Jojo Rabbit (2019) und die Transzendenz der Hitler-Parodie

Der jüngste Film des Regisseurs Taika Waititi Jojo Rabbit (2019) ist keine Hitler-Parodie. Diese Feststellung scheint erst einmal kontraintuitiv, darf doch Adolf Hitler auf dem offiziellen Kinoplakat mit alberner Grimasse dem jungen Protagonisten Hasenohren zeigen. Und in den Trailern zu dem Film scheint seine Figur auch mehr als prominent platziert. Aber nein, Jojo Rabbit ist weder Parodie noch Travestie des wohl berühmtesten Tyrannen in der Geschichte der Menschheit. Stattdessen gelingt der im Nationalsozialismus angesiedelten Komödie etwas anderes, etwas viel wichtigeres: Sie nimmt sich den Kult um die Person Hitler zur Brust und transzendiert diese. In ihrem Mittelpunkt steht nicht die Veralberung des Bösen sondern viel mehr eine Veralberung von dessen Überhöhung, von dessen Glorifizierung. Wenn überhaupt, dann ist Jojo Rabbit eine Auseinandersetzung mit der Hitler-Rezeption, eine Auseinandersetzung, die ebenso historisierend wie ahistorisch daherkommt. Sie ist ein Spiel mit der Ästhetik des Nationalsozialismus und ein bisschen auch ein poppiger „Was wäre wenn…“-Entwurf. Was ihr in diesem Spiel gelingt ist dabei deutlich mehr wert, als das, was unzählige Hitler-Parodien in den letzten Jahrzehnten versucht haben: Sie macht mit den Mitteln des heutigen Pop die Hitlerverehrung nachvollziehbar, weckt sogar Empathie für die Hitlerverehrer und lässt den historischen Nationalsozialismus dadurch so nah erscheinen, wie er schon lange nicht mehr war.

Um zu verstehen, wie sich Jojo Rabbit von dem Subgenre der Hitler-Parodie unterscheidet, lohnt es sich, einen Blick auf seine anderen Filme zu werfen. Veralberungen und Verballhornungen Adolf Hitlers gehen zurück bis in die Zeit des Nationalsozialismus. Die berühmteste Verballhornung Hitlers überhaupt ist dabei wohl bis heute Charlie Chaplins Der große Diktator (1940), der noch vor Kriegseintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg veröffentlicht wurde und den einige amerikanische Filmkritiker damals sogar als Kriegshetze bezeichneten. Amerikanische Kinos in Regionen, in denen sehr viel deutschstämmige Menschen lebten, weigerten sich gar den Film aufzuführen aus Angst vor politischem und sozialem Gegenwind. Erst während der Beteiligung der USA am Zweiten Weltkrieg sollte die USA dann ganz offiziell die Parodie auf Adolf Hitler als wertvolles Propagandainstrument entdecken. So wurde in Jack Kinneys Donald Duck Cartoon Der Fuehrer’s Face (1943) ein grimmig dreinblickender Hitler mit Tomaten beworfen, in The Devil with Hitler (1942) musste sich ein cholerischer Adolf Hitler mit dem Teufel rumplagen und in That Nazty Nuisance (1943) wurde Hitler von einem Affen mit einem Kissen verprügelt, mit Tinte bekleckert und im großen Finale mit Hilfe eines Torpedos aus einem U-Boot geschossen.

Mit einer Clownerie Adolf Hitlers taten sich Film und Fernsehen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sichtlich schwer. Indirekt gelang dies Mel Brooks mit The Producers (1968), der in Deutschland den gleichen Titel wie das im Film zentrale fiktive Musical Frühling für Hitler (Springtime for Hitler) trug. Hier durfte Hitler Teil einer echten, aber eben nur fiktiven Travestie auf der Bühne sein, während die eigentliche Filmhandlung als Komödie über die Entstehung dieser Travestie eher eine Satire auf das Broadway Showbiz der 60er Jahre darstellte. Mel Brooks wiederholte diese indirekte Hitler-Parodie noch einmal mit dem Ernst Lubitsch Remake Sein oder Nichtsein (1983), in dem Hitler aber ebenfalls nur eine sehr kleine Rolle einnahm. Die berüchtigtste Hitler-Parodie im 20. Jahrhundert stellt wohl die britische Serie Heil Honey I’m Home! (1990) dar, in der Adolf Hitler und Eva Braun als Comedypärchen mit jüdischen Nachbarn in einem klassischen 80er bzw. 90er Jahre Sitcom-Setting verortet werden. Die Pilotepisode wurde als Trivialisierung des Dritten Reiches heftig kritisiert, unter anderem vom Board of Deputies of British Jews, und die Serie wurde nach nur einer Folge abgesetzt, obwohl bereits elf Episoden produziert worden waren. Abgesehen von diesen Versuchen schienen filmische Hitler-Travestien vor allem was für die edgy Avantgarde zu sein, als berühmtestes Beispiel sei Christoph Schlingensiefs Bizarrerie 100 Jahre Adolf Hitler ‑ Die letzte Stunde im Führerbunker (1989) genannt.

So schwer sich das 20. Jahrhundert lange Zeit mit der Parodisierung Hitlers tat, so scheinen zu Beginn des 21. Jahrhunderts sämtliche Dämme gebrochen zu sein. Walter Moers Comic Adolf, die Nazi-Sau (1998) hatte in Deutschland einen erheblichen Einfluss auf eine Enttabuisierung des komödiantischen Hitlers. Nach der Jahrtausendwende folgten Dani Levys Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler (2007) mit Helge Schneider als vermenschlichtem Diktator, die Stromberg-Parodie von Switch Reloaded (2007) Obersalzberg, in der der große Diktator ein kleiner Büroangestellter im mittleren Management war, und schließlich die Romanverfilmung Er ist wieder da (2015), die Adolf Hitler auf eine Reise durch das heutige Deutschland schickt. International sorgte Ken Russel mit seinem bizarren Weihnachtskurzfilm A Kitten for Hitler (2007) für Aufregung, während Quentin Tarantino in Inglorious Basterds (2009), dem Führer in einer Exploitation-Splatterorgie das Gesicht zerschießen ließ. Daneben wurde Hitler Dank dem eigentlich dramatisch angelegten Kriegsfilm Der Untergang (2004) auf internationaler Bühne zum unfreiwilligen Meme, indem eine Schlüsselszene des Films auf Youtube mit albernen Untertiteln immer wieder neu aufgelegt wurde. Auch in South Park, Family Guy und Konsorten wurde Hitler mittlerweile so oft parodiert, dass die dennoch bei jedem neuesten Hitler-Film erneut aufgeworfene Frage, ob man denn nun über Hitler lachen dürfte, fast schon wie ein ausgelutschter Running Gag wirkt.

Was macht Jojo Rabbit nun anders als andere Hitler-Komödien jüngeren Datums? Das Besondere ist seine Herangehensweise, die sich deutlich von den bisherigen Parodien abhebt. Das Genre scheint bis dato nur zwei Optionen zu kennen: Entweder Hitler in einem historischen, historisierten Setting veralbern, wie dies zum Beispiel Dani Levy und Helge Schneider tuen, oder Hitler radikal enthistorisieren, indem er aus seiner Umgebung herausgerissen und in unsere Zeit verpflanzt wird, so geschehen bei Er ist wieder da und Obersalzberg. Taika Waititi bringt eine dritte Möglichkeit der Hitler-Farce ins Spiel: Er transferiert nicht Hitler in unsere Zeit, sondern er transferiert unsere Wahrnehmung in Hitlers Zeit, direkt ins Jahr 1944. Das Setting ist historisch, seine Inszenierung, seine Narrative, seine Atmosphäre sind aber vollkommen durch die Werkzeuge unserer Zeit geprägt. Hitler wird zum Popstar, zum Jugendidol mit Bravo-Starschnitt und Kalendersprüchen. Und so wie jedes Kind, jeder Jugendliche irgendwann einmal die Entzauberung seiner Pop-Idole durchlaufen muss, wird auch Hitler über diesen Umweg entzaubert.

Erst einmal gibt es aber radikale, infantile und alberne Affirmation. Wenn zu einem eingedeutschten „I Want to Hold Your Hand“ der Beatles Aufnahmen von den großen Hitler-Zelebrationen gezeigt werden, wenn sich der Protagonist des Films, der zehnjährige Johannes (Roman Griffin Davis) sein ganzes Zimmer mit Hitler-Postern zupflastert und schließlich begleitet von einem imaginierten Best Buddy Hitler mit Triumphgeheul über das HJ-Schlachtfeld rennt, dann wird jede historische Exaktheit zu Gunsten der Empathie aufgegeben. Wir sollen verstehen, warum Hitler damals für viele Deutsche Pop war, und das verstehen wir nur, wenn es mit den Mechanismen des heutigen Pop analogisiert wird. Dementsprechend ist die Sprache in Jojo Rabbit dann auch konsequent anachronistisch: Sie ist lässig und cool, sie erlaubt gechillten Sarkasmus und derbes Gefluche. Historisch ist an dieser Sprache nichts, sie ist die Sprache des 21. Jahrhunderts, die Sprache der Generation X und der Millennials. Es ist gar nicht so einfach, zu Beginn in dieses Setting hineinzukommen. Und ja, es stellt sich auch instinktiv die Frage: Ist das okay so? Ist das nicht zu viel Pop im Angesicht des Schreckens? War der Nationalsozialismus nicht schrecklich bieder, kitschig, pathetisch und martialisch? Weit entfernt von dieser ironischen, charmanten Popwelt?

Mindestens ebenso schwierig wie die ahistorische Popularisierung des historischen Nationalsozialismus scheint zu Beginn der Humor von Jojo Rabbit zu sein. Dieser ist nämlich hochgradig albern und infantil. Kein Wunder, immerhin sollen wir uns in die Gedankenwelt eines zehnjährigen fanatischen Hitlerjungen einfühlen. Dieser erlebt – Dank der überzeugenden Propagandaarbeit des Nationalsozialismus – Abenteuer mit einem imaginierten Adolf Hitler, und zu den Abenteuern eines Zehnjährigen gehören nunmal Merkwürdigkeiten, Absonderheiten aber vor allem auch Infantilitäten. Dementsprechend ist der hier präsentierte Hitler (hervorragend gespielt von Taika Waititi selbst) ein echter Clown zur Belustigung, aber auch ein Seelenpartner und imaginärer Berater für die Sorgen und Nöte eines kleinen fanatisierten Jungen. Dieser Hitler ist weder erschreckend noch abstoßend, er hat etwas Zartes, Liebenswertes an sich. Er beherrscht den Slapstick ebenso wie das Veträumte, aber eben auch das liebevoll Zugewandte. Als Ersatzvater ist der imaginäre Hitler viel mehr ein Pan Tau, ein Peter Lustig, ein Freund Harvey denn ein rücksichtsloser Tyrann und Diktator. In dieser Rolle wird die Figur Hitlers von der Person des wahren Hitlers befreit und transzendiert. Der Hitler, den wir hier erleben, ist eine ikonische – aber leere – Hülle, die mit allem aufgefüllt werden kann, was dem Rezipienten in den Sinn kommt. Da der Rezipient in diesem Fall ein zehnjähriger, abenteuerlustiger, verträumter und unsicherer Junge ist, darf Hitler ebenso verträumt, abenteuerlustig, albern und oft auch unsicher sein. Jojo Rabbit ist keine Hitler-Parodie, weil er seinen Hitler vom historischen Hitler trennt; wenn er sich über etwas lustig macht, dann viel mehr die Rezeption Hitlers durch fanatische Nazis, damals wie heute. Indem er ein Kind als diesen parodierten Nazi wählt, deckt er die Infantilität dieser Heroisierung und Glorifizierung auf. Indem er das historische Setting mit Pop aus den Angeln hebt, universailisiert er seine Parodie, wird zur generellen Abrechnung mit fanatischer Diktatorenverehrung, zur allgemeinen Kritik an der Arbitrarität und Albernheit des politischen Fanatismus.

Aber Jojo Rabbit ist mehr als nur eine Groteske, die die leere Hülle Hitler mit absurdem, kindischen Humor füllt. Nachdem sich Johannes, von allen nur Jojo genannt, bei einer HJ-Übung Dank seines Übereifers mit einer Handgranate selbst verletzt hat, muss er zu Hause die Folgen des Unfalls auskurieren. Dort muss er feststellen, dass seine alleinerziehende Mutter (Scarlett Johansson) auf ihrem Dachboden das jüdische Mädchen Elsa (Thomasin McKenzie) versteckt hält. Jojo ist hin- und her gerissen zwischen seiner Loyalität zum Nationalsozialismus und der Angst um seine Mutter, beschließt schließlich zusammen mit seinem imaginären Freund Hitler, Elsa nicht an die Gestapo zu verraten. Stattdessen will er ihre Gesellschaft nutzen, um mehr über den verhassten Feind, die Juden, zu erfahren. Während Jojo sie ausfragt, um für den Kampf gewappnet zu sein, entwickelt sich eine zaghafte Freundschaft zwischen ihm und dem Mädchen, das so gar nicht dem entspricht, was er bisher glaubte über die Juden zu wissen.

Nachdem Jojo Rabbit sein Szenario in schrillen und überzeichneten, grotesken Bildern etabliert hat, wandelt er sich in der Tat relativ stabil von der überspitzten Satire zur historischen Tragikomödie. Er mag in dieser Wandlung eine gute Portion von seinem Biss verlieren, zugleich gewinnt er aber eine ganz neue Ebene hinzu. Dass der Genrespagat gelingt, liegt vor allem an seinen exzellenten Charakteren. Jojo Rabbit ist äußerst geschickt darin, mit Klischees zu spielen und diese aus den Angeln zu heben. Jojo in seiner Ambivalenz zwischen verträumtem und verspieltem Jungen auf der einen, und fanatischem Nazi auf der anderen Seite, wird ergänzt durch eine illustre Riege verschiedener Figuren, die allesamt ihre eigenen Stärken und Schwächen, Ticks und unerwarteten Seiten besitzen. Heraus sticht dabei besonders Sam Rockwell als zynischer, verbitterter Hauptmann Klenzendorf, der hinter seiner Fuck-off!-Fassade unerwartet menschliche, edle Charaktereigenschaften versteckt. Die spannendste Figur in dieser zweiten Hälfte des Films ist aber weiterhin der imaginäre Hitler, der ebenso wie sein Schöpfer Jojo eine erstaunliche Wandlung durchläuft: Während Johannes mehr und mehr die Ideologie des Nationalsozialismus in Frage stellt, wird Hitler mehr und mehr zum Antagonisten, zum Störenfried sowohl in der kindlichen Fantasie als auch in der Realität. In dieser Rolle verliert er immer weiter seine knuffige, komische Art und symbolisiert stattdessen den inneren Kampf, den Jojo mit sich selbst auszufechten hat. Gleichzeitig verliert er das Fantastische, nähert sich in seiner Rolle als Antagonist langsam dem historischen Hitler an und wird schließlich zur Verkörperung all dessen, was Jojo eigentlich hinter sich lassen will.

Das dramaturgische Mittel des Stimmungswechsels wendet Jojo Rabbit gegen Ende noch einmal an, dieses Mal deutlich abrupter und wütender als im tragikomischen Mittelteil. Immerhin spielt der Film gegen Ende des Zweiten Weltkrieges und hat somit genau das richtige historische Setup, um die Folgen der Fanatisierung Deutschlands – im Kampf bis zum letzten Augenblick – darzustellen. Dies gelingt ihm in einigen wenigen, dafür aber umso beeindruckenderen Bildern. Gerade weil er in seiner Wandlung von der Groteske zur Tragikomödie zuvor so leichtfüßig daherkommt, schlagen die finalen Momente umso härter zu. Menschenleben werden verheizt, Kinder werden zu Selbstmordattentätern erzogen, so sinnlos das Weiterkämpfen ist, so fanatisch wird es zelebriert. Die Darstellung des Kriegsendes in Jojo Rabbit ist ein Höllenfeuer, eine radikale Konterkarierung des vorherigen amüsanten, launischen Tons. Denn so bizarr und abwegig die zuvor entworfenen Fantasiewelten waren, so grausam und real ist schließlich der Krieg, den die Ideologie des Nationalsozialismus hervorgerufen hat. Jojo Rabbit transzendiert die Hitler-Verehrung auch, indem sie ihr ihren tödlichen Ausgang entgegenwirft. Die Geschichte des nationalistischen Fanatismus ist schließlich nicht nur die Geschichte Jojos, sondern die Geschichte eines ganzen Volkes, einer ganzen Generation verlorener Kinder. Aber auch darin findet Waititis Film ein Stück Optimismus. So wie Johannes sich in der Konfrontation mit einer Jüdin gewandelt hat, so kann sich auch die restliche Gesellschaft in der Konfrontation mit dem Kampf wandeln. „I am going home to my mother. I need a cuddle.“ sagt Jojos bester Freund, Yorki, der ebenfalls Kindersoldat im verheerenden Endkampf war, nach dem verlorenen Krieg. Ein Stück Hoffnung für eine zuvor moralisch und emotional komplett verwahrloste Gesellschaft.

 

Diesen Film haben wir auch in unserem Podcast besprochen.

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