Die besten Filmdramen der 90er Jahre VI

Einen haben wir noch… den Letzten, versprochen. Dieses Mal geht es vor allem tief hinein in die weniger hellen und geradezu dunklen Facetten der amerikanischen Gesellschaft. In Dead Man Walking wird mit den Konsequenzen der Todesstrafe gehardert. In The Hurricane und Die Verurteilten wird das Leben der amerikanischen Gefängnisse und der zu Unrecht Angeklagten mit ergreifendem Pathos dokumentiert. Um ganz konkrete Schuld dagegen geht es in dem bitteren und dunklen Copdrama Bad Lieutenant, ebenso wie im pessimistischen Nazidrama American History X. Und wer glaubt, nur die Amerikaner hätten einen an der Klatsche, darf sich in Lars von Triers Idioten eines Besseren belehren lassen.

Idioten [Lars von Trier]

(Dänemark 1998)

Auch wenn Vinterbergs Festen der beste Film der Dogma 95 Exponate ist, so darf sich Lars von Triers Idioten doch rühmen der konsequenteste Vertreter des neuen europäischen Naturalismus zu sein. Dass es von Trier trotz bitter-zynischer Erzählung ernst meint mit seinem Manifest, darf er dann auch gleich bei den unsimulierten Sexszenen, dem improvisierten Chaos und dem schmerzhaften Voyeurismus seiner Kamera unter Beweis stellen. Ähmm ja, Idioten gehört eigentlich zu den provokanten Filmen des Jahrzehnts, ist aber über seinen zweifellos vorhandenen Provo-Faktor hinaus ein so verdammt gutes Arthaus-Drama um gespielten, geglaubten und durchgezogenen Wahn, dass er an dieser Stelle einfach nicht ungenannt bleiben darf. Ein Film der die Nerven kitzelt, der provoziert, aber auch ein verdammt wichtiger und bereichernder Film. Dogma 95 mag nur eine Episode der Filmgeschichte sein, Idioten beweist allerdings, dass wir diese Episode in den 90ern verdammt nötig hatten.

Dead Man Walking – Sein letzter Gang [Tim Robbins]

(USA 1995)

Wenn es um Konsequenz geht, muss sich das bitter-tragische US-Drama Dead Man Walking nicht vor der europäischen Arthaus-Konkurrenz verstecken. Mit unglaublichem Feingefühl inszeniert Tim Robbins die diffizile Freundschaft eines verurteilten Todeskandidaten mit einer Ordensschwester, dokumentiert dabei den Prozess des endgültigen Strafvollzugs, findet Empathie für Täter, Opfer, Rachedurstige und erzählt dadurch eine Geschichte, wie sie differenzierter und unaufgeregter nicht sein könnte. Kein wütendes Poltern gegen den Vollzug, kein erhobener Zeigefinger, keine politische Feinjustierung, stattdessen ein tiefer und gründlicher Blick in die amerikanische Seele. Vielleicht sogar der wichtigste filmische Beitrag zum Exekutionsdiskurs, und gerade wegen seiner konsequenten Ambivalenz ein ungemein effektiver Aufruf gegen das barbarische Verfahren der Todesstrafe.

The Hurricane [Norman Jewison]

(USA 1999)

Ja, Justizia hat es nicht leicht im selbstbewussten amerikanischen Drama der 90er Jahre. Die verfilmte Lebensgeschichte des Boxers Hurricane, der Jahrzehnte lang unschuldig hinter Gittern saß, ist ein engagiertes, aufopferungsvolles Drama, das den alltäglichen Rassismus der US-Justiz thematisiert. Vollkommen auf die wahnsinnig starke Präsenz und das unheimlich gute Spiel Denzel Washingtons zugeschnitten (warum hat der eigentlich damals keinen Oscar gewonnen? Ah, deswegen!) nimmt es The Hurricane zwar mit Details nicht immer so genau, ist aber vollkommen unabhängig von der wahren Geschichte ein ungemein starker Justizkrimi und ein beeindruckend direktes Rassismusdrama mit klarer und wichtiger Botschaft.

Bad Lieutenant [Abel Ferrara]

(USA 1992)

Abel Ferrara? Hatten wir den nicht schon hier? Und hier? Jepp, der Mann versteht es wie kein Zweiter Thriller, Horror und Drama zu einem dunklen – verflucht dunklen – Ganzen zu verbinden. Im Cop-Film Bad Lieutenant kippt alles zur tragischen Seite über. Die Welt ist ein Moloch, korrupt ist ohnehin jeder, böse sind die meisten, und der Mensch ist fast immer des Menschen Wolf. Bad Lieutenant erhebt die dunkle Seite der Welt zum sakralen Gewitter: Etwas Apokalyptisches liegt ständig in der Luft, Pessimismus und Misanthropie haben System… und gerade aus diesem zutiefst bitteren, abartigen Blick auf die Welt entsteht ein kraftvolles, schmerzhaftes Crime-Drama, das es durchaus mit den dunkelsten Vertretern New Hollywoods aufnehmen kann. Abel Ferrara tut alles um sein Publikum zu quälen… und man kann es ihm in diesem Fall nur danken. Bad Lieutenant ist ein Film, der die ganze Laufzeit über gefangen hält und einen auch lange danach noch nicht loslässt.

American History X [Tony Kaye]

(USA 1998)

Uhhh… eigentlich so ein Wackelkandidat. Das Nazi-Drama American History X ist laut, macht es sich all zu oft viel zu einfach, geht dabei bis zur regelrechten Flachheit und lässt sich gegen Ende gar wunderbar in die Relativierer-Ecke drängen… Subtil geht jedenfalls anders. Und trotzdem ist Tony Kaye mit dem Blick auf die Entstehung und Agitation rechtsextremer Ideen ein gewaltiges, pathetisches und mitreißendes Crime-Drama geglückt. Edward Norton ist es vor allem zu verdanken, dass der extreme Protagonist nie zum Abziehbild wird sondern stets authentisch und plausibel bleibt. Darüber hinaus lebt American History X von seiner erschlagenden Direktheit, seinen stilisierten Bildern und der geschickt verwobenen Handlung. Ein Drama, das locker über zwei Stunden zu fesseln weiß… auch wenn sich das Fastfood-Gefühl danach nicht ganz leugnen lässt.

Die Verurteilten [Frank Darabont]

(USA 1994)

Bei der Frage nach guten Stephen-King-Verfilmungen erntet man oft lange Gesichter. Okay, Es konnte uns – trotz Goofiness – als Kinder einen Schrecken einjagen, ja Shining war groß (den mochte King bezeichnenderweise nicht) aber sonst…? Früher oder später wird dann doch Shawshank Redemption in den Raum geworfen, und zwar vollkommen zurecht. Dieses unglaublich epische, einfühlsam erzählte Gefängnisdrama, das keine Angst vor großen Gefühlen und Sentimentalität hat. Über mehrere Jahrzehnte begleitet es mit sensiblem Blick das Leben eines zu Unrecht Verurteilten, findet immer wieder Trost und Hoffnung hinter den kalten Steinmauern und schwingt sich gegen Ende zu gewaltigem Pathos auf. Mei, das geht ins Herz… und selbst wenn es hin und wieder ein bissel zu viel ist, haben wir doch alle mitgeweint, mitgelacht und mitgefiebert. Ein Hollywood-Drama, wie es schöner und emotional tiefgreifender kaum sein könnte.

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