Die besten Filme 2021: Pig – Nicolas Cage dekonstruiert sein eigenes Genre

Nicolas Cage…. achja, der gute Nicolas Cage! Es gab angeblich (zumindest wenn ich einem meiner cineastischen Weggefährten Glauben schenke) mal eine Zeit, in der ich ihn als besten lebenden Schauspieler bezeichnet habe. Und es gab definitiv eine Zeit in der zu einer Karikatur seiner selbst verkommen ist, den man irgendwie noch Schauspieler nennen mag, allerdings mit der Ergänzung „Was zur Hölle ist das für eine Herangehensweise an diesen Beruf?“. Wie man es auch dreht und wendet, der Schauspieler Nicolas Cage ist ein Phänomen. Eine Naturgewalt, in seinen besten Momenten – unter der richtigen Regie – zu bizarren Extravaganzen in der Lage, larger than Life, Overacting als Grundprinzip, in seinen schlechtesten Momenten – unter der falschen Regie, im falschen Setting, eine groteske Lachnummer, ein Mime, der versucht einen Mimen zu spielen, der groß spielt. Wenn wir Nicola Cages Schauspielkarriere betrachten, können wir wahrscheinlich drei Phasen ausmachen. Und in jeder dieser Phasen finden wir Spuren des großen, übergroßen oder schlicht und ergreifend zu großen Nicolas Cage: Sei es in der oscarreifen Darbietung eines alkoholabhängigen Selbstmörders in Leaving Las Vegas, als Over the Top Actor, der die Mimikry eines anderen Over the Op Actors abliefert in Face/Off, oder sei es als bizarre Verkörperung männlicher Angstprojektion im Horror-Fiasko The Wicked Man. Cage ist immer und zu jedem Zeitpunkt Cage… und dazu gehört eine konstante Zerrissenheit. Aber um dann doch noch mal zu den drei Phasen zurückzukommen: Wir haben die erste Phase in den späten 80ern bis zu den mittleren 90er Jahren, in der er tatsächlich wie ein Revolutionär dramatischer Schauspielkunst wirkte, die zweite Phase, in der er zunehmend in schwachen B-Movies fürs Videothekenregal abgefuckte Action-Antihelden verkörperte (Späte 90er bis frühe 2010er), und jetzt haben wir wohl die mir liebste Phase, in der er frei nach dem Motto „Ist der Ruf erst ruiniert…“ agiert. Hier spielt er mal in billigem Action Trash, mal in faszinierenden Nischenfilmen aus der Midnight Cinema Ecke wie Mandy (2018). Es ist banal, Schauspielern scheint ihm einfach verflucht viel Spaß zu machen, unabhängig von der Qualität der Filme in denen er auftritt. Und so scheint der (immerhin fast 60jährige) Mann derzeit in der Höhe seiner Schöpfungskraft, mit bis zu sieben Filmen im Jahr. Und damit kämen wir dann auch zu Pig (2021), der nicht nur zu den guten Filmen der jüngsten Cage-Schaffensphase gehört, sondern schlicht und ergreifend einer der besten Filme des vergangenen Jahres ist und dazu noch eine leise (!) Dekonstruktion vieler Topoi, die trashigere Nicolas Cage Filme in der Regel so mit sich mitschleppen.

Robin Feld (Nicolas Cage) gehört zu den erfolgreichsten und besten Trüffelsammlern der Westküste. Der Trüffel, den er zusammen mit seinem Trüffelschwein Apple findet, wird in den Restaurants Portlands hoch geschätzt und von den besten Spitzenköchen verarbeitet. Robin selbst hat mit der kulinarischen Szene der Stadt allerdings nichts am Hut. Stattdessen lebt er zusammen mit Apple zurückgezogen in den Wäldern Oregons in einer heruntergekommenen Hütte. Zu seinen wenigen Kontakten zur Zivilisation gehört sein Mittelsmann Amir (Alex Wolff), der ihm die gefundenen Trüffel ab- und an die Spitzenrestaurants Portlands weiterverkauft. Eines Tages jedoch wird Robin in seiner Hütte überfallen und Apple wird ihm von zwei Junkies gestohlen, anscheinend für einen reichen Auftraggeber. Außer sich vor Zorn und Angst um den geliebten tierischen Partner macht Rob sich auf die Suche nach den Verbrechern und wird dabei in eine Welt aus Neid, Missgunst und grenzenloser Egomanie hineingezogen. Er muss sich dabei nicht nur seiner Vergangenheit stellen sondern auch einem Schurken, der nicht nur äußerst mächtig ist, sondern auch so manches dunkle Geheimnis hütet.

Das liest sich auf dem Papier natürlich erst einmal wie ein klassischer Action/Revengethriller der schäbigeren und bizarreren Sorte. Was Langfilm-Regiedebütant Michael Sarnoski allerdings mit der Grundidee macht, hat so ziemlich gar nichts mit einem unterhaltsamen B-Movie aus dem hintersten Videothekenregal zu tun. Also gleich mal eine Warnung an alle Nicolas Cage Pulp Freunde: Wer sich hier einen Drive Angry oder einen Ghost Rider erhofft, sollte einen großen Bogen um diesen Film machen. Im Gegensatz zu den überzeichneten, spaßigen Schundwerken ist Pig ein ruhig und langsam erzähltes Drama, das zu keinem Zeitpunkt seine Prämisse der Lächerlichkeit preisgibt. Mehr noch, es entfernt alle potentielle Absurdität, jede mögliche Albernheit aus dieser Prämisse und gestaltet stattdessen drumherum eine nachdenkliche, emotional aufwühlende Tragödie. Diese wiederum greift tief in die Struktur und die Klischees traditioneller Revengethriller. Alle Zutaten sind vorhanden: Der in selbst gewählter Einsamkeit lebende Ex-Profi, der gezwungen wird zurück in die Welt zu treten, aus der er einst geflohen ist. Ein schreckliches Verbrechen, verübt von einfachen Handlangern eines größeren Oberbösewichts, ein Weg durch die Unterwelt, auf dem sich unser Antiheld von Lakai zu Lakai bis ganz nach oben kämpfen muss; Geheimnisse die dabei offengelegt werden und ein großes Finale, bei der der Antiheld die Chance auf Rache und Katharsis bekommt… Kein einziges dieser Tropes wird so ausgespielt, wie man es erwartet. Der John Wick dieser Geschichte ist kein ehrfurchteinflößender Rachegott sondern ein verzweifelter, schwacher Obdachloser; kein Kämpfer, kein Jäger, sondern ein hilfloser Suchender, der im dunkeln tappt und dessen „Detektivarbeit“ eher schleppend denn erfolgsversprechend verläuft. Die Schurken sind keine bösartigen Verbrecher sondern ebenso verzweifelte, schwache Menschen, die sich für ihr Handeln auch Rechtfertigungen zurechtgelegt haben, auch nur überleben wollen und nicht auf große Kämpfe aus sind. Und zu guter Letzt ist auch unser Oberbösewicht nicht einfach ein ultrastarker Endboss sondern ebenso ein Mensch mit Ängsten und Sehnsüchten, mit einer nicht zu leugnenden Kälte, hinter der sich aber eben auch ein tiefer emotionaler Kern befindet.

Und so dekonstruiert der Film ein Genre, zu dem er eigentlich nicht gehört, mit einer merkwürdigen Handbewegung: Sind Dekonstruktionen üblicherweise oft laut, überdreht, arbeiten mit Ironie, mit Übersteigerung und Verzerrung, findet die Dekonstruktion in Pig leise und zurückhaltend statt; durch Understatement und Introspektion. Der Krieg dieser Genrezerfledderung wird nicht mit scharfen Klingen geführt, sondern viel mehr durch die Abwesenheit von Waffen. Das macht natürlich Sinn: Will man ein Genre, dessen Markenkern darin besteht, immer drüber zu sein, in Frage stellen, kann man dies, indem man sich bewusst tief darunter bewegt. Pig ist eine Unterminierung des Revenge- und Actionthrillers, indem er auf Action und Thrill verzichtet. Indem er die Überzeichnung durch radikale Unterzeichnung konterkariert. Indem er der Karikatur, dem Comichaften, feine unauffällige Linien entgegenhält. Pig besitzt keinen großen Pathos, keine große Verzweiflung, keine bizarren Tanz- und Actioneinlagen, keinen absurden Plottwist. Nicolas Cage verzichtet auf jegliche Overacting-Anwandlungen und mimt seinen Protagonisten stattdessen mit einer introspektiven Zurückhaltung. Auf der visuellen Ebene gibt es keine krassen Farben, keine hektischen Schnitte, keine schrägen Perspektiven. So wie die Geschichte und der Hauptdarsteller sich ständig überraschend zurücknehmen, bleiben auch die Bilder karg und verloren. Pig ist ein durch und durch spröder Film, will nicht spannend sein, will nicht aufregend sein, will nicht absurd sein, und will erst Recht nicht unterhaltsam sein.

Warum funktioniert er also so gut? Er hat ein Werkzeug in seiner Hand, dass man in dieser Prämisse, in diesem Setting am wenigsten erwarten würde: Ehrliche, plausible Emotionen. Nicht der wahnwitzige Pathos, den so mancher Nicolas Cage B-Movie gerne vor sich herträgt, aber auch nicht die übersättigende Dramatik, die man von gehobeneren Revenge Filmen wie einem John Wick kennt. Was hier verhandelt wird, sind ernsthafte Gefühle, im Kleinen wie im Großen, und im Laufe des Films offenbaren sie sich an manchen überraschenden Stellen. Zu viel sollte dann auch nicht verraten werden über die Wendungen, die Pig auf seinem Weg nimmt, manche sind klein, manche scheinen klein und haben dann doch einen größeren Impact, manche sind gewaltig und sorgen für spannende Verrückungen des filmischen Fokus‘. Und all diese Wendungen sorgen für Empathie, fordern die Empathie des Publikums hinaus, und lehren sogar Empathie, ohne dass sie didaktisch oder forciert daherkämen. Und so liegt das überraschende Momentum dieses Films vor allem darin, dass er bereit ist zu fühlen in einem narrativen Setup, das sonst eher für seinen verklemmten mitunter gar toxischen Umgang mit emotionalem Storytelling bekannt ist.

Und so gelingt Pig ein tatsächliches Kunststück: Er ist ein „Post-„Film, ohne dieses postmoderne Buzzword artifiziell vor sich hertragen zu müssen. Ein Post-Actioneer, ein Post-Revengethriller, vor allem aber ein postmodernes Drama, das sich hinter der Fassade eines Rachefilms verbirgt. Und so verzeiht man ihm auch die ein oder andere Spielerei, die er sich dann doch traut, subtil in die eigentlich so ganz postmodern untypische Haltung einzubetten: Die Freude am Kulinarischen, die lange Ausbreitung von Trivialitäten, das hin und wieder spürbare Augenzwinkern Richtung Publikum Mom’s French Toast and Deconstructed Scallops ist der eingeblendete Titel eines der Kapitel des Films. Ein künstlerischer Wink, den dieser Film eigentlich nicht nötig hätte, gewinnt er doch seine dekonstruktivistische Stärke am meisten dann, wenn er gerade nicht die postmodernen Muskeln spielen lässt. Genau in diesen Momenten ist er nicht weniger als eines der besten Dramen des Jahres 2021… ohne wenn und aber. Und das ist dann vielleicht die größte (finale) Überraschung dieses speziellen Films, der nicht arm an spannenden Überraschungen ist.

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