Die besten Psychothriller der 70er Jahre

Vollkommen zurecht dürfte jetzt so mancher Leser, so manche Leserin anmerken, dass das Subgenre Psychothriller ein extrem schwammiges Subgenre ist. Immerhin verhandeln fast alle Thriller ohnehin Ticks und Neurosen, Menschen, die sich geistig am Limit bewegen und psychische Grenzen überschreiten. Seien es die wahnsinnigen Mörder im italienischen Giallo, die neurotischen Gestalten in Hitchcocks Dioramen oder die lebensmüden Killer und Verbrecher diverser Detektivgeschichten, Cop- und Gangsterthriller: Psychische Extreme finden sich im Genre überall. Und daher sei an dieser Stelle angemerkt, dass so mancher Film aus einer vorherigen oder kommenden Bestenliste gut und gerne auch hier stehen könnte. Der Unterschied besteht größtenteils im Fokus. Und dieser liegt bei all den gleich genannten Thrillern auf der Psyche der Protagonisten und Protagonistinnen. In Der Mieter erzählt Roman Polanski vom Abgleiten eines einfachen Menschen in den Wahnsinn, induziert von außen und innen, wobei die Grenzen zwischen beidem verschwimmen. In Images inspiziert Robert Altman eine Frau, die sich zwischen Gegenwart und Vergangenheit verliert, und in der Hitchcock-Hommage Die Schwestern des Bösen weiß die Protagonistin überhaupt nicht mehr, wer oder was sie ist. Magic – Eine unheimliche Liebesgeschichte treibt gar einen spielerischen Schabernack mit dem Geist des Protagonisten und wandelt dabei gerne auch auf ironischen Gruselpfaden. Etwas anders funktionieren Martin Scorseses Taxi Driver und der australische Genrebeitrag Ferien in der Hölle, in der die kaputten Seelen, die im Mittelpunkt stehen, Folgen und Ausdruck eines gesamtgesellschaftlichen Traumas sind. Egal wie oder warum, der menschliche Geist wird in allen kommenden Filmen auf eine harte Probe gestellt…

Der Mieter [Roman Polanski]

(Frankreich 1976)

Eines der eindringlichsten Psychogramme des 70er Jahre Kinos finden wir in Roman Polanskis The Tenant, der galant zwischen Paranoia-Horror, Mystery, Psychothriller und kafkaeskem Alptraum oszilliert. Polanski spielt ihn gleich selbst, den etwas blassen und zugleich einsamen, gesellschaftlich immer etwas verlorenen wirkenden Mieter Trelkovsky, der es in seiner neuen Wohnung mit obskuren Nachbarn und merkwürdigen Geschehnissen zu tun bekommt. Der Begriff Gangstalking existierte damals noch nicht, aber es dürfte nicht schwerfallen, Der Mieter als Antizipation der gesamten Gang Stalking oder Group Stalking Mythologie zu lesen. Wie im modernen Internetmythos steht auch hier eine Person im Mittelpunkt, die vermeintlich von außen in den Wahnsinn getrieben wird, und bei der reale psychische Bedrohung und irreale Paranoia Hand in Hand gehen. In der Schilderung dieses Abgleitens in den Wahnsinn bedient sich Polanski fleißig bei Franz Kafka, ergänzt das ganze durch Hitchcock-Psychospielchen und entwickelt daraus einen sehr düsteren Hybriden aus pessimistischem Drama, Psychothriller und vagem, mysteriösen, surrealen Horrorfest. Damals von der Filmkritik äußerst negativ beurteilt gilt Der Mieter heute vollkommen zurecht als Klassiker des brutalen, erbarmungslosen Genrefilms.

Images [Robert Altman]

(Großbritannien, USA 1972)

New Hollywood Enfant Terrible Robert Altman hat in den 70er Jahren so manchen merkwürdigen, gegen den Strich des Genres arbeitenden Film verbrochen. Sein Thrillerdrama Images ist ohne Zweifel einer davon: Mit Stilmitteln der romantischen Tragödie, des Kammerspiels und der Persönlichkeitsstudie entwirft Images (im Deutschen unter dem Titel Spiegelbilder bekannt) einen komplexen Psychothriller, der permanent mit der Wahrnehmung seiner Protagonistin ein teuflisches Spiel treibt: Diese fühlt sich von Personen und Bildern ihrer Vergangenheit heimgesucht, geradezu verfolgt, flieht gemeinsam mit ihrem Mann vor diesen und muss schließlich in der irischen Einöde feststellen, dass es vor den eigenen Dämonen kein Entkommen gibt. Im Folgenden verschwimmen Traum und Alptraum, Realität und Wahnvorstellung mehr und mehr, bis der Film zu einem scheinbar unlösbaren Puzzle aus Gewalt, Angst und Paranoia wird. Im Gegensatz zu anderen Altman-Filmen gibt sich dieser hier ziemlich humorlos, versucht sich weniger an einer Genredekonstruktion als viel mehr an einer Genrerekonstruktion, um dessen eigentliches Wesen hervorzukehren. Dabei ist er bedächtig und zugleich eindringlich. Langsam webt er sein Netz wie eine Spinne, um im richtigen Moment zuzubeißen und seine Opfer (nämlich uns) zu lähmen und genüsslich zu verspeisen. Ein perfider, verworrener und gehässiger Geniestreich, und vielleicht der am meisten unterschätzte Altman-Film schlechthin.

Die Schwestern des Bösen [Brian De Palma]

(Großbritannien, USA 1972)

Will man so richtig gehässig sein, kann man behaupten, das Genre des Psychothrillers sei nur erfunden wurden, um all den Hitchock/Psycho-Epigonen einen Platz zu bieten. Zu den dreistesten Plagiatoren des Altmeisters gehört ohne jeden Zweifel Brian de Palma. In seinen Filmen scheint der Grat zwischen Hommage, Inspiration und Plagiat immer ein schmaler zu sein. Oft sieht man ein Augenzwinkern in seinem Zitatwahn, manchmal scheint sein Eklektizismus aber auch von einer gewissen Faulheit gesteuert. Wie auch immer, sein 1972er Thriller ist wohl der Film, der verschiedenste Hitchcock-Momente und -Motive am plausibelsten und zugleich unterhaltsamsten zu einem wilden Cocktail zusammenmixt, der extrem gut schmeckt. So gibt es ein wenig Psycho, ein wenig Das Fenster zum Hof, ein wenig Marnie und sogar ein bisschen Cocktail für eine Leiche. Das Ergebnis ist ein Psychothriller mit extrem albernem Plot rund um Persönlichkeitsspaltung, Hypnose und die Ohnmacht einer Protagonistin, die Zeugin eines schrecklichen Verbrechens wird. Aber die Inszenierung dieses Pulp-Flickenteppichs ist höchst exquisit: Mit Split Screens, einigen extrem psychedelischen Passagen und ner Menge Suspense gelingt es De Palma den wohl besten Hitchcock-Thriller, der nicht von Alfred Hitchcock stammt, zu inszenieren: Perfekt arrangiert und montiert, mit einem guten Gespür für die richtige Mischung aus Humor und Horror und einem kleinen und etwas größeren Plottwist, der dem Publikum den Teppich unter den Füßen wegzieht ist Sisters ein elegantes, Thrillervergnügen. Nicht originell, aber durch und durch großartig.

Magic – Eine unheimliche Liebesgeschichte [Richard Attenborough]

(USA 1978)

Den Schalk im Nacken hat auch Richard Attenboroughs Hybrid aus Serienkillerfilm und Psychothriller, Magic, in dem ein relativ junger Anthony Hopkins als Bauchredner eine merkwürdige Obsession zu seiner Bauchrednerpuppe entwickelt. Dabei spielt diese kleine, aber dennoch sehr solide inszenierte Geschichte geschickt mit diversen Genretropes, schaut bei Spuk und Fantasy vorbei, vermischt Mysteriöses mit Makaberen und wird so zu einem ausgesprochen kurzweiligen Vergnügen. Natürlich ist es vor allem die Präsenz der Puppe, die diesen gehässigen Trip in die dunklen Künstlerabgründe prägt. Aber auch Hopkins fasziniert mit seinem verklemmten, sehr britischen Charme, und seine Spielpartner – allen voran Ann-Margret – liefern eine ausgezeichnete Performance ab. Magic ist nicht der schrillste, originellste, wagemutigste Genrefilm des Jahrzehnts, aber im Gegensatz zu seinen Geschwistern gibt er sich keine Blöße, verzichtet auf übertriebene Stilmittel und wandelt so angenehm subtil und zugleich extrem unterhaltsam über die Ziellinie.

Taxi Driver [Martin Scorsese]

(USA 1976)

Der düsterste und pessimistischste Psychothriller der 70er Jahre und zugleich eine wütende Radikalisierung des New Hollywood Gedankens stellt Martin Scorseses Revengethriller Taxi Driver dar. Dieser lebt vor allem von der ungeheuren, von innerer Spannung getragenen, Performance von Robert De Niro, der als New Yorker Taxifahrer angewidert von den schmutzigen Seiten der Großstadt zu einem wahnsinnigen Racheengel wird. Taxi Driver ist ein bitterer Abgesang auf die urbane Gesellschaft in den 70er Jahren und eine radikale Abrechnung mit Protagonisten- und Antagonistenklischees. Gut und böse werden hier generell zur Disposition gestellt. Getragen von einer unerhörten Ambivalenz des Protagonisten darf sich das Publikum nie sicher sein, was richtig und was falsch ist. Dabei werden Einsamkeit, berechtigte Wut, ungezügelter Hass und Rachefantasien stets aufs Neue miteinander verwoben, bis die klaustrophobische Innenansicht nur noch aus verworrenen Schattierungen zu bestehen scheint. Neben De Niro begeistern auch Jodie Foster als junge Prostituierte und Harvey Keitel als heruntergekommener Zuhälter. Taxi Driver gehört zu den nihilistischsten Filmerlebnissen der Dekade, ein hässlicher, rauer Brocken, der mit dem Publikum genau so gnadenlos umspringt wie der Protagonist mit der Welt, in die ihn der Film hineingeworfen hat.

Diesen Film haben wir auch in unserem Podcast besprochen.

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Ferien in der Hölle [Ted Kotcheff]

(Australien, USA 1971)

Gut fünf Jahre vor Taxi Driver entstanden, ein wenig das ländliche australische Gegenstück zu dem urbanen amerikanischen Thriller, und in jedem Fall ein Geheimtipp des 70er Jahre Kinos ist der düstere, atavistische Thriller Wake in Fright von Rambo-Regisseur Ted Kotcheff. Im australischen Outback, zwischen Glücksspiel, Unmengen an Alkohol und toxischer Maskulinität wird ein einfacher Grundschullehrer mit den animalischen Abgründen des menschlichen Seins konfrontiert. Ferien in der Hölle (ein wirklich dummer deutscher Titel) ist so etwas wie Nietzsche in Filmform, ein aggressiver, atavistischer Trip, der Schicht um Schicht offenlegt, wie eine Gesellschaft erodiert, wie Menschen zu sich selbst finden, und dabei Seiten an sich entdecken, die besser verborgen geblieben wären. Mit einer staubigen und trockenen Bildsprache ist Wake in Fright lange Zeit schlicht urgründiger männlicher Exzess, der schließlich gegen Ende all seine verquere Leidenschaft, seine Verzweiflung, seine Hoffnungslosigkeit in Gewalt münden lässt. Diese richtet sich sowohl nach außen als auch nach innen und hinterlässt am Ende bloße Ermattung. Ferien in der Hölle ist ein konzentrierter Blick auf die Trostlosigkeit im ruralen Raum, und Zeugnis einer anscheinend verlorenen Männergeneration. Um so stärker, wenn man ihn gegen heutige Debatten um überholte Männlichkeitsbilder und Probleme von Männern im ländlichen Raum hält, und viele nach wie vor aktuelle Motive des Themas hier in dieser universellen Parabel wiederfindet.

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