Kurzrezensionen: Dogtooth, Beautiful, Bedingungslos

Nachdem es in der letzten Kurzerezensionssammlung das volle Blockbuster-Programm mit Harry Potter, Super 8, und Planet der Affen Prevolution gab, verlassen wir dieses Mal die vorgewärmten Kinosessel und schauen uns im Videotheken-Regal in der Arthaus- und Independent-Film-Abteilung um. Ich weiß gar nicht, ob einer von den drei hier rezensierten Filmen eine Kinoauswertung hatte. Tendenziell wohl eher nicht. Auf jeden Fall liegen sie derzeit (relativ) frisch in der Videothek meines Vertrauens und bilden ein gutes Kontrastprogramm zu lauten, mainstreamigen Blockbuster-Orgien: Dogtooth eine verstörende, surreale Parabel in der Tradition des europäischen Autorenkinos, Beautiful ein düsterer Mysterythriller, der gerne das Blue Velvet des neuen Jahrtausends wäre, und Bedingungslos, in dem Ole Bornedahl (Nightwatch) mit perfider Montagetechnik den Zuschauer in einem alptraumhaften Sog gefangen nimmt. Was können die drei filmischen Ausreißer und lohnt sich für sie der Gang zur Videothek?

Dogtooth [Giorgos Lanthimos]

(Griechenland 2009)

Eine gut situierte, großbürgerliche griechische Familie. Der Vater ist jeden Tag auf der Arbeit, die Mutter bereitet exquisites Essen zu… und dder Sohn und die beiden Töchter sind zu Hause. Immer. Den ganzen Tag. Isoliert und mit sich selbst beschäftigt. Ermöglicht wird diese Abschottung der Kinder durch die surreale Scheinwelt, die ihre Eltern für sie errichtet haben: In dieser haben alltägliche Gegenstände vollkommen andere Namen, draußen lebt Katze – ein Monster, dass jeden verschlingen kann, der ihm zu nahe kommt -, und den sicheren Hort der Familie darf man erst verlassen, wenn man den titelgebenden Hundezahn verliert. Ihren isolierten Alltag vertreiben sich die Jugendlichen mit sadistischen Spielchen, inzestiösen Gedanken und dem Sex mit einer Prostituierten, die der Vater dafür extra mit verbunden Augen zum familiären Sitz fährt. Aber in der grotesken, gruseligen Harmonie der Familie, lauert jederzeit die Gefahr ihrer Zertrümmerung, durch Gewalt, Obsessionen und die Infragestellung der gewohnten Ordnung.

Wie schon in der Handlungsübersicht ersichtlich, ist Dogtooth alles andere als konventionelles Kino. Die bittere, satirische und tragische Parabel hangelt sich munter an Motiven und Episoden nach vorne. Eine geschlossene, klar strukturierte Handlung darf in diesem Großkammerspiel ebenso wenig erwartet werden, wie plausible Motivationen und realistische Dialoge. Stattdessen dominieren die symbolische Entlarvung des großbürgerlichen Schrecken, der Surrealismus des abseitigen, isolierten Lebens und die Fragmentierung des Sujets in Motivfetzen. Viele irritierte Zuschauer ließen sich dann auch allzu schnell dazu hinreißen, Dogtooth in die surreale David-Lynch-Ecke zu stellen oder das langsam erzählte Werk mit den provokanten und strengen Dramen Lars von Triers zu vergleichen. Die Wurzeln dieser Familientragödie reichen jedoch weitaus tiefer zurück und offenbare eine ganze Reihe an Topoi, bei denen sich Dogtooth frei bedient.

Der griechische Oscarkandidat von 2011 steht in der Tradition der bitterbösen Familiendekonstruktion, wie sie im avantgardistischen Kino der 70er, 80er und 90er betrieben wurde. Insbesondere Pasolinis fiebrig ruhiges Meisterwerk Teorema (1968) durfte für einen Großteil der Topoi Pate stehen. Wie dieser spielt Dogtooth mit der scheinbaren Sakralität der familiären Institution und lässt diese durch dunkle Sexualität und Gewalt aufbrechen und zu Grunde gehen. Wie sein Vorbild arbeitet Giorgos Lanthimos mit einer Unmenge an Symbolismen, an parabolischen Gesten und weißen Lücken, die die Erzählung des Nicht Erzählbaren zu einem antidramaturgischen Spiel werden lassen. Auch der 90er Arthaus-Symbolismus Francois Ozons, insbesondere sein fiebriger Alptraum Sitcom (1998), darf vorbei schauen, wenn die Dysfunktionalität der Familie entlarvt wird, während diese schleichend zu Grunde geht. Was Dogtooth tatsächlich von seinen Vorbildern abhebt ist die dunkle Immanenz des Schreckens, die nie zerbrochen wird. Die Gefahr kommt hier keineswegs von außen, das Laster wird nicht von einem Fremden in den familiären Kosmos getragen, sondern ist diesem immanent: Der Sadismus, der Inzest, die perversen Spiele sind Teil des großbürgerlichen Habitus. Die Gewalt selbst kommt als psychologisches Kitzeln, um dann doch in voller Konsequenz – in zwei beeindruckend schmerzhaften Szenen – auszubrechen. Dogtooth braucht für die Zersetzung der Familie weder fremde Heilige noch Ratten noch mysteriöse Besucher… das erledigt diese schon von selbst.

So gelingt es dem dunklen Motivfilm sich doch von seinen Ideengebern abzuheben. Giorgos Lanthimos erzählt anhand von bewährten Arthaus-Mechanismen neue Geschichten über die Familie und deren Selbstaushöhlung. Das darf dann auch schmerzhaft langsam sein, mit vielen statischen Kameraeinstellungen arbeiten, ganze Szenenvorgänge ausblenden, Gesichter wegschneiden, auf Musik verzichten und merkwürdige Bögen zwischen Gegenwart und Vergangenheit schlagen. Eins sollte klar sein: Dogtooth ist ein Motivfilm des europäischen Autorenkinos und dementsprechend spröde, nüchtern, abstrakt, irritierend, verstörend und ohne klare Auflösung. Alles andere als leicht zu verdauen für Zuschauer, die mit dieser Form der filmischen Anti-Erzählung bisher weniger bis gar keinen Kontakt hatten. Wer allerdings seinen Pasolini, Godard oder Ozon ’studiert‘ hat, wird hier viel Bekanntes sehen, aber auch eine gute Portion neuer Motive und Einstellungen entdecken. Dogtooth ist ein wunderbar unzeitgemäßer, schmerzhaft intensiver, düster und grimmig humoristischer Arthaus-Film, ein symbolisch überfrachteter Abgesang auf die Familie. Eine dunkle, zynische Parabel, die mit schmerzhaftem Sadismus daher kommt, weder Sujet noch Protagonisten noch Zuschauer schont und sich in ihrer eigenen, sublimen Verderbtheit suhlt. Ein spröder Film, der weh tut, Fragen offen lässt, herausfordert, verletzt und verstört… und allein deswegen schon lohnenswert ist, da es gut tut zu sehen, dass auch heute noch solche unkonventionellen und mutigen Werke produziert werden.

Beautiful [Dean O’Flaherty]

(Australien 2009)

Auch Beautiful von Dean O’Flaherty arbeitet mit der Offenlegung dunkler Geheimnisse und Obsessionen. Im Mittelpunkt des Thrillers steht der Vorort Sunshine Hills, hinter dessen schicken Vorgärten, düstere und grauenhafte Abgründe lauern. Der vierzehnjährige, leicht autistische Danny hat sich zur Aufgabe gemacht, die dunklen Geheimnisse – die scheinbar alle in Verbindung mit der Ermordung mehrerer junger Mädchen stehen – aufzudecken. Unterstützt und angetrieben wird er dabei von seiner ebenso lasziven wie durchtriebenen Nachbarin. Ein morbides Spiel um Schein und Sein beginnt und ehe Danny sich versieht steckter tiefer in der Sache, als er sich erhofft hatte.

Vorort-Mysterythriller im Stile von Blue Velvet (1986). Nix Neues…. Mus es ja auch gar nicht sein, so lange es originell inszeniert ist. Beautiful kann an dieser Stelle dann auch tatsächlich mit einigen frischen, mutigen Ideen auftrumpfen. So verwebt er geschickt die im Grunde Recht konventionelle Thrillerhandlung mit obskuren, unerklärlichen Phänomenen, mit alptraumhaften Bildern, wunderschönen, überstilisierten Einstellungen und… tritt sich dann gehörig selbst vors Schienbein. Selten durfte ich in letzter Zeit einen Film sehen, der so extrem Licht und Schatten vereint wie dieser merkwürdige Hybrid aus großartigem Indie-Streifen und plattem B-Movie. Und das gilt für jede einzelne Kategorie. Auf jedes einzelne Qualitätsmerkmal folgt eine unterirdische Plattitüde. Jedes meisterhafte Moment hat seinen qualitativ abfallenden Gegenpart.

Beispiele gefällig? Kein Problem: Die Darsteller sind hervorragend, allen voran der junge Sebastian Gregory, quälen sich aber durch Dialoge, wie sie flacher nicht sein könnten. Die Kameraarbeit ist herausragend, findet epische, atmosphärisch dichte Bilder und wird komplett durch den unglaublich nervigen Soundtrack torpediert, der wie ein endlos wabernder Teppich über jeder Szene klebt. Die Schnitte sind mitunter genial gelöst und wechseln dann plötzlich ganz abrupt zu einer flachen Videoclip-Ästhetik inklusive vollkommen überflüssiger Redundanzen. Die Geschichte selbst wirft spannende Fragen auf, um dann doch in gediegen langweilige Mindfuck-Thriller Gefilde zu wechseln. Inszenatorisches Licht und dramaturgischer Schatten liegen hier so dich beieinander, dass es einfach nur schmerzt. So viel Potential… und so viel lausige Zertrümmerung dieses Potential.

Beautiful ist mitnichten ein schlechter Film, legt sich aber immer wieder selbst Steine in den Weg. Warum zur Hölle wird eine spannende Mischung aus unschuldiger Freundin und durchtriebener Femme Fatale angerissen, wenn diese für die Filmhandlung von Minute zu Minute überflüssiger wird? Warum immer dieser dreiste Diebstahl bei Blue Velvet, American Beauty (Toter Vogel wird gefilmt, 1:1-Kopie, srsly!) und Donnie Darko, wenn so viele andere Szenen beweisen, dass die Macher auch genug eigene Ideen gehabt hätten? Warum kann Beautiful nicht einfach gut sein? Echt, jetzt. Ich hätte den Film so gerne gemocht, aber er lässt mir einfach keine Chance, weil er sein sympathisches Flair immer wieder selbst untergräbt. So reicht es leider (!!!) nur für unteren Durchschnitt und eine Menge Ärger über die verschenkten Möglichkeiten. Ich kann diesen Film leider nicht empfehlen… so gerne ich auch würde… es reicht einfach nicht. Aber es lohnt sich den Regisseur im Auge zu halten. Definitiv. Das Talent ist da, genau so wie das Verbesserungspotential und die Hoffnung auf große, wirklich große zukünftige Streifen. Beautiful indes schippert leider eher in der Kreisklasse.

Bedingungslos [Ole Bornedahl]

(Dänemark 2007)

Warum habe ich eigentlich Ole Bornedahl aus den Augen verloren? Immerhin hat der dänische Regisseur mit Nightwatch (1994) einen der bösartigsten und besten Thriller der 90er Jahre< verbrochen. Vielleicht liegt es daran, dass er seitdem – mehr oder weniger unter Ausschluss der Öffentlichkeit – gerade mal eine handvoll Filme produziert hat… daran, dass der deutsche Verleih ihn entsprechend stiefmütterlich behandelte, daran dass ich ihm das US-Remake Freeze – Alptraum Nachtwache (1997) noch nicht so ganz verziehen habe. Eigentlich egal. Denn jetzt bin ich in der hiesigen Videothek wieder über ihn gestolpert und habe mir gleich mal seinen etwas älteren Mysterythriller Bedingungslos unter den Nagel gerissen.

Im Zentrum des Films steht der Polizeifotograf Jonas, der als Zeuge – und Mitverantwortlicher – in einen schrecklichen Autounfall verwickelt ist, durch den die geheimnisvolle ihm fremde Julia ins Koma fällt. Jonas, geplagt von einem schlechten Gewissen und gleichzeitig angezogen von der jungen Frau, besucht diese im Krankenhaus, wo er von ihrer Familie für ihren vermeintlichen Urlaubsflirt Sebastian gehalten wird. Ehe er sichs versieht schlüpft der biedere Jonas in die Rolle des geheimnisvollen Globetrotters und besucht seine im Koma liegende „Freundin“ weiter auf der Intensivstation. Das ist nicht nur problematisch, weil er sich dadurch immer weiter von seiner Frau und seinen Kindern entfernt, sondern auch, weil Julia schließlich – zu 90% erblindet und mit Gedächtnisverlust – aus dem Koma erwacht, während Jonas klar wird, das sie und Sebastian ein dunkles Geheimnis verbindet.

Ole Bornedal ist offensichtlich Meister darin, konventionelle Thriller-Stoffe unkonventionell zu erzählen. Gerade in den ersten zwei Dritteln von Bedingungslos macht er auch kräftig Gebrauch von diesem Talent. Vom episodisch fragmentarischen Beginn über die meisterhafte Verknüpfung von Wunschvorstellung, Wahn und Wirklichkeit wird aus dem Identitätsdiebstahl ein unglaublich fesslendes und verstörendes Erlebnis. Das liegt besonders an den grandiosen, immer wieder ausgebreiteten Montagetechniken, von denen der Film lebt. Das biedere und sichere Leben in der Familie wird komplex und raffiniert mit der Handlung der Krankenhausbesuche verwoben. Dabei gehen die beiden Szenarien nahtlos ineinander über, spielen und konkurrieren miteinander, so dass nicht nur der Protagonist Jonas sondern auch der Zuschauer orientierungslos zwischen den beiden Ebenen hin und her gerissen wird. Das erinnert in seinem konjunktivisch-indikativisch assoziativen Stil an die höchst subjektivistische Erzählweise von literarischen Klassikern wie Max Frischs Mein Name sei Gantenbein (1968), ohne sich jedoch komplett im „Was wäre wenn?“ zu verlieren. Gerade wenn die dunklen Vorahnungen über die kriminelle und brutale Vergangenheit von Julia und Sebastian alptraumhaft in die Realität springen, wird Bedingungslos dadurch schmerzhaft intensiv und schmerzhaft fiebrig spannend.

Dank dieser verzerrten Inszenierung zwischen Traum, Realität und nicht zu greifendem antizipiertem Horror ist Bornedals Hybrid aus Drama, Romanze, Thriller und Horror beinahe unangenehm, sadistisch zu seinen Protagonisten und Zuschauern, mit einer permanent in der Luft liegenden, fast schon aggressiven Spannung. Leider verschenkt der Film seine dadurch entstandenen Möglichkeiten im letzten Drittel ein wenig, wenn das zuvor ausgebreitete Horrorszenario zu seiner Konklusion kommt. Bei Licht betrachtet ist die Ganze Geschichte eben doch ein ziemlich konventionelles Mysterythriller-Szenario, das dem Zuschauer eine plausible (Er)Lösung schenken will. Gerade die Konventionalität, die sich im Schlussakt einschleicht, raubt dem alptraumhaften Davor eine Menge Stärke. Unter allen möglichen Wegen wählt Bornedal den Einfachsten und verpasst so die Chance wirklich nachhaltig wirkenden Schrecken zu verbreiten. Das wiegt dann besonders schwer, da es die letzten Szenen betrifft, und den Zuschauer etwas ernüchtert zurücklässt.

Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Bedingungslos über den Großteil seiner Laufzeit ein erfrischend böse inszenierter, unterhaltsamer, dunkler und geheimnisvoller Thriller-Trip ist, dessen Infamität und dramaturgischen Daumenschrauben man ertragen muss, der aber mit einer spannenden Geschichte und meisterhaften Montagekunst mehr als genug für die inszenatorische Publikumsfolter entschädigt. Kein Meisterwerk wie Nightwatch, aber allemal ein solider, geschickt arrangierter und schön narzisstisch experimenteller Mysterythriller, der Freunden von schrägen, dunklen und hochspannenden Filmen nur wärmstens ans Herz gelegt werden kann.

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