Die besten „Golden Age of Porn“-Filme der 70er Jahre
Na dann, wie ich bereits im Überblicksartikel geschrieben habe: Wenn man vom erotischen Kino der 70er Jahre sprechen möchte, kann man nicht vom Pornofilm schweigen. Aber in der Tat gibt es in diesem Jahrzehnt genug gute Pornofilme, um aus diesen eine Bestenliste zu kreieren. Mit allen Disclaimern, die dazu gehören: Wir haben es hier trotz aller offenen oder verborgenen Qualitäten immer noch mit dem Pornogenre zu tun. Also du, der diesen Artikel gerade liest; ich gehe fest davon aus, dass du volljährig bist, dass du weißt, worauf du dich einlässt, wenn du hier weiterliest oder der ein oder anderen Filmempfehlung folgst. Pornos sind Filme mit unsimulierten Sexszenen, Filme, die wenig bis nichts verbergen, die alles zeigen und deren Darstellerinnen und Darsteller vieles mitmachen, was man in einem regulären (Erotik-)Film nie und nimmer zu sehen bekommen würde. Aber, dem Golden Age of Porn sei Dank, Pornofilme in den 70ern konnten auch mehr sein als bloße Nummernrevuen, sie durften und wollten Erotik auf andere Arten vermitteln als Filme vor und nach ihrer Zeit: Sie erzählen bizarre Geschichten mit philosophischem Subtext wie The Devil in Miss Jones, sie kommen als groteske protofeministische Komödien daher wie Le sexe qui parle oder als naive, bunte Märchenmusicals wie Alice in Wonderland. Sie trauen sich an ungewöhnliche Themen wie Sadomasochismus (The Image) oder toben sich ästhetisch mit psychedelischen und surrealen Bildern und Szenerien aus (Behind the Green Door). Das Pornokino der 70er Jahre ist besonders, anders als alle Jahrzehnte davor und danach und hat es voll und ganz verdient, in einer eigenen Bestenliste geehrt zu werden.
The Devil in Miss Jones [Gerard Damiano]
(USA 1973)
Ich habe es schon mal gesagt, ich sage es noch einmal: Trotz seines Klassikerstatus‘ hat das Porno Chic Urgestein Deep Throat aus dem Jahr 1972 in dieser Liste nichts zu suchen: Zu plump, zu platt, zu albern, zu shady… Umso überraschender, dass der dritte große Porno vom selben Regisseur Gerard Damiano derart ausgeklügelt, intelligent und, ja, sogar philosophisch ist. Natürlich handelt es sich auch bei seiner Geschichte immer noch um eine groteske Rechtfertigung für eine Abfolge von Sexszenen, aber dennoch handelt es sich um eine echte Geschichte: Eine Frau, die immer keuch und anständig lebte, erhält nach ihrem Tod eine zweite Chance für ein Leben im puren Exzess. Und in dieser zweiten Chance, versucht sie dem Teufel ein Schnippchen zu schlagen. Der Rahmen ist klar gesetzt und der Film liefert auch entsprechend ab. Das weibliche Begehren wird zum ideellen Schauplatz und zugleich zur Projektionsfläche für zahllose sexuelle Abenteuer. Aber darüber hinaus ist The Devil in Miss Jones auch eine makabere, schwarzhumorige und gegen Ende zutiefst bittere Parabel auf unstillbare Leidenschaft, auf nicht erfülltes und nicht erfüllbares Begehren, irgendwo zwischen De Sade und Sartre, zwischen Mephisto und Masturbation.
Behind the Green Door [Artie Mitchell, James Mitchell]
(USA 1972)
Wie anders ist im Vergleich dazu der revueartige Film Behind the Green Door der Mitchell Brothers. Hier gibt es kaum Geschichte, kaum Rechtfertigung für einen sich langsam entwickelnden, peu à peu steigernden erotischen und sexuellen Exzess. So etwas braucht dieses fantastische körperliche Inferno aber auch gar nicht: Statt mit komplizierten, plausiblen Rechtfertigungen zu kämpfen, umarmt er das Surreale, Abstrakte und Unwirkliche seines Reigens. Indem er sein Geschehen an einen unmöglichen, irrealen Ort verlegt, findet in ihm so etwas wie eine Transzendenz der Lust statt. Das Sexuelle in Behind the Green Door ist ab einem gewissen Punkt losgelöst von Raum und Zeit, von Ziel und Absicht. Was zählt ist nur noch die Lust, die Leidenschaft, das Vergessen des Drumherum, das vollkommene Aufgehen in einer orgiastischen Welt. Behind the Green Door ist das artifizielle, mystifizierte Gesicht des Genres, die Darstellung einer stilisierten, hypnotischen Orgie, in der Kontrolle und Kontrollverlust eine unheimliche Melange eingehen, kulminierend in einem rauschhaften, psychedelischen Finale. Irgendwo zwischen Bunuel und Blowjob. Zwischen Dark Side of the Moon und Dark Side of Sex.
Alice in Wonderland [Bud Townsend]
(USA 1976)
Unschuld ist vermutlich das letzte, was man mit dem Pornofilm verbindet. Und doch ist die – sehr sehr freie – Neuinterpretation des klassischen Lewis Carroll Stoffes genau das: Der unschuldigste, süßeste und fantastischste Pornofilm, den man sich vorstellen kann. Nein, das ist kein Familienfilm, aber wenn man die Erotik- und Sexszenen abzieht, könnte man ihn fast für einen halten: Es gibt beschwingte Musicalmomente, kuriose humoristische Einlagen, skurrile Dialoge, mal absichtlich mal unabsichtlich komisch, und viele für das Budget überraschend fantastische, liebevolle Settings und Kostüme. Und selbst die pornografischen Szenen machen vor der Freude des Films an seinen naiven, bunten und vergnüglichen Seiten nicht halt: Im Zentrum stehen die Entdeckung der Lust und Leidenschaft, die Liebe zum eigenen Körper, zum eigenen Begehren und ganz generell die Liebe zum Leben. Alice in Wonderland ist so schön, weil er nie dreckig, nie zynisch und nie düster wird, und einfach feiert, was die schönsten Seiten der Lust sind: Irgendwo zwischen Disney Kitsch und sexuellem Aufbegehren, zwischen Frühlingserwachen und Frühlingsgefühlen; wahrscheinlich der 70er Jahre Porno, der am ehesten auch einem nicht pornoaffinen Publikum gefallen könnte.
Le sexe qui parle [Claude Mulot]
(Frankreich 1975)
Feministische Pornos gab es in den 70er Jahren noch nicht. Aber wenn es einen Film aus dieser Zeit gibt, der dem Konzept am nächsten kommt, dann dürfte es Claude Mulot Le sexe qui parle sein. Zwei Protagonistinnen kennt diese absurde Sexkomödie: Die von ihrem Ehe- und Sexleben gelangweilte Joëlle sowie ihre sprechende Vulva. Richtig, eine wesentliche Perspektive des Films ist die vaginale Perspektive. Nicht nur, dass das sprechende Geschlecht in ausufernden Dialogen und Monologen seine sexuellen Wünsche artikuliert, es ist dabei auch ausgesprochen eigensinnig und hedonistisch. Le sexe qui parle oszilliert zwischen traditionellem Porno, der sein kreatives Setting zur Rechtfertigung bizarrer Sexszenen benutzt, und Empowerment Porno, der gar nicht so wenige Momente weiblicher Selbstermächtigung beinhaltet. Dank seines grotesken Humors und seinem Spaß an absurden Situationen hat sich „Pussy Talk“ (so sein vermutlich etwas bekannterer englischer Titel) zum Kultfilm des Golden Age of Porn entwickelt, inklusive Adelung durch DIE Porno Regisseurin unserer Zeit, Erika Lust, die sich in ihrem Porno-Kanon besonders angetan von der selbstbewussten, ihre Wünsche äußernden Vagina und dem eigenständigen Humor dieser mutigen Sexkomödie zeigte. Irgendwo zwischen Freud und Frivolitäten, zwischen Vagina-Dialogen und Vagina-Liebkosungen.
The Image [Radley Metzger]
(USA 1976)
Und dann haben wir ihn doch noch gefunden, einen weiblichen Beitrag zum Genre in den 70ern. Okay, ein bisschen gemogelt ist das schon, haben wir es doch wie bei allen anderen Filmen dieser Liste mit einem Film mit klassisch männlichem Stab zu tun; inklusive Radley Metzger, der als Regisseur für viele Pornoklassiker dieser Zeit wie The Opening of Misty Beethoven verantwortlich ist. Aber die Vorlage stammt von einer Frau, der Künstlerin Catherine Robbe-Grillet, die als Ikone der sadomasochistischen Literatur gilt. Die Verfilmung ihres Romans L’Image (1956) besitzt dementsprechend für einen Porno der damaligen Zeit erstaunlich viel weibliche Perspektive, konzentriert sich nicht nur auf den Blick und die Lust des Mannes, sondern versucht allen Lüsten und Gelüsten gerecht zu werden. Und da ist noch mehr: Zum einen bietet The Image einen ausgesprochen detailverliebten Blick auf die Welt des Sadomasochismus, der bewusst offen und einladend gehalten ist, sich nicht nur an den harten Kern der Doms und Subs richtet, sondern an jeden abenteuerlustigen Zuschauer, jede abenteuerlustige Zuschauerin. Was Auseinandersetzung mit diesem speziellen Feld der Erotik betrifft, wischt er mit aktuellem Schund wie Fifty Shades of Grey oder 365 Days den Boden auf. Zum zweiten ist Radley Metzger nicht irgendein Pornoregisseur: Mit Erfahrung in der Gestaltung von Truffaut- und Bergman-Trailern besitzt er eine gewisse Affinität zum Arthauskino, Dank des Drehs von Propagandafilmen weiß er wie man suggestive, überzeugende Bilder produziert… und das zeigt sich auch in The Image. Und wie! Fantastische Kameraeinstellungen, saubere und zugleich hypnotische Schnitte, ein Spiel mit dem Bild und den Erzählebenen… The Image ist ein exquisiter und zugleich wagemutiger, ein professioneller und subversiver Sexfilm. Eigentlich zu komplex, zu edel und zu divers für einen 70er Jahre Porno. Irgendwo zwischen Kunst und Peitsche, zwischen sexuellen Eskapaden und ästhetischem Eskapismus.
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