Die besten Filme der 90er Jahre: Gedanken zu American Beauty (1999)

Das wird kein „Warum der und der Film da nicht reingehört“-Artikel wie zum Beispiel bei Saving Private Ryan oder Basic Instinct. Genau genommen mag ich American Beauty ziemlich gerne. Er ist ein hervorragender Film… und ja, er gehört auch irgendwie zu den besten Filmen der 90er Jahre. Dennoch habe ich mit Sam Mendes Vorstadtsatire mein ein oder anderes Problem, auf das ich in diesem Text eingehen möchte. In der entsprechenden Bestenliste habe ich ja schon ziemlich deutlich ausgedrückt, warum American Beauty ein Anrecht auf eine Top-Platzierung hat, hier soll es indes um anderes gehen. Folgerichtig richtet sich dieser Text an Leser die den Film bereits kennen. Eine Zusammenfassung der Handlung oder Kurzumschreibung wird es keine geben, sehr wohl werde ich aber auf wesentliche Storyelemente eingehen. Wer den Film noch nicht gesehen hat und nicht gespoilert werden will, sollte an dieser Stelle daher nicht weiterlesen.

American Beauty breitet sein Hauptmotiv von Beginn an ohne Zurückhaltung aus. Im Mittelpunkt steht der Vitalismus, die Gier nach Leben, Schönheit und Glück. Von Beginn an mit dem Leben von Lester Burnham konfrontiert, der sich selbst als „bereits tot“ klassifiziert, wird ein klassischer vitalistischer Topos etabliert, der den ganzen Film über omnipräsent ist. Ausgehend von Lesters Leben erzählt „American Beauty“ im Fortlaufenden seine Geschichte als ganz klassisches Heldenmär, inklusive aller wesentlichen Stationen: Das Erleben des Mangels, der Ruf, der sich hier in Form der blonden Lolita-Prototypin Angela Hayes manifestiert, der Mentor – ironischerweise verkörpert vom weitaus jüngeren Ricky Fitz -, die Prüfungen und schließlich das Ende, im Laufe dessen sich American Beauty zu einer klassischen Tragödie mausert.

Die vitalistische Botschaft an und für sich ist kein Problem, selbstverständlich ein wenig naiv, eindimensional und praktisch bar jeder ironischen Brechung. Schwierig wird sie durch die Art ihrer praktischen Umsetzung: Die nahezu religiösen Wahn einnehmende Lebensgier Lesters äußert sich in einfachstem Hedonismus und purer Verantwortungslosigkeit; frei nach dem Motto, dass das Glück des einfachen Mannes eben doch Saufen, Kiffen, Vögeln ist. So muss sich der Protagonist als Zeichen neu gewonnener Freiheit natürlich ein teures, protziges Auto kaufen. Nach der Kündigung des alten, gefängsnisähnlichen Jobs führt der nächstbeste Weg zu einer Burgerfiliale, selbstverständlich auf der Suche nach so wenig Verantwortung wie möglich. Dem körperlichen Verfall wird mit Fitnesstraining entgegen gearbeitet. Unser Held will nackt gut aussehen, was ihm auch zweifellos gelingt. Zu der Musik von Pink Floyd werden Muskeln antrainiert bis Lester schließlich zum Prototypen eines erwachsenen California-Dreamboys mutiert, der dann auch keine Probleme damit hat, die weitaus jüngere Freundin seiner Tochter zu verführen. In der Lebensideologie von „American Beauty“ ist alles auf den Kick, auf das rasante Vergnügen gebürstet. Eine tatsächliche Selbstbefreiung findet indes nicht statt. Der klassische Spießbürger projiziert hier seine Wochenendfantasien schlicht auf den Rest der Woche… Ach wenn doch jeden Tag Sonntag wäre!

I’d always heard your entire life flashes in front of your eyes the second before you die. First of all, that one second isn’t a second at all. It stretches on forever, like an ocean of time. For me, it was lying on my back at Boy Scout Camp, watching falling stars. And yellow leaves from the maple trees that lined our street. Or my grandmother’s hands, and the way her skin seemed like paper. And the first time I saw my cousin Tony’s brand-new Firebird. And Janie… and Janie. And… Carolyn. I guess I could be pretty pissed off about what happened to me, but it’s hard to stay mad when there’s so much beauty in the world. Sometimes I feel like I’m seeing it all at once, and it’s too much. My heart fills up like a balloon that’s about to burst. And then I remember to relax, and stop trying to hold on to it. And then it flows through me like rain. And I can’t feel anything but gratitude for every single moment of my stupid little life.

Differenzierter geht es da schon bei der Darstellung der Nebenfiguren zu, allen voran der zuerst suspekte, später als heimliche Protagonist etablierte Nachbarsjunge Ricky Fitz. Auch dieser ist von der selben Sehnsucht nach Leben getrieben wie Lester. Dieser Sehnsucht liegt jedoch eine gänzlich andere Prämisse zu Grunde: Anstatt aus der selbstverschuldeten Unlebendigkeit agiert Ricky aus dem Gefängnis der fremdbestimmten Sozialisation und jugendlichen Unfreiheit. Seine Form des Vitalismus ist ein blanker Eskapismus und Ästhetizismus, der in großem Maße auf mediale Übermittlung setzt. Gerade dies eröffnet eine fatale – unbeabsichtigte – Metaironie in der berühmt gewordenen Plastiktüten-Szene. Ricky zeigt seiner Freundin das Video der fliegenden Plastiktüte als „das Schönste, was er je gefilmt hat“. Er gesteht zu, dass ein Film nur ein mangelhafter Ersatz ist, er diesen aber benötigt, um sich zu erinnern. Wir sehen derweil diesen Film der Plastiktüte als Film im Film, zudem noch verfremdet mit den Inszenierungstechniken von American Beauty selbst. Im Hintergrund erklingt die verträumte Pianomusik von Thomas Newman, wohlgemerkt nicht in Ricky’s Video, sondern in dem Film, den wir sehen. Das ‚Geständnis‘ eines mangelhaften Ersatzes unterminiert sich damit selbst. Wir sehen die Plastiktüte nicht als Darstellung der Wirklichkeit sondern ganz im ästhetizistischen Sinne als Realität+, als artifizielle, stilisierte Aufbereitung der Realität, die uns die Schönheit dieser deutlich machen will. Pimp my reality! Im Grunde genommen hat die – wunderschöne – Plastiktütensequenz von American Beauty etwas tief bigottes, da sie ihren eigenen medialen Eskapismus verleugnet.

Diese Bigotterie fällt insbesondere deswegen so sehr auf, da sich American Beauty an zahllosen anderen Stellen als Entlarver bürgerlicher Bigotterie positioniert: Die sich selbst als Flittchen vermarktende  Angela ist noch Jungfrau, der homophobe Reden schwingende Exsoldat ist selbst homosexuell, die sich nach außen erfolgreich und stark gebende Carolyn ist in Wirklichkeit labil und sehnt sich nach einem Mann zu dem sie aufschauen und den sie anbeten kann (auf den Punkt gebracht in der hervorragend inszenierten, obskuren Sexszene mit dem Imobilienmakler Buddy). Als Satire auf Schein und Sein zeigt American Beauty seine Zähne und satirischen Klauen. Jeder hat etwas zu verbergen, jeder lebt anders als er eigentlich gerne würde und wird früher oder später mit der Diskrepanz zwischen seiner und der gesellschaftlichen Realität konfrontiert. Das betrifft schließlich auch Lesters neugewonnenes Leben. In zwei Szenen wird der religiöse Eifer seines Vitalismus subtil aber gekonnt auseinander genommen. „Ich will dir doch nur helfen!“ schreit er Carolyn nach einem verpatzten Verführungsversuch zu. Der Idealismus wird vom Missionarismus begleitet und offenbart seine dogmatische Aura; ebenso auch in der fast schon penetrant-pädagogisch wirkenden Belehrung im posthumen Schlussmonolog des Films

You have no idea what I’m talking about, I’m sure. But don’t worry, you will someday.

Hier offenbart American Beauty ein gehöriges Selbstdekonstruktions-Potential, das über lange Strecken innerhalb des Films ungenutzt bleibt. So funktioniert er weiterhin hervorragend als berührende Tragikomödie, als naiv eskapistischer Rausch und vitalistische Exegese der Schönheit des Lebens. Als gesellschaftskritische Satire indes ist er zu eindimensional, zu dogmatisch simpel hedonistisch, um gegen ironisch bis zynisch gebrochene filmische Dekonstruktionen der 90er Jahre oder unserer Zeit standhalten zu können. Die Zerlegung bürgerlicher Ideale gelingt Sam Mendes mit Revolutionary Road weitaus eindringlicher, differenzierter und schnittiger. American Beauty bleibt ein herausragender Film und ebenso ein eindringliches vitalistisches Manifest. Für mehr fehlt ihm die Bissigkeit gegen sich selbst.

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Erstveröffentlichung: 2011