Der deutsche Sexfilm der 70er Jahre und die biederen Seiten des erotischen Kinos

Um es kurz zu fassen: Oswalt Kolle und Alois Brummer sind schuld. Beide aus unterschiedlichen Gründen, mit verschiedenen Motivationen und in komplett unterschiedlichen Subgenres des erotischen Films. Aber beide haben die deutsche Filmgeschichte nachhaltig beeinflusst, beide haben stark daran mitgewirkt, dass in den 70ern ein regelrechter Hype um den deutschen Sexfilm ausgelöst wurde. Und dass die ästhetischen, dramturgischen und narrativen Positionen der beiden derart zentral für den deutschen Sexfilm der damaligen Zeit waren, führt dazu, dass dieser so aussieht, wie er aussieht… nicht besonders gut. Um gleich die nächste pointierte These rauszuhauen: Die Deutschen können keinen Sex. Zumindest nicht im Kino. Während in Frankreich durch Emmanuelle und Konsorten in den frühen 70ern ein Softerotik-Boom entstand, der sich stets um die Schönheit des erotischen Aktes drehte, während in den USA durch den Porno Chic im pornografischen Kino experimentiert, gelacht und gefeiert wurde, während die Italiener in ihren Giallo-Spätwerken und Exploitationfilmen Erotik mit Blut und Horror kreuzten, kommt der deutsche Sexfilm erschreckend bieder und ungelenk daher. Im Gegensatz zur südeuropäischen Konkurrenz gelingt es ihm nie, seine spießige Lüsternheit zu verbergen oder wenigstens in ein bizarres Spektakel zu verwandeln, im Gegensatz zur Konkurrenz aus den Nachbarländern gelingt es ihm nie eskapistisch, verführerisch und einfach nur schön zu sein. Und im Gegensatz zur Konkurrenz jenseits des Atlantik fehlt ihm jedes Gespür für Experimentierfreude und Ambition. Der deutsche Sexfilm der 70er Jahre ist wohl die dürftigste Ausgeburt des erotischen Kinos: Eine Okkupation der sexuellen Revolution durch den Schlager, eine Domestizierung der sexuellen Freiheit in einem traditionellen, konservativen Setting. Irgendwie immer noch wollüstig und schmutzig, vor allem aber langweilig, gefällig und bieder.

Oswalt Kolle ist Schuld. Und gleichzeitig ist er noch der Unschuldigste der Bande. Nein, mehr noch! Wäre er nicht von plötzlichem Erfolg seiner Filme überrollt worden, hätte es ihm vielleicht sogar gelingen können, aus dem deutschen Sexfilm mehr zu machen, als dieser in der Folgezeit werden sollte. Ende der 60er Jahre, im Zuge des studentischen Aufbegehrens gegen alte Autoritäten und der auch in Deutschland zaghaft erwachenden Sexuellen Revolution drehte der bereits zuvor durch sexuelle Aufklärungsschriften populär gewordene Kolle seine drei berühmtesten Filme: Das Wunder der Liebe I und II (beide 1968) sowie Deine Frau, das unbekannte Wesen (1969) gehören zu DEN Klassikern des Aufklärungsfilms. Genau genommen sind sie DER Aufklärungsfilm, und alles danach ist nichts weiter als die Wiederholung des gleichen Prinzips. Schaut man sich diese Filme heutzutage an, ist es kaum noch vorstellbar, für welchen Wirbel Kolles sexuelle Aufklärungsarbeiten damals sorgen konnten: In schlichtem schwarzweiß, mit unterkühltem akademischen Score, steril gerahmt von einem nüchternen, psychologischen Gespräch, die Nackt- und Sexszenen ständig unterbrochen von Kommentaren und Ansagen… Das Wunder der Liebe ist ein Film der seinem Publikum geradezu entgegenschreit: „Ich bin kein Sexfilm! Ich bin kein Porno! Ich zeige euch keine Erotik! Ich befriedige nicht eure Gelüste! Ich bin durch und durch ein didaktisches, pädagogisches Werk!“ Und dennoch hatte Kolle monatelang mit den Behörden zu kämpfen, diskutierte permanent mit der FSK und musste sich unter anderem dafür rechtfertigen, warum die Frau bei den dargestellten (natürlich simulierten) sexuellen Akten oben liegen darf. Insbesondere von konservativer und katholischer Seite wurde die Filme auch nach ihrer Veröffentlichung immer wieder angegriffen. Alles drehte sich um die Frage „Aufklärung oder Pornografie?“… und wie sollte es anders sein: Die Debatte und die Kontroverse sorgten für einen ordentlichen Hype. Kolles Filme waren verflucht erfolgreich. Natürlich nicht zuletzt auch weil sie im Gegensatz zu früheren Aufklärungsfilmen – wie dem im Auftrag des Gesundheitsministeriums gedrehten Helga – Vom Werden des menschlichen Lebens (1967) – deutlich zeigefreudiger und sinnlicher waren. Und das dürfte dann auch neben dem Skandal der primäre Grund dafür gewesen sein, dass ihn sich so viele Leute ansahen. Oswalt Kolles Motivation in allen Ehren: Kaum jemand hat seine Filme damals gesehen, um sich aufklären zu lassen. Es ging um nackte Haut und Sex, legitimiert durch den wissenschaftlichen, sozialpädagogischen Rahmen.

Jene von der Produktionsabsicht abweichende Rezeption sorgte für einen wahren Boom an naiven bis albernen, verklemmten bis die Möglichkeiten des Genres ausreizenden Aufklärungsfilmen. Wer die Skurrilität – und auch unschuldige Liebenswürdigkeit – dieser cineastischen Epoche verstehen will, sollte unbedingt den Dokumentarfilm Als die Liebe laufen lernte (1988) schauen, der aus über 30 Aufklärungsfilmen ein wunderbares Panorama dieser filmischen Nische zusammenschneidet. Aber wie gesagt, die Rezipienten wollten zum größten Teil nicht aufgeklärt werden, sondern einen Vorwand haben, um sich an diversen Sexszenen zu ergötzen. Und so war es nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Trittbrettfahrer auftauchen würden. Diese kamen in Form der Report-Filme, die die 70er Jahre geradezu überschwemmten, und denen in jeder Sekunde anzusehen ist, dass sie den wissenschaftlichen, sozialen Rahmen einfach nur benutzen, um biedere Sexstreifchen zu inszenieren. Schulmädchen-Report: Was Eltern nicht für möglich halten (1970) ist der erste dieser Reihe, ein schmuddeliges, pseudoaufklärerisches Machwerk, das von Altherrenfantasien und fragwürdigen moralischen Untertönen lebt. Dreizehn Fortsetzungen sollte der erschreckend erfolgreiche Teenager-Sexfilm bis 1980 nach sich ziehen. Teilweise in Rekordzeit produziert, ohne Tonaufnahme am Set, stattdessen mit nachträglicher Synchronisation, mit plumpen Geschichten, Laiendarstellern und schnell zusammengekleisterten Sexszenen, alles um die Produktionskosten so niedrig wie möglich zu halten. Die Schulmädchen-Reports mit ihren hysterischen Untertiteln und dem patriarchischen Blick auf jugendliche Sexualität markieren die dreckigsten Seiten des deutschen Sexfilms. Die von ihnen inspirierten Reportfilme sind zwar nicht ganz so widerlich, aber Machwerke wie Hausfrauen-Report (1971), Schlüsselloch-Report (1973), Bademeister-Report (1973) oder Witwenreport (1974) müssen wohl kaum näher betrachtet werden. Ihre Titel sagen eigentlich schon alles. Einzig erwähnenswert ist noch die Tatsache, dass viele später erfolgreiche Schauspieler wie Sascha Hehn oder Heiner Lauterbach in diesen Filmen zum ersten Mal in Erscheinung traten.

Im Jahre 1975 wurde das Pornografieverbot in Deutschland aufgehoben, und der Report-Trend flachte ebenso schnell ab, wie er aufgekommen war. Abgesehen von den langlebigen Schulmädchenreports wurden gegen Ende der 70er Jahre kaum noch Reportfilme gedreht. Ein anderes Subgenre des deutschen Sexfilms dagegen hat sich hartnäckiger gehalten. Alois Brummer ist Schuld; natürlich nicht alleine, aber kaum ein anderer Name ist derart mit den Sexschwanks verknüpft, die in den 70ern bis in die späten 80er hinein die zweite Säule des deutschen Sexkinos bilden sollten. Wer schon die Pseudoaufklärungsfilme im Rahmen der Reportreihe für bizarre Publikumshits hält, der wird sich bei dem jetzt folgenden Subgenre erst recht fragen, wie dieses nur derart populär werden konnte, dass es sich gleich mehrere Jahrzehnte auf dem Radar von Kino, Videotheken und Privatfernsehen gehalten hat. Bei der Konzipierung dieser Art von Sexfilm kann eigentlich nur eine Frage im Raum gestanden haben: Wie machen wir Filme rund um Sex, die nicht einmal einen Hauch von Erotik versprühen? Und die Antwort darauf ist auch einfach: Man nehme den klassischen Bauernschwank, das gute alte Volkstheater mit derbem, albernen Humor, kernigen Typen und opulenten Frauen, man mische dies mit der bräsigen Idylle des deutschen Heimatfilms, man packe ein bisschen Volksmusik rein und garniere das mit Sexszenen, die nichts anderes als frivoles Gebumse darstellen. Et voilà! Oder besser, im passenden bavarisch: Do schaugst her! Die deutche, volkstümliche Sexklamotte. Eine merkwürdige Mischung aus Heimatfilm, Volksschwank, Theaterstadl und infantiler Fickerei. Noch merkwürdiger als dieser Genrehybrid ist die Tatsache, wie beliebt die Filme dieses Genres in den 70ern, 80ern und sogar 90ern waren.

Man schaue sich allein die Titel an: Unterm Dirndl wird gejodelt (1973), Beim Jodeln juckt die Lederhose (1974), beide vom schon erwähnten Alois Brummer, dann natürlich die Lederhosenfilme nicht nur aber vor allem von Franz Marischka: Laß jucken, Kumpel (1972) oder Liebesgrüße aus der Lederhose (1973), um nur zwei davon zu nennen. Die Sprengung von kulturellen Grenzen bei Filmen wie Drei Schwedinnen in Oberbayern (1977) oder Zwei Däninnen in Lederhosen (1979), und natürlich die Verarbeitungen klassischer Heimatfilmstoffe wie in Heidi, Heida (1991). Titel wie Was treibt die Maus im Badehaus? (1976) oder Auf der Alm da gibt’s koa Sünd (1974) sagen eigentlich schon alles. Das deutsche Kino der 70er Jahre ist voll von diesen heimatlichen Sexklamotten, die derben Humor mit Heimatverklärung und unerotischem Sex kreuzen. Es gibt einfach kein Entkommen davon. Und das schlimmste daran, ähnlich wie die Reportfilme erlebten diese folkloristischen Trashspiele im Privatfernsehen in den 80ern und 90ern eine große Renaissance. Vor allem RTL kaufte das Volksgebumse massenhaft ein und packte das Nachtprogramm damit voll. Selbst als von Hormonen überranter Präpubertärer erkannte man jedoch schnell, dass es praktisch nichts Erotisches an diesen dumpfen Streifen gab, dass die bessere Erotik im Nachtprogramm von Vox oder gar 3Sat stattfand als bei dem rudelbumsenden Bauerntheater.

In den 70er Jahren taten die Deutschen wirklich alles, um sich den Ruf zu erarbeiten, das cineastisch unerotischste Volk überhaupt zu sein. Dabei ist es nicht einmal so, dass alle hier genannten Filme besonders sittenwidrig oder empörend daherkämen. Natürlich sind ihre sexistischen, patriarchischen, misogynen und päderastischen Komponente problematisch, genauer betrachtet sind sie aber vor allem eine Ausgeburt des 60er und 70er Jahre Konservatismus. Während die sexuelle Revolution in anderen kulturellen Kreisen mit großen Schritten voranging, verharrte der Film im Mief der Prä 68er. Der deutsche Sexfilm, egal ob in den Pseudoaufklärungsfilmen oder den Sexklamotten, hat nichts subversives an sich, nichts bewegendes, progressives, sondern ist eine Erfüllung zutiefst spießbürgerlicher Bedürfnisse. Es ist Kino für die Art von Gesellschaft, gegen die die 68er auf die Straße gegangen sind: Eine Gesellschaft, die sich in ihrer eigenen Tradition einigelt, alle neuen Ideen verwirft, und noch tief dem Wilhelminismus oder gar Hitlerismus hinterher hängt. Und dementsprechend werden hier auch Heimat und Volkstümlichkeit als Ideale hochgehalten, Machtstrukturen werden nicht nur als gegeben wahrgenommen, sondern gar glorifiziert; die Herausforderung der Macht geschieht maximal im karnevalistischen, neckischen Rahmen, stellt aber nichts wirklich auf die Probe, und Sexualität ist etwas, was letzten Endes in diesem engen Rahmen ausgelebt wird und dementsprechend wenig Lust oder gar Erotik versprüht. Der deutsche Sexfilm der 70er Jahre repräsentiert die biedersten Seiten des erotischen Kinos, umso erschreckender, wie erfolgreich er damit war.

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