Die besten Erotikfilme der 70er Jahre III
Auf zur letzten 70er Erotik-Topliste, bevor wir einen Blick auf das erotische Kinojahrzehnt generell werfen, zu dem es weitaus mehr zu schreiben gibt, als die Bestenlisten hergeben (was vor allem daran liegt, dass das Gros der 70er Erotikfilme nichts in einer Bestenliste zu suchen hat). Auf dieser Bestenliste begegnen wir mit Die Geschichte der Abe Sada wieder dem erotischen Anti-Märchen der Geisha, die sich auf eine leidenschaftliche Affäre mit ihrem Vorgesetzten einlässt. Diese wird hier ganz anders aber nicht weniger erotisch erzählt als im bereits in der vorherigen Bestenliste erwähnten und gelobten Im Reich der Sinne. The Other Cinderella hingegen wandert auf den Pfaden des Porno Chic Musical-Klassikers Alice in Wonderland, und versucht Fantasy, Märchen und Musical mit einem Softcore-Setting zu vermählen. Ganz anders wiederum sind die Frühwerke der legendären Regisseurin Catherine Breillat. Sowohl Une vraie jeune fille als auch Tapage nocturne schwanken zwischen bizarrem Blick auf sexuelle Begierden, intellektueller Diskursanalyse und verquerer Erotik; und das alles aus dezidiert weiblicher Perspektive. Deutlich traditioneller schließt die Liste mit Bleib wie du bist, der vor allem eine Bedienung von 70er Jahre Altherrenfantasien ist, dies aber deutlich zielsicherer und ironischer macht als viele Filme ähnlicher Art davor und danach.
Die Geschichte der Abe Sada [Noboru Tanaka]
(Japan 1975)
Das tragische Schicksal von Noboru Tanakas Film über eine Geisha, die sich in einer leidenschaftlichen Affäre verliert, ist, dass nur ein Jahr nach seiner Veröffentlichung der selbe Stoff noch einmal verfilmt werden sollte. Und wie es das Schicksal so will, war der zweite Film mit dem selben Thema – Nagisa Oshimas Im Reich der Sinne – derart provokant, kraftvoll und kontrovers, dass sich zumindest im Westen in der Folge nur noch über diesen Film unterhalten wurde. Das ist mehr als ungerecht. Denn auch wenn Tanakas Take auf die moderne Sex and Crime Story bei weitem nicht so überwältigend und gewaltig ist wie Oshimas Werk, so besitzt dieser doch ganz andere Qualitäten. Wo Im Reich der Sinne unterkühlt, extrem und brutal ist, ist die Erzählung und Inszenierung in Die Geschichte der Abe Sada deutlich sinnlicher, wärmer, liebevoller und intimer. Im Gegensatz zu seiner jungen Schwester gibt es hier keine Hardcore-Szenen, keinen Flirt mit dem Pornogenre, sondern klassische japanische Softerotik mit einem Hauch Historical Period Drama. Bei der Frage, wer mehr Eindruck hinterlassen hat, dürften wohl alle auf die Konkurrenz zeigen, dieser leise, zurückhaltende Zugang zu der düsteren Sexgeschichte besitzt aber so viel Liebe, Romantik und Zärtlichkeit, dass er deutlich mehr Beachtung verdient, als er damals wie heute erhalten hat.
Cinderella [Michael Pataki]
(Großbritannien 1977)
Und noch so ein Kandidat, der im Schatten von größerer Konkurrenz steht. Wenn es um die Pornoisierung klassischer Märchen- oder Disneystoffe geht, dürfte den meisten als erstes Alice in Wonderland in den Sinn kommen. Dessen putzige Kombination aus Porn, Musical und kunterbuntem Märchen für Erwachsene kann The Other Cinderella (so der Originaltitel) nicht ganz erreichen, aber er bemüht sich redlich im Softcore-Bereich ähnlich versponnen, verspielt und opulent vorzugehen. Das Ergebnis ist ein alberner, infantiler, bunter und vor allem weichgezeichneter Trip in eine softerotische Märchenwelt, die mal als Musical, mal als psychedelischer 70’s Exploitation, mal als infantiler Sexfilm für kleine Jungs daherkommt. Gott sei Dank nimmt sich der Streifen dabei nie zu ernst, ist sich stets bewusst, wozu er das Grimm’sche Erbe hier ausnutzt, und macht so bei allen Schwächen und Dreistigkeiten eine Menge Spaß. Vielleicht nicht der richtige Film, um in Stimmung zu kommen, dafür aber ein schönes Schaufenster zu einer quirligen, verqueren Erotikfilmepoche. Und, unter den albernen, plumpen Erotikverwurstungen der Zeit immer noch einer der schicksten und galantesten.
Ein Mädchen [Catherine Breillat]
(Frankreich 1976)
Ob es sich bei Catherine Breillats Une vraie jeune fille überhaupt um einen Erotikfilm handelt, darüber lässt sich vorzüglich streiten. In erster Linie ist die Geschichte eines Mädchens, das seine Sexualität entdeckt, eine klassische Coming of Age Story, die Freude und Leid des Teenagerdaseins durch die Teenagerperspektive betrachtet. Selten jedoch geschieht dies derart sexualisiert wie in Breillats Geschichte, die permanent zwischen Realismus und bizarrer Fantasiewelt pendelt. Realistisch ist, wie hier der Alltag der Adoleszenz dargestellt wird, mit all dem Dreck, all den Peinlichkeiten, all den absurden Momenten, die sonst viel zu oft ausgespart werden. Fantastisch wird es, wenn Une vraie jeune fille die Grenzen zwischen Traum und Realität aufhebt, nicht nur die Wahrnehmung seiner Protagonistin betrachtet, sondern auch das Unausgesprochene, nicht Wahrgenommene, das Unbewusste und Unterbewusste; wenn er in den Geist des Mädchens eintaucht und in ihm verloren geht. Breillats Blick auf die Jugend ist düster aufgeladen, manchmal akademisch, zumeist aber auch gnadenlos physisch, voller bizarrer Lust und Begierde steckend. Sexualität ist hier omnipräsent, in jeder Tätigkeit, in jeder neuen Entdeckung, in jeder neuen Erfahrung. Vielleicht nicht immer die erotischste Form von Sexualität, dafür aber eine echte, immersive und oft auch einfach ehrliche Form. Kein Erotik- sondern viel mehr ein Sexualitätsfilm, vielleicht sogar der einzige wirkliche Sexualitätsfilm überhaupt.
Bleib wie du bist [Alberto Lattuada]
(Italien 1978)
Alberto Lattuadas Così come sei ist das genaue Gegenteil von Catherine Breillats Genreaufwühlung: Ein durch und durch traditionelles Erotikdrama der europäischen Schule, das irgendwo zwischen Arthaus und Altherrenfantasie pendelt. Böse gesagt ist er der Vertreter eines Genres, von dem es viel zu viele Filme im deutschen/italienischen/französischen Kino gibt: Alter Mann verliebt sich, beginnt Affäre mit einer deutlich jüngeren Frau, die ebenso gut seine Tochter sein könnte (manchmal, wie auch in diesem Fall im wortwörtlichen Sinne). Ein wenig Romantik, ein wenig Sex, und viel Bedürfnisbefriedigung für das mittelalte, männliche Bildungsbürgertum. Dennoch hebt sich Bleib wie du bist in so mancher Hinsicht von seinen lüsternen Genregeschwistern ab. Da wäre zum einen die Schauspielleistung. Arthaus-Dauergast Marcello Mastroianni spielt seinen gealterten Protagonisten wie immer mit einer unnachahmlichen Kombination aus Würde und Lächerlichkeit, aber auch Nachwuchstalent Nastassja Kinski (Tochter von Klaus Kinski) fasziniert als ambivalente Protagonistin, die trotz ihres jugendlichen Sex Appeals nie zu sehr in den Archetyp der Lolita oder Femme Infantile abgleitet. Dazu kommen so manche ästhetische Spielereien, bis hin zur experimentellen Selbstreferenzialität, eine Menge skurriler Komik und eine gewisse Überlagerung der schmierigen Seiten des Sujets mit philosophischen und soziologischen Diskursen. Bleib wie du bist ist in seiner Traditionalität ein herrlich naiver Film, der über sich selbst, vor allem aber auch über seinen lüsternen Protagonisten lachen kann, und die Midlifecrisis als schlüpfriges Abenteuer inszeniert. Um die Melange zwischen Arthaus, Erotik und Drama im europäischen Kino der 70er Jahre zu verstehen, gibt es wohl keinen geeigneteren Kandidaten.
Tapage Nocturne – Nächtliche Ruhestörung [Catherine Breillat]
(Frankreich 1979)
Ein wesentliches Merkmal des europäischen „intellektuellen“ Erotikkinos der 70er Jahre ist sein Blick. Dieser ist dezidiert männlich, praktisch immer. Egal ob Lattuada oder Fellini, im Zentrum stehen nicht nur männliche Protagonisten, es werden auch ausschließlich die Gelüste eines männlichen Publikums bedient, während die Frauen im besten Fall Projektionsfläche der Lust, im schlimmsten Fall einfach nur Objekt der Begierde sind. Catherine Breillats Erotikfilme gehören allein schon deshalb hervorgehoben, weil sie die weibliche Perspektive ins Zentrum rücken, und doch haben sich sowohl Zeitgenossen als auch spätere Kritik schwer getan mit ihrem 1979er Drama Tapage Nocturne: Zu selbstverliebt, zu diskursverliebt und vor allem zu misogyn waren die gängigsten Vorwürfe, letzterer vor allem von der feministischen Filmkritik, die in der Geschichte von einer sadomasochistischen Affäre eine Rechtfertigung für die Unterdrückung der Frau las. Tapage Nocturne ist wahrscheinlich der Film Breillats, dem am meisten Unrecht angetan wurde, der versteckte Qualitäten besitzt, die bis zum heutigen Tag nicht anerkannt werden: Tapage Nocturne ist eine verspielte und ironische Auseinandersetzung mit den sexuellen Kämpfen, die Menschen auszutragen haben, sowohl mit sich selbst als auch mit anderen. Er thematisiert die Gefahr der Repetition, die in der endlosen Lustbefriedigung steckt, eröffnet aber immer wieder Möglichkeiten, aus dieser Repetition auszubrechen. Das alles macht er bei weitem nicht so verzweifelt und düster, wie die Thematik nahelegen würde, sondern vor allem galant, mit Augenzwinkern, und einer gekonnten Art die omnipräsenten akademischen Diskurse entgleisen zu lassen. Bei aller Artifizialität ist Tapage Nocturne gar nicht mal so sehr intellektuell narzisstisch, sondern viel mehr verspielt, in dieser Verspieltheit auch manchmal grausam und bitter, aber immer für sein Sujet dar. Ohne diesen Prototypen – der übrigens an den Kinokassen komplett floppte und eine fast zehnjährige Schaffenspause von Breillat nach sich zog – wäre ihr 90er Jahre Meisterwerk Romance XXX undenkbar.
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