Die besten Thriller der 70er Jahre für Hitchcock-Fans

Ja, ich weiß… so langsam wird es absurd mit den Subkategorien. Nennt es meinetwegen Schubladenwahn, aber so kommen wir dem Ziel nahe bei unseren Thrillerretrospektiven (fast) komplett ohne Nummerierung auszukommen. Also dann, ohne weitere große Rechtfertigung, die besten 70er Thriller für alle Liebhaber und Liebhaberinnen des Master of Suspense, Alfred Hitchcock. Dazu gehören natürlich logischerweise zwei herausragende Filme des Altmeisters, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Zum einen, Frenzy, eine sehr klassische Hitchcock-Mördergeschichte mit einem Protagonisten, der ohne eigene Schuld zum Gesuchten und Gejagten wird. Zum zweiten eine angenehm schwarzhumorige Mischung aus Noir Detektivgeschichte und Mysterythriller, Familiengrab, der möglicherweise zu den witzigsten Hitchcock-Filmen überhaupt gehört. Und dann gab es natürlich noch die großen Epigonen des großen britischen Regisseurs, allen voran Brian de Palma, der mit Schwarzer Engel wohl eine der dreistesten Vertigo-Kopien ever vorgelegt hat. Aber wenn die Originale rar sind, kann auch ein Plagiat äußerst glücklich machen. Anders verhält es sich mit dem Paranoiathriller Der Dialog, der aus traditionellen Hitchcockmotiven etwas völlig eigenständiges kreiert. Und wenn es noch ein bisschen mehr Paranoia sein darf, empfiehlt sich der düstere Politthriller Zeuge einer Verschwörung, der all jenen gefallen dürfte, die die klassischen Suspensethriller Hitchcocks schätzen, in denen Unschuldige von einem Ort zum anderen jagen und gejagt werden, während sie einem riesigen Komplott auf die Schliche kommen. Gemeinsamkeiten bei diesen Filmen zu finden, ist gar nicht so einfach; aber das fällt ja sogar bei Hitchcockfilmen selbst schwer. Also lassen wir noch einmal den Meister zu Wort kommen, der seine Prinzipien doch besser auf den Punkt bringen kann als jeder andere: „There is no terror in the bang, only in the anticipation of it.“ In diesem Sinne…

Frenzy [Alfred Hitchcock]

(Großbritannien 1972)

Nachdem Alfred Hitchcock zwei Jahrzehnte praktisch nur in den USA produziert hatte, kehrte er 1972 zur britischen Filmkultur zurück. Nicht nur was den Drehort London betrifft, sondern auch den gesamten Ton dieser großartigen Mördergeschichte, die als äußerst klassischer Hitchcock daherkommt. Im Mittelpunkt des Films stehen ein heruntergekommener Barkeeper, der verdächtig wird, ein Serienmörder zu sein, der eigentliche Mörder, ein perverser Blumenhändler, und zu guter Letzt der ermittelnde Kommissar, der alles gibt, um den wahren Verantwortlichen zu schnappen. Gesorgt ist damit für alles, was an Hitchcock Spaß macht: Wir haben den hilflosen Protagonisten, der permanent in Schwierigkeiten gerät, wir haben den kauzigen Killer, dessen Morde mit viel freudianischer Symbolik garniert werden, und wir haben den intelligenten aber immer etwas neben sich stehenden Ermittler. Frenzy ist eine großartige Mischung aus Psychothriller, Murder Mystery und Krimikomödie; very british, immer mit einem leichten Augenzwinkern, todernst, wenn es um die zentrale Handlung geht, mit viel Ironie auf den Nebenschauplätzen, Herzklopfen im Finale und rundherum einem perfekt arrangierten Plot. Der vorletzte Film Hitchcocks gibt uns noch einmal alles, wofür wir den Meister lieben: „A good film is when the price of the dinner, the theatre admission and the babysitter were worth it.“

Familiengrab [Alfred Hitchcock]

(USA 1976)

Und Tusch… der letzte Film des Altmeisters. Und vielleicht sein witzigstes Werk überhaupt. Family Plot ist eine wunderbar selbstironische Detektiv Noir Geschichte, kreuzt diese mit einer Menge klassischer Thriller- und Action-Momenten, fährt zwischendurch komplett auf der Screwball Comedy Schiene (wer hätte nach dem missglückten Mr. and Mrs. Smith gedacht, dass Hitchcock das draufhaben könnte)? und webt sogar noch ein paar Mystery- und Spiritismus-Elemente hinein. Familiengrab ist in seinem Eklektizismus ein für Hitchcock-Verhältnisse überraschend bunter und beschwingter Film, dessen makaberer, schwarzer Humor und gut aufgelegten Protagonisten für eine Menge Spaß und Unterhaltung sorgen. Dennoch funktioniert er auch als herausragender Thriller, der sich peu à peu von einem whodunnit-Plot zu einem mitreißenden Überlebenskampf entwickelt. Und noch ein Tusch… Der Meister verbeugt sich… der Vorhang fällt… und wir könnten nicht dankbarer sein. So long Mr. Hitchcock and thanks for all the thrills: „What is drama but life with the dull bits cut out.“

Schwarzer Engel [Brian de Palma]

(USA 1976)

Also, um eine Sache gleich klarzustellen, keiner von den Hitchcock-Epigonen kommt an das Genie des großen Vorbilds heran. Aber, in seinen besten Momenten ist der 70er Jahre Brian de Palma dem Altmeister verdammt nah. Auch wenn Schwarzer Engel (Originaltitel: Obsession) nicht ganz so gelungen eklektisch und unterhaltsam ist wie sein Thrillervorgänger Sisters, so trifft er doch ziemlich gut den Ton seines Vorbilds Vertigo: Erzählt wird die Geschichte eines Mannes, der von einem schrecklichen Verlust geplagt wird, eine mysteriöse Femme Fatale kennenlernt, dieser und seinem eigenen Wahn verfällt und schließlich einem düsteren Geheimnis auf die Spur kommt. Obsession ist teilweise zäh, teilweise zu melodramatisch, teilweise zu emotional und mit seinen Mysterien viel zu sehr over the top, aber genau deshalb macht er verflucht viel Spaß. Und auch wenn ihm, im Gegensatz zu Hitchcock, Ironie komplett abgeht, macht es wirklich Freude, ihn teils neugierig, teils ironisch zu schauen. Vielleicht will Schwarzer Engel manchmal zu sehr Drama, zu wenig Thriller sein, vielleicht ist seine konfuse Geschichte mitunter zu plump und naiv, aber in deren Inszenierung gelingen ihm wundervoll traumhafte Bilder zwischen Realität und Fiktion, zwischen Verlorenheit und Stärke. Fans von Vertigo dürften hier sehr glücklich werden; und ansonsten alle, die das melodramatische Moment Hitchcocks lieben und nichts dagegen haben, wenn dieses nach dem „Malen nach Zahlen“-Prinzip perfekt nachgestellt wird: „If you can’t do it naturally, then fake it.“

Der Dialog [Francis Ford Coppola]

(USA 1974)

Francis Ford Coppola ist natürlich viel zu gut, um bloß als Hitchcock-Epigone genannt zu werden. Und doch ist sein Paranoiathriller The Conversation ein merkwürdiger Transfer Hitchcock’scher Ideale in den Rahmen des New Hollywood. Die Themen sind Überwachung und Verfolgungswahn, es geht um einfache Bürger, die in einen Komplott hineingezogen werden, es geht um Überwacher und Überwachte, und es geht um Verrat und Mord. Der Altmeister wird ausführlich zitiert, am markantesten in einer Psycho-Reminiszenz, in der der Film gleichzeitig klar macht, dass er sich nicht als Hitchcock-Hommage versteht. Der vermeintliche Tatort, die Dusche, wird hier nämlich zur bloßen Ablenkung. Stil und Eleganz kennt diese Mordgeschichte keine, und so muss das Publikum nach kurzem Seitenblick zum Duschvorhang feststellen, dass das Blut aus dem Klo daneben nach oben gespült wird. Aber wie gesagt, nicht nur Coppola ist zu gut, um als Nacheiferer verstanden, auch der Film selbst ist zu gut, um bloß als Metakommentar rezipiert zu werden: Er ist das Drama, ist die Charakterstudie eines einsamen Überwachers, er ist das Mysterium einer konfusen, chaotischen Welt, er ist der paranoide Wahn einer misstrauischen, unsicheren Gesellschaft; eingebettet in einen Alptraum von einem Thriller, der genau weiß, wo er uns Wissen vorenthalten muss, um ein Maximum an Unsicherheit und Spannung zu erzeugen. Vielleicht sogar der beklemmendste Thriller des Jahrzehnts überhaupt: „Always make the audience suffer as much as possible.“

Zeuge einer Verschwörung [Alan J. Pakula]

(USA 1974)

Noch mehr Paranoia, noch mehr Hilflosigkeit des Protagonisten, noch mehr Kampf gegen diese Hilflosigkeit, und vielleicht sogar ein Anflug Hoffnung, den Komplott im Hintergrund aufdecken zu können. The Parallax View – so der Originaltitel – ist vor allem deshalb ein so böser und gehässiger Film, weil er uns immer wieder mit Optimismus lockt, weil er seinem Protagonisten – der einer Mordserie an Politikern hinterherforscht – immer genug Häppchen zuwirft, dass dieser glaubt der Lösung des Rätsels nahe zu kommen. Und wir, das Publikum, ahnen bereits, dass es eben doch nur Häppchen sind, dass sich Ungeheuerliches dahinter verbirgt, was wir nie ganz begreifen werden. Das ist das große Suspense-Erbe dieses Politthrillers, der immer nur partiell offenbart und dabei gerne das Wissen von Protagonist und Publikum miteinander ringen lässt. Das alles kulminiert in einer ebenso spannenden wie verstörenden Gehirnwäscheszene und zieht sich weiter bis zum gehässigen, bittersüßen Finale. The Parallax View ist eine kleine unterschätzte Perle des 70er Jahre Kinos, ein Politthriller, der lieber abstrakt, rätselratend, denn konkret politisch daherkommt, und dadurch umso spannender und mysteriöser wird: „A glimpse into the world proves that horror is nothing other than reality.“

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