Erotikfilme der 70er Jahre – Ein Überblick
Man kann es nicht oft genug wiederholen: Die besten Filme eines Genres sind immer nur die Spitze des Eisberges. Darunter türmt sich Eisschicht um Eisschicht belangloser, durchschnittlicher oder gar richtig schlechter Filme. In drei Listen habe ich mich mit der Creme de la Creme des erotischen Kinos der 70er Jahre auseinandergesetzt. Zeit, die Spitze des Eisberges zu verlassen und nach unten vorzustoßen, zu den nicht gerade sehenswerten Filmen, die nichtsdestotrotz das Kinojahrzehnt geprägt haben, wahrscheinlich sogar – zumindest was das Genre des Erotikfilms betrifft – weitaus stärker als die Filme, die es verdient haben, in einer Bestenliste verewigt zu werden. Und trotz ihrer oft fehlenden Qualität machen diese ganzen Filme die 70er Jahre einzigartig, zu einem Sexfilm-Jahrzehnt, wie es weder davor noch danach zu finden ist. Praktisch alles ist dabei, von biederen Softerotik-Streifen, über bizarre Skurrilitäten bis hin zu Softcore Filmen, die sich an der Grenze zum Porno Chic bewegen. A lot to uncover (im wahrsten Sinne des Wortes)…
So vielfältig die Erotikfilmlandschaft der 70er Jahre ist, so schwer ist es auch, von nur einem Genre zu sprechen. Das Genre des Erotikfilms gliedert sich in den 70ern in gleich mehrere Subgenres, wovon einige in dieser Zeit entstehen und andere deutlich älter sind und in dieser Zeit sogar ihr Ende finden. Zu letzterem gehört das Genre des Exploitation, oder konkreter des Sexploitation-Films, der nach einer wahren Erfolgswelle in den späten 60er Jahren zu Beginn des Jahrzehnts peu à peu an Popularität einbüßt und schließlich praktisch keine Rolle mehr spielt. Das Genre war durch die sexuelle Revolution und die Aufweichung des Hays Code in den 60ern populär geworden und hatte sich von den Grindhouse Kinos nach oben geschlafen bis in die großen amerikanischen Filmtheater. Zu Beginn der 70er Jahre kam es dann zum berüchtigten Golden Age of Porn, während gleichzeitig Sexualität immer offener im Mainstreamkino insbesondere des New Hollywood dargestellt wurde. Die verruchten Nischenkino-Filme schienen plötzlich ihre Relevanz verloren zu haben. Wer in den USA Sex sehen wollte, bekam diesen deutlich expliziter in den Pornokinos gezeigt, und wer als Filmemacher in seine Filme Erotik miteinfließen lassen wollte, konnte dies einfach tun, ohne auf besonders schrullige Genres für ein Nischenpublikum zurückzugreifen. Die Genre-Ikone Russ Meyer drehte noch bis in die 70er Jahre hinein, bis er sich schließlich aus dem Filmgeschäft zurückzog. Aber in dieser Zeit entstanden dennoch einige seiner berüchtigsten Filme, Beyond the Valley of the Dolls (1970) als wüstes Meta-Musical, in dem Meyer sein eigenes Œuvre zerfledderte, Supervixens (1975), der zu seinen größten Mainstreamerfolgen zählt und Beneath the Valley of the Ultra-Vixens (1979), der wohl sein explizitester, sexpositivster Esxploitation-Schinken ist. Neben seinen Werken finden sich vor allem in den frühen 70er Jahren so manche Perlen des abstrusen Sexploitations: Eine Little Shop of Horror Variation in Please Don’t Eat My Mother (1973), vermeintliche Aufklärungsfilme wie Confessions of a Young American Housewife (1974), Cheerleader-Filme wie The Cheerleaders (1973) oder Horror/Sex-Hybriden wie The Velvet Vampire (1973), um nur ein paar Filme dieser Zeit zu nennen. Besonders bemerkenswert erscheint das Subsubgenre des Women in Prison Movies. Egal ob reguläre Gefängnisse wie in Women in Cages (1971), hölzerne Arbeitslager in The Big Bird Cage (1972) oder sogar Nazilager wie in Ilsa, She Wolf of the SS (1975) (die nochmal ihr eigenes Subsubsubgenre bilden), jede Möglichkeit, Frauen gemeinsam einzupferchen bot zugleich die Option diese sexuell aufeinander loszulassen.
Während der US-amerikanische Sexploitationfilm in den 70ern langsam seinem Ende entgegenging, erlebte die Kombination aus Sex und Gewalt in Japan einen zweiten Frühling. Was den Amerikanern der Exploitation ist, ist den Japanern der Pink Movie. Und der unterscheidet sich tatsächlich nur geringfügig von seinem US-Pendant. Auch hier gibt es Frauen im Gefängnis, Sasori – Scorpion (1972) um den berühmtesten zu nennen, Hybriden aus Fantasy, Horror und Erotik wie Hausu (1977) und abstruse Subsubsubsubgenres wie den Nunsploitation, unter anderem vertreten in School of the Holy Beast (1974). Ebenso wie in den USA hatte sich der Sexploitation in Japan im Low Budget Bereich einen gewissen Kultstatus in der Grindhouse-Nische erarbeitet. Entscheidend für den kreativen wie populären Schub des Genres war der Einstieg zweier großer Player in den frühen 70er Jahren: Toei, die im folgenden vor allem für die Sasori Scorpion Reihe verantwortlich waren, und der Filmveteran Nikkatsu, die mit zahllosen Filmen wie Castle Orgies (1971) ihr eigenes Genre, den Roman Porno, prägten. Diese beiden Studios verhalfen dem Genre die ganzen 70er über zu einer Menge neuem Material und prägten es maßgeblich: Pink Violence und abstruse Exploitationvariationen auf der einen Seite, teilweise hochgelobte, dramatische Filme, die neben der Ablieferung des vom Studio geforderten Minimums an nackter Haut, absolute künstlerische Freiheit genossen, auf der anderen. Bei letzterem entfernen wir uns auch vom grellen Sexploitation und kommen zu einer Umarmung von Erotik und Arthaus, wie sie auch im europäischen Erotikkino dieser Zeit zu Hause war.
Wegbereiter und Epizentrum dieses Trends war ohne Zweifel Pier Paolo Pasolini. Ausgerechnet jener Pasolini, der als später Vertreter des Neorealismus mit Filmen wie Mamma Roma (1962), die italienische Filmlandschaft durcheinandergewirbelt und mit dem enigmatischen Teorema (1968) eines der kryptischsten und anspruchsvollsten Werke dieser Epoche erschaffen hatte. Zu Beginn der 70er Jahre überraschte er Publikum und Feuilleton gleichermaßen mit seiner Trilogie des Lebens: Decameron (1971) gefolgt von Pasolinis tolldreiste Geschichten (1972) gefolgt von Erotische Geschichten aus 1001 Nacht (1974). Überraschend heute ist, wie schlecht diese Filme gealtert sind. Pasolinis Versuche Lebenslust, Sexualität, Hedonismus und Erotik ins europäische Arthauskino zu bringen, sind eine merkwürdige Mischung aus ambitionierten, epochalen Gemälden und irritierend amateurhaft umgesetzten frivolen Streichen: Oft wirkt ihre Inszenierung verhetzt, gestolpert, während ihre Geschichten erschreckend öde und belanglos sind. Ihrer Vorlage wird die Decameron-Verfilmung ebenso wenig gerecht, wie es den erotischen Geschichten aus 1001 Nacht gelingt, das märchenhafte Moment des Orients einzufangen. Hand aufs Herz, so stark Pasolini sonst ist, diese Beiträge zum europäischen Erotikkino sind durch und durch misslungen. Mit Casanova (1976) setzte sich Federico Fellini, der zweite Große des italienischen Neorealismus der 60er Jahre ebenfalls mit erotischen Motiven im Film auseinander, auch wenn dessen akademischer, intellektualisierter Entwurf kaum als Erotikfilm durchgehen kann. Auch der mittlerweile nach Amerika gewanderte Michelangelo Antonioni flocht in seinen avantgardistischen Hippiemärchen Zabriskie Point (1970) eineausgedehnte, eskapistische Sexszene ein, baute aber so viel um dieses Erotiksegment herum, dass man auch diesem Film mit der Reduzierung auf seine Erotik nicht im geringsten gerecht wird.
Während sich die genannten Filmemacher ernsthaft bemühten eine Ebene zwischen Geist und Körper, zwischen Kunst und Exzess zu finden, entwickelte sich in den 70ern eine Form von europäischem Softerotikfilm, die vor allem dadurch auffiel, dass sie durch und durch eskapistisch agierte und dennoch ein paar wenige kulturelle, kulturhistorische Referenzen vorschob, um sich selbst irgendeine Form von Legitimität zu geben. Der berühmteste von diesen ist ohne jeden Zweifel Emmanuelle (1974) mit Sylvia Kristel. Nicht nur, weil er einen Haufen Fortsetzungen nach sich zog, sondern auch so manchen Ableger, wovon wiederum Black Emanuelle (1975) mit Laura Gemser und seine zahllosen Nachfolger am populärsten sein dürften. Sehenswert ist keiner dieser Filme: Oft schmerzhaft exotistisch, gerne auch mal sexistisch oder gar rassistisch, nicht sonderlich gut gespielt, ohne Ideen und Visionen was Inszenierung oder Dramaturgie betrifft. In den besten Fällen ziemlich öde Sexdramen, in den schlimmsten Fällen das humorbefreite, europäische Pendant zum amerikanischen Exploitationfilm. Die Geschichte der O (1975), 11.000 Ruten – Im Rausch der Sinne (1975) und Griechische Feigen (1977) sind nur einige wenige Beispiele für europäische Softsexfilme, die in diesem Umfeld entstanden sind: Unterkomplexe Geschichten, die aber ausladend erzählt werden, ästhetizistische Inszenierung, schöne Bilder und Weichzeichner… vor allem Weichzeichner. Den Höhepunkt dieser Entwicklung stellt wohl David Hamiltons Bilitis (1977), in dem die Weichzeichner-Ästhetik derart dominant ist, dass man das Gefühl hat, den Film durch ein Milchglas zu betrachten, und in dem Sexualität derart ästhetisiert wird, das von ihrem sexuellen Moment kaum noch etwas übrig bleibt. Aber immer noch besser als das, was der deutsche Sexfilm mit dem Genre angerichtet hat. Ich habe mich in einem anderen Artikel schon ausgiebig über erotisches Kino aus Deutschland und dessen biedere Seiten ausgelassen. Da führt der Weg hin, wenn ihr Interesse an den wirklich bizarrsten Ausgeburten des 70er Jahre Erotikfilms habt. Nur so viel sei gesagt. Egal ob Reportfilm, Lederhosenfilm oder Sexklamotte, die Deutschen konnten damals einfach keine Erotik und ihre Genrebeiträge zu der Zeit gehören besser vergessen.
Und damit wären wir endlich durch mit dem Erotikfilm der 70er Jahre. Porno nach Porno, Sexfilm nach Sexfilm zu schauen, macht dann doch nicht so viel Spaß, wie man vielleicht vermuten könnte. Und gerade gegen Ende bin ich dann kanonisch auch etwas schlampig geworden. Also gut möglich, dass ich das ein oder andere Meisterwerk verpasst oder übersehen habe, einfach weil ich dann doch irgendwann ziemlich Erotikfilm-müde war. Falls ihr den ein oder anderen cineastischen Beitrag schmerzlich vermisst, lasst es mich bitte wissen. Ich freue mich über jede Sehempfehlung, jede Inspiration, tiefer in das Genre einzutauchen. Denn auch wenn es in der Praxis viel zu meckern gibt, in der Theorie ist der Erotikfilm (und auch der Porno) ein tolles Genre. Er entfaltet eben nur sehr selten sein Potential und ist zudem zu oft Tableau für ärgerlich schlechte filmische Verbrechen. Und damit schließe ich dieses Kapitel und widme mich endlich wieder anderen Genres, in denen es in den 70ern auch ne Menge zu entdecken gibt.
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