Porno Chic und das Golden Age of Porn – …Oder die Pornisierung des erotischen Kinos der 70er Jahre

Ganz unter uns: Es gibt wirklich unangenehmere Jobs, als sich in einem kleinen Marathon durch die Pornofilme der 70er Jahre zu wühlen. Aber als ich mit der 70er Jahre Filmretrospektive begonnen habe, bin ich beim besten Willen nicht davon ausgegangen, dabei zu enden. Egal, was sein muss, muss sein. Und das musste nunmal einfach. Wenn man vom erotischen Film der 70er Jahre schreibt, ja generell, wenn man vom Kino der 70er Jahre schreibt, kommt man nicht daran vorbei, auch vom Porno dieser Zeit zu sprechen. Und dennoch ein klarer, transparenter Disclaimer an dieser Stelle: Es hat mich alles andere als gestört, in den letzten Wochen Porno um Porno dieses Jahrzehnts zu schauen. Das liegt nicht nur daran, dass die Corona-Isolation des Jahres 2020 komische Dinge mit uns macht. Nein, ich bin auch immer gerne dabei, wenn es darum geht, das Filmgenre „Porno“ zu verteidigen. Ja, es ist ein gelinde gesagt schwieriges Genre, das einen Rattenschwanz an Fragen und Problemen nach sich zieht: Pornos sind in der großen Mehrheit sexistisch, sie können entwürdigend sein, geschmacklos, ja geradezu widerlich. Das ändert aber nichts daran, dass das Grundkonzept Porno ein durch und durch faszinierendes ist, und dass Filme mit Sex im Mittelpunkt, inszeniert mit nicht simulierten Sexszenen, explizit und alles zeigend, großartige Filmerlebnisse sein können und es auch in der Tat immer wieder sind. Natürlich nicht die heute so üblichen Pornhub und Xhamster-Clips, die in der Mehrheit die unangenehmsten Seiten des Genres offenbaren, aber die gewagten, subversiven, originellen Filme: Die Filme einer Erika Lust, die kleinen Indie-Streifen, die das Genre anders oder weiter denken und mit den Mitteln des Pornografischen wirkliche Kunst schaffen. Und wenn ich hier so blumig über die Möglichkeiten des Pornos schreibe, dann ist das nichts gegen die affirmative Art wie Feuilleton und Publikum in den 70er Jahren mit dem Pornofilm umgegangen sind.

Porno Chic… Ein Begriff, der es wert ist genauer erforscht zu werden. Vom Golden Age of Porn ist in diesem Zusammenhang gerne und oft die Rede, selbst wenn der Trend, Pornos aus einem künstlerischen Standpunkt faszinierend zu finden, nicht lange genug angehalten hat, um gleich von einem ganzen Zeitalter zu sprechen. Der Porno Chic kam und ging relativ schnell und relativ unerwartet und hat dennoch einen Eindruck in der Filmwelt hinterlassen. Wie kam es dazu? Vor dem Begriff des Porno Chic und der Entdeckung des Pornos durch das Feuilleton stand die Entdeckung des Pornos durch ein größeres Publikum, und zwar durch zwei Filme denen man durchaus ihr pornografisches Moment – aus unterschiedlichen Gründen – absprechen kann. Blue Movie (1969) und Mona the Virgin Nymph (1970) waren beides Filme mit unsimulierten Sexszenen, die dennoch einen klassischen Kinorelease erhielten. Darüber, ob es sich bei Blue Movie um einen Porno handelt, kann gestritten werden, weil niemand geringeres als Andy Warhol für den Film verantwortlich ist, ein Regisseur und Künstler, der jetzt nicht unbedingt für sein pornografisches Œu­v­re bekannt ist. Der Urvater des Pop Art inszenierte Blue Movie (oder Fuck, wie sein passender Alternativtitel ist) auch keineswegs so, wie man es von einem Porno erwartet. Der Sex ist ein zentraler aber nicht der einzige Teil des Films, in dem Warhol-Star Viva und Schauspieler Louis Waldon sich lange und ausführlich im Bett über diverse politische und private Themen unterhalten und schließlich miteinander unsimulierten Sex haben. Mona wiederum ist ein Porno im softcorigsten Sinne, verzichtet er doch auf die exzessive Darstellung des Koitus und schickt stattdessen seine vermeintlich unschuldige Protagonistin auf eine Reise durch diverse Oralsexabenteuer bis hin zu einer großen Mund- und Zungenorgie in seinem Finale.

Der Film, der schließlich als Geburtsstunde des Golden Age of Porn und Initiator des Begriffs Porno Chic gilt, ist der – ebenfalls im regulären Kino veröffentlichte – Porno Deep Throat (1972), der mit seinem Einspielergebnis von 600 Millionen Dollar bei einem Budget von gerade mal 25.000 Dollar vermeintlich der profitabelste Film aller Zeiten ist. Diese Zahlen dürfen allerdings durchaus in Zweifel gezogen werden, wies doch Filmkritiker Roger Ebert vollkommen zurecht darauf hin, dass Deep Throats Gewinne zu großem Teil der Geldwäsche der Mafia zu verdanken seien, für die Pornokinos eine lukrative Möglichkeit bedeuteten, diverse Geldwege zu verschleiern. Auch sonst ist es eine traurige Ironie der Pornogeschichte, dass ausgerechnet dieser Film bis heute als großer Klassiker gilt: Inhaltlich gibt er nämlich nicht viel her und liefert mit seiner Geschichte um eine Klitoris, die im Hals seiner Protagonistin sitzt eine bizarre Rechtfertigung um möglichst viel extremen – vor allem extrem unangenehmen – Oralsex auf die Leinwand zu bringen. Abgesehen von der Widerlichkeit der Sexszenen, der albernen Story und der alles andere als originellen Ästhetik sind auch die Entstehungsumstände des Films mehr als fragwürdig: Hauptdarstellerin Linda Lovelace gab in ihrer Autobiografie 1980 an, von ihrem Ehemann zu dem Film mindestens genötigt, wenn nicht gar gezwungen worden zu sein. Vor und während des Drehs kam es zu mehreren übergriffigen Aktionen, die von den anderen am Film Beteiligten ignoriert wurden. Im Grunde genommen besitzt Deep Throat alles, was am Pornofilm verachtenswert ist: Eine schwache Story, plumpe Rechtfertigungen für ausufernde Sexszenen, eine shady Produktionsgeschichte inklusive Missbrauch und Vergewaltigung, sowie eine direkte Verbindung zum organisierten Verbrechen.

Aber der Film hatte seinen Erfolg, zog zuerst ein kleines, dann immer größeres Publikum an, wurde im Feuilleton rezensiert und schließlich vom Bildungsbürgertum entdeckt. Warum ausgerechnet er die Initialzündung für den Porno Boom ist, wird wohl immer ein Rätsel bleiben. Aber Deep Throat veranlasste Ralph Blumenthal in der New York Times zu schreiben: „It has, in short, engendered a kind of porno chic“. Und da war er dann, der Begriff der Porno Eleganz, die Bezeichnung dafür, dass Pornos ein belesenes, geschmackssicheres Publikum nicht nur begeistern konnten, sondern dass dieses auch stolz darauf war, das Genre für sich entdeckt zu haben. Auch und insbesondere die kulturelle Elite: Truman Capote berichtete wie ihm der Film von Reifeprüfung-Regisseur Mike Nichols empfohlen wurde, auch Martin Scorsese, Brian de Palma und Frank Sinatra bekundeten freimütig, den Film gesehen zu haben. Wie gesagt, ausgerechnet Deep Throat ist nun wirklich der letzte Film, der diese Form von positiver Aufmerksamkeit verdient hätte, aber kurz darauf zwischen den frühen und späten 70ern erblickten dann doch einige Pornos das Licht der Welt, die deutlich erfolgreicher Kunst, Kommerz und Pornografie unter einen Hut brachten.

So erlebte der Porno in der Tat eine Blütezeit im ästhetischen Sinne: Filme wie Behind the Green Door (1972) oder The Devil in Miss Jones (1973) bemühten sich Surrealismus und Symbolismus als Stilmittel im pornografischen Genre zu etablieren, andere Werke wie The Opening of Misty Beethoven (1976) versuchten es mit Humor, wieder andere wie Alice in Wonderland (1976) kamen als bombastische, fantastische Musicals daher, und manch einer wie die französische Satire Le Sexe qui parle (1975) schafften es gar ein wenig Feminismus durch die Hintertür – beziehungsweise in diesem Fall, durch die sprechende Vordertür – ins Genre hinein zu mogeln. Ebenfalls markiert diese Zeit mit Flesh Gordon (1974) den Beginn des Porno Spoofs. Auch wenn sich damals daraus noch kein Trend entwickelte, ist es doch immerhin erwähnenswert, dass die Idee Porno und Parodie zu kreuzen, wie sie im Pornofilm der folgenden Dekaden nahezu inflationär umgesetzt wurde, im Golden Age of Porn ihren Anfang fand. Und last but not least ist es mehr als bemerkenswert, dass mit Boys in the Sand (1971) zum ersten Mal ein Pornofilm mit homosexueller Thematik von einem Mainstreampublikum beachtet und mit Lob überhäuft wurde, zudem noch ein Film, der ein ganzes Jahr vor Deep Throat das Licht der Welt erblickte, quasi in den Porn Chic hineinwuchs und von diesem erheblich profitierte.

Auch wenn alle diese Filme nie die Production Value großer (oder auch kleiner) Hollywoodproduktionen der damaligen Zeit erreichten, ist es doch erstaunlich, wie viel sie mit wenigen finanziellen Mitteln, in einem semikriminellen bis durch und durch kriminellen Milieu und mit ständiger Angst vor den Behörden auf die Leinwand zauberten. Es ist heute kaum noch vorstellbar, aber Porno wurde damals groß gedacht, nicht nur aus monetärer Perspektive, sondern ebenso als Vehikel für manche künstlerischen und narrativen Experimente. Die besten Pornos der 70er Jahre atmen den Geist anderer kleiner unabhängiger Filme der damaligen Zeit. Zum einen müssen sie sich bemühen mehr zu sein als bloße Fickrevue, zum anderen nutzen sie dieses erzwungene Mehr, um auf herrlich unbedarfte Art Albernheiten, Skurrilitäten und experimentelle Visionen zwischen munteren Sexszenen zu platzieren.

Was ist also schief gelaufen? Gleich mehrere Dinge. Zum einen waren im goldenen Zeitalter Pornos nicht vor Kontroversen gefeit. Dank der plötzlichen Öffentlichkeit, die das Genre doch relativ unerwartet gewonnen hatte, standen problematische Momente des Genres sogar deutlich mehr im Fokus als in den Jahrzehnten zuvor. Und neben allen großartigen, experimentellen, progressiven Filmen der Ära gab es eben auch haufenweise ihre hässlichen Spiegel- und Zerrbilder. Porno ist ein dreckiges Genre und in ihm findet sich so ziemlich jede Abartigkeit, die Menschen Vergnügen bereiten kann. Dazu gehören inszenierte Vergewaltigungen in Filmen wie A Dirty Western (1975) oder Pretty Peaches (1978), dazu gehört auch ein Balanceakt am Age of Consent, wenn nicht sogar ein Bruch mit diesem wie in The Cheerleaders (1973). Das ist dann doch mehr als eine Kontroverse, weil der Film in Kino xy nicht gezeigt werden darf oder Gerüchte, er wäre im kriminellen Milieu entstanden. Auch die sich selbst als avantgardistisch begreifende kulturelle Avantgarde kennt Grenzen ihrer Edgyness.

Und progressive Milieus, wie die von denen der Porn Chic ausgerufen und rezipiert wurde, fangen schnell an die Schattenseiten ihrer Kultur zu durchleuchten und herauszufordern. Spätestens zu Beginn der 80er Jahre mit der Veröffentlichung von Linda Boremans aka Linda Lovelaces Autobiografie begann der Feminismus, sich mit den dunklen Seiten des Pornogeschäfts auseinanderzusetzen: Kritisiert wurden die teilweise brutalen Drehbedingungen vieler Filme – bis hin zu reellen Vergewaltigungen -, aber auch die generelle Misogynie, der Sexismus, die Objektifizierung und Entwürdigung der Frau, die vielen Pornofilmen innewohnt. War der Porno Chic nicht zuletzt auch dadurch entstanden, dass der pornografische Film als subversives Kunstwerk gegen eine konservative, prüde Gesellschaft rezipiert wurde, so verlor der Porno in den späten 70er und frühen 80er Jahren seinen Glanz, weil sein Blick auf die Frau und auf Sexualität als Teil der konservativen, patriarchischen Gesellschaft gelesen wurde. Und das auch vollkommen zurecht: Die Pornoindustrie – war wie der Großteil der restlichen Filmindustrie – fest in männlicher Hand, Pornos war (und ist bis heute) von Ausnahmen abgesehen der männliche Blick immanent. Die Lust der Frau wird meistens nur sekundär betrachtet, wenn sie überhaupt eine Rolle spielt, und selbst dann dient diese Lust primär als Katalysator für das männliche Begehren. Die meisten Pornos sind damals wie heute nicht einfach ein subversiver Akt gegen die Gesellschaft, sondern auch eine Befriedigung der in dieser Gesellschaft evozierten (und zugleich verborgenen) Gelüste. Die Konservativen und Prüden damals wie heute hassen den Porno, weil er sie mit ihren unterdrückten, verdorbenen Gelüsten konfrontiert, die Progressiven damals wie heute kritisieren den Porno, weil er diese Gelüste nicht hinterfragt, ihm keine wirkliche sexuelle Utopie entgegenhält.

Diese Ambivalenz führte nicht nur zum Ende des Porno Chic sondern auch nahtlos weiter zum Status des Pornos in den 80ern und 90ern. Von konservativer wie von progressiver Seite mit Argwohn betrachtet wurde der Porno zum Hit in der Schmuddelecke der Videotheken. Und die Pornoindustrie formierte sich neu nach dem Standpunkt „Ist der Ruf erst ruiniert…“. Da es nicht mehr möglich war, die kulturelle Avantgarde zu gewinnen – diese hatte auch schlicht und ergreifend das Interesse an dem Porno Chic Trend verloren -, versuchte er es auch gar nicht mehr. Porno wurde wieder Revue, wurde wieder billig produzierte Aneinanderreihung von Sex. Porno war wieder ganz offen Vehikel für verborgene bürgerliche Gelüste. Zielpublikum: Die Leute, die sich öffentlich über Pornos echauffieren (oder deren Existenz leugnen) und sich gleichzeitig heimlich ins Pornokino schleichen, beziehungsweise später heimlich in die erwachsene Videothekenecke, um bei einem randomisiert gewählten Streifen ordentlich Dampf ablassen zu können. Die Tragik des Golden Age of Porn ist, dass es durchaus das Potential hatte, eine neue Form der erotischen Unterhaltung zu etablieren, aber dabei an dem eigenen Ballast gescheitert ist. Es gelang den 70er Jahren nicht eine tatsächlich „saubere“ Pornofilmszene zu etablieren, die sich glaubwürdig von allem Kriminellen abgrenzte und nach neuen Möglichkeiten innerhalb des Genres suchte. Wahrscheinlich ist die Szene dafür auch einfach zu sehr um sich selbst gekreist, berauscht von der plötzlichen Anerkennung durch die Avantgarde, unfähig sich selbstkritisch mit sich selbst auseinanderzusetzen.

Es sollte sehr viel Zeit vergehen (in der der Porno ein elendes, schmutziges Dasein im cineastischen Hinterzimmer fristete), bis es wieder Ansätze eines zweiten Porno Chic gab… Im Grunde genommen bis heute. Irgendwie befinden wir uns gerade in der Zeit dieser Ansätze, in einer Zeit, in der feministische und queere Themen in den Porno gelangen, in einer Zeit, in der auf Porno-Filmfestivals Macher (und endlich auch Macher*Innen) mit neuen Ideen und Möglichkeiten innerhalb des Genres spielen. Aber auch unsere Zeit trägt die selben und andere Probleme des Genres; auch heutzutage führt kein Weg daran vorbei, sich mit den Schattenseiten des Pornofilms und der Pornoindustrie auseinanderzusetzen. Vielleicht gelingt es uns, einen zweiten Porno Chic zu entfachen, vielleicht gelingt es in diesem sogar, eine wirklich vernünftige Form von Porno jenseits von Biederkeit, Bigotterie und Schund zu entwickeln. Aber an diesem Punkt sind wir leider noch lange nicht…

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