Die besten Tragikomödien der 2000er Jahre I
Falls die Genre- und Gattungspräferenzen der 00er Retrospektiven noch unklar waren, sollten sie so langsam Kontur gewinnen. Nach der äußerst dünnen Action– und Komödienausbeute bekommen die tragikomischen Filme, die Dramödien und Tragikomödien mit einem lachenden und weinenden Auge gleich zwei Artikel spendiert. Vieles Gutes hat uns aus diesem Genre im vergangenen Jahrzehnt erreicht, sowohl aus den USA als auch vom Rest der Welt. Man durfte lachen, man durfte weinen, man durfte hervorragende Filme genießen. Die ersten mal bitter mal komischen Werke folgen auf den Fuß. Teil 2 wird so schnell wie möglich nachgereicht.
Der Mondmann [Miloš Forman]
(USA 2000)
Jim Carreys Performance des legendären Comedians Andy Kaufmans war derart überzeugend, dass selbst Verschwörungstheorien kursierten, der große Antagonist der Mainstreamcomedy sei überhaupt nicht gestorben, sondern hätte die Identität des Ace Ventura Darstellers angenommen. Auch wenn Carreys Schauspiel tatsächlich den Film ganz alleine tragen könnte und mit zu den verblüffendsten Biopic-Darstellungen überhaupt gehört, gibt es noch weitaus mehr, was an Miloš Formans Dramedy-Meisterwerk zu begeistern weiß: Der hervorragende Spagat zwischen realistischer Dokumentation und artifizieller Narration; das Vermeiden des Fehlers, sich zu sehr seinem Protagonisten hinzugeben, indem auch anderen Perspektiven Raum gegeben wird; oder das hervorragende Oszillieren zwischen Tragik und Komik, zwischen Absurdität und Bodenständigkeit… all das macht den Mondmann zu einem grandiosen Film über einen grandiosen Menschen und einem hervorragenden Blick hinter die Kulissen der amerikanischen Comedylandschaft.
Offside [Jafar Panahi]
(Iran 2006)
Filme aus dem arabischen Raum finden in westlichen Gefilden traditionell eher weniger Beachtung. Umso erwähnenswerter ist diese iranische Tragikomödie aus dem Jahr 2006. Eine handvoll Frauen versucht sich angesichts der WM-Qualifikation zu einem Fußballspiel Zugang zu verschaffen, ein Privileg, das im Iran nur Männern vorbehalten ist. Jafar Panahi verzichtet in seinem wunderbar nüchternen, fast schon dokumentarisch inszenierten Film auf jede übertriebene Dramatik und zeigt stattdessen nicht zu zügelnde Gier nach dem Leben im Angesicht eines repressiven Regimes. So gerät der Film zu keinem Zeitpunkt zum polemischen, subversiven politischen Pamphlet, sondern bleibt stattdessen jederzeit leichtfüßig und optimistisch.
Die Band von nebenan [Eran Kolirin]
(Israel 2007)
Wir bleiben noch kurz im nahen Osten. Die Band von nebenan ist ein aus Ägypten stammendendes Polizeiorchester und landet durch ein Missverständnis tief in der israelischen Provinz. Der daraus entstehende Clash of the cultures wird nach der Überwindung einiger Barrieren regelrecht zum Tanz der Kulturen, der geschickt mit Ressentiments und Klischees spielt, nur um diese aufzubrechen und einer zutiefst humanistischen Botschaft Platz zu machen. Leise und subtil verzichtet auch dieser zurückhaltende Film auf jede Theatralik und widmet sich stattdessen voller Sorgfalt seinen Charakteren. Ein herzensgutes Werk, das vielleicht nicht den Frieden im Nahen Osten herbeizaubert, aber auf eindringliche Weise zeigt, wie es gerade im kleinen auch ganz anders zugehen kann.
Adaption [Spike Jonze]
(USA 2002)
Wenn es einer versteht, die Grenzen des Mediums postmodern spielerisch auszuloten, dann ist es der exzentrische Drehbuchautor Charlie Kaufman. Zusammen mit Regisseur Spike Jonze (Wo die wilden Kerle wohnen) inszenierte er 2002 mit Adaption ein famoses Verwirrspiel um einen depressiven Drehbuchautoren – nämlich sich selbst – der sich wegen Ideenmangels kurzerhand in seinen eigenen Film hineinschreibt – nämlich Adaption. Das Spiel mit der Selbstreflexion, mit den doppelten Böden mit der Vermengung von Film und Wirklichkeit gelingt hier auf großartige Weise. Eine absurde, skurrile und verspielte Tragikomödie und einer der besten Meta-Filme überhaupt.
Synecdoche New York [Charlie Kaufman]
(USA 2008)
Aber auch als Regisseur macht Kaufman eine hervorragende Figur. Schauplatz ist in Synecdoche, New York nicht das Kino sondern das Theater. Die surreale Tragikomödie handelt von dem Dramaturgen Caden Cotard, der beschließt sein eigenes Leben zur Kulisse eines gigantomanischen Theaterstücks werden zu lassen. Mitten in einem New Yorker Lagerhaus baut er ein riesiges Minitaur-NY auf, und inszeniert über einen Zeitraum von 20 Jahren ein größenwahnsinniges Theaterstück, das sich mehr und mehr zu einem eigenen Mikrokosmos entwickelt, der seinem Schöpfer entgleitet. Wir sehen Darsteller, die Darsteller verkörpern, die Darsteller verkörpern. Die gespielten Figuren entwickeln ein Eigenleben, reißen teilweise die Macht an sich, die Fiktion wird stärker als die Realität, überwindet die Realität und die Theaterbühne gebährt immer weiter Kinder und Kindeskinder, bis die Realität schließlich selbst nur noch als Spiegelung einer Spiegelung erscheint. In diesem monströsen Spiegelkabinett behandelt der Film Themen wie Schuld und Sühne, Sterben und Vergessen, Resignation und Tod aber auch die pure Schönheit des Lebens. Das Ergebnis ist gigantisch, größenwahnsinnig, grotesk, absurd, überartifiziell, anspruchsvoll fordernd aber auch unheimlich berauschend, mitreißend, urkomisch und schlicht berührend.
Punch-Drunk Love [Paul Thomas Anderson]
(USA 2002)
Surprise, surprise… nicht nur, dass Adam Sandler tatsächlich hervorragend schauspielern kann, er passt auch überraschend gut in einen konfusen, kaleidoskopischen, beinahe surreal irrealen Film des großen Regisseurs Paul Thomas Anderson. Der inszeniert den Slapstick-, Kalauer- und Kreisch-Comedian hier als sozial tollpatschigen Träumer mit fehlender Impulskontrolle; im Grunde genommen das ernste Spiegelbild der albern infantilen Rollen die Sandler sonst verkörpert. Und diesem sympathisch unsympathischen Protagonisten entwirft er eine herausragende Geschichte um Liebe, Erpressung, familiären und sozialen Druck und das Bedürfnis etwas außergewöhnliches zu schaffen. Ein kleines Meisterwerk, dass auch seinen Platz bei den besten Liebesfilmen der Dekade einnehmen darf, zugleich aber so viel mehr ist.
The Weather Man [Gore Verbinski]
(USA 2005)
Und noch eine wunderschöne Geschichte mit einem sympathisch unsympathischen Anti-Helden. Der wird in diesem Fall verkörpert von Nicolas Cage (bei dem man ja nie so genau weiß, ob er nun, oder ob er nicht schauspielern kann, weil es für beide Theorien mehr als genug Beweise und Anschauungsmaterial gibt). Das besondere bei Weather Man: Der Antiheld ist hier weder der tölpelhafte Verlierer, noch der unsympathische Gewinner; stattdessen viel mehr ein Mensch, der irgendwie im Leben steht, irgendwie aber auch nicht. Irgendwie eine Karriere hat, irgendwie aber auch nicht. Irgendwie seine liebsten und wichtigsten Menschen gefunden hat, irgendwie aber auch immer noch auf der Suche ist. Ein sehr ehrliches, authentisches Porträt also, dass sich intensiv mit Schein und sein und der Ambivalenz des Lebens an und für sich auseinandersetzt.
Der Mann ohne Vergangenheit [Aki Kaurismäki]
(Finnland 2002)
Die Geschichte eines Mannes, der sein Gedächtnis verloren hat und seitdem in einer Containersiedlung am Stadtrand Helsinkis lebt ist eine wunderbar trockene Tragikomödie, die zwischen sozialer Millieustudie und naivem Märchen pendelt. Regisseur Kaurismäki verzaubert die Zuschauer mit seinem unnachahmlichen, lakonischen Stil. Nichts ist überdramatisiert, alles in einen ruhigen, unaufgeregten steten Erzählfluss gebettet. Dabei gelingt es dem sozialkritischen Märchen trotz oder gerade wegen seines Purismus, die Herzen im Sturm zu erobern, unterstützt von wunderbar skurrilen Charakteren, viel menschlicher Wärme und Rock N Roll. Regiekollege Jarmusch bringt es auf den Punkt: „It’s sad enough to make you laugh, and funny enough to make you cry!“
Sideways [Alexander Payne]
(USA 2004)
Die Midlifecrisis als Projektionsfläche für universelle menschliche Gefühle und Träume. Die herrlich lakonische Tragikomödie Sideways erzählt die Geschichte der beiden Freunde Miles und Jack, die sich auf einen Road Trip durch die Weinanbaugebiete Kaliforniens begeben. Während der depressive, geschiedene Schriftsteller Miles seinem Freund die Freuden des Weingenusses nahe bringen will, will der Schürzenjäger Jack ein letztes Mal die Freiheit vor seiner anstehenden Hochzeit genießen. Diese Geschichte erzählt der Film mit angenehm trockenem Humor, viel Leichtigkeit und dennoch großem Respekt vor den Befindlichkeiten seiner Protagonisten. Diese werden trotz ihrer Schwächen und Schrulligkeiten als sympathische, erfrischend menschelnde 40er präsentiert, die auf der Suche nach dem Glück viel zu oft die falsche Abzweigung nehmen. Eine angenehm ruhige und entspannte, augenzwinkernde aber auch anrührende Tragikomödie über Freundschaft, verpasste Möglichkeiten und das naheliegende Glück… voller Optimismus und Herzenswärme.
Billy Elliot [Stephen Aldry]
(Großbritannien 2000)
Im nordenglischen Arbeitermillieu der frühen 80er Jahre ist die ganz wundervolle Tragikomödie „Billy Elliot“ angesiedelt. Ein kleiner Junge, der lieber zum Ballett als zum Fußball oder Boxen geht, eine traditionelle Proletarier-Familie, die sich mit diesem Umstand arrangieren muss und viel herzensguter Optimismus sind hier die Ingridenzien für einen zauberhaften Film über die Macht der Träume, das Ergreifen von Chancen und den Ausbruch aus angestaubten Konventionen. Dabei ist Billy Elliot sowohl märchenhaft als auch ungemein realistisch, mitreißend und dennoch nachvollziehbar, zwischen Millieustudie, lakonischer Komik und packender Melodramatik pendelnd. Wunderschön und zutiefst berührend.
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Erstveröffentlichung: 2010
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