Die besten Giallo-Filme der 70er Jahre I
Wenn man von unheimlichen Genrekino der 70er Jahre sprechen will, muss man auch vom Giallo sprechen. Das bringt mich persönlich in eine äußerst unangenehme Lage. Die Traurige Wahrheit ist nämlich, dass ich alles andere als ein großer Fan des italienischen Thriller- und Horrorkinos der 70er Jahre bin. Mein Weg zum Giallo führte, wahrscheinlich ähnlich wie bei vielen anderen nach 1970 geborenen, über Dario Argentos Suspiria. Und dieser Film ist, man kann es nicht anders sagen, ein verfluchtes Meisterwerk des damaligen Horrorkinos. Umgehauen von diesem Hexenhorrortrip erfuhr ich, wahrscheinlich ähnlich wie viele andere vor mir, voller Begeisterung, dass es ein ganzes Genre für diese Art von Film gibt. Wahrscheinlich ähnlich wie viele andere vor mir habe ich mir dann den erstbesten Giallo-Film geschnappt, um wahrscheinlich ähnlich wie viele andere vor mir äußerst enttäuscht vor einem halbgaren Murder Mystery Thriller, irgendwo zwischen Edgar Wallace und Alfred Hitchcock für Arme zu sitzen. Ja, das Giallo-Genre ist breit und facettenreich, dominiert wird es aber ohne Frage von sehr klassischen Whodunnit-Thrillern, die sich primär durch ihren verstärkten Einsatz von Blut und grenzwertiger Exploitation von den Genregeschwistern abheben. So zum Beispiel Dario Argentos Prototyp des 70er Jahre Giallo Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe. Und sorry, so leid es mir tut, diese Art von Film langweilt mich einfach. Insofern ist diese Liste – und die Folgende – mit einem großen Disclaimer versehen: Ich bin kein Giallo-Fan! Wenn ich Giallo-Filme mag, dann, weil sie vom Genre abweichen, oder in dem Genre etwas neues versuchen, was die Tradition unterwandert. In der ersten Giallo-Liste sind dies neben dem bereits erwähnten Suspiria vor allem Profondo Rosso, der schräger und artifizieller daher kommt als die traditionellen Giallos, und The Child – Die Stadt wird zum Alptraum, der den entgegengesetzten Weg geht, und anstatt beim Horror bei einer introspektiven Tragödie ankommt.
Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe [Dario Argento]
(Italien, 1970)
Dario Argento, die Erste: Auch wenn ich kein Fan klassischer Giallothriller bin, muss Dario Argentos Giallo-Debüt L’uccello dalle piume di cristallo an dieser Stelle doch erwähnt werden. In meinem Herzen werde ich ohnehin immer einen Soft Spot für Argento haben, der in den 70ern wie kein anderer Regisseur dem damals eigentlich schon ziemlich breitgetretenen Genre zu neuen Höhenflügen verhalf. Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe ist dabei wie die anderen beiden Filme der Tier-Trilogie ein traditioneller Giallo, wie er im Buche steht: Ein Whodunnit-Plot um einen Ermittler, der eher unfreiwillig in die düsteren Geschehnisse hineingezogen wird, falsche Spuren und Fährten, die den Zuschauer austricksen wollen, von Hitchcock entliehene Suspense-Prinzipien, angereichert mit Blut und einigen (mitunter auch fragwürdigen) Exploitation-Momenten. Argento weiß aber bereits hier, wie er seine Mördergeschichte darüber hinaus fesselnd inszenieren kann: Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe besitzt eine Vielzahl surrealer, mystifizierter Momente, er arbeitet mit schwindelerregenden Kamerafahrten und einem teilweise schrillen, apokalyptischen Stil. Die Handlung mag zwar dünn, die entscheidenden Plottwists etwas sehr konstruiert sein, aber stilsicher ist Argento dabei immer. Nicht mein liebster Film des legendären Regisseurs, nicht mein liebster Giallo, aber der traditionellste Giallo, dem ich noch was abgewinnen kann. Wer hieran Freude findet, darf ohne Bedenken auch zu den beiden anderen Teilen der (lose verbundenen) Tier-Trilogie – Die neunschwänzige Katze (1971) und Vier Fliegen auf grauem Samt (1971) – greifen.
Rosso – Farbe des Todes [Dario Argento]
(Italien 1975)
Dario Argento, die Zweite. Hätte ich doch nur nach Suspiria diesen Film gesehen und nicht irgendeinen randomisiert gegriffenen Giallo (bei dem ich mich weder an Handlung, Titel noch Regisseur erinnern kann)… Vielleicht wäre ich dann doch zum Liebhaber des Genres geworden. Profondo Rosso ist der erste Schritt Argentos raus aus den Grenzen des Genres, hin zu einem Stil, der eine ganz eigene, superbe Note besitzt: Ja, auch hier scheinen die klassischen Giallo-Trademarks vorhanden: Ein mysteriöser, anonymer Killer, ein klassischer whodunnit Plot mit einem unfreiwilligen aber überengagierten Ermittler, viel Blut, ein wenig nackte Haut. Wie gehabt, möge man meinen. Und dann zieht der Film so richtig an, wird laut, schrill, geradezu überbordend, spart nicht an skurrilen, unheimlichen, schrägen Figuren, inszeniert seine Gewalt mit der Leidenschaft eines Poeten, eines Künstlers, der mit roter Farbe umherwirbelt, badet sich im Spirituellen und Mystizistischen (unterlegt von dem groovigen Progressive Rock Goblins), und wirft eine Menge lauter Horrormomente in die Arena. Profondo rosso ist ein überspitzter Alptraum von einem Slasher, so als hätte jemand Psycho mit viel Pulp und bunter Farbe neu entworfen, so als hätte jemand Suspense als Herausforderung gesehen und hier die Antwort geliefert. Vielleicht sogar der beste Film, den Dario Argento je gedreht hat.
The Child – Die Stadt wird zum Alptraum [Aldo Lado]
(Italien, Deutschland 1972)
Dass man das Genre auch auf ganz andere Art unterwandern kann, beweist Aldo Lados Chi l’ha vista morire?, international vor allem unter dem Titel Who Saw Her Die? bekannt. Dieses Giallo-Drama ist weder laut noch schrill, besitzt keinerlei Mystery- und Horrorelemente und hält sich auch mit dem Surrealen zurück. Stattdessen ist er so nah am klassischen Drama dran, wie es nur irgendwie geht: So übernimmt er zwar – wie viele andere Giallo-Filme – die Werkzeuge der Hitchcock’schen Suspense, insbesondere in nervenaufreibenden POV-Szenen des Mörders, transferiert sie allerdings in einen melodramatischen, fast schon melancholischen Blick, der so gar nicht zu dieser grausamen Mördergeschichte passen will. Aber auch die Geschichte selbst kommt trotz traditionellen Murder Mystery Plots weniger als Krimi oder Thriller daher, als man auf den ersten Blick vermuten könnte. Stattdessen liegt der Fokus auf Themen wie Tod, Trauer und Verzweiflung, es geht um die Ohnmacht des Menschen im Angesicht des Verlustes, um Trauerbewältigung und -Überwindung, atmosphärisch ganz dicht dran an Filmen wie Nicolas Roegs Wenn die Gondeln Trauer tragen, und damit eine angenehm subtile, introspektive, wenig exploitative Variante des Giallo-Thrillers.
Suspiria [Dario Argento]
(Italien 1977)
Dario Argento, die Dritte. Es scheint eine bittere Ironie der Geschichte des Giallo zu sein, dass sein berühmtester Vertreter ausgerechnet der Film ist, der am wenigsten in die Nische passt. Ja, es lässt sich vorzüglich darüber streiten, ob das Horrorballett Suspiria überhaupt ein Giallo ist oder nicht viel mehr übernatürlicher Horror, Gore Musical, fantastischer Thriller, oder gleich sein eigenes Genre begründet. Immerhin lässt sich festhalten, dass es auch hier die traditionellen, dem Genre immanenten anonymen Killer gibt, auch hier finden wir den schrillen Suspense der Giallos, auch hier gibt es eine Menge Blut und exploitative Momente. Gleichzeitig ist Suspiria der Film, der den Giallo transzendiert, indem er auf irdische, psychologische Motivik verzichtet und sattdessen das Übernatürliche in Form von Hexen und dämonischen Mächten in das Genre wirft, indem er das Mythologische Moment des Genres überspitzt, indem er das, was in anderen Giallo-Filmen Traum ist, Realität werden lässt. Wo andere Giallos sich mit vagen, surrealen Andeutungen begnügen taucht Suspiria tief ein in seine fantastische Welt und lässt keinen Zweifel daran: Magic is everywhere! Achja, das gleichnamige Remake Suspiria (2018) von Luca Guadagnino ist auch durch und durch sehenswert.
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