Die besten Erotikfilme der 70er Jahre II
Wild, bunt und divers war die erste Retrospektive des 70er Jahre Erotikkinos. Diese hier steht ihrem Vorläufer in nichts nach. Wenn dann wird es sogar eher noch diverser und noch wilder. Hier finden wir charmant trashiges Exploitationkino für kleine Jungs (Stille Tage in Clichy) eine radikale Erotisierung des Monumental- und Historienfilms der antiken Stoßrichtung (Sebastiane) und die prototypischste Verkörperung des 70er Jahre Softerotik in Eugenie de Sade. Und als ob das nicht schon alles genug Diversität wäre, kommt mit WR – Mysterien des Organismus ausgerechnet aus dem Ostblock eine der aufregendsten Sex- und Politik-Collagen der Filmgeschichte, die irgendwo zwischen Dokumentarfilm, Erotikfilm und artifiziellem Motivfilm oszilliert. Egal ob auf der Suche nach Trash, nach Dekadenz, nach Ästhetik oder nach Subversion, egal, wie man es mit dem Genre hält und was man darin präferiert, im Erotikkino der 70er Jahre wird man fündig.
Stille Tage in Clichy [Jens Jørgen Thorsen]
(Dänemark 1970)
Kleiner Disclaimer an dieser Stelle: Ich bin alles andere als ein großer Henry Miller Fan. Seine Bücher konnten mich nie packen, eher im Gegenteil sogar: Ich finde sie meisten abstoßend und langweilig. Repetitiv in den besten Fällen, infantil und vulgär in den schlimmsten. Klar, ich sehe irgendwie seine Absichten, nur so ganz kommen diese nie bei mir an, und es bleibt in meiner Wahrnehmung eine ermüdende Ansammlung an Fickereien. Umso überraschender, dass die dänische Verfilmung eines seiner berühmtesten Werke Quiet Days in Clichy (1956) zu einem wirklich vergnüglichen, pulpigen Erotikflick geworden ist. Das liegt vor allem daran, dass Regisseur Jens Jørgen Thorsen Miller nicht ernst nimmt. Er will nicht das Abgründige, Tiefe, Frustrierende, das in Millers Werk immer auch verborgen liegt, hervorheben, sondern er will in erster Linie Spaß haben. Das überträgt sich auch durch und durch auf diesen Film, der mit Mitteln des Exploitation, des Comics (Jepp, wirklich) und der entspannten Comedy einen frivolen, freizügigen und zugleich witzigen Film auf die Leinwand zaubert. Stille Tage in Clichy verzichtet auf das pornografische Moment der Vorlage, suhlt sich nicht in hitziger Erotik, sondern lebt stattdessen von einer coolen und lässigen Atmosphäre, begleitet von anzüglicher Musik, anzüglichen Bildern und viel Trash- und Exploitationcharme. So entsteht ein schmutziger, verruchter kleiner Film, der nie so ganz verbergen mag, dass er vor allem eine große Jungenfantasie beziehungsweise ein kleiner Jungenstreich ist. Das mag Freundinnen und Freunden der literarischen Vorlage vielleicht zu wenig sein, aber gerade Miller-Verächter kommen dabei bestens auf ihre Kosten. Und als gewaltiger Verächter des berühmten Autoren kann ich nur festhalten, dass ich bei diesem Film deutlich mehr Spaß hatte als bei jedem Text von unserem lieben Henry.
Eugenie de Sade [Jesús Franco]
(Liechtenstein 1973)
Achja, Jesús „Jess“ Franco, der ist schon irgendwie ne Nummer. Aber auch irgendwie eine große Nummer im kleinen. Für seinen Beitrag zum Genre des Lesbian Vampire Flicks Vampyros Lesbos hatte ich schon in einer früheren Horrorfilmbestenliste nur Lob übrig. Abgesehen davon gilt natürlich, dass Jess Franco ein totaler Spinner ist, ein Dilettant vor dem Herrn, jemand der sich selbst als Voyeur bezeichnet, jemand dem klar ist, dass er all seine Filme nur aus einem Antrieb entstehen: Hedonismus. Vielleicht kann man ihn nicht einmal Filmemacher nennen, weil er wie am Fließband Schund über Schund produziert. Warum um alles in der Welt landet dann aber seine Umsetzung von Marquis de Sades Kurzgeschichte Eugénie de Franval (1800) in dieser Liste? Nun, zum einen, weil es kaum einen prototypischeren Film der Marke Softerotik der 70er Jahre gibt. Zum zweiten, weil Franco viel mehr Talent hat, als er eigentlich haben sollte und auch aus dem generischen Setup – der jungen, verführten Frau – einen spannenden Hybriden aus Softerotik, düsterem Okkult, Mystery, Sadomaso und Psychedelictrip zaubert. Für einen schnell produzierten Sexfilm ist Eugenie de Sade viel zu experimentierfreudig, zu expressionistisch, an manchen Stellen zu düster, an anderen zu selbstironisch frivol, und alles in allem zu talentiert. Und so schafft er es auch irgendwie über schwaches Schauspiel, ne dünne Story und die klassische 70er Softerotik drüber zu inszenieren, so dass doch genug Fleisch dran bleibt, um diesen Film sehenswert zu machen. Eugenie de Sade ist Softerotik-Prototyp, der zugleich immer das Versprechen hält, dass in dem Genre mehr drin ist als eine Abfolge braver, weichgezeichneter Erotikszenen. Wer der Mainstream des erotischen Jahrzehnts verstehen und dennoch etwas mehr erleben will, kommt an diesem unfreiwillig gelungenen Kleinod nicht vorbei.
WR – Mysterien des Organismus [Dušan Makavejev]
(Jugoslawien, 1971)
Sex und Kommunismus, das scheinen – zumindest wenn man sich die politischen Realitäten des 20. Jahrhunderts anschaut – Antipoden zu sein. Wer sich im Klassenkampf engagiert, wer sich den Direktiven der Partei unterordnet, wer für die Zukunft des Staates und der sozialistischen Weltgemeinschaft malocht, hat wenig Zeit und Raum für erotische Gedanken. Ob dieser Gegensatz wirklich so sein muss, dem geht der jugoslawische Regisseur Dušan Makavejev in seiner außergewöhnlichen Filmcollage gestützt auf stalinistische Propaganda, Wilhelm Reichs Sexualtheorien und mit allerhand Unterstützung von der sexuellen Befreiungsfront auf den Grund. Umrahmt von der Geschichte einer Kommunistin, die um die Leidenschaft eines sowjetischen Eiskunstläufer kämpft (und dabei im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf verliert) mixt WR – Mysterien des Organismus Fakten und Fiktionen, historische Aufnahmen, dokumentarisches Material, Fremd- und Selbstinszenierung zu einem bizarren Cocktail aus Lust und Politik zusammen. Anstatt Wilhelm Reichs Sexualität im Kulturkampf analytisch zu sezieren, wirft er assoziativ alles in den Ring, was er an sexueller Subversion finden kann: Betty Dodsons Masturbationskunst, Jackie Curtis‘ Crossdressing und Gender-Dekonstruktion, Screws eigensinnige Pornoästhetik und Alexander Lowens bioenergetische Therapien, um nur einige der schrillen, wild zusammengewürfelten Szenen und Momente zu nennen. Vieles an Mysterien des Organismus wirkt lose, randomisiert, arbiträr, oft weiß das Publikum selbst nicht, was hier Ernst, was Spaß, was dokumentiert oder inszeniert sein soll. Aber genau dieses Prinzip funktioniert. Es entwickelt sich daraus eine irrwitzige Collage, mal skurril, mal subversiv, mal anstrengend, mal bizarr und oft genug auf obskure Art hocherotisch. Wenn nicht die Internationale sondern der Popsong „Life without fucking isnt worth a thing!“ angestimmt wird, ist schon klar, wohin die Reise geht. Dušan Makavejevs ist ein Juwel des anarchischen Kinos, ein Sex- und Politikfilm, eine Dokumentation und ein heißer Fiebertraum, der die Grenzen sowohl des dokumentarischen als auch experimentellen als auch erotischen Kinos sprengt.
Sebastiane [Derek Jarman]
(Großbritannien 1976)
Wenn es um die Darstellung der Antike ging, nahm es der 70er Jahre Monumentalfilm nicht so genau: Zu Gunsten prüder amerikanischer Vorstellungen wurde auf vieles verzichtet, was die griechische und römische Kultur auszeichnet. Sebastiane tritt als Außenseiter made in UK an, um diesen Missstand zu beheben. Inszeniert in klassischem Latein und ohne Angst vor Themen wie Sex und Gewalt erzählt er vom Leben und Lieben römischer Soldaten an der Peripherie des Reiches. Und dies tut er in ästhetizistischen und auch eskapistischen Bildern, mal poetisch ruhig, mal schwülstig dekadent, mal schrill, aber praktisch immer wunderschön und hocherotisch. Kein Wunder, dass er sich im Laufe der Zeit zu dem LGBTQ-Film (für ein männliches Publikum) entwickelt hat: Im Mittelpunkt steht ganz und gar die Schönheit des männlichen Körpers, die latente, manchmal subtil verborgene Erotik, die sich zwischen zusammen lebenden Männern entwickeln kann, aber auch die offen ausgetragene Leidenschaft, die in einen wahrhaft sexuellen Rausch mündet. Sebastiane ist ein großer, opulenter Bilderband, der mit Mitteln des Monumentalfilms das Wunder der Körperlichkeit heraufbeschwört. Er ergötzt sich geradezu an allem Physischen. Im Sex, im Kampf und sogar im Tod liegt immer ein Stück körperliche Erotik, ein Stück sinnlicher Schönheit verborgen.
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