Die besten Dokumentarfilme der 90er Jahre II

Der zweite Teil unserer 90er-Doku-Retrospektive… Ich fasse mich mal kurz: Gleich dreimal blicken wir hinter die Kulissen der Filmindustrie, leiden und lachen in American Movie mit unabhängigen Filmemachern, erinnern uns mit Werner Herzog an seinen liebsten Feind Klaus Kinski und betrachten in The Celluloid Closet amerikanische Filmgeschichte aus einem anderen Blickwinkel. Zu den cineastischen Dokumentationen gesellt sich die Schönheit der Natur, in einer kurzen Geschichte der Zeit, die Kosmos, Erde und Mensch in das richtige Verhältnis rückt und in Luc Bessons Atlantis, in dem wundervolle Unterwasseraufnahmen auf einen hypnotischen Score treffen. Einmal dokumentarische Vielfalt bitte, nach dem Klick.

American Movie: The Making of Northwestern [Chris Smith]

(USA 1999)

How to make an independent movie…. NOT! American Movie folgt dem unabhängigen Filmemacher Mark Borchardt bei dessen Arbeit an dem Low Budget Horrorstreifen Coven. Und bei diesen Dreharbeiten geht so ziemlich alles schief, was schief gehen kann: Mangelnde Planung, fehlendes Budget, Alkohol- und Drogenabhängigkeit in der Crew… und doch steht am Ende das filmische Ergebnis, in schwarz-weiß und atemberaubender Länge von 35 Minuten. Und das eigentliche Meisterwerk, das im gleichen Atemzug entsteht ist eben dieser fantastische Blick hinter die Kulissen. American Movie ist persönlich, sehr persönlich, zeigt den extremen und zugleich idealistischen Regisseur bei seinen Ausfällen, bei seinem bizarren Verhalten und findet doch zugleich auch immer Liebe und Zuneigung für sein Sujet. So fließen die Tragik eines hoffnungslosen Traums und die Komik bei desser dilletantischen Verwirklichung ineinander. Ein großartiger, anrührender und ungemein melancholischer und tragikomischer Dokumentarfilm, der wie sein Protagonist – trotz aller Verfehlungen – das Herz am rechten Fleck hat.

The Celluloid Closet [Rob Epstein, Jeffrey Friedman]

(USA 1996)

Behind the Scenes, die Zweite.  The Celluloid Closet sammelt Filmszenen und Interviewschnipsel und zeichnet anhand derer ein umfassendes Bild von Transgender und Homosexualität in der amerikanischen Filmgeschichte. Dabei untersucht er sowohl versteckte, kleine Andeutungen in Hollywood-Klassikern als auch den gesellschaftlichen Wandel die Akzeptanz von Homosexualität betreffend und wie dieser sich im aktuellen US-Kino niederschlägt. Unterstützt wird er dabei von zahllosen Prominenten: Von Tony Curtis über Tom Hanks bis zu Susan Sarandon. Das Ergebnis ist ein beeindruckendes, akribisches und analytisch verspieltes Porträt des amerikanischen Films jenseits der Heteronormativität. Eine beeindruckende Datensichtung und Dank des melancholisch verträumten Untertons und der optimistischen Sichtweise ein ergreifendes Porträt der anderen Seite der Filmindustrie.

Mein liebster Feind [Werner Herzog]

(Deutschland 1999)

Behind the scenes, die Dritte. Werner Herzog hat seinem Freund und gleichzeitigem Nemesis Klaus Kinski mit „Mein liebster Feind“ ein beeindruckendes Denkmal gesetzt. Dabei geht es ihm weniger darum, das Leben des streitbaren, exzentrischen Schauspielers nachzuzeichnen, als viel mehr seine eigene, ganz persönliche Beziehung zu diesem zu dokumentieren. Anhand von Aufnahmen hinter den Kulissen von Filmen wie Aquirre, der Zorn Gottes (1972), Fitcarraldo (1982) und Nosferatu (1979) entsteht ein eindringliches Porträt zweier Visionäre des neuen deutschen Films, die nicht miteinander aber auch nicht ohne einander können. Narzissmus, Exzentrik, Größenwahn und künstlerische Starrköpfigkeit treffen aufeinander, tanzen miteinander und befinden sich in einer ständigen Zwiesprache bis hin zum gewaltsamen Ausbruch. Ein beeindruckendes und intimes Porträt, in dem sich Herzog erfeulich nackt macht und zugleich seinen ehemaligen Weggefährten ehrt, ironisch distanziert betrachtet und zu verstehen versucht. Nicht nur für Freunde der deutschen Filmgeschichte ein absolutes Must-See.

A brief history of time [Errol Morris]

(USA 1991)

Zu den großen populärwissenschaftlichen Werken der 80er und 90er Jahre gehört zweifellos Stephen Hawkings Eine kurze Geschichte der Zeit (1988). Die gleichnamige Verfilmung von Errol Morris begnügt sich nicht damit, die Theorien Hawkings audiovisuell umzusetzen, sondern geht noch einen Schritt weiter. Anhand von Interviews, Animationen und dokumentarischen Aufnahmen porträtiert Morris sowohl Leben als auch Theorie von Hawking, beleuchtet die Einflüsse seiner motorischen Erkrankung und findet zugleich immer wieder zur Physik zurück. Durch die atmosphärisch dichte Musik von Philip Glass begleitet, entsteht so ein eindrucksvolles Porträt von Persönlichkeit und Gedankenwelt von Mensch und Wissenschaft. Die perfekte Verknüpfungen von Astrophysik, Humanismus und Dokumentation des Geistes.

Atlantis [Luc Besson]

(Frankreich 1992)

Wenn es um die Schönheit der Natur geht, hat einer in den 90er Jahren auf jeden Fall mitzureden: Luc Besson. In seinem ästhetizistischen Unterwasserporträt Atlantis verzichtet er auf störende Off-Kommentare, auf wissenschaftliche Akribie und auf inhaltlichen Dogmatismus. Stattdessen lässt er einfach seine wundervollen Kameraaufnahmen in Verbindung mit der Musik Eric Serras für sich selbst sprechen. Und trotzdem gelingt es ihm mit dieser Mischung aus dokumentarischem Minimalismus und eskapistischem Größenwahn ein unfassbar schönes, parabolisches und hypnotisierendes Kaleidoskop der Unterwasserwelt zu erschaffen. Atlantis schwelgt in seiner eigenen Schönheit, zelebriert seine Bilder, unternimmt immer wieder (erfolgreich) den Versuch diese zu universalisieren und generiert dadurch ein erinnerungswürdiges Erlebnis zwischen musikalischem, biologischen und universellem Trip. Reality just to enjoy.

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