Die besten Erotikfilme der 90er Jahre

Im Gegensatz zu den Romanzen und Liebesfilmen ist Sexualität und Erotik wie schon in den 00er auch in den 90er Jahren im Kino sträflich unterrepräsentiert. Ein paar Highlights gibts trotzdem…

Henry & June [Philip Kaufman]

(USA 1990)

Zwischen exquisitem Liebesfilm-Drama und gediegenem Erotikfilm bewegt sich „Henry & June“, der von sexuellen Ausschweifungen im Literaturmilieu der 30er Jahre erzählt. Die Menage à trois zwischen Henry Miller (Sexus, Im Wendekreis des Krebses) seiner bisexuellen Frau June und der jungen Nin wird ohne falsche Scham auf den Punkt gebracht: Hitzig flimmernd, exzessiv, hedonistisch und doch mit einem Gespür für Eleganz und gehobene dekadente Atmosphäre. Das voyeuristische Vexierspiel ist übrigens der erste Film, der in den USA mit einem NC-17 Rating bedacht wurde, das im Land der unbegrenzten Möglichkeiten für genau jene speziellen Fälle zwischen künstlerischem Anspruch und unverhohlener Erotik gedacht ist. Henry & June hat beides zu bieten und verbindet dies zusätzlich noch auf äußerst delikate Weise.

Verhängnis [Louis Malle]

(Frankreich, USA 1992)

Die Filme des Nouvelle Vague Regisseurs Louis Malle (Fahrstuhl zum Schafott, Zazie dans la metro) haben seit jeher etwas Sexualisiertes, Erotisiertes, das in jeder Szene latent mitschwingt. In Verhängnis widmet sich Malle nicht zum ersten Mal obsessiver Sexualität, aber zum ersten Mal tut er dies auf solch explizite, direkte und offensive Weise. Verhängnis ist ein elegant düsterer Erotikthriller, der im Gegensatz zu vielen anderen 90er „Sex & Crime“-Streifen nicht platt ins Unglück stürzt sondern seine beiden Protagonisten (Herrausragend: Juliette Binoche und Jeremy Irons) ganz sachte ins Verderben rennen lässt. Inszeniert wird der Niedergang eines erfolgreichen Politikers durch die Liebschaft mit der Freundin seines Sohnes in einerseits wunderschön choreographierten, andererseits höchst brutalen und zügellosen Sexszenen, die ungemein leidenschaftlich und lodernd daherkommen.

Exotica [Atom Egoyan]

(Kanada 1994)

Dekadentes und Philosophisches, Exzessives und Introspektives… Atom Egoyan kombiniert beides in seinem eiskalten und zugleich sinnlichen Sittengemälde Exotica auf kunstvolle Weise. Der rauschhafte Abstieg in die Welt des körperlichen und seelischen Striptease spielt geschickt mit seinen erotischen Dispositionen, macht den Zuschauer zum emotionslosen Voyeur und kurz darauf zum mitten ins Geschehen geworfenen Opfer. Diffus erzählt, kunstvoll arrangiert und vor allem – trotz seiner offensiven Kälte – höchst sinnlich und aufreizend. Ein verführerischer – aber ebenso giftiger Cocktail – aus komplexem Gesellschaftsporträt, zynischer Zeitgeistabrechnung und diabolischer, infamer Erotik.

Der Liebhaber [Jean Jaques-Annaud]

(Frankreich, Großbritannien, Vietnam 1992)

Marguerite Duras war alles andere als begeistert von Jean Jaques-Annauds Verfilmung ihrer Novelle „Der Liebhaber“. Kein Wunder. Annaud reduziert die sozialkritische  Vorlage von 1984 radikal auf die Affäre des 15jährigen Mädchens mit dem chinesischen Geschäftsmann. „Der Liebhaber“ ist eine offensive Neuinterpretation seiner Vorlage, die dennoch auf ihre eigene Art funktioniert. Das liegt selbstverständlich in erster Linie an den hervorragend gefilmten, weich gezeichneten und dennoch authentischen Liebesszenen, aber auch an der erotischen Gesamtatmosphäre des schwülen und heißen Vietnams, das hier fast schon böswillig romantisiert wird. Eben genau durch diese Romantisierung und durch die Zentralisierung der erwachenden Sexualität fokussiert die Verfilmung das Subjektivistische und Innerliche der gleichnamigen Novelle. Exquisite Euphemisierung könnte man dazu auch sagen und damit macht Arnaud für einen Erotikfilm alles richtig. Einer der eskapistischsten, sinnlichsten und betörendsten Filme des Jahrzehnts.

Romance X [Catherine Breillat]

(Frankreich 1999)

Gegen Ende der 90er Jahre steckte die New French Extremity noch in ihren Kinderschuhen. Einer der Vorreiter dieser Filmbewegung ist Catherine Breillats „Romance XXX“. Die vordergründige Geschichte um eine sexuell gelangweilte Ehefrau und ihre Ausschweifungen auf ein Minimum reduziert. Der Subtext sich selbst in seiner Visualisierung verlierend… und dann wird gevögelt: Explizit, direkt, in pornographischen Bildern, und so verdammt sexy, dass der intellektuelle Überbau kaum noch wahrzunehmen ist, kaum noch stört. Romance ist sinnlich, heiß, gewagt, mitunter pervers und voll und ganz auf seine Sexszenen konzentriert. Natürlich ist das alles prätentiöses Geficke für 3Sat- und Artezuschauer. Dabei aber würzig, sinnlich und vor allem eindringlich genug um auch ohne die Arty-Porn-Selbstlegitimierung begeistern zu können.

Lulu – Die Geschichte einer Frau [Bigas Luna]

(Spanien 1990)

Und noch ein Erotikfilm, der sich auf das wesentliche seines Sujets konzentriert. Die Geschichte einer Frau folgt vollkommen fokussiert auf Sexualität und Erotik der sexuellen Selbstfindung ihrer Protagonistin Lulu: Ob Analverkehr, ein Dreier mit einem Transsexuellen oder sadomasochistische Spiele: Lulu entdeckt, Lulu probiert aus und wird dabei auf unverschämt voyeuristische Weise von der Kamera begleitet. „Las edades de Lulú“ will im Gegensatz zu manchem prätentiösen Arte-Sexfilm gar nicht mehr sein als pure Sinnlichkeit, als eskapistische Fleischbeschau. Mitunter wird er dann natürlich zu ästhetizistisch bis kitschig, mitunter verliert er ein wenig den Faden und reiht Sexszene an Sexszene, bleibt dabei jedoch durchgängig sinnlich und attraktiv. Ein perfekter Film für den erotischen Filmabend, bei dem schon klar ist, dass das cineastische Programm früher oder später – aus eigener Schuld – unterbrochen wird.

Bitter Moon [Roman Polanski]

(Großbritannien, Frankreich 1992)

Auf einem Kreuzfahrtschiff trifft ein verheiratetes Ehepaar auf einen querschnittsgelähmten Dichter und dessen Geliebte. Im weiteren Verlauf der Handlung verknüpfen sich Erzählung und unmittelbares Geschehen, bis es schließlich zur Katastrophe kommt. Polanski erzählt diese komplexe Vierecksbeziehung mit raffinierten Rückblenden, transferiert Vergangenes immer wieder in gegenwärtiges und entwirft dadurch eine sexuell geladene, übererotische aber auch verhängnisvolle Atmosphäre. Ständig zwischen Lust und Obszönität pendelnd macht es Bitter Moon seinem Zuschauer alles andere als leicht… Sex hat hier immer gleich mehrere Seiten, ebenso Begehren und auch jede Liebe birgt ihre dunklen Geheimnisse: Ein spannendes, mitreißendes aber auch sehr exzessives und sexuell offensives Kammersrspiel, das weit mehr ist, als die übliche Fleischbeschau.

The opposite of sex [Don Roos]

(USA 1998)

Endlich sind wir beim Gegenteil von Sex angekommen, das in diesem Fim nichts anderes als Sex selbst ist. Aber Achtung: Gezeigt wird hier wenig bis gar nichts: Keine Nacktheit, keine erotischen Bilderreize… stattdessen wird geredet, viel, über Sex, meistens über Sex… und dank der herrlich zynischen und zugleich ungemein attraktiven Christina Ricci entwickelt das sarkastisch amüsante, verbale Dauerfeuer eine unterschwellige Erotik, die ihresgleichen sucht. Don Roos ist somit ein wahres Wunder geglückt: Eine Erotikkomödie die nie platt wird, nie in Kalauer oder Slapstick abrutscht, sondern stattdessen über ihre gesamte Laufzeit sowohl komisch als auch sinnlich ist.  Ein gelungener, respektloser Radschlag zwischen Tragik, Komik und Erotik.

Eyes Wide Shut [Stanley Kubrick]

(Großbritannien, USA 1999)

Hatten wir ja schon bei der 00er Erotik-Retrospektive, weil er eben genau zwischen die Jahrzehnte gerutscht ist. Kubricks dekadenter Erotiktrip, die Verfilmung von Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ wurde viel gelobt, aber auch scharf kritisiert und verspottet. Kubrick verlegt die biedere Atmosphäre des prämodernen Wiens in die postmoderne New Yorker Großstadt und macht sich damit schonmal gleich per se angreifbar. Aber die Transformation glückt: Eyes Wide Shut atmet die selbe dekadente, konspirative Erotik wie seine literarische Vorlage, spielt mit den selben Ängsten und Träumen – ohne dabei jemals antiquiert oder anachronistisch zu wirken. Klar, das viel zu deutliche – im Vergleich zur Vorlage sträflich geschwätzige – Ende hätte sich Kubrick sparen können. Aber das erotische Flair und die ästhetizistischen Bilder zwischen Freud und postmoderner High Society stimmen und machen aus Eyes wide Shut eine ebenso sexuell aufgeladene wie dunkle, unheimliche Odyssee ins Reich der Sinne.

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Erstveröffentlichung: 2011