimmern omnipräsenten Frozen (2013) – sondern auch mit bombastischem Popcornkino für die älteren Zuschauer. Die erste „erwachsene“ Blockbuster-Serie war das MCU, das mit Iron Man (2008) bereits im vorherigen Jahrzehnt seinen Grundstein gelegt bekam, aber erst in den Zehnerjahren zur vollen Blüte wuchs und mit dem Zweiteiler Avengers: Infinity War (2018) sowie Avengers: Endgame (2019) einen gigantomanischen Abschluss feiern durfte. Die zweite große Serie hatte ihren Beginn erst in der zweiten Hälfte der 2010er, schlug aber mindestens genau so große Wellen. Star Wars: Das Erwachen der Macht (2015), Star Wars: Die letzten Jedi (2017) und Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers (2019) waren der – je nach Standpunkt erfolgreiche / erfolglose – Versuch, fast 20 Jahre nach der Prequel-Trilogie den Krieg der Sterne Mythos nicht nur weiterzuerzählen, sondern darüber hinaus die so genannte Skywalker-Saga zu einem würdigen Abschluss zu bringen. Für eine Retrospektive auf diesen Versuch und sein Ge- beziehungsweise Misslingen ist es ohne Zweifel noch zu früh, zeigt doch die sich erst in letzter Zeit etablierende wohlwollendere Rezeption der Prequel-Trilogie deutlich, wie sehr sich die Wahrnehmung bestimmter Nerdfilme über Dekaden hinweg verändern kann. Wir wollen es dennoch versuchen, zumindest als vorläufig abschließendes Urteil; ohne Anspruch auf Endgültigkeit und wie immer ohne Anspruch auf Objektivität.

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Die besten Filme 2019 – Der Oscar-Abräumer Parasite von Bong Joon-ho

Endlich! Über fünf Jahre nach dem großen Erfolg beim westlichen Publikum mit der Dystopie Snowpiercer und zwei Jahre nach dem Netflix-Achtungserfolg Okja ist Bong Joon-ho endlich da angekommen, wo er schon immer hin gehörte. Und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Erstens, ziemlich offensichtlich, bei der höchsten Mainstreamehrung, die sich ein Regisseur überhaupt vorstellen kann. Auch wenn es sich immer noch ein wenig surreal anfühlt, ist es doch Wirklichkeit: Bong Joon-hos neuester Streich, Parasite (2019) hat 2020 bei den Oscars abgeräumt. Aber so richtig: Nicht nur als bester fremdsprachiger Film, sondern als bester Film, als erster fremdsprachiger Film in der Geschichte der Oscars überhaupt. Darüber hinaus bestes Originaldrehbuch und beste Regie. Vier Academy Awards für eine rabenschwarze südkoreanische Komödie. Wie ich bereits an anderer Stelle schrieb: Die Oscars waren in den letzten Jahren doch für so manche positive Überraschung gut. Positiv ist die Überraschung nicht zuletzt auch deswegen, weil Parasite ein Film ist, der jedes Lob und jeden Hype um ihn im letzten Jahr mehr als verdient hat. Zweitens ist Bong Joon-ho nämlich nach diversen Genreabstechern auch endlich in dem Rahmen angekommen, der ihm am besten liegt: Der schelmische, makabere, parabolische und grotesk ironische Rahmen. Entfesselt von jeglichen Genrevorgaben erzählt er in diesem Rahmen eine bittersüße, urkomische Geschichte über Auf- und Abstieg, über starre Gesellschaftsstrukturen und darüber wie diese aus den Angeln gehoben werden.

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Ready or not – Auf die Plätze, fertig, tot (2019)

Achja, bei einer Filmrezension verhält es sich gar nicht so viel anders als bei einem Roman, einer Novelle, einem Gedicht oder Drama oder sonst irgendeiner Textsorte. Der Einstieg scheint immer am schwersten. Das ist in den seltensten Fällen die Schuld des Films sondern viel mehr die des Rezensenten. Irgendwann hat man eben das Gefühl jeden erdenklichen Start gewählt zu haben (auch wenn das nie stimmt), irgendwann hat man doch das Gefühl, sich nur noch zu wiederholen. In diesem Fall versucht man dann Abwechslung in den Text zu bringen, indem man darüber schreibt, wie schwer es doch ist zu schreiben (was auch ziemlich Käse ist, aber Harald Martenstein in seiner Phase zwischen „Netter Kolumen-Papa“ und „Heh, ab sofort bin ich Wutbürger“ ganz gut über die Runden gebracht hat). Oder man macht das, was ich in diesem Fall – nach diesem absolut überflüssigen Intro – tuen werde: Man gibt dem Film selbst die Schuld an der Schreibblockade. Im Fall von Ready or not (2019) fällt dies alles andere als schwer, denn diese kleine Horrorkomödie gibt nicht viel Raum etwas über sie zu erzählen. Dafür ist sie einfach zu generisch, zu überraschungsarm, zu straight forward. Das ist in dem Fall gar nicht mal böse gemeint. Mit seinem netten Plot, mit seinen skurrilen Figuren und seiner sauberen Inszenierung klettert Ready or Not irgendwie schon über den Durchschnitt, aber er bleibt doch arm an Tiefe und Originalität.

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Corona-Soforthilfe? – Der Schacht von Galder Gaztelu-Urrutia

Menschen brauchen in Krisenzeiten Kunst, die ihnen dabei hilft, die Dinge einzuordnen. Sie brauchen Kunst, um zu verstehen, warum die Gesellschaft, warum der Mensch in der Krise funktioniert, wie er funktioniert. Zumindest scheint dies eine einleuchtende Erklärung dafür zu sein, dass ausgerechnet eine spanische Dystopie – El Hoyo (2019) – derzeit so sehr im deutschen/europäischen Netflix trendet. Ohne Corona und all seine Folgen wäre der Schacht womöglich auf dem Streamingservice untergegangen, oder wäre zumindest dazu verdammt gewesen, in der Nische des SciFi-Symbolismus für Freunde von Cube zu verharren. So hat er es aber einmal auf die große Bühne geschafft und es wird fleißig über ihn geredet. Um das gleich vorweg zu nehmen: Um die Gesellschaft in Zeiten von Covid-19 zu verstehen, taugt dieses kleine abstrakte Thrillerdrama nicht. Aber er wirft Fragen auf. Und das sollte jedem Zuschauer auch bewusst sein: Fragen, keine Antworten. Sein Setup ist viel zu abstrakt und zugleich viel zu holistisch um als soziologischer Leitfaden durch das herrschende Chaos, beziehungsweise die herrschende Ordnung zu leiten. Seine Prämisse stürzt sich viel zu dezidiert eben gerade nicht auf die Krise sondern den Normalzustand, um die gesellschaftlichen Folgen von Corona begreifbar zu machen. Und seine Machart ist viel zu offen, viel zu ungestüm, um mehr zu liefern als Gedankensprünge. Aber in dem, was er ist, gelingt es ihm zeitlose Thesen zu entwerfen und diese in einem apltraumhaften Setting auszuloten.

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Why 4 Blocks sucks… a little bit

Es ist mal wieder Zeit, eine – in diesem Fall von den Deutschen – heiß geliebte Serie ein wenig zu zerreißen. 4 Blocks (seit 2017), mittlerweile drei Staffeln mächtig, ist seit seiner ersten Staffel 2017 die große Serienhoffnung der deutschen TV-Landschaft. Staffel drei des von TNT Serie produzierten Clan-Thrillerdramas befindet sich derzeit noch hinter Bezahlschranken und nach der doch etwas dahingeschludert wirkenden zweiten Staffel ist meine Motivation Geld in weitere Folgen zu investieren eher gering ausgeprägt. Tatsächlich hat ja die zweite Staffel ganz generell bei Kritik und Publikum bei weitem nicht den den Anklang gefunden wie Staffel Nummer eins, der eine Zeit lang nachgesagt wurde, das beste zu sein, was die deutsche TV-Landschaft in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Aber auch Staffel 1 ist alles andere als flawless, und bei all der Begeisterung scheint mir die Kritik doch einige ihrer Schwächen übersehen – oder wohlmeinend ignoriert – zu haben. Auch wenn ich sehe, wo die Liebhaber der deutschen Sopranos herkommen, meiner Meinung nach war die ganze Produktion von Anfang an overhyped. Vielleicht lag es daran, dass das Feuilleton glücklich darüber war, mal andere Crime Serienkost als den überspielten Tatort zu sehen zu bekommen, vielleicht lag es daran, dass das Thema Clankriminalität für viele Deutsche der Inbegriff von unterhaltsamem Thrillerporno darstellt, vielleicht lag es auch daran, dass endlich mal wieder eher das Tätermilieu denn das Ermittlermilieu im Fokus einer Produktion stand… egal, dieser Serie wurde auf jeden Fall viel zu viel unkritische Liebe geschenkt. Und der muss hier was entgegengestellt werden. Aber ich bleibe den Konzept meiner Reihe treu: 4 Blocks rockt auch irgendwie, hat viel Gutes zu bieten und hat mich prächtig unterhalten. Warum es trotzdem – auch jenseits von Nitpicking – an dieser Serie ne Menge auszusetzen gibt, folgt jetzt.

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Die besten Filme 2019 – Systemsprenger: Realismus und Expressivität

Benni ist neun. Benni ist unberechenbar. Benni hat einen langen Weg hinter sich, scheint aber nie irgendwo anzukommen. Und für Benni scheint es auch keine Hoffnung zu geben. Aber das sind bloß Sätze, Versuche der Charakterisierung, die ins Leere laufen. Um Bennis Verhalten zu verstehen oder wenigstens ein bisschen einordnen zu können, muss man es erlebt haben. Und nichts anderes macht Systemsprenger (2019) von Nora Fingscheidt: Er stellt nicht einfach dar, zeigt und charakterisiert nicht einfach Bennis Innenleben und Bennis Kampf mit sich selbst und der Außenwelt. Er macht dies zum Erlebnis. Nicht zu einem jener Erlebnisse, bei denen man genüsslich sein Popcorn in sich hineinstopft und nebenbei ein bisschen Sozialporno geliefert bekommt; nein, eines jener Erlebnisse, die ihre Zuschauer – oder besser gesagt ihre Erfahrenden – in den Kinosesseln drücken, sie durchschütteln, durchrütteln und auf sie einprügeln, so dass ihnen Hören und Sehen vergeht. Benni – fantastisch gespielt von Helena Zengel – leidet an sich, an der Welt und entzieht sich zugleich allen Rettungsversuchen. Wen sie allerdings brutal in ihre Welt hineinzieht, sind die Zuschauerinnen: Sei es durch die Farben, sei es durch den hektischen Schnitt, sei es durch ihre bloße Präsenz. Bennis Innenleben ist nicht den ganzen Film über präsent, wenn es das ist, gibt es allerdings kein Entkommen.

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Die besten Horrorfilme 2019: Midsommar – Wie viel Horror steckt in Ari Asters neuestem Geniestreich?

Wir leben in goldenen Zeiten für Horrorfilmliebhaber. Seit schon längerer Zeit kommen praktisch jedes Jahr mindestens ein oder zwei Filme heraus, die das Genre nicht einfach nur bedienen, sondern erweitern, ergänzen und seine Grenzen sprengen. Post-Horror ist in diesem Fall das Zauberwort. Und egal, ob man diesen Begriff für einen großen Spuk der Kritikerschar hält oder für eine legitime neue Subgenre-Schublade, man muss zweifellos anerkennen, dass der Horror der ungewöhnlichen Art gerade blüht und gedeiht. Eine der größten Hoffnungen dürfte dabei Ari Aster sein, wurde sein letztjähriger Genrebeitrag Hereditary (2018) nicht einfach nur gefeiert, sondern vom Feuilleton gleich zum besten Horrorfilm der Dekade gekürt. Und irgendwie ist es ja auch nachvollziehbar: Hereditary war eine verflucht mitreißende, verflucht angsteinflößende Mischung aus Familiendrama, Tragödie und brutalem Okkulthorror: Schmerzhaft, kompromisslos und der Beweis, dass Horror auch im 21. Jahrhundert noch verdammt gut zu erschrecken weiß. Entsprechend neugierig war die Zuschauerschaft auf Asters Nachfolgewerk, Midsommar (2019), genau ein Jahr nach Hereditary, ebenfalls im Horrorgenre beheimatet und ebenfalls mit dem Potential, Genregrenzen neu zu definieren. In der Tat weiß der Sektenthriller ebenfalls – nicht nur aber auch Freunde seiner Vorgängerin – zu überraschen; nur eben wiederum auf ganz andere Weise.

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Ad Astra (2019) – Science Fiction, Psychologie, Philosophie und Realismus

Das Ende einer Dekade lädt ja immer gern dazu ein, auf das Jahrzehnt als ganzes noch einmal zurückzublicken. Schauen wir uns doch mal das Science Fiction Genre der letzten zehn Jahre an. Die beiden größten Trends hier waren wahrscheinlich die durch The Hunger Games (2012) inspirierte große Welle an dystopischen Epen mit Teenager-Protagonisten und das große Superheldenrevival durch das MCU, das durch Avengers: Infinity War (2018) und Endgame (2019) einen ersten würdigen Abschluss erhielt. Der Weltraum als Sehnsuchtsort ist zwischen den beiden Schwergewichten Endzeit und Superheldenkosmos allerdings ein wenig untergegangen. Klar, es gab die große neue Star-Wars-Trilogie, Ridley Scott versuchte mit Prometheus (2012) die Alien-Saga wiederzubeleben und Kritikerdarling Christopher Nolan schickte mit Interstellar (2014) ebenfalls ein Weltraumepos ins Rennen. Trotzdem dürfte der erste Gedanke zu Science Fiction in den 2010er Jahren nicht in die Weiten des Alls zeigen, sondern viel mehr in die Weiten einer parabolischen (meist düsteren) Zukunft. Die dem Genre immanente Sehnsucht galt nicht fernen Sternen, sondern eher übermenschlichen Kräften und magischen Fähigkeiten.

Am Rande dieser Blockbustertrends, aber immer noch sicher in die Produktion der großen Filmstudios gebettet, haben sich in den 2010er Jahren zwei Genrevariationen mit klarem Weltraumfokus ziemlich tapfer geschlagen: Der realistische Science Fictioneer und der philosophische Science Fictioneer. Für den recht soliden Nachschub beim ersteren dürfte der überraschend gute und überraschend erfolgreiche Gravity (2013) verantwortlich sein. In seinem Rückenwind schafften es unter anderem der naturalistische Alien-Klon Life (2017) und Ridley Scotts Robinsonade Der Marsianer (2015) im Kino und bei der Kritik ordentlich abzuschneiden. Zweiteres wurde vor allem durch Arrival (2016) populär, war aber mit Filmen wie Another Earth (2011) und dem schon erwähnten Blockbusterepos Interstellar ebenfalls das gesamte Jahrzehnt über präsent.
James Grays Ad Astra (2019) ist vielleicht so etwas wie ein Schlusspunkt unter das Jahrzehnt dieser beiden Genreableger. Er verknüpft nämlich beide Trends miteinander: Die Suche nach dem Realismus und die Suche nach tiefer Wahrheit irgendwo in den Weiten der Galaxie.

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Die besten Filme 2018/2019: Destroyer – Nicole Kidman als Badass-Cop

Nicole Kidman gehört nicht unbedingt zu den Schauspielerinnen, denen man eine abgefuckte Rolle zutrauen würde. Dass sie eine großartige Charakterdarstellerin ist, die auch ihre gesamte Physiognomie für eine Rolle radikal ändern kann, hat sie zwar als Virginia Woolf in The Hours (2002) bewiesen, und auch ihre düsteren Seiten durfte sie schon in Filmen wie Stoker (2013) oder The Killing of a secret deer (2017) demonstrieren, aber auch in ihren abgründigsten Rollen bewahrte sie doch immer eine elegante Präsenz, eine würdevolle Erscheinung, die sie es ihr nie erlaubten, komplett heruntergekommen zu wirken. Sie war nie eine Schauspielerin für die richtig dreckigen, kaputten Rollen, dafür war sie eben doch zu erhaben, zu majestätisch und schlicht zu schön. Ihre Darbietung im zum Jahreswechsel 2019 in den USA etwas untergegangenen Destroyer (2018) von Karyn Kusama gehört damit definitiv zu den größten Überraschungen des vergangenen Kinojahres. Nicht nur, dass Nicole Kidman hier gekonnt gegen ihr Image anspielt, ihr gelingt es mit der von ihr verkörperten Erin eine Frauenfigur auf der Leinwand lebendig werden zu lassen, wie sie auch zum Ende der Dekade alles andere als selbstverständlich ist.

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Die besten Filme 2019: The Lighthouse

Should pale death, with treble dread, make the ocean caves our bed, God who hears the surges roll, deign to save the suppliant soul. Mit diesem Trinkspruch versucht der alte Seebär Thomas (Willem Dafoe) seinen neuen jungen Gehilfen (Robert Pattinson) allabendlich zum gemeinsamen Anstoßen und Trinken zu animieren. Doch dieser lehnt immer aufs neue ab. Vier Wochen sollen die beiden gemeinsam auf einem abgelegenen Eiland an der Küste Nova Scotias verbringen. Als Leuchtturmwärter sollen der Alte Haudegen und der Jungspund gemeinsam den Turm intakt halten, dafür sorgen, dass das Licht jede Nacht leuchtet und so die nahenden Schiffe davor bewahrt, Opfer der Klippen und der stürmischen See zu werden. Robert Eggers‘ neuer Film Der Leuchtturm (2019) ist wie bereits sein Vorgänger The VVitch (2016) erst in zweiter Linie ein Horrorfilm. In erster Linie ist er ein düsteres Zeitstück, das Mythen und Legenden des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu einem betörenden wie verstörenden folkloristischen Muster verwebt. Eggers ist damit nicht weniger als einer der aufregendsten und besten Filme des Jahres geglückt.

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Netflix-Filmempfehlung: Der Mann ohne Gravitation (2019)

Es gibt ein Subgenre im Bereich der romantischen Komödie oder des romantischen Dramas, das sich nicht erst seit Twilight großer Beliebtheit erfreut. Die Rede ist vom Liebesfilm mit fantastischem Twist. Und so formal das Romcom-Genre generell ist, so formal ist auch seine fantastische Unternische. Filme wie Die Frau des Zeitreisenden (2009), Der seltsame Fall des Benjamin Button (2008) oder Winter’s Tale (2014) folgen alle mehr oder weniger dem gleichen Muster: Kind mit irgendeiner übernatürlichen Eigenschaft zwischen Gabe und Fluch (praktisch immer männlich) verliebt sich in normales Kind (praktisch immer weiblich); sie verbringen wundervolle Kindheitstage miteinander, aber irgendwann trennen sich ihre Wege, bis sie sich im Erwachsenenalter wieder treffen. Dabei wird der Mann als der fantastische/begabte Part der Konstellation stets überhöht, die Frau wird mehr oder weniger zur Statistin im Leben des zentralen Protagonisten, der nicht nur lernt, mit seiner Außergewöhnlichkeit umzugehen, sondern in ihr auch die wahre Liebe findet. Ein nicht zu unterschätzendes Moment dieser Formalität ist, dass diese Filme – obwohl sie sich selbst eher an ein weibliches Zielpublikum adressieren – konsequent aus der männlichen Perspektive erzählt sind, selbst wenn sie in ihrem Titel mit einer weiblichen Perspektive werben oder ihre literarische Vorlage beide Perspektiven gleichberechtigt behandelt (beides ist bei der Frau des Zeitreisenden der Fall). Auch das italienische Netflix-Release Der Mann ohne Gravitation (2019) fällt in das Genre des Liebesfilms mit fantastischem Twist (Oder Fantasyfilms mit romantischem Fokus), und doch gelingt es diesem magisch realistischen Märchen sich in vielen Punkten von seinen amerikanischen Geschwistern abzuheben… im wahrsten Sinne des Wortes.

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Rezension zu The Hole in the Ground (2019)

Das Kind (James Quinn Markey) sitzt da und schaufelt einfach nur Spaghetti in sich hinein. Schlürfend, gierig aufziehend, so wie ein Achtjähriger eben Spaghetti isst. Aber seine Mutter (Seàna Kerslake) beobachtet ihn misstrauisch. Ist das überhaupt noch ihr Sohn? Hat sich ihr Sohn jemals so verhalten? Warum kann er sich nicht an Geschehnisse aus ihrer Vergangenheit erinnern? Und wenn es nicht ihr Sohn ist, wer oder was ist er dann? Wechselbälger sind seit jeher ein Alptraum für Eltern. Die Angst, dass das Kind plötzlich nicht mehr das eigene ist: Ausgetauscht, untergeschoben von bösartigen Waldgeistern, um die Eltern in den Wahnsinn zu treiben. Dahinter stehen nicht nur Sagen und Legenden sondern auch ein durch und durch reales Krankheitsbild, das Capgras-Syndrom, das bei Betroffenen dazu führt, dass sie ihnen nahestehende Personen plötzlich für Doppelgänger halten. Gerne auch ihre eigenen Kinder oder eigenen Eltern. Und damit wären wir auch schon bei der Crux des irischen Horrorfilms The Hole in the Ground (2019):

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Kritik und Analyse zu Joker (2019) – Comicverfilmung als New Hollywood Thrillerdrama

Früher war alles besser. Da durften Regisseure noch Filme gegen den Strich des klassischen Hollywood-Erzählkinos bürsten, durften harte und ungewöhnliche Stoffe verfilmen und erhielten dafür trotzdem kritische Anerkennung und gewannen sogar das Mainstreampublikum für sich. Da gelangten alles andere als bekömmliche Filme in die großen Multiplexkinos und wurden mit dem Label „New Hollwood“ geadelt: Scorsese, Polanski, Kubrick, Spielberg… die durften sich austoben und dennoch die Kassen der Studios klingeln lassen. Früher war alles besser: Da musste ein Film sich noch nicht einer überpolitisierten Kritikerschar stellen, keiner moralischen Instanz, durfte auch politisch inkorrekt und verantwortungslos sein, musste nicht auf PG 13 gebürstet werden.. Früher war alles besser. Da gab es noch kein Internet, keine sozialen und assozialen Netzwerke, kein 4chan, 8chan, 237chan, kein Youtube und keine Hobbykritiker, die bei Rotten Tomatoes Seite an Seite mit Profis wie Roger Ebert standen. Keine langen Diskussionen, kein Zerpflücken der Kunst, keine poststrukturalistische Denke und keine Metatextualität. Einfach nur gute Filme. Früher war alles besser.

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Alita Battle Angel (2019) – Wenn Robert Rodriguez auf James Cameron trifft

James Cameron ist so ein bisschen der Bono der Filmwelt. Gerne mit politischer Botschaft unterwegs, sind seine Werke immer ein gutes Stück größer, bombastischer und auch teurer als die Konkurrenz. Mit dem Liebesfilmepos Titanic (1997) und dem SciFi-Blockbuster Avatar (2009) hat er zwei der drei erfolgreichsten Filme aller Zeiten zu verantworten. Mit The Abyss (1989) und Terminator 2 (1991) hat er Special FX Standards gesetzt. Mit seinen Dokumentarfilmen in den frühen 2000ern und seinem Engagement auf verschiedenen politischen Feldern hat er bewiesen, dass die Botschaft für ihn ebenso wichtig ist wie ihr Träger. James Cameron ist auch der Bono der Filmwelt, weil ihm dieser Ruf gerne mal ein wenig zu Kopf steigt. War es bereits mit seinen Dokumentarfilmen so, dass er immer mehr wollte als bloße Dokumentationen, stattdessen lieber gleich das ganze Genre revolutioniert hätte, so hat er spätestens mit Avatar den Bogen überspannt. Natürlich sollte das der teuerste, größte, bombastischste und wohl auch beste Film aller Zeit werden. Mit einem fast schon religiösen ästhetischen Inbrunst ist Cameron an das Projekt herangegangen… und hat damit einen der selbstverliebtesten Filme unserer Zeit gedreht. Seitdem war erst einmal eine ausgedehnte, üppige Pause angesagt, bis er sich vor kurzem mit der Ankündigung von drölfzillionen Avatar-Sequels zurückmeldete. Aber er hatte noch ein bisschen mehr im Schlepptau: Robert Rodriguez, Tarantino-Busenfreund und B-Movie-Legende, der sich aber auch für Big Budget Popcorn Auftragsarbeiten in den letzten Dekaden nie zu schade war. Gemeinsam kündigte das neue Dream Team die Verfilmung eines 1991er Mangas an: Alita: Battle Angel (2019) ist die Vermählung zweier doch sehr unterschiedlicher Filmemacher: Perfektionist Cameron trifft auf Schluderer Rodriguez; pathetischer Bombast trifft räudige Action; Augenzwinkern trifft religiösen Ernst. Na, wenn das mal nicht in Cyberpunk-Hose geht…

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Once upon a time in Hollywood… – Quentin Tarantino der Märchenonkel

Once upon a time… Der Titel von Quentin Tarantinos – nach selbstgewählter Zählweise – neuntem Film sagt bereits, wohin die Reise geht. Tarantino schreibt schon lange keine Geschichten mehr, er schreibt Geschichte um. So ließ er in Inglorious Basterds (2009) in einem fulminanten, komplett von der Realität entfremdeten, Showdown, Hitler und all seine Nazischergen in einem Massaker umkommen, so ließ er in Django Unchained (2012) einen einsamen schwarzen Helden auf radikale Weise die Sklaverei mit einem Handstreich zerstören und so feierte er in The Hateful Eight (2015) in einem dramatischen Blutbad die Versöhnung zwischen dem schwarzen und dem weißen Amerika. Tarantino ist schon lange nicht mehr einfach nur der postmoderne Brutaloprovokateur, er ist viel mehr so etwas wie der Märchenonkel des postmodernen Referenzkinos. Und im Grunde genommen war er das schon immer. Hat er nicht bereits in Kill Bill die Kinogewalt praktisch unter einer Tonne Comicsauce begraben? Hat er nicht bereits in Pulp Fiction und Jackie Brown aus dem Gangsterkino eine Nummernrevue gemacht, inklusive Tanz- und Gesangseinlagen? Und hat er nicht selbst bereits in seinem Debüt Reservoir Dogs das Narrativ über dem Geschehen triumphieren lassen, indem er Zeit einfach zu erzählter Zeit werden ließ. Das mag etwas verklärt und zurecht gerückt wirken, aber wie könnte man auch anders, wenn er in Once upon a time in Hollywood (2019) derart selbstverständlich wie ein Märchenonkel daherkommt. Es war einmal… und das ganz ohne Zynismus und derbe Note… Naja… fast… schließlich handelt es sich hier ja immer noch um Quentin Tarantino.

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Die besten Horrorfilme 2019: Us/Wir von Jordan Peele

„Doppelgänger“, ein Wort, das aus dem Deutschen stammt und es in zahllose andere Sprachen geschafft hat. Von den Gebrüdern Grimm als „der einem andern so ähnlich ist dasz er leicht mit ihm verwechselt wird.“ definiert und bereits dort mit dem Gefühl des Entsetzens verknüpft. Spätestens in der Romantik war das Doppelgängermotiv fest verwurzelt mit Horror, Angst und Schrecken. Von Hoffmanns Elixiere des Teufels (1815) über Dostojewskis Doppelgänger, die Archteypisierung des dunklen Schattens durch Carl Gustav Jung bis hin zur Westworld-Fortsetzung Futureworld (1976) bis hin zu Denis Villeneuves Enemy (2013). Doppelgänger machen Angst, sind Herausforderungen für die Anthropologie ebenso wie für Religion und Spiritualität. Kultur- und medienwissenschaftlich scheinen sie vor allem ein Thema für die Psychologie zu sein, dabei können sie ebenso soziale und sogar politische Fragestellungen aufwerfen. Jordan Peele, der mit Get Out (2017) einen der politischsten Horrorfilme der letzten Jahre inszeniert hat, wagt sich mit Us (2019) an genau jenes Setup: Der Schrecken des Doppelgängers nicht bloß als intrinsischer Schrecken und psychologische Studie, sondern als groteske Horrorparabel. Und wer glaubt, Jordan Peele hätte mit Get out sein Pulver verschossen, was groteske, symbolische Horrorfilme betrifft, der sieht sich hier eines besseren belehrt. Us gelingt es nämlich tatsächlich noch einmal eine ganze Ecke besser zu sein als sein vielgelobter Vorgänger.

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Die besten Filme 2019: Yesterday mit und ohne die Beatles

Ein beschaulicher Tag in der kleinen englischen Stadt Lowestoft. Der erfolglose Musiker Jack Malik (Himesh Patel), der vor kurzem von einem Bus angefahren und gerade aus dem Krankenhaus entlassen wurde, bekommt von seinen Freunden zur Feier des Tages eine neue Gitarre geschenkt. „Eine besondere Gitarre braucht einen besonderen Song“ sagt er und beginnt zu spielen:

Yesterday
All my troubles seemed so far away
Now it looks as though they’re here to stay
Oh, I believe in yesterday

Die Kamera verweilt nicht auf ihm, sondern wechselt zur Umgebung. Während die berühmten Lyrics und Akkorde von John Lennon und Paul McCartney zu hören sind, sehen wir Menschen im Park sitzen, ihr Blick in die Ferne schweifend, wir sehen Kinder im Gras spielen, wir sehen Wasser, den Himmel, die Sonne. Und dann sehen wir die Gesichter der Zuhörer, die kaum fassen können, was sie da gerade hören.

Suddenly
I’m not half the man I used to be
There’s a shadow hanging over me
Oh, yesterday came suddenly

Es ist ein (früher) Moment, in dem all das kumuliert, was aus Yesterday (2019) so einen außergewöhnlichen Film macht. Getarnt als raffiniertes „Was wäre wenn“-Fantasyszenario, erzählt mit Stilmitteln einer traditionellen RomCom ist Danny Boyles Film eine einzigartige Liebeserklärung an die Musik, wohlgemerkt nur die Musik, der Beatles, die sich Dank ihres Setups nicht um Image, Erfolg, Klatsch und Tratsch und persönliche Tragödien der Band kümmern muss und sich stattdessen voll und ganz vor ihrer Kunst verbeugt.

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Rezension zum 2019er Oscar Bait Successor Green Book

Direkt ins Deutsche übersetzt bedeutet to bait so viel wie ködern. Ein Oscar Bait Movie ist ein Film, der – unabhängig von seiner Qualität – weniger ein Film als viel mehr ein Köder ist, der ausgeworfen wird in der Hoffnung, dass die Academy zubeißt. Oscar Bait ist mehr als nur ein eigenes Genre, es ist eine Herausforderung, vielleicht sogar eine Art Religion für viele Regisseure und Produktionsstudios. Dabei muss man den Academy Awards der 2010er durchaus zu Gute halten, dass ihre Jurys nicht immer bei diesen Bait Movies anbeißen, gerne auch mal die filmischen Köder ignorieren (ohnehin waren die Oscars in den letzten Jahren weitaus besser als ihr ruf): 2015 zum Beispiel gewann eben nicht das epische Drama Whiplash den Award für Best Picture, sondern der deutlich grimmigere, surreale Birdman. 2017 konnte sich der zurückhaltende Moonlight gegen das pompöse Hollywood-Märchen/Musical La La Land durchsetzen, und 2018 – ein unfassbar starkes Jahr, wenn man sich die Nominierten ansieht – siegte The Shape of Water gegen Chris Nolans oscarreifes Weltkriegsepos Dunkirk. Heuer war – abgesehen von Blackkklansman – ein Jahr mit eher schwacher Konkurrenz und so durfte (endlich mal wieder?) der wohl oscarbaitigste Film des Vorjahres Green Book (2018) gleich mehrere Preise, inklusive bester Film, abräumen. Aber hat er die Auszeichnung, der beste Film des Jahres 2018 zu sein, auch verdient?

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Rezension zu Black Mirror, Staffel 5 (2019)

Zum größten Teil boten bis dato alle Black Mirror Staffeln großartige TV-Unterhaltung. Das „Zum größten Teil“ muss hier allerdings betont werden, einfach, weil es auch immer wieder Aussetzer gab. Irgendwie auch logisch bei einer Serie, die von Episode zu Episode ihr Setting, ihre Motivik, ihre Geschichte und sogar ihre Erzählhaltung ändert. Black Mirror hat sich immer viel gestaltersiche Freiheit herausgenommen. Lose zusammengehalten durch die Prämisse, Parabeln auf unsere technologisierte, digitalisierte und progressive Gesellschaft zu entwerfen, waren die Einzelfolgen mal sau witzige Satiren, mal düstere Symbolgeschichten, mal emotionale Dramen, spannende Science Fictioneers oder brutale Actionflicks. Gerade die fehlende Kohärenz machte dabei jede neue Folge erneut spannend. Und dazu gehörte auch immer die Frage: Wie der heurige Entwurf aufgehen? Meistens lautete die Antwort „Ja“. Aber über alle Staffeln hinweg gab es doch vereinzelte Episoden, bei denen die Antwort „Ja, mit Einschränkung“ oder ganz selten sogar schlicht „Nein!“ lautete. Kein Problem: Bei fast 20 Einzelteilen kann man sich ganz gut mit Rohrkrepierern abfinden. In der aktuellsten, fünften Staffel sieht es jedoch leider anders aus…

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Apokalyptische Kurzrezensionen: Extinction, A Breath Away, Good Omens

Drei Mal Endzeit, drei Mal Ende der Welt bitte; und zwar in sehr unterschiedlichen Variationen. Also was haben die letzten 12 Monate diesbezüglich für uns im Angebot? Da haben wir zum einen den mysteriösen und zugleich actiongeladenen Weltuntergang mit ner Menge Science Fiction im Netflix-Flick Extinction. Da haben wir zum zweiten den dramatischen, realistischen Weltuntergang im Katastrophendrama und Survivalthriller A Breath Away. Und da haben wir zum Dritten den durchgeknallten, witzigen und epischen Weltuntergang in Form der Amazon-Miniserie Good Omens. Drei Mal das Ende der Welt in sehr unterschiedlicher Ausprägung. Auf welche dieser Apokalypsen man sich einlassen sollte, folgt jetzt.

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Netflix-Filmempfehlung: See you yesterday (2019)

Das tolle an den Netflix-Filmproduktionen ist: Egal ob sie mal mehr oder mal weniger gut gelingen, zeigt sich an ihnen doch immer wieder, dass die an den Streamingdienst angegliederte Produktionsschmiede bereit ist, jungen Filmemachern eine Chance zu geben, wirklich ihr eigenes Ding durchzuziehen und auch mal gegen den Strich zu inszenieren. Und so findet man neben sehr konventionellen Genrebeiträgen mit Hitgarantie wie dem Horrorfilm Bird Box auch immer wieder kleine ungewöhnliche Perlen mit Mut zum Risiko, wie zuletzt den Giallo/Satire-Bastard Velvet Buzzsaw. Der Teen Science Fictioneer See you yesterday (2019) gehört mit Sicherheit in die zweite Kategorie und dürfte eine der kleinen Genreüberraschungen des Jahres sein. Inszeniert wurde der Flick von Stefon Bristol, der bei BlacKkKlansman für die Regieassistenz von Spike Lee verantwortlich war (der diesen Film hier wiederum produzierte). Es fällt nicht schwer zu verstehen, warum Lee Bristol bei seiner ersten echten, großen Regiearbeit so viel Vertrauen schenkt, denn See you yesterday ist durchflutet von Ideen des New Black Cinema und Inszenierungstechniken der großen Regieikone. So unbekannt der Regisseur ist, so unbekannt sind auch die Namen fast aller beteiligter SchauspielerInnen. Der einzige wirklich bekannte dürfte Brian Vaughn Bradley, Jr. alias Rapper Astro sein. Und der größte an der Produktion beteiligte Schauspieler – Michael J. Fox – darf gleich in den ersten fünf Minuten – und nur dort – einen wunderbar schusseligen Cameoauftritt hinlegen, und dabei passend zur augenzwinkernden Back to the Future Referenz ein „Great Scott“ raushauen. Denn genau das ist See you yesterday: Eine kleine, liebevolle Zeitreise-Tragikomödie, die aber im Gegensatz zum Klassiker Zurück in die Zukunft (1985) ihre ethischen und politischen Implikationen überraschend ernst nimmt.

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Alles auf Ende – Rezension zu Avengers: Endgame

Nach 21 Filmen kann man ohne Zweifel konstatieren: Das MCU ist wahrscheinlich das größte cineastische Universum, das je existierte. Da kann auch Star Wars mit seinen läppischen, gerade mal 11 Filmen nicht mithalten. Auch James Bond überflügelt quantitativ vielleicht die Saga, hat es aber über seine 24 Filme nie geschafft ein so konstantes, in sich geschlossenes Universum zu erzählen wie die Marvel-Comicadaptionen. Und auch wenn den Filmen rund um Captain America, Iron Man und Konsorten von den Kritikern schon früh (und oft zurecht) Flachheit, Idiotie und Style over Substance vorgeworfen wurde, so lässt sich doch sagen, seit es die Marvel-Filme gibt, gibt es auch wieder konstant qualitativ hochwertige Blockbuster, Popcornkino das tatsächlich Spaß macht. Zuletzt immer seltener mit leichten Ausfällen Richtung Mittelmaß ist es Marvel fast immer gelungen gute Qualität abzuliefern und dennoch abwechslungsreich und überraschend zu bleiben. Während zum Beispiel die DC-Filme ernst und mit großer düsterer Gestik daherkamen, hatte Marvel für seine Zuschauer gerne auch mal ein Augenzwinkern übrig, überraschte auch mal mit einer astreinen Komödie (Thor: Ragnarok), überraschte aber ebenso mit einem für das Genre unerwartet politischen Film (The Black Panther) oder gar einem Selbstfindungsdrama, in dem 80% des Filmes kein Superheld zu sehen war (Okay, das ist übertrieben, aber seht euch noch mal in Ruhe Iron Man 3 an und stoppt die Leinwandzeit, die das ikonische metallen glänzende Outfit dort erhält).

Zuletzt mit Avengers Infinity War (2018), dem direkten Vorgänger von Endgame – hat Marvel dann sogar bewiesen, dass sie auch fiese Cliffhanger können, den Mut dazu haben, einen Film einfach mal verdammt offen und verdammt deprimierend enden zu lassen. Natürlich dürfte bei dieser künstlerischen Entscheidung auch der monetäre Blick eine nicht unmaßgebliche Rolle gespielt haben. Denn immerhin ging es darum DEN Abschluss der ersten großen Avenger-Reihe vorzubereiten. Und da kann man auch gerne mal etwas mehr Hype produzieren (auch wenn Marvel-Filme diesen eigentlich, wie dieses Jahr bereits Captain Marvel (2019) unter Beweis stellte, nicht nötig haben). Und hier haben wir ihn dann also: Die Lösung der noch offenen Probleme, die Klärung der noch vorhandenen Fragen, eine letzte Verbeugung vor den liebgewonnenen Helden, das Grande Finale der Avengers-Reihe… eine Menge Ballast für einen einfachen Superheldenfilm, der seinen Ambitionen entsprechend marvel-untypisch auf satte 180 Minuten Überlänge aufgeblasen wurde. Aber kann er inhaltlich auch liefern?

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