Die besten Filme 2021: The Power of the Dog – Die Herausforderung der Männlichkeit im Wilden Westen

Deliver my soul from the sword / My darling from the power of the dog

…Und dann kam plötzlich der Spätwestern und hat das gesamte Genre ganz schön durcheinander gewirbelt. Das ist mittlerweile gut 50 Jahre her und trotzdem kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, was dieses Subgenre des traditionellen Westerns für diesen und die gesamte Filmwelt getan hat. Nachdem Western als veraltet, verkitscht und einfach nur durchgespielt galten, sorgten die Impulse des Spätwesterns dafür, dass endlich wieder neue Geschichten auf neue Weise rund um den Westen der USA im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts erzählt werden konnte. Und dennoch, so sehr es Alleinstellungsmerkmal des Spätwesterns ist, sich kritisch mit den Tropes des Genres auseinanderzusetzen, so wenig haben dies seine Filme doch an einer ganz zentralen Stelle getan: Den klischeehaften Männlichkeitsbildern, die sich irgendwo zwischen maskulinistisch, machoistisch und schlicht und ergreifend toxisch bewegen. Klar, der Spätwestern hat uns so manchen Antihelden präsentiert, so manchen Verlorenen in der Prärie, so manchen Feigling und Betrüger; aber bestimmte Männlichkeitsideale hat er stets unangetastet gelassen. Und so zeichnet selbst ein Brokeback Mountain (2005), der die homosexuelle Beziehung zweier Cowboys zueinander zum Thema hat, seine Charaktere als markige, die Einsamkeit liebende und zur Gewalt fähige Raubeine, die sich in der Prärie durchschlagen, um ihre Pflichten zu erfüllen; im Grunde genommen also nicht weit weg von dem was ein John Wayne in den 50ern oder ein Clint Eastwood in den 90ern verkörperte. Es ist aber auch wirklich schwer mit dem Bild des traditionellen männlichen Cowboys zu brechen. Wie tut man dies, wenn das gesamte Setting drumherum quasi zur Klischeereiterei einlädt? Eine mögliche Antwort liefert Regisseurin Jane Campion (Das Piano), die mit The Power of the Dog (2021) einen der beeindruckendsten Western der letzten Jahre vorlegt und dabei nichts unversucht lässt, große Fragezeichen an die Klischees und Rollenbilder ihrer archetypischen Figuren anzulegen.

Montana, 1925: Die beiden reichen Brüder Phil (Benedict Cumberbatch) und George (Jesse Plemons) Burbank verwalten gemeinsam den Landsitz und die Viehbestände ihrer Familie. Dabei könnten die zwei unterschiedlicher nicht sein. Während Phil voll und ganz in der Landarbeit mit den ihm untergebenen raubeinigen Cowboys aufgeht, ist George zurückgezogen, sensibel und sehnt sich nach familiärer Wärme. Diese Sehnsucht scheint erfüllt zu werden, als er die verwitwete Gasthausbesitzerin Rose (Kirsten Dunst) und ihren jugendlichen Sohn Peter (Kodi Smit-McPhee) kennenlernt. Zwischen George und Rose entwickelt sich eine zurückhaltende Romanze und schließlich heiraten die beiden und Rose zieht zusammen mit Peter auf den Landsitz der Burbanks. Phil ist alles andere als angetan von den neuen Mitbewohnern. Rose hält er für eine Gold Diggerin und Peter verachtet er wegen seines Auftretens und Verhaltens, das all seinen Männlichkeitsidealen widerspricht. Doch hinter dem sich dadurch anbahnenden Konflikt steckt mehr…

…Und dieses „Mehr“ ist es dann auch, was die Besonderheit von Campions neuem Film ausmacht. Denn so sehr auch zu seinem Beginn eine eindeutige Rollenaufteilung festgelegt scheint, so gekonnt manövriert sich der Film im Laufe seiner Spielzeit durch seine Archetypen und Stereotypen und bricht diese sukzessive durch weitere Facetten und Nuancen auf. Da ist zum Beispiel Phil, der als Musterbeispiel eines toxisch maskulinen, unsympathischen Cowboy-Machos präsentiert wird. Im Laufe des Films offenbart er sich nicht nur als der intelligentere der beiden Geschwister (dem dennoch im Gegensatz zu seinem Bruder ein Collegebesuch verwehrt blieb), wir lernen auch immer mehr von seiner sensiblen, warmherzigen Seite kennen. Vice versa entpuppt sich der zu Beginn so nachdenklich und sensibel wirkende George schließlich als ziemlich plumper Simpel, der zudem so manche egozentrischen Züge besitzt. Die als so aufopferungsvoll dargestellte Rose verfällt im Laufe des Films mehr und mehr einer fast schon pathologischen Ichbezogenheit und der zuerst so sensibel wirkende Peter wird irgendwann zum kühlen Beobachter, der seinen Mitmenschen immer ein Stück überlegen scheint. Den größten Twist erlebt der Film aber in der Beziehung zwischen Phil und Peter. Was sich natürlicherweise als konfliktträchtiger Kampf zweier sehr unterschiedlicher Menschen entwickeln könnte, wird zu einer seltsamen und dennoch durch und durch plausiblen Männerfreundschaft.

Es ist schon erstaunlich, dass ausgerechnet in einem Western – ein Genre das sonst immer mit Archetypen und Stereotypen zu kämpfen hat – derart vielschichtige und komplexe Charaktere auftauchen. Zu verdanken ist das nicht nur Campions exzellenter Regiearbeit sondern auch dem herausragenden Spiel aller Beteiligter. Der britische Schauspieler Benedict Cumberbatch scheint intuitiv nicht unbedingt die erste Wahl zu sein, um einen raubeinigen, verschlossenen, amerikanischen Cowboy zu verkörpern. Gerade diese „Gegen den Strich“-Besetzung wirkt im Fall von Power of the Dog wahre Wunder. Zum einen sehen wir vor uns einen harten, kernigen und brutalen Protagonisten, eine Figur, die fast schon wie eine Paraderolle für einen Typen wie Matthew McConaughey zu sein scheint. Zum anderen blitzt durch diese raue Fassade immer wieder eine fast schon feminine Sensibilität durch. Cumberbatchs Phil besitzt eine inhärente Traurigkeit, eine intellektuelle, künstlerische und romantische Seite, die seinen ganzen Charakter zu einer leisen Dekonstruktion von Männlichkeitsklischees werden lässt. Während Cumberbatchs Leistung die wohl größte Schauspielüberraschung des Films bietet, stehen ihm die anderen Darsteller in nichts nach. Kirsten Dunst gibt ihrer Figur eine schmutzige Verzweiflung und ungeschminkte Lethargie mit auf den Weg. Jesse Plemons gelingt es wie so oft vordergründige Empathie peu à peu mit dahinter liegender unterschwelliger Boshaftigkeit zu kreuzen, und auch der noch recht unbekannte Jungdarsteller Kodi Smit-McPhee liefert eine atemberaubende Performance ab.

Während die Vielschichtigkeit der Charaktere den realistischen Ansatz der Handlung trägt, bewegen sich Campions Bilder auf einer märchenhaften, poetischen, mitunter fast transzendentalen Ebene. So erbarmungslos die Wirklichkeit des hier porträtierten – eigentlich längst vergangenen Wilden Westens – auch ist, so wird diese Seite durch einen magischen Realismus konterkariert. Nicht selten fühlt man sich an die spirituellen Bilderwelten eines Terrence Malick erinnert, ohne jedoch dass die Geschichte selbst deren Poesie adaptieren würde. Viel mehr liegen die harte Wirklichkeit des Geschehens und die visuelle Poesie im ständigen Konflikt miteinander. Diese Konfliktebene spiegelt sich dann auch in den Themen wieder, die vorsichtig im naturalistischen Setup umhertanzen. Es geht nicht nur um Männlichkeit und Männlichkeitsbilder, es geht nicht nur um den Konflikt einer patriarchischen Gesellschaftsordnung mit Personen, die im radikalen Gegensatz zu ihren Idealen stehen. Es geht auch um den Konflikt und den Zusammenprall von alter und neuer Welt, von romantischem wilden Westen und der gesellschaftlichen Moderne. Es geht auch um den Konflikt zwischen Intellekt und Cowboytum, darum wie die romantisierten Werte des einfachen Landlebens mit einem modernen, urbanen Selbstverständnis hadern, es geht um den Konflikt zwischen selbstbestimmter Einsamkeit und dem Grundbedürfnis des Menschen nach Akzeptanz und Nähe. The Power of the Dog verbietet es sich, einfache Antworten in diesen Konfliktlinien zu finden. Ausgerechnet der brutalste Akt des Films kommt von unerwarteter Seite, ausgerechnet das, was man im biblischen Sinne als das Böse bezeichnen würde, findet sich nicht in der rohen alten Welt. Und selbst dieses Böse wird mit einem klaren Fragezeichen ausgestattet. Letzten Endes handeln alle Charaktere so, wie sie glauben, handeln zu müssen, so wie sie es für richtig halten. Und alle haben irgendwie die Plausibilität und Legitimität ihrer Handlungen auf ihrer Seite

Und daher kommt die Tragödie, zu der sich The Power of the Dog entwickelt, dann auch auf leisen Sohlen daher. Dahinter steht kein transzendental deterministisches Weltbild, sondern ein analytischer Blick auf soziale Umstände, gesellschaftliche Gepflogenheiten und systemisch bedingte Gewalt. The Power of the Dog ist ein Bruch mit traditionellen Westernkonventionen, weil er so soziologisch daherkommt, weil er seine Figuren nicht archetypisch handeln lässt und weil er seine Schönheit nicht aus der klassischen Genrepoetik speist: Jane Campion ist einer der beeindruckendsten Anti-Western der letzten zehn Jahre geglückt, ein bewegendes, vielschichtiges Drama und eine sehr genaue Sezierung von Rollenklischees und Handlungsmustern. Wenn es um die besten Filme des Jahres 2021 geht, spielt dieser hier ganz oben mit.

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