Der beste Liebesfilm 2017: Call be my your name oder ein Lob des Eskapismus

Mit A Bigger Splash (2015) hat Luca Guadagnino wohl einen der am meisten unterschätzten Filme der letzten Jahre gedreht. Versteckt hinter der Fassade eines eleganten (Erotik-)Thrillers verbarg sich eine tiefe Verbeugung vor dem Savoir Vivre und der Gelassenheit und Schönheit des mediterranen Europas. Und hinter diesem Fest des dekadenten Lebens im Wohlstand wiederum verbarg sich eine kleine, subtile Parabel auf lokale und globale Ungerechtigkeiten, die Maskierungsfähigkeit des Menschen und die daraus resultierende soziale Schieflage. Vielen Kritikern war alles andere drumherum dann wohl doch zu eskapistisch und mit subtilen, kleinen Thrillern die in Italien spielen gewinnt man meistens auch kein Mainstreampublikum (selbst wenn man ein beachtliches Staraufgebot daran teilhaben lässt). Und so dürfte der Film, erst einmal, leider nur eine Randnotiz der 2010er Jahre bleiben. Anders wiederum erging es Guadagninos Nachfolgefilm Call me by your Name (2017), und das ist keineswegs selbstverständlich: Denn wenn es schon subtile Thriller an der italienischen Küste schwer haben, wie geht es dann erst queeren Liebesfilmen im italienischen Norden? Offensichtlich erstaunlich gut. Call me by your name durfte nicht nur vier Oscar- und drei Golden Globe Nominierungen einstreichen, darüber hinaus spielte er auch noch das zehnfache seine Budgets ein und wurde von vielen Zuschauern und Kritikern als einer der besten Filme des Jahres 2017 gefeiert… und bei Gott ist der Erfolg in diesem Fall gerechtfertigt…

Norditalien, 1983: Der siebzehnjährige Elio (Timothée Chalamet) verbringt den Sommer zusammen mit seinen Eltern auf deren Landsitz. Die Zeit vertreibt er sich mit Feiern und Gelegenheitsflirts, während er vor allem darauf zu warten scheint, dass der Sommer zu Ende geht oder wenigstens etwas aufregendes passiert. Wie jeden Sommer hat sein Vater (Michael Stuhlbarg) auch dieses Jahr wieder einen hoffnungsvollen Nachwuchsakademiker zu sich eingeladen, der ihm bei seiner Arbeit helfen und dabei für mehrere Wochen im Haus der Familie leben soll: Der Amerikaner Oliver (Armie Hammer). Dieser scheint alles zu verkörpern, was dem unangepassten, unsicheren und zugleich lebenshungrigen Elio zuwider ist. Oliver ist selbstsicher, charmant aber auch arrogant. Etwas ungehobelt, etwas großspurig und dabei sehr amerikanisch. Dennoch finden die beiden eine Verbindung zueinander, die sich zuerst in gegenseitiger Faszination, dann in tiefer Sympathie und schließlich hemmungsloser Leidenschaft äußert. Schließlich fühlt sich Elio in jeder einzelnen Faße seines Körpers und seiner Seele zu Oliver hingezogen, ist dabei aber nie ganz sicher, wie weit seine Gefühle erwidert werden.

Eine solche Coming-of-age Liebesgeschichte zwischen jung und „nicht mehr ganz so jung“, zwischen zwei Männern und zudem auch noch zu Beginn der 80er Jahre im erzkatholischen Italien spielend bietet natürlich viel Stoff für schweres und großes Drama. Umso größer ist es Luca Guadagnino anzurechnen, dass er sich nicht drum kümmert, großes und schweres Drama zu erzählen. Ganz im Gegenteil: Ähnlich wie A Bigger Splash ist Call me by your name erst einmal ein wunderbar leichtfüßiger Film. Er schwelgt in mediterraner Gelassenheit, mediterraner Sinnlichkeit und mediterraner Leichtigkeit. Dazu gehört auch, dass er sehr langsam und behutsam erzählt ist und sich gerne in eskapistischen, intellektuellen und kulturellen Ausschweifungen verliert. Anstatt streng einer Entwicklung zu folgen, zerfasert sich dieses realistische Märchen – oder märchenhaft realistische Porträt – gerne in Anekdoten und Nebensächlichkeiten, gibt der Entwicklung der aufkeimenden Liebe und Leidenschaft zwar viel Raum, liebt es aber ebenso, seinen Zuschauern die Schönheit seiner Welt, seiner Zeit und seines Milieus zu präsentieren: So ein wenig poetischer Realismus ohne den politischen Überbau und damit angenehm entrückt und aus der Zeit gefallen. Dabei erinnert Call me by your name in seinem bedächtigen und empathischen Blick für alle Protagonisten nicht selten an das Kino eines Pedro Almodóva und in seinem sinnlich künstlerischen und parabolischen Pathos an die Dramen eines Bernardo Bertolucci. Malerischen Realismus könnte man das Konzept dahinter auch nennen, dabei aber nie prätentiös, sondern immer mit einem antibürgerlichen Augenzwinkern, das sich allein schon in der Musikauswahl zwischen Bach, Ravel und – hauptsächlich für den Soundtrack verantwortlich – Sufjan Stevens sowie einigen 80er Jahre Referenzen (zum Beispiel einem großartig platzierten Psychedelic Furs Song) widerspiegelt.

Bei all dieser Umgebungsverliebtheit kommen die Charaktere aber nicht zu kurz, was sowohl der feinfühligen Regie als auch der herausragend spielenden Darsteller zu verdanken ist. Allen voran natürlich Timothée Chalamet, der seinem Elio eine unfassbare Ambivalenz zwischen störrischer Ruhe, Altklugheit, Melancholie und jugendlicher Wildheit gibt. Aber auch Armie Hammer gelingt es gekonnt seinem Oliver eine sehr charismatische Fassade zu geben, die er nach und nach gekonnt aufbröckeln lässt, um einem ambivalenten, in sich zerrissenen Charakter Platz zu machen. Aber selbst bis in die kleinsten Rollen ist dieses Drama unfassbar gut besetzt. So darf Michael Stuhlbarg Elios Vater – so wenig Leinwandzeit er auch insgesamt besitzt – jede einzelne seiner Szenen mit einer eindringlichen Kraft und Ruhe ausfüllen und ist zudem mit einem ergreifenden Vater-Sohn-Gespräch zusätzlich wohl für einen der berührendsten, eindringlichsten und ehrlichsten Filmmomente 2017 verantwortlich. Drehbuch und Dialogregie tuen aber auch alles, um es den Darstellern so leicht wie möglich zu machen, gelingt es ihnen doch klare Charakteristiken zu inszenieren und zugleich genug Platz für Nuancen und Klischeebrüche zu lassen.

Erzählt wird in Call me by your name nämlich auch ein wenig ein Clash of the Cultures: Das amerikanische Selbstbewusstsein und die Liebe zum Dramatischen treffen auf eine europäische Leichtfüßigkeit und ein mediterranes Savoir Vivre. Die ganze Beziehung zwischen Elio und Oliver ist geprägt von einer Spannung zwischen Drama und Komödie. So wie Oliver als leidenschaftlicher nach außen hin charismatischer und zugleich innerlich geplagter Mittzwanziger auftritt, so oszilliert Elio zwischen melancholischer Orientierungslosigkeit und einer wunderbar sympathischen Mir-doch-egal-Haltung. Diese Charaktereigenschaften werden aber nie zu Klischees und Stereotypen herunter gebrochen. Beide Protagonisten bleiben stets facettenreich, nuanciert und mit charakterlichen Brüchen versehen. So wird Olivers vordergründiger Narzissmus durch eine tiefe emotionale Unsicherheit – die im Verlauf des Films immer sichtbarer wird – konterkariert, während Elios jugendlicher Leicht- und Widersinn mit einer tiefen Nachdenklichkeit ergänzt wird. Auch wenn die Show natürlich letzten Endes Eliot – und dem wie schon gesagt fantastischen Timothée Chalamet – gehört, so bleiben doch beide Charaktere nahbar, nachvollziehbar und sympathisch.

Aber, und das war bereits die (von manchen Kritikern leider als Schwäche ausgemachte) Stärke von Guadagninos A Bigger Splash, im Vordergrund von Call me by your name stehen weder eine tiefgründiges Charakterstudie noch eine ergreifende Coming-of-age-Erzählung; wie auch das andere Meisterwerk von Gudagnino ist dieser wundervolle Film vor allem eine Liebeserklärung an die Sinnlichkeit, ganz allgemein, ganz generell. Und so gibt es nicht nur fantastisch erotische Liebes- und Sexszenen zu sehen, sondern ebenso herrliche Landschaftsaufnahmen Norditaliens, wunderschöne klassische Skulpturen und Gemälde, großartige Settings und attraktive Menschen; ebenso wie es verzaubernde klassische und nicht minder verzaubernde Popmusik zu hören gibt, ergänzt durch famose Dialoge rund um Kunst, Kultur, Musik, Geschichte, Politik, die dem Film dankenswerterweise keinen philosophischen Überbau aufdrücken sondern einfach nur beweisen, dass Sinnlichkeit auch und vor allem im Gehirn zu Hause ist. Der Film atmet und schwitzt Eskapismus und Ästhetizismus geradezu aus jeder Pore, und das geht in diesem Fall nicht im geringsten auf Kosten der Substanz. Das Leben ist nun mal auch einfach fucking beautiful und diese simple Tatsache darf man sich gerne auch mal in guten zwei Stunden Laufzeit in Erinnerung rufen: Wahrscheinlich der beste Liebesfilm des Jahres, nicht nur was die Liebe zwischen zwei Menschen betrifft, sondern auch die Liebe für das Leben an und für sich. Love my way, it’s a new road / I follow where my mind goes / Love my way…

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