Die besten Vampirfilme der 70er Jahre II

Und weiter geht es mit den besten Vampirfilmen der 70er Jahre. Auch dieses Mal mit eher traditionellen Variationen des Dracula-Stoffes, vertreten durch den sehr klassischen Universal-Monster-Film Dracula und Werner Herzogs Hommage an den Murnau-Klassiker Nosferatu – Phantom der Nacht. Auch dieses Mal wieder mit schwülstigen Gruselmärchen an der Schwelle zwischen Horror und Erotik, vertreten durch den heißblütigen Erotik-Horrorfilm Vampyres und den Softcore Mysterystreifen Lèvres de Sang, sowie den deutschspanischen Fiebertraum Vampyros Lesbos. Und last but not least auch dieses Mal mit einer eiskalten Dekonstruktion des Genres, vertreten durch Martin vom Zombiefilm-Virtuosen George A. Romero.

Dracula [John Badham]

(USA, Großbritannien 1979)

Die wildesten, frivolsten, surrealsten und blutigsten Dracula-Verfilmungen mögen aus anderen Ländern und Kontinenten stammen, was Production Value und Production Design betrifft, haben aber doch die großen Amerikaner von Universal die Nase vorn. John Badhams Dracula ist ein Quasi-Remake des klassischen Universal Monsterfilms Dracula (1931) mit Bela Lugosi, und auch wenn er dessen Intensität nicht ganz erreichen kann, so ist er wohl doch der solideste, sauberste und am wenigsten trashige Vampirfilm der 70er Jahre. Universal weiß einfach, wie man straight forward eine spannende Horrorgeschichte erzählt. Hier gibt es keine Albernheiten, keine merkwürdigen Plot Holes, keinen Exploitationschund sondern eine äußerst gediegene Variation des Bram Stoker Stoffes, die ihren Bösewicht (herausragend gespielt von Frank Langella) zum schaurigen Epizentrum des Geschehens macht. Das mag dann im Vergleich zu den bissigen Hammer-Produktionen oder zu den experimentellen Blaxploitation- und Erotikvariationen des Genres etwas bieder wirken, dafür aber ist es (neben dem britischen Count Dracula zu Beginn des Jahrzehnts) der Film, der den Geist der viktorianischen Vorlage am gekonntesten einfängt, ohne auf eigene Ideen und Spitzen zu verzichten. Dazu gehört ein manieriertes Spiel des Grafen mit der von ihm unterwanderten Gesellschaft, ein herausragender Einsatz von Licht und Schatten und eine für Universal ungewöhnlich surreale sowie psychedelische Paarungs- und Vermählungsszene im Zentrum des Films. Originalitätspreise wird dieser Graf dennoch nicht gewinnen, dafür überzeugt er aber in allen technischen, ästhetischen und narrativen Belangen und ist wohl die professionellste Blutsaugermär der Epoche.

Nosferatu – Phantom der Nacht [Werner Herzog]

(Deutschland, Frankreich 1979)

Quasi-Remake die zweite. Fritz Murnaus Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens (1922) ist nicht nur ein Klassiker des expressionistischen Stummfilms sondern auch einer der berühmtesten Horrorfilme überhaupt. Mit dem Phantom der Nacht kreiert die Regie-Legende des Neuen Deutschen Films Werner Herzog seine ganz eigene Verbeugung vor dem großen Vampirfilm-Klassiker: In vielen Momenten, nicht nur was Text sondern auch was Bildkomposition betrifft, orientiert er sich eng an dem Stummfilm-Meisterwerk, rekreiert mit den Mitteln der 70er den Zauber des expressionistischen Films, das Spiel mit Licht und Schatten, mit Wirklichkeit und deren Verzerrung. In anderen Momenten jedoch bricht er dessen Erbe brutal auf, indem er die Murnau’schen Topoi nimmt und radikalisiert. Wenn im 70er Jahre Nosferatu eine Krankheit wütet, dann ist es eine richtige, alles zermalmende Krankheit. Wenn im 70er Jahre Nosferatu eine Fehleinschätzung Van Helsings für Leid sorgt, dann ist dieses Leid universal und bedeutet Verderben für die ganze Menschheit. Und wenn Dracula der wandelnde Tod ist, dann ist das in dieser Interpretation wörtlich zu nehmen: Klaus Kinski ist als Fürst der Finsternis die pure Verkörperung von Elend und Pestilenz, von Blut und Verdammung. Ein menschgewordener Alptraum, von seinem liebsten Feind Herzog perfekt in Szene gesetzt.

Vampyres [José Ramón Larraz]

(Großbritannien 1974)

Im Grunde genommen funktionieren viele Lesbian Vampire Horror Movies nach der selben Formel. Unschuldige Frau wird von heimtückischer, verführerischer Vampirin umgarnt und schließlich auf die dunkle Seite gezogen. Obwohl Vampyres von seiner ganzen Ästhetik ein sehr klassischer Vampire Horrorflick ist, funktioniert er an einer entscheidenden Stelle anders. Das vampirische Paar ist hier von Anfang an zusammen, und ihre Beziehung ist nichts, was durch Lug und Verführung entstehen muss, sondern eine sehr genuine, ja man könnte fast sagen gesunde Partnerschaft, die stärker ist als der Tod oder das Untotsein der beiden. Das mag trivial klingen, genau in dieser Abweichung jedoch erlaubt Vampyres seinen Protagonistinnen viel Raum zur persönlichen Entfaltung, so dass er trotz viel nackter Haut und vieler Softcore-Szenen nie zur billigen Fleischschau verkommt. Seine zweite Stärke ist die krasse Kontrastierung der lieblichen Erotik mit (alp)traumartigen Sequenzen und brutalen Mordszenen. Im Gegensatz zu anderen Filmen des Subgenres wird das Morden hier nämlich nicht erotisiert, ganz im Gegenteil: So viel Blut und Gewalt gibt es in dem Genre sonst nur selten zu sehen, das animalische Brutalität gerne für die erotischen Schauwerte opfert. Hier darf diese Brutalität als radikaler Kontrast dienen, verwirren, verstören und die Zerrissenheit der beiden Blutsaugerinnen in atavistische Szene setzen. Dadurch hat Vampyres eine deutlich höhere Intensität als seine Genre-Schwestern, ist mitreißend, spannend und gerne auch schockierend, trotz aller soften Erotik, trotz aller Formelhaftigkeit trotz des dem Genre immanenten Schund- und Trashfaktors. Definitiv ein sehenswerter Vampirfilm, wenn auch in erster Linie für ein Publikum, das mit dieser speziellen Nische vertraut ist und an dessen spezieller Mischung aus Opulenz, Erotik, Gewalt und Horror seine Freude hat.

Vampyros Lesbos – Erbin des Dracula [Jess Franco]

(Deutschland, Spanien 1971)

Wer hätte gedacht, dass der experimentellste Lesbian Vampire Flick ausgerechnet aus Deutschland kommt. Vampyros Lesbos verzichtet im Gegensatz zu allen anderen Filmen der Nische fast komplett auf das Erbe des Gothic Horrors: Statt pittoresker, edler Settings, zeigt er eine moderne Welt zwischen Stadt, Strand und minimalistischen Bühnendekors, statt einer kalten, herbstlichen Atmosphäre, besitzt er ein südliches, sommerliches Timbre, und statt schwülstiger, orchestraler Horrormusik pendelt sein Score zwischen Jazz, Funk und Krautrock. Vampyros Lesbos ist die fiebrige, wilde, anarchische Vertreterin des Subgenres, arbeitet statt mit klassischem Grusel mit den ästhetischen Mitteln der Avantgarde, des Giallo und des Pop Andy Warholscher Prägung. In ihr verschwimmen Traum und Realität, Show, Revue und Gruselgeschichte. Sie ist Avantgarde und Hippie, Summer of Love und Summer of Terror, irgendwo zwischen Trash, hitzigem Softcore Exploitation und experimenteller, artifizieller Installation. Verführerisch und akademisch zugleich, hypnotisch und animalisch, freudianisch und surreal, relaxed und wild. So ein bisschen eine Party, bei der man selbst nicht so genau weiß, worauf der Abend hinausläuft, aber bei der man sich stets sicher sein kann, das alles was passiert – was auch immer es ist – einen Riesenspaß machen wird.

Lèvres de Sang [Jean Rollin]

(Frankreich 1975)

Puh… irgendwie gehört Jean Rollin hier nicht so richtig rein. Also nicht, weil sein Lèvres de Sang nicht gut oder faszinierend wäre, sondern viel mehr, weil dieser Vampirstreifen so fern ab vom Horrorgenre ist, wie es nur irgendwie geht. Während Vampyres und Vampyros Lesbos sich eindeutig zwischen Horror und Erotik platzieren und beiden Momenten exploitativ Raum geben, platzieren sich Rollins blutige Lippen auf ganz obskure Weise irgendwo zwischen Mystery, trashiger Erotik-Exploitation und verträumtem Drama. Rollin ist kein Unbekannter auf diesem Gebiet, gestaltet er doch schon seit den 60er Jahren Filme, die irgendwo zwischen Kunst und Kitsch, Porno und Genrekino oszillieren, ohne sich irgendwelchen Gesetzen ihrer Genres zu unterwerfen. Lèvres de Sang sticht vor allem deshalb aus den erotischen Vampirfilmen der 70er Jahre so heraus, weil er das Schaffenscredo Rollins tief verinnerlicht hat: Er will ein sinnlicher, betörender und meditativer Film sein. Er will wenig denken und stattdessen vor allem fühlen. Er will nicht erschrecken und schockieren, sondern vereinnahmen und erotisieren. Entsprechend ist die Geschichte ziemlich dünn, Horror gibt es so gut wie gar keinen, dafür aber viel nackte Haut und romantische Sentimentalität. Aber dieser Film hat auch etwas… gerade auf seiner sinnlichen Ebene, die schamlos mit ihrem Blick über die nackten Körper der weiblichen Vampire wandert, mit ihrem süffisanten, dekadenten Tonfall… mit ihrem leichten, irritierenden Surrealismus… mit ihrem verschroben verträumten „Ich bin ein Film für kleine Jungs“-Habitus… mit ihrem traumwandlerischen, kauzigen Blick auf das Genre. Lèvres de Sang ist kein guter Horrorfilm, weil er einfach kein Horrorfilm ist. Auch kein Thriller, keine Gruselgeschichte. Am ehesten fällt er wohl in den Bereich „Aufreizende mysteriöse Erotik“, für diesen wiederum ist er dann aber sehr edel, gehoben und stilsicher. Achja, der auf Drängen des Studios parallel entstandene – aus Szenen dieses Films und expliziten Sexszenen zusammengeschnittene – Hardcore-Streifen Suce Moi Vampire ist ein reiner Porno und hat nichts mehr mit diesem Film gemein.

Martin [George A. Romero]

(USA 1977)

Der ungewöhnlichste, dekonstruktivistischste Vampirfilm der 70er Jahre stammt aus der Feder von George A. Romero, der eigentlich eher für seine Zombie-Dystopien bekannt ist. Wer daher einen Schocker voll Gore und Splatter erwartet, dürfte ziemlich überrascht sein, wie trocken und naturalistisch sich Romero dem Thema nähert. Sein Vampir ist kein mythologisch überhöhter Blutsauger sondern ein durch und durch kranker Mensch, der das Fantastische des Topos komplett hinter sich gelassen und für die klassischen Tropes des Genres nur Spott und Häme übrig hat. Martin ist im Grunde genommen ein Anti-Vampir, sein Blutdurst ist nicht essentialistisch sondern pathologisch, seine Morde sind nicht die eines charismatischen Fürsten, sondern die eines instabilen Teenagers. Der Film ist deutlich mehr Slasher oder Psychothriller denn Gothic Grusel oder übernatürlicher Horror. Gerade mit dieser Attitüde unterminiert und reflektiert Martin das Genre, befreit es ostentativ von allem spirituellen Ballast und entkernt es bis zu seinem grausamen Zentrum. Ein düsterer, pessimistischer – so noch nicht gesehener – Beitrag zum Vampirismus und damit der perfekte Endpunkt für ein wildes Jahrzehnt und bereits eine Antizipation der Horrormomente des 80er Jahre Kinos.

Ähnliche Artikel