Die besten Politthriller der 70er Jahre

Okay… und schon sind wir zurück bei den Schubladen. Zumindest eine Subkategorie habe ich im Bezug auf das Thrillergenre noch gefunden. In der folgenden Retrospektive soll es um die politischen Thriller gehen, um die Filme, die neben ihrer spannenden Handlung oder durch ihre spannende Handlung eine politische Botschaft vermitteln. Filme, die nicht nur spannend sind sondern auch eine eindeutige ethische Haltung haben, die sich darin verstehen, Kritik an politischen Verhältnissen zu üben, Hintergründe politischer Ereignisse aufzudecken, dabei aber eben nicht einfach nur dokumentarisch vorgehen, sondern dennoch und gerade wegen ihrer Thematik verflucht spannend und mitreißend sind. Einen Vorgeschmack davon gab es schon in der Retrospektive der Hitchcock’schen Thriller mit Der Dialog, der sich allerdings abstrakt und universell gegen Überwachungswahn richtete. Deutlich konkreter wird ein Film wie Der unsichtbare Aufstand , der sich kritisch mit den Verhältnissen in autoritären südamerikanischen Staaten auseinandersetzt. Auch … und Gerechtigkeit für alle betrachtet ein ganzes System kritisch, und zwar das Justizsystem der USA, und packt seine Reflexion in eine spannende und dramatische Fabel. Noch konkreter sind die Filme, die sich auf historische Ereignisse berufen, sei es in parabolischer Form wie im Verschwörungsthrillerprototyp I wie Ikarus oder in exakt aufarbeitender Form wie im großartigen Watergate-Drama Die Unbestechlichen. Mut haben all diese Filme, sowohl gegenüber dem Publikum, das erfahrungsgemäß politischen Inhalten im Kino eher ablehnend gegenübersteht, als auch gegenüber jeder Form von staatlicher Autorität, der sie auf den Zahn fühlen, und hin und wieder auch ganz dreist ans Bein pinkeln.

I wie Ikarus [Henri Verneuil]

(Frankreich 1979)

Wer an filmische Auseinandersetzungen mit dem Mord an John F. Kennedy denkt, dem dürfte als erstes Oliver Stones JFK – Tatort Dallas in den Sinn kommen, der es damals in meine Liste zu den kontroversen Filmen der 90er Jahre geschafft hat. Es gibt jedoch einen deutlich besseren Film zu diesem Sujet als dieses 90er Jahre Verschwörungsmelodram (dem man durchaus auch raunenden, verschwörungstheoretischen Revisionismus vorwerfen könnte). Der französische Film I… comme Icare behandelt ebenfalls den Mord an JFK, ohne ihn direkt zu benennen. Stattdessen arbeitet er mit Chiffrierungen, Anagrammen und Parabeln. Natürlich könnte man ihm dadurch umso mehr vages, unkonretes Raunen vorwerfen, im Gegensatz zu Oliver Stones Film verzichtet er jedoch auf übertriebene Melodramatik und gibt sich auch gar nicht erst den Anschein, hier das große Komplott aufzudecken. Stattdessen nimmt er die Möglichkeit einer großen Verschwörung als Aufhänger, um sich mit Gewalt und Autoritätsgläubigkeit in der Gesellschaft und das Ausnutzen dieser Phänomene durch Staat und Geheimdienste auseinanderzusetzen. Dabei entwirft er Geschichten, Realitäten und Realitätsräume, ist aber stets mehr am ideengeschichtlichen Überbau als an den konkreten Ereignissen interessiert. Insbesondere das zentral stehende Milgram Experiment wird hier auf grandiose Weise auf die Leinwand gebracht und mit einer bitterbösen Meta-Pointe versehen, die jedem im Publikum den Magen umdreht. I wie Ikarus ist eine detailverliebte, kritische Thrillerparabel, eine konzentrierte Auseinandersetzung mit dem historischen Mordfall und eine universelle Betrachtung gesellschaftlicher Missstände.

… und Gerechtigkeit für alle [Norman Jewison]

(USA 1979)

Auch das Thrillerdrama …And Justice for All trägt immer ein parabolisches Moment mit sich, fährt die allgemeine Politik- und Gesellschaftskritik jedoch deutlich zurück zu Gunsten eines mitreißenden, furchteinflößenden und auch persönlichen Dramas. Das politische Feld, das hier zur Disposition steht, ist der Gerichtssaal, Protagonist ist ein hochengagierter aber oft am System verzweifelnder Rechtsanwalt (Al Pacino mit seiner wahrscheinlich besten Schauspielleistung in diesem Jahrzehnt). Im Folgenden wird alles erzählt, was im amerikanischen Rechtssystem schiefläuft: In die Mühlen der Justiz geratene Bürger, die an Formalien verzweifeln, Anwälte, die sich ständig mit dem Ethos ihres Berufsstandes auseinandersetzen müssen und an schweren Dilemmata fast zu Grunde gehen, konservative, repressive oder korrupte Richter, und ein System, in dem die Schwachen zu Grunde gehen und die Starken sich aus allen Schlamasseln rauswinden können. Nicht nur wegen seines fulminanten, ikonisch gewordenen Schlussplädoyers („This court is out of order!“) gehört …And Justice for All zu den besten Justizthrillern und Gerichtsfilmen überhaupt. Eine starke Mischung aus Drama, Krimi und satirischer Parabel, ein grimmiger und bitterer Film, der aber nie seine Menschlichkeit verliert und zwischen all dem Morast immer zu großen emotionalen Gewaltakten in der Lage ist.

Die Unbestechlichen [Alan J. Pakula]

(USA 1976)

Mit The Parallax View hatte Regisseur Alan J. Pakula bereits zwei Jahre zuvor einen herausragenden Hitchcock-inspirierten Thriller mit politischer Stoßrichtung aufs Parkett gelegt. War er in diesem noch parabolisch und abstrakt unterwegs, wählt er für All the President’s Men ein durch und durch konkretes, mittlerweile historisches, damals aber brandaktuelles Thema: Die Watergate-Affäre um Richard Nixon, zu dessen Präsidentschaftswahlkampf 1972 initiiert durch ein republikanisches Komitee in das Wahlkampfbüro der demokratischen Partei eingebrochen wurde. Eine wesentliche Rolle bei der Aufklärung der Missstände innerhalb der republikanischen Partei und im Wahlkampfteam Nixons war die 1973 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Berichterstattung der Washington Post. Wie es zu der journalistischen Aufarbeitung des Skandals kam, steht im Mittelpunkt dieses fesselnden Thrillerdramas, das den beiden berühmten Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein auf Schritt und Tritt folgt. Die Unbestechlichen ist ein intimer Einblick in aufrichtige und engagierte Pressearbeit. Die Hektik, aber auch die Akribie eines Redaktionsbüros nimmt das Publikum im wahrsten Sinne des Wortes gefangen. Man riecht den Schweiß, man spürt die Anspannung die bei der Entstehung großer Reportagen mitschwingt. Gleichzeitig entführt uns All the President’s Men zur journalistischen Arbeit auf die Straße, der mitunter langwierige Rechercheprozess wird ebenso thematisiert wie der verbale Kampf gegen potentielle Zeugen, die Gespräche mit Informanten und das Engagement, kontroversen Themen hinterherzuforschen, egal, wie mühsam diese Arbeit sein mag. Die Unbestechlichen ist ein fulminanter Politthriller, ein detaillversessener Noir-Krimi und nicht zuletzt eine einzigartige Liebeserklärung an die Notwendigkeit der vierten Gewalt. Gerade in unseren Tagen, wo pauschale Pressekritik und Angriffe auf die Medienfreiheit zunehmen, ein nach wie vor faszinierendes, hochaktuelles Manifest für guten Journalismus.

Der unsichtbare Aufstand [Constantin Costa-Gavras]

(Frankreich, Italien, BRD 1972)

Der wohl politischste Thriller der 70er Jahre beschäftigt sich mit einer Region, die in unserer täglichen Berichterstattung oft nur eine untergeordnete Rolle spielt und auch in den 70ern viel zu selten im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung stand: Autokratische Regimes in Südamerika und wie diese von mächtigen Freunden, insbesondere den USA, gestützt werden. Anhand der Entführung eines Diplomaten und den daraus entstehenden Repressalien durch das Regime zeichnet État de siège (so der französische Originaltitel) auf schmerzhaft realistische, geradezu dokumentarische Weise das Bild eines Staates und einer Gesellschaft, die durch Angst, Paranoia, Hass und Gewalt bestimmt sind. Gerade durch seinen Naturalismus, durch seine Realitätsnähe ist Constantin Costa-Gavras‘ Thrillerdrama unfassbar spannend und mitreißend, gleichzeitig jedoch kommt er schmerzhaft, bitterböse und mitunter auch zynisch daher. In dieser Verbitterung gewinnt er seine moralische Stärke: Als Anklage gegen autoritäre Systeme, als verzweifelter Aufschrei gegen eine innerstaatliche Kriegsführung von der nur die falschen Personen profitieren. Und als der Wahrheit verpflichtete Aufarbeitung politischer Missstände sowohl im lokalen wie im globalen Kontext. Der unsichtbare Aufstand ist kein leicht zu konsumierender Film, vielleicht sogar der sprödeste Vertreter des Genres, dafür aber ist er ein ungemein wichtiger Film, der ohne falsche Emotionen dennoch bleibenden Eindruck hinterlässt.

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