Die besten Thriller der 90er Jahre I – Serienkillerfilme

Die 90er Jahre waren ein ausuferndes Jahrzehnt für Thriller und Krimis. Neben den klassischen Crime-Stoffen war es vor allem der Serienkillerfilm, der einen zweiten Frühling erlebte. Natürlich sind auch hier die Genregrenzen oft fließend: Viele der hier genannten Filme könnten ebenso gut in der Horrorecke stehen; von den unzähligen – oft pubertären – Slasherrevivals heben sie sich aber deutlich sowohl in ihren Ausgangspunkten als auch Umsetzungen ab. Ein perfekter Serienkillerfilm arrangiert psychologische Tiefgründigkeit mit ganz realem physischen Terror, sucht nach Motiven und Ursachen, ermittelt ebenso akribisch, wie er akribisch tötet und schafft dabei eine unheilschwangere, düstere Atmosphäre. So werden die guten dieser Filme nicht zum bloßen Thriller sondern zum komplexen Persönlichkeits- und Gesellschaftsporträt, wenn nicht gar zu brutalen, düsteren und apokalyptischen Anthropologien.

Das Schweigen der Lämmer [Jonathan Demme]

(USA 1991)

Der Film mit dem alles anfing, der Film, der einen beispiellosen Hype um Serienkiller im Kino auslöste, der die gesamten 90er durchhalten sollte. „Das Schweigen der Lämmer“ nach einem Roman von Thomas Harris ist ein düsterer und abgründiger Thriller, mit Anthony Hopkins als Hannibal Lector wohl mit einem der begnadetsten und faszinierendsten Bösewichter der Filmgeschichte gesegnet und in seiner engen, klaustrophobischen Dramaturgie ungemein beängstigend. Die Geschichte um Genialität und Wahnsinn, um Schmetterlingslarven und Sadismus, um Psychospielchen und Kannibalismus findet genau die richtige Mischung zwischen physischer Extreme und in Mark und Knochen gehendem Psychoterror. Ein eiskalter, misanthropischer, pessimistischer und in sich perfekt geschlossener Thrillerjuwel, einer jener Filme, die man nicht so schnell vergisst.

Sieben [David Fincher]

(USA 1995)

Und gleich darauf die umso düsterere, pessimistischere und misanthropischere Komplettpervertierung des Genres, die zusammen mit den schweigenden Lämmern fast so etwas wie eine Klammer um die 90er Jahre Serienkillerfilme bildet. Sieben ist abgrundtief böse, verachtet die Welt, labt sich an seinen dunklen, regendurchtränkten und depressiven bis psychotischen Bildern und erzählt mit einfachsten Mitteln eine ungemein mitreißende, frustrierende und quälende Geschichte um Todsünden, Missionarismus, Eifer an der falschen Stelle und denkbar schlimmste Entwicklungen. Ein Stück filmgewordener Pessimismus, in packenden Einstellungen bebildert, großartig gespielt und mit einem verheerenden alles in sich aufsaugenden Ende, das tatsächlich nahezu apokalyptische Dimensionen annimmt. Einer der düstersten Filme aller Zeiten.

Copykill [John Amiel]

(USA 1995)

Im Vergleich zu diesen beiden – jetzt bereits zu Filmklassikern entwickelten – Meisterwerken ging Copykill – trotz zahlreichem Kritikerbeifall – an der Kinokasse und auch in der filmhistorischen Rezeption fast ein wenig unter. Dabei bietet Copycat all das, was einen hervorragenden Serienkillerfilm auszeichnet: Eine packend erzählte Geschichte, eine düstere Grundstimmung, spannende Sequenzen und ausgezeichnet gespielte ungemein komplexe Charaktere, die den raffiniert konstruierten Plot in tiefgründige Psychothrillerdimensionen leiten. Insbesondere Sigourney Weaver und Holly Hunter glänzen hier als ungewöhnliches Ermittlerduo, gepeinigt von der eigenen Psyche und zugleich akribisch in der Suche nach einem Mörder, der mit seiner Copycat-Leidenschaft fast schon so etwas wie ein Meta-Antagonist des Genres darstellt.

Der Totmacher [Romuald Karmakar]

(Deutschland 1995)

Der Totmacher – basierend auf den wahren Geschehnissen um den deutschen Serienmörder Haarmann – ist der erste Film, der ein wenig aus unserer Liste herausfällt. Das packende und düstere Kammerspiel konzentriert sich weniger auf den Vorgang der Taten selbst, als vielmehr auf deren Rekonstruktion. So nutzt er die originalen Verhörprotokolle Harmanns, um ein dunkles wie faszinierendes Protokoll schrecklicher Taten zu entwerfen. Durch die klaustrophobische Atmosphäre des Verhörzimmers und das packende Spiel Götz Georges wird der Zuschauer selbst zum Gutachter, der  nur erschrocken beiwohnen kann, wie Haarmann mit beängstigter Gelassenheit seine Taten schildert. Ein intimes, enges und erschreckendes Porträt, ein mitreißendes schauderhaftes Psychodrama und in seiner fast schon pornographischen Akribie ein fesselnder und nicht so schnell loslassender Horrorthriller.

Citizen X [Chris Gerolmo]

(Ungarn, USA 1995)

Ebenfalls auf einer wahren Begebenheit beruht der spannende und triste Ermittlungsthriller Citizen X, der in der Sowjetunion der 70er und 80er Jahre spielt. Hier stehen nicht nur die detailgenau beschriebenen Ermittlungen eines Gerichtsmediziniers im Fall zahlloser Frauenmorde im Mittelpunkt, sondern auch und insbesondere die Steine, die diesem von der Staatsmacht in den Weg gelegt werden. Serienkiller gelten als westliches Phänomen und werden dadurch auf nahezu kriminelle Weise ignoriert und geleugnet. Anhand dieses ebenso spannenden wie authentischen Plots ergibt sich eine packende Verbrecherjagd, die immer wieder auch zum Politthriller wird. Citizen X ist ein düsterer Film über einsame Kämpfe, ständige Verlockungen der Resignation und eine langsame, permanent zum Scheitern verurteilte Jagd. Ebenso mitreißend wie komplex, schockierend und dramatisch.

Ich kann nicht schlafen [Claire Denis]

(Frankreich 1994)

Der nächste Film, der  aus der Reihe fällt… Claire Denis nutzt die Geschichte eines Serienkillerpaares in Paris, und erzählt um die Geschehnisse ihren Taten herum von fallenden und kämpfenden Großstädtern. Das nüchterne und zugleich triste Kaleidoskop, das daraus entsteht, pendelt geschickt zwischen pessimistischer Milieustudie und anspruchsvollem Thrillerdrama. Mit akribischem, präzisen Blick – ohne jemals dem Voyeurismus anheim zu fallen – leuchtet Denis ihre Protagonisten aus, betrachtet deren Handeln ohne es zu bewerten und entwirft damit das weitreichende und genaue Bild einer postmodernen Generation, die sich von sich selbst und ihren Lebensumständen entfremdet hat. Die Morde selbst werden so zur konsequenten sozialen Begleiterscheinung in diesem dichten, psychologisch mehrdimensionalen Krimidrama.

Summer of Sam [Spike Lee]

(USA 1998)

Auf eine ähnliche Art verfährt ebenfalls Spike Lee, der die wahren Begebenheiten um einen Serienkiller im New York der ausgehenden 70er Jahre zum Hintergrund eines komplexen und spannenden Jugenddramas macht. Die Morde finden hier stets an der Peripherie, außerhalb des Lebens der Protagonisten statt, werden von diesen allerdings durch falsche Verdächtigungen und Vorurteile permanent ins Zentrum gerückt. So wird „Summer of Sam“ zu einer packenden Milieustudie, die sich ständig ihrem Thrillerüberbau entzieht und stattdessen psychologisch feinsinnige Porträts zeichnet, um das Leben und Sterben im New York des Jahres 1977 greifbar zu machen.  Akribisch seziert Lee den damaligen Zeitgeist, die Borniertheit einer gesamten Gesellschaft… verlagert den Thrill vom Allgemeinen auf das Mikrokosmische und lässt „Summer of Sam“ so zu einem authentischen Drama und spannenden Anti-Thriller werden.

Nightwatch – Nachtwache [Ole Bornedal]

(Dänemark 1994)

Perfekt zwischen Slasherhorror und schwarzhumorigem Psychothriller bewegt sich der kleine dreckige Däne „Nightwatch – Nachtwache“. Ole Bornedal nutzt die Disposition eines Nachtwächterjobs um einen makaberen und perfiden Thriller zu erzählen, in dem es um gemeine Psychospielchen, Angstüberwindung und natürlich ebenfalls – und ganz zentral – um einen Serienkiller geht, der den Leichenschauhäusern zahlreich Kundschaft beschert. Nightwatch – der ein okayes, aber nicht ans Original heranreichendes US-Remake (Freeze) spendiert bekam – ist ein fieser und sarkastischer Bastard aus Thriller, Horror und rabenschwarzer Komödie. Mitunter verflucht nah am Slaher-Genre, dann aber doch eigenständig und psychologisch feinsinnig und tiefgründig genug um sich von der formelhaften US-Horrorsparte abzuheben.

Kalifornia [Dominic Sena]

(USA 1993)

Um die wissenschaftliche/journalistische Rekonstruktion von Serienkiller-Verbrechen, die mit der Realität echter physischer Gewalt kollidiert, geht es in dem Road Movie Thriller Kalifornia. Ein Journalist auf der Suche nach den Bildern und der Psychologie der Schauplätze des Verbrechens, unterwegs mit einem ziemlich suspekten Mitfahrer, der sich sukzessive als mindestens genauso morbide wie die untersuchten Orte entpuppt. Brad Pitt darf hier auf wunderbare Weise seine bösartigen und schmutzigen Seiten nach außen kehren. Als aggressiver Hinterwäldler und mutmaßlicher Killer überzeugt er mit einer vielschichtigen, herrlich dreckigen und rohen Darstellung, so dass es eine wahre Freude ist, sich vor ihm zu fürchten. Auch der restliche Cast überzeugt, ebenso wie die düstere, triste und gewaltaufgeladene Atmosphäre, die den Ausbruch ständig latent mit sich führt und somit unheilschwanger und mitreißend daherkommt. Ein böser, dunkler und dichter Film: Hart, brutal und kompromisslos.

Jennifer 8 [Bruce Robinson]

(USA 1992)

Zurück zum klassischen Serienkillerfilm und zur akribischen Ermittlungsarbeit. Jennifer 8 präsentiert sich diesbezüglich tatsächlich ziemlich formal und traditionell. Dennoch gelingt es dem Film mit der Geschichte um einen Serienkiller, einen ermittelnden Polizisten und dessen Romanze mit einer blinden Zeugin einen spannenden und mitreißenden Thriller zu generieren. Das liegt einerseits an den erstklassigen Schauspielerleistungen, andererseits und vor allem aber am raffiniert konstruierten Drehbuch, das so manche Finten schlägt und so manche spannenden Twists und Überraschungen bereithält. Jennifer 8 ist ein ausgeklügelter, atmosphärisch dichter und angenehm unheimlicher Thriller, der gediegene und gehobene Unterhaltung bietet.

Mann beißt Hund [Rémy Belvaux]

(Belgien 1992)

Zum Abschluss noch einmal ungewöhnliche Serienkillerware aus Europa. Dieses Mal weder aus der Sicht der Ermittelnden, noch der Opfer oder Täter. Stattdessen erzählt die makabere, schwarzhumorige Farce „Mann beißt Hund“ konsequent das Geschehen aus der Sicht der Dokumentierenden und Zuschauer. Ganz im klassischen Dokumentationsstil gezeichnet, werden die journalistischen Begleiter des Killers zu Voyeuren und schließlich auch zu Tatbeteiligten. Der ebenso düstere wie lakonisch und schwarzhumorige Bastard aus Thriller, Drama und Komödie ist ein fieses, dreckiges und kleines Genrejuwel, das mit wenigen Mitteln einen Maximaleffekt erzielt: Aufwühlend, brutal, impulsiv und pechschwarz. Ein kompromissloser, knallharter Low Budget Streifen, der die Kamera und damit letzten Endes auch den Zuschauer zum Täter werden lässt.

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Erstveröffentlichung: 2011