Die besten Erotikfilme der 70er Jahre I

Nachdem wir uns ausführlich den pornografischen Seiten der Dekade gewidmet haben, bleibt die Frage, wie es denn mit dem erotischen Kino in den 70er Jahren aussieht. Und wie schon beim Hardcore gilt auch beim Softcore: Licht und Schatten. Gerade in den 70er Jahren bedeutet dies, sehr viel Licht und sehr viel Schatten. Im Grunde genommen war dies ein großartiges Jahrzehnt für das erotische Kino. Viele wegweisende Genrebeiträge haben das Licht der Welt erblickt, und neben der Mainstreamisierung des Pornofilms gab es auch eine Pornografisierung des erotischen Films. Am deutlichsten wird dies wohl an Nagisa Ōshimas Meisterwerk Im Reich der Sinne, das ohne Übertreibung das Konzept „Unsimulierter Sex im Kinofilm“ auf ein ganz neues Level hebt. Aber auch dessen Nachfolger im Geiste, Im Reich der Leidenschaft, gelingt es, obwohl er auf die explizite Darstellung verzichtet, dem Genre zu neuen Höhen zu verhelfen. Obwohl nicht so grafisch in der Darstellung ist Bernardo Bertoluccis Der letzte Tango in Paris ebenfalls ein extremer Film, der wegen seiner drastischen Thematisierung von ungezügelter Leidenschaft in den 70ern und darüber hinaus für so manche Kontroverse gut war. Und trotzdem sind diese breit rezipierten Erotikfilme nichts gegen die Extreme, die der erotische Nischenfilm der damaligen Zeit zu bieten hat: Der japanische Anime Tragödie der Belladonna ist ein wilder Ritt zwischen Psychedelic, sexueller Gewalt und erotischer Lust, und der ungezügelte Porno Chic Film Bacchanale ist eine surreale Fiebervision zwischen Exploitation, Tiefenpsychologie und Pornografie.

Im Reich der Sinne [Nagisa Ōshima]

(Japan, Frankreich 1976)

„Der größte Porno aller Zeiten“ titelte die BZ und gab damit die Richtung vor, wie Nagisa Ōshimas Ai no korīda in der Folgezeit in Deutschland behandelt werden sollte. Erst zwei Jahre nach Veröffentlichung wurde das düstere Erotikdrama bei einer Revisionsverhandlung vorm Bundesgerichtshof vom Verdacht der Pornografie freigesprochen und ist seitdem allgemein auch hierzulande als echtes Kunstwerk akzeptiert. Dabei besitzt der Film in der Tat viele Ingredienzen, die auch Pornos auszeichnen. Sexszenen gibt es reichlich, und die gesamte Handlung schlängelt sich um deren exponierte Inszenierung. Die sexuellen Akte selbst sind größtenteils unsimuliert und werden explizit dargestellt: Vom Fellatio über Masturbation bis zum Koitus bekommt das Publikum alles zu sehen, was der Film in seinen Mittelpunkt rückt. Die Bilder sind Sex, das Thema ist Sex, die Geschichte ist Sex… Vielleicht trifft es dann aber doch eher das Urteil des Berlinale-Chef Ulrich Gregor. Dieser sagte: „Es ist der Porno, um alle Pornos zu beenden.“, und das ist Im Reich der Sinne in der Tat. Ein gewaltiges Panorama der menschlichen Leidenschaften, ein Kammerspiel, dass die sexuelle Beziehung einer Geisha zum Besitzer des Hauses, in dem sie arbeitet, erzählt, und diese sexuelle Beziehung peu à peu eskalieren lässt. Nagisa Ōshima geht dabei trotz der expliziten, grafischen Darstellung behutsam vor, lässt das Geschehen nicht einfach Richtung Perversion kippen, sondern zeigt, was ungefilterte Begierde mit dem Menschen anstellen können. Er ist dabei sowohl erotisch als auch tragisch, verbindet Ästhetizismus mit Horror, Psychologie mit reiner Körperlichkeit. Bis zum heutigen Tag fasziniert Im Reich der Sinne als Hybrid aus Porno, Erotikfilm und Drama, als Arthaus-Schwergewicht des Genres. Pornografisch? Ja. Kunst? Auf jeden Fall. Pflichtprogramm? Definitiv!

Im Reich der Leidenschaft [Ōshima Nagisa]

(Japan, 1978)

Obwohl es der Titel vermuten lassen könnte, ist Ōshima Nagisas direkter Nachfolgefilm weder eine Fortsetzung des Klassikers noch eine drastischere Schilderung und Darstellung des Themas Sexualität. Statt bei den erotischen Momenten eine Schippe drauf zu packen, tritt Nagisa auf die Bremse. Es gibt ebenfalls nackte Haut und Sexszenen, im Gegensatz zum Reich der Sinne wird hier allerdings nichts pornografisch inszeniert. Im Gegenteil, Im Reich der Leidenschaft bewegt sich in traditionellen softerotischen Gefilden und ist dabei auch weitaus weniger zeigefreudig als viele seiner Genregeschwister zu der damaligen Zeit. Dafür investiert Nagisa deutlich mehr in die Geschichte, die um dieses leidenschaftliche Tableau herum aufgebaut ist. Es geht nicht nur um sexuelle Leidenschaft, sondern auch romantische, es geht nicht nur um die bedingungslose Hingabe zweier Menschen zueinander, sondern auch um den Dritten, um Misstrauen und Verrat, um Verbrechen und schließlich sogar um Mord. Und irgendwann, irgendwie gelingt es Im Reich der Leidenschaft sogar eine Geistergeschichte zu erzählen. Dabei oszilliert er zwischen Drama, Historienfilm, Thriller, Gruselparabel und eben auch Erotikfilm. Ob letzteres überwiegt, ist schwer zu sagen, da sein Regisseur visuell so zurückhaltend agiert. Wenn es aber zu erotischen Momenten kommt, dann ist Im Reich der Leidenschaft höchsterotisch und ein Film, der seinen Titel durch und durch verdient. Vielleicht nicht ganz so stark wie der Vorgänger, aber ein weiterer Beweis von Ōshima Nagisas Talent, sinnliche Momente auf die Leinwand zu bringen.

Der letzte Tango in Paris [Bernardo Bertolucci]

(Italien, Frankreich 1972)

Und da haben wir auch schon den nächsten Skandalfilm, in diesem Fall nicht nur in den 70er Jahren sondern auch darüber hinaus. Bernardo Bertoluccis Erzählung von einer ebenso leidenschaftlichen wie toxischen Affäre einer jungen Frau mit einem zynischen, verbitterten, alten Mann gelang es bis in unsere Zeit für Gesprächsstoff zu sorgen: Sei es die Debatte um die Frage Kunst oder Pornografie zur Zeit seiner Veröffentlichung, sei es der angebliche Herzinfarkt eines Zuschauers, der auf so schockierende Darstellungen menschlicher Sexualität nicht vorbereitet war, sei es die feministische Kritik an dem Film, die insbesondere in den 80er Jahren Schwung aufnahm, oder sei es die jüngste Auseinandersetzung mit einer ziemlich markanten Vergewaltigungsszene und den schmutzigen Begebenheiten, unter denen diese zustande kam. Der letzte Tango in Paris trägt jedoch nicht nur Skandale in seiner Hosentasche, sondern ist auch ein epochales Kammerspiel, in dem sich Bertolucci mit den dunklen Seiten der sexuellen Leidenschaft auseinandersetzt. Partiell Altherrenfantasie, partiell aber auch Empowerment-Gemälde, partiell düsterer Schocker, partiell aber auch wunderschöne Sex-Collage ist Der letzte Tango in Paris in der Tat ein großer Wurf des erotischen und dramatischen Kinos. Ein Film, der nicht nur von seiner Körperlichkeit lebt, dessen psychologischen und soziologischen Beobachtungen aber immer direkt in Körperlichkeit umgesetzt werden. Kein leichter Film, kein Film frei von kritischen und problematischen Momenten, aber ein Film, der das erotische Kino über Jahrzehnte geprägt hat und auch heute noch einen Impact bei seinem Publikum hinterlässt.

Bacchanale – Die totale Erotik [John Amero]

(USA 1970)

Als ich die Liste der besten 70er Jahre Pornofilme, beziehungsweise der besten Filme des Porno Chic und Golden Age of Porn zusammengestellt habe, war mir irgendwie schon klar, dass diese Lücken enthalten würde. Es ist dann aber doch überraschend, wie schnell diese Wissenslücken zu Tage getreten sind. Bacchanale, den ich erst vor ein paar Tagen gesehen habe, ist fast so etwas wie ein Prototyp des Golden Age of Porn Films. Und eigentlich gehört auch eher in dessen Liste als zu den besten Erotikfilmen, obwohl – oder gerade weil – er, zwei Jahre vor dem Klassiker Deep Throat das Licht der Welt erblickte. Im Gegensatz zu Im Reich der Sinne besteht hier kein Zweifel daran, dass er in erster Linie Porno und Sexfilm und nur in zweiter Linie Kunst ist… Vielleicht auch erst in dritter oder vierter. Daneben ist er nämlich noch Grindhouse, Exploitation, Horror, Drogentrip… aber verdammt nochmal, er ist auch Kunst! B-Movie-Regisseur John Amero nimmt hier das Genre auseinander, schneidet einen irren surrealen Trip zwischen Traum und Alptraum, zwischen Boschs Garten der Lüste und Dantes Inferno. Bacchanale ist der Meshes of the Afternoon, der andalusische Hund des Pornokinos: Düster, verstörend, surreal, manchmal schrill, manchmal quasiphilosophisch und dazwischen voll mit bizarrem Gerammel. Keine Ahnung, was das genau sein soll, aber ohne Zweifel einer der besten Pornos der Epoche, und dann doch so viel Kunst, dass er gut und gerne auch in dieser Liste hier stehen bleiben darf.

Tragödie der Belladonna [Eiichi Yamamoto]

(Japan 1973)

Und noch ein Film, bei dem die Frage gestellt werden darf, ob er überhaupt in diese Kategorie gehört. Belladonna of Sadness ist ein nicht oder kaum animierter Anime, ein Historiendrama, das aus aufeinanderfolgenden psychedelischen Gemälden zusammengesetzt ist. Er erzählt von einer vergewaltigten Frau, die mit der Hilfe eines phallischen Dämonen zu Macht und Einfluss kommt und die Möglichkeit zur Rache erhält. Stringent erzählen will er diese Geschichte allerdings nicht. Stattdessen reiht er surreale, abstrakte, aber auch grafische und explizite Bilder aneinander, er verliert sich in sinnlichem Ästhetizismus und befreit sich mit schockierender Direktheit. Kanashimi no Beradonna ist süß und tragisch zugleich, er ist abgedreht, aber auch leise, er leidet und befreit sich von diesem Leid. Über all dem schwebt eine nicht zu leugnende bizarre Erotik: Als würde die Yellow Submarine durch eine grüne Tür fahren und dabei mit einem Reich der Sinne kollidieren. Bunt, wild, schön, tragisch, explotativ, wild, verführerisch und düster passt Belladonna in keine Kategorie so richtig, ist aber genau das Richtige für alle Liebhaber des sinnlichen, ungewöhnlichen, ungewöhnlich sinnlichen Kinos.

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