Die besten Filme 2022: Triangle of Sadness von Ruben Östlund

Mensch, da hat der Herr Östlund uns aber allen ein Schnippchen geschlagen und mit Triangle of Sadness nicht nur einen, sondern praktisch gleich drei Filme veröffentlicht (als wäre der Titel eine fiese Prophezeiung des Kommenden): Zurückhaltende aber pointierte Beziehungskomödie mit tragikomischem Anstrich; bitterböse Bizarrerie, die fast ins Surreale abgleitet; und dann auch noch zynische Sozialparabel, auf die auch ein George Orwell mehr als stolz wäre. Und das wirklich Unfaire daran, man kann über die Dreiteilung seines neuen Filmes nur schwer reden, ohne arg in Spoiler-Territorien abzurutschen. Daher an dieser Stelle eine kleine Vorwarnung: Auch wenn ich in folgender Rezension größtenteils auf Spoiler verzichten werde, schaut euch diesen Film an, ohne zuvor zu viel darüber gelesen zu haben. Ja, dieser Aufruf ist ein beliebtes Trope, meistens leider ein Klischee der Filmkritik; in diesem Fall passt die Warnung aber wirklich wie Arsch auf Eimer. Triangle of Sadness macht am meisten Spaß, wenn man so wenig wie möglich weiß, worauf man sich einstellen muss, auch wenn der Film neben seinen Twists und Turns noch genug andere Vorzüge aufzuweisen hat.

Das Triangle of Sadness bezeichnet die Sorgenfalten, die sich im Laufe des Lebens oberhalb der Nase bilden können und natürlich Gift für eine Karriere sind, die primär auf dem eigenen Aussehen aufbaut. Mit dieser Tatsache muss sich auch Model Carl (Harris Dickinson) auseinandersetzen, hat er doch mehr als genug Gründe für so manche Sorgenfalte: Seine Karriere ist nie so richtig in Gang gekommen und er verdient meistens eher schlecht als Recht mit seinen Fotos und Laufstegauftritten. Seine Freundin Yaya (Charlbi Dean Kriek) ist ebenfalls Model, im Vergleich zu ihm jedoch ungleich erfolgreicher, verdient nicht nur mehr als er, sondern ihr scheint alles so einfach zuzufliegen. Und so steckt ihre Beziehung immer mal wieder in kleinen Krisen, und auch eine kleine Diskussion darüber, wer das Abendessen bezahlen soll, kann schnell zum absurden Streit mutieren. Erholung von den Sorgen des Alltags verspricht eine gemeinsame Reise, ein Kreuzfahrttrip auf einer Luxusjacht, an der Yaya und Carl als Influencer für umme teilnehmen dürfen. Die Gästeschar um sie herum gehört dabei zu den Reichsten der Reichen: Pensionierte Waffenhändler, russische Oligarchen, neureiche Startup-Verkäufer… egal wo sie herkommen, sie können sich alles leisten und machen davon an Bord dieses schwimmenden Sodom und Gomorrha auch ausgiebig Gebrauch. Höhepunkt soll das Captains Diner werden mit dem notorisch betrunkenen Kapitän Thomas (Woody Harrelson). Doch die See ist rau, das luxuriöse Essen möglicherweise verdorben, und der reichen und dekadenten Meute steht ein Abenteuer bevor, das sie so schnell nicht vergessen wird.

Dann stehen wir bei nicht mal 30% des Films, und was in der Folgezeit passiert, schlägt so manchen grotesken Schlenker. Mit Force Majeure hat Ruben Östlund 2014 ein ebenso subtiles wie schmerzhaft zutreffendes Gesellschaftsporträt gezeichnet und dabei vor allem die Beziehung von Mann und Frau im Postpostfeminismus seziert. Im ersten – kürzesten Drittel – von Triangle of Sadness scheint er dies zu wiederholen. Auch hier ist der Film unfassbar dicht dran an seinem Protagonisten und seiner Protagonistin, lässt sich viel Zeit ihre Macken und Neurosen zu beobachten, um dann irgendwo zwischen skurrilem Humor und bitterbösem Realismus ihre Zweisamkeit auseinanderzunehmen. Aber das ist wie gesagt nur das erste Drittel, und beim Rest des Films verzichtet Östlund auf die vorherige akademische Subtilität. Im Laufe seiner stolzen 150 Minuten entwickelt sich Triangle of Sadness von der leichtfüßigen Satire zur überzeichneten, derben Groteske und schreckt dabei auch nicht vor einer ganzen Wagenladung Fäkalhumor zurück. Der Mittelteil dieses Biestes ist für schwache Mägen alles andere als geeignet. Nicht nur die Protagonist*Innen auch das Publikum muss so einiges durchstehen, wenn ums Überleben gekotzt, geflucht und geschissen wird. Das erreicht zwar nicht ganz die bizarren Höhen eines Mr. Creosote, ist dann aber doch oft genug deutlich näher an Monty Python, als der Beginn der Geschichte vermuten ließe.

Und selbst dann wartet noch eine Weiterführung des Films, die deutlich mehr ist als ein bloßer Epilog. Östlund lässt seine Gesellschaft stranden… im wahrsten Sinne des Wortes. Und wir erleben eine Umkehrung des Klassenkampfes, die stolz in der Tradition von „Animal Farm“ steht und sich auf einem ziemlich unrealistischen Plateau mit den Fragen um Macht, Verantwortung, soziale Strukturen und Geschlechterklischees auseinandersetzt. Ja, all diese Fragen sind auch schon in den ersten beiden Dritteln vorhanden – der Kampf der Geschlechter in der Beziehung von Carl und Yaya, die unangenehme Dynamik zwischen arm, reich und mittelreich in dem Aufeinandertreffen von Gästen und Crew auf dem Schiff -, im letzten Drittel wird sie aber noch einmal in ganz und gar parabolischen Dimensionen aufbereitet. Wieder findet – durch die Hintertür – ein Genresprung statt; haben wir uns gerade so von der Rohheit der derben Mitte erholt, wähnen wir uns plötzlich in einem Soziologieseminar und diskutieren über eine schräge Versuchsanordnung.

Man muss als Zuschauer schon ein bisschen Suspension of Disbelief aufbringen, um Östlund diese beiden Sprünge zu verzeihen, man muss sich schon darauf einlassen, von einem Gemüts- und Geisteszustand zum nächsten geworfen zu werden, um auf diese Struktur klar zu kommen. Und es wäre gelogen, nicht zuzugeben, dass der Film durch diese Dreiteilung ein wenig ins Stolpern kommt. Rund ist diese Art der Inszenierung nämlich nicht. Und es fühlt sich mehr als einmal so an, als würden wir hier in drei Filmen sitzen, die Östlund als cineastischer Frankenstein schnell zusammengenäht hat. Was es leichter macht, ist die Tatsache, dass sowohl Dramaturgie als auch Inszenierung auf extrem hohen Niveau stattfinden. Die Kameraarbeit ist on point, mal verschmitzt voyeuristisch im Hintergrund, mal aufdringlich dicht dran an den Menschen, die sie beobachtet. Der Schnitt überzeugt. Vor allem wenn irgendwann das Chaos beginnt und wir gleich mehreren Katastrophenszenarien beiwohnen, leistet dieser eine exzellente Arbeit, uns das Chaos miterleben zu lassen und uns dennoch immer auktorialen Überblick zu gewähren. Der Cast ist der Wahnsinn. Insbesondere Charlbi Dean Kriek als selbstverliebte und manipulative Yaya sowie Zlatko Burić als bärbeißiger Oligarch stechen hervor. Im letzten Drittel kommt noch Dolly de Leon als Despotin mit nachvollziehbaren Motiven hinzu, die vor allem durch glaubhafte Zurückhaltung glänzt.

Und dann lässt sich auch die Tatsache nicht verschweigen, dass Triangle of Sadness trotz aller akademischen Beobachtungsgabe, trotz allen parabolischen Eifers und trotz ziemlich hartem Tobak im Mittelteil verflucht unterhaltsam ist. Gerade das Stolpern und Straucheln, der etwas konfuse Umgang mit dem eigenen Tempo sorgt dafür, dass Triangle of Sadness Östlunds massentauglichster Film ist. Es gibt einfach genug Szenen zum Johlen, Schreien und sich den Verstand aus dem Kopf lachen. Triangle of Sadness macht einfach Spaß, schlicht und ergreifend. Er ist harte Satire, besitzt aber in seinem Kern immer auch einen gewissen Popcorncharme, der ihn deutlich bekömmlicher werden lässt als vergleichbare Filme von Francois Ozon oder Peter Greenaway. Also gibt es an dieser Stelle eine absolute Sehempfehlung, allein schon, weil Östlund hier einen Film vorlegt, der im wahrsten Sinne des Wortes genug Stoff für drei Filme hat. Alle drei für sich großartig, jeder auf seine Art; vielleicht etwas unsauber zusammengenäht, dafür aber auch wirklich alles abdeckend, was das Genre der schwarzen Komödie so hergibt.

 

Diesen Film haben wir auch in unserem Podcast besprochen.

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