Knives Out (2019) – Endlich mal wieder ein sehenswertes Murder Mystery Puzzle

Psst… Heh, du! Ja, genau du. Bist du nicht der riesige Agatha Christie und Arthur Conan Doyle Fan, der vor kurzem darüber jammerte, dass Krimis nicht mehr das sind, was sie mal waren? Ja, ja, ja, ich weiß. Es sieht derzeit ziemlich traurig aus auf dem Gebiet. Weder die Sherlock Holmes Serie noch die andere Sherlock Holmes Serie geschweige denn der Guy Ritchie Film konnten die Atmosphäre der großartigen Whodunit-Rätsel der Klassiker vernünftig einfangen. Und überhaupt, gibt es im Genre überhaupt noch was vernünftiges zu finden, wenn man Spaß am Rätseln hat? Wo sind sie, die verwobenen Miss Marple-, Hercules Poirot- oder Sherlock Holmes-Abenteuer? Die Geschichten an deren Beginn eine Leiche steht und ein Dutzend Verdächtige? Die Filme, in denen es jeder hätte sein können, und der aufmerksame Zuschauer am Ende triumphierend ausrufen darf: „Hah! Ich wusste es!“? Nichts mehr davon zu sehen! Die einzigen brauchbaren Murder Mystery Filme der letzten Jahrzehnte waren ausgerechnet die Slasher-Vertreter. Aber ganz im Ernst, wir wollen kein Blut, keine Gewalt und keinen Horror. Wir wollen einfach nur ein schönes Rätsel mit skurrilen Charakteren in gediegener Atmosphäre. Eine einzige Leiche reicht völlig, und ein intelligenter Detektiv beziehungsweise eine intelligente Detektivin. Den Rest sollen der Plot und unsere Spürnasen übernehmen. Psst… Ich habe hier was für dich, für uns: Knives Out (2019) von Rian Johnson, dem es vor 15 Jahren mit dem Neo Noir Thriller Brick, ja schonmal gelang, ein totgeglaubtes Genre zu reanimieren, ebenfalls ein Krimi-Subgenre, und ebenfalls mit der richtigen Mischung aus Tradition und Dekonstruktion. Da kann doch eigentlich nichts schief gehen…

Also dann, schauen wir doch mal, was Knives Out in seiner Jackentasche versteckt hat, was zu einem guten Murder Mystery Puzzle alles dazu gehört. Das wichtigste ist natürlich die Leiche eines ebenso schillernden wie verhassten Charakters. Hier langt Knives Out voll in die Archetypen-Schublade. Der Tote ist Harlan Thrombey (in seinen wenigen lebendigen Auftritten würdevoll gespielt von Christopher Plummer): Alt, reich, mächtig, eigensinnig, ein großer Krimiautor und Familienpatriarch, wie er im Buche steht. Damit kämen wir auch schon zum zweiten wichtigen Element: Die Verdächtigen. Wie es sich für einen ermordeten Patriarchen gehört stehen sämtliche Mitglieder der Familie an erster Stelle, wenn es um die Frage geht, wer ihn denn nun über den Jordan hat. Und auch hier hat Knives Out sichtlich Freude an Archetypen und Stereotypen und entwirft ein dekadentes, urkomisches Bild einer ebenso versnobbten wie moralisch verwahrlosten Familie. Von Stars und starken Charakterschauspielern verkörpert (Jamie Lee Curtis, Toni Collette, Chris Evans, Michael Shannon, um nur ein paar Namen zu nennen) hatte jeder auf der Verdachtsliste stehende sein persönliches Hühnchen mit dem verstorbenen Familienoberhaupt zu rupfen. Und jedes Mitglied dieser dekadenten Familie besitzt seine eigenen Macken und Zwielichtigkeiten: Natürlich gibt es die üblichen Golddigger, darüber hinaus aber auch Rebellen, Fanatische, Verzweifelte und sogar einen kleinen Nachwuchsnazi.

Als Drittes brauchen wir dann natürlich noch einen ausgefuchsten Ermittler, den wir in Form des herrlich stereotypen Privatdetektives Benoit Blanc (Daniel Craig) finden. Dazu gleich mehr. Und für ein wenig Identifikationspotential, für einen echten Sympathieträger sollte auch Sorge getragen werden, wenn das restliche Ensemble schon aus so skurrilen – meist unsympathischen – Figuren besteht. Diesen finden wir in Harlans Pflegerin Marta Cabrera (Ana de Armas), die mit der Unfähigkeit zu lügen verflucht ist (Tatsächlich muss sie sich jedes Mal übergeben, nachdem ihr eine Flunkerei über die Lippen gekommen ist). Zu guter Letzt braucht ein traditioneller Whodunnit-Krimi ein gediegenes Setting. Und oh ja, auch das hat Knives Out zu bieten. Das edle, pittoreske aber auch kitschige Anwesen des Opfers ist mindestens genau so verschlungen wie die erzählte Geschichte, geizt nicht mit Details und stilechten Nebensächlichkeiten. Die Geschichte selbst erzählt sich in zerfahrenen, aber immer nachvollziehbaren Rückblenden, springt gerne zwischen den Zeiten, um peu à peu die Konflikte innerhalb der Familie aufzudecken, den Zuschauer öfter in die Irre zu führen und immer wieder für überraschende Momente zu sorgen.

Aber, heh, wirst du sagen. Wo ist der Haken? Immerhin ist das Wort Dekonstruktion schon gefallen. Der Haken besteht darin, dass Regisseur Rian Johnson niemand ist, der sich auf den Lorbeeren seiner Vorbilder ausruht. So war er vor kurzem immerhin für den spannendsten, progressivsten Teil der neuen Star-Wars-TrilogieThe Last Jedi (2017) – verantwortlich. Und wie er in diesem mit dem großen Erbe spielte – und dieses dabei auch ganz gerne hinterlistig hinterging -, so verfährt er auch hier mit dem Miss Marple und Hercules Poirot Erbe. Da wäre zum einen die Tatsache, dass er seinen zuerst noch so intelligent und gewitzt scheinenden Ermittler immer wieder auflaufen lässt, seine Beflissenheit während der Ermittlungen karikiert und konterkariert. Oft scheint es so, als sei sein Benoit Blanc alles andere als ein übermenschlicher Detektiv, alles andere als ein zweiter Sherlock Holmes. Er macht Fehler, ist unaufmerksam, bringt seine Ermittlungen und sogar seine Zeugen in Gefahr und versteckt sich bei all dem hinter einer süffisant ausgespielten Fassade, die seine Inkompetenz aber nie so ganz verbergen kann. Weitaus folgenschwerer für dieses Murder Mystery Puzzle ist allerdings, dass uns der vermeintliche Täter ziemlich früh in der Handlung präsentiert wird. Bis auf wenige Details sind die Abläufe der verhängnisvollen Nacht ziemlich schnell klar, und die Frage im weiteren Filmverlauf ist dann auch weniger „Wer ist es gewesen?“ als viel mehr „Wie will sich die Story aus diesem Transparenz-Fiasko herauswinden?“. Genau diese Frage lässt du am besten erst einmal sein, denn dann kannst du eine äußerst vergnügliche, erquickende Komödie mit salzigem Dorfrichter-Adam-Slapstick und gerissenem ödipalen Humor erleben. Ja, im Mittelteil, wenn das ausgespielt wird, macht es Knives Out den Traditionalisten alles andere als leicht: Irgendwie wünscht man sich doch, noch ein bisschen rätseln, noch ein bisschen raten zu dürfen und nicht diesem merkwürdig eskalierten Plot folgen zu müssen. Lass dir gesagt sein, es wird wieder besser. Und das rabenschwarze, herrlich verschwurbelt konstruierte Ende entschädigt für so manchen dekonstruktiven Rausch im zentralen Teil der Handlung.

Dass sich dabei hier und da ein paar Logiklöcher, Plotholes und arg konstruierte Verknüpfungen auftun? Geschenkt. Knives Out bietet die perfekte Mischung aus Tradition und Erneuerung, ist ein Fest für jeden Fan Agatha Christies und eine äußerst elegante, gehobene Krimikomödie. Also lass dich nicht weiter zulabern. Ich denke du hast verstanden, dass du hier zugreifen solltest. So viel Spaß hat ein Mordfall schon lange nicht mehr gemacht. Aber Psst…

Ähnliche Filme