Kurzrezensionen: Wer ist Hanna?, The Human Centipede (First Sequence), Die Tür

Tja, wer bei diesem Wetter seine Zeit mit Filmen vergeudet, ist natürlich selbst schuld… Umso ärgerlicher, wenn das bemusterte Material sich tatsächlich nach Zeitverschwendung anfühlt. Ganz so schlimm kommt es mit den Werken der aktuellen Kurzrezensionen nicht. Wer ist Hanna? (2011) entpuppt sich als spannender Thriller, dessen wenig originelle Handlung von der herausragenden Inszenierung abgefangen und abgefedert wird, The Human Centipede (2010) ist ohnehin schon so etwas wie ein Gaga-Ekel-Klassiker und Die Tür (2009) vermag es zumindest überdurchschnittliche Mystery-Unterhaltung zu generieren. Alle drei ausführlich durchleuchtet, nach dem Klick.

Wer ist Hanna? [Joe Wright]

(Deutschland 2011)

Die jugendliche Hanna lebt zusammen mit ihrem Vater in einer idyllischen Schneelandschaft. Sie lernt zu jagen, stets wachsam zu sein, übt sich in verschiedenen Nahkampftechniken, beherrscht mehrere Sprachen und wird von ihm zwischen liebevoll und unbarmherzig auf das Leben außerhalb der Idylle vorbereitet; auf eine Welt, die sie scheinbar nie zuvor gesehen hat. Als sie die ruhige und wunderschöne  Umgebung ihrer Kindheit schließlich verlässt, wird klar, warum und worauf sie vorbereitet wurde. Denn in der Welt außerhalb ihres Cocons wird sie gejagt, soll sie getötet werden, wird aber auch selbst zur Jägerin mit einem klaren, fokussierten Ziel: Auf der Suche nach ihrer Vergangenheit, auf der Jagd nach Rache und mit der Hoffnung auf das Glück eines „gewöhnlichen“ Lebens…

Um gleich zum Wesentlichen, in diesem Fall ungeheuer Unwesentlichen zu kommen: Die Geschichte, die in „Wer ist Hanna?“ erzählt wird, ist eine Thrillerhandlung von der Stange, wie sie simpler und vorhersehbarer nicht sein könnte. Was mit Hanna anders ist, wer sie ist, warum ihr Vater sie versteckt hält… jeder thrillergebildete Zuschauer dürfte den Braten schon nach den ersten zehn Minuten riechen. Auch nach dem Ausbruch in die neue/alte Welt geizt die deutsch-britische Coproduktion (deutsche Sets, britische Schauspieler) sowohl mit Überraschungen als auch dramaturgischen Schwenkern: Das Treffen mit der „gewöhnlichen“ Familie, Killer die die Proagonistin jagen, ein dunkles Geheimnis aus der Vergangenheit, all das ist weder ungewöhnlich noch besonders mehrdimensional. storytechnisch und dramaturgisch bewegt sich „Wer ist Hanna?“ permanent auf sattsam bekannten Pfaden.

Warum also, warum wird dieser Film fast einheitlich zum cineastischen Glanzlicht 2011 erklärt? Die Antwort ist einfach: Es liegt an der herausragenden, originellen, durch und durch edlen und zugleich surreal verzerrten Inszenierung von Joe Wright. Und das betrifft wirklich alles: Schauspielführung, Kamera, Schnitt, Farbkorrektur, Sounddesign, Musikeinsatz… Die Diskrepanz zwischen der dramaturgischen/narrativen Simplizität und der komplexen, symbolistischen Inszenierung könnte nicht größer sein. Allein die Eröffnungssequenz, in der die absolute (!) Stille nur von ein paar Schritten im Schnee und leichten Atmern unterbrochen wird, bereitet darauf vor, dass der Zuschauer hier alles andere als Durchschnittskost serviert bekommt. Und dieses Gefühl wird stets und immer wieder überraschend  im Laufe der Spielzeit erneuert: Die Wechsel zwischen idyllischen, dramatischen Coming-of-Age-Szenen und schnell geschnittenen – von den dichten Beats Aphex Twins unterlegten – Actionszenen, das Schlingern zwischen Groteske, Drama und Thriller… die Märchensymbolik, die mal eben so im Vorbeigehen den Rotkäppchenmythos komplett umkrempelt und eine ganze Ladung weiterer Grimm-Motive dazupackt. Die Schauspielleistung von Saoirse Ronan, die als Hanna sowohl verletzlich als auch unvergleichlich stark wirkt. Die Farbgebung, die mitunter mit extremen Kontrasten, ungewöhnlichen Wechseln (von warm bis kalt, von düster bis magisch realistisch) aufwartet, die Schauspielleistung der großen, großen Cate Blanchett, die hier etwas zu wenig Leinwandzeit bekommt. Die Settings (von der Schneelandschaft über die Wüste bis nach Berlin), alles ist unglaublich erlesen fotografiert, einnehmend mit Symbolik überzogen, akribisch und präzise umgesetzt, und mit absurden und seltsamen Momentaufnahmen veredelt.

An der Inszenierung gäbe es dann auch fast nichts zu kritisieren… aber auch in dieser glänzt nicht alles golden. Das Interludium der ziemlich freakigen, tumben Jäger (u.a. Tom Hollander) ist zwar wunderbar grotesk überzeichnet, wirkt andererseits aber auch ein wenig fehl am Platze. Die ansonsten sehr edle, melancholische Gesamtatmosphäre wird durch dieses arg aufgerissen und torpediert. Von Cate Blanchett hätte man gerne etwas mehr gesehen, wobei es schon beeindruckend ist, wie Wright ihren Charakter in nur wenigen Szenen außergewöhnlich dicht und komplex formt und quasi mit einer kleinen Zähneputzszene fast alles erzählt, was man von ihr wissen möchte. Und dann natürlich die schon erwähnten storytechnischen Defizite, die Vorhersehbarkeit und das etwas unglückliche Showdown-Arrangement, das den Plänterwald gleich zweimal zum Schauplatz des Finales werden lässt. Ansonsten ist „Wer ist Hanna“ ein spannender, sensibler Thriller, der trotz seines simplen Drehbuchs durch die Inszenierung zur Königsklasse aufsteigt. Jeder, der sich für große filmische Kunst interessiert, sollte Joe Wrights dichtes Meisterwerk gesehen haben, das tatsächlich ziemlich einsam am Firmament eines bis dato mauen Kinojahres steht.

The Human Centipede (First Sequence) [Tom Six]

(Niederlande 2010)

Vom Erlesenen, Akribischen zum Trash. Irgendwie freut es mich dann doch, The Human Centipede endlich gesehen zu haben. Ein Film, der Dank seiner kranken Disposition schon so etwas wie einen B-Movie-Kultstatus entwickelt hat und sogar für eine South-Park-Folge Pate stand. Ja, Kopf an Arsch ist das Konzept von The Human Centipede… anders kann man es nicht ausdrücken. Ein irrer Wissenschaftler entführt drei Personen und näht sie so zusammen, dass ihre Verdauung kooperiert, dass sie als postmoderner Sechsfüßler fortan sein Haushündchen sind.

Das ist natürlich komplett gaga und eklig obendrein… und auch inszenierungstechnisch darf man nicht viel mehr erwarten: Überzogenes Schauspiel, plumpe Dialoge und viel kruden, schwarzen Frankenstein-Humor. Immerhin ist der Gore-Anteil bei „The Human Centipede“ äußerst gering gehalten. Für einen trashigen B-Movie wird erstaunlich viel der (dunklen) Fantasie des Zuschauers überlassen. Wirklich Splatter oder gar Torture-Porn bekommt dieser weniger zu sehen. So gelingt es Tom Six‘ Horrorfilm – vorausgesetzt man arrangiert sich mit der albernen Prämisse – tatsächlich so etwas wie eine dunkle unheimliche Atmosphäre aufzubauen. Das reicht natürlich nicht im geringsten, um aus diesem Bodyhorror-Flick einen anständigen Thriller werden zu lassen, aber er ist dann doch um einiges weniger albern als zu vermuten war. The Human Centipede ist ein kleiner, dreckiger, in seiner ganzen Art ziemlich menschenverachtender Film, weiß aber genau in diesem engen Umfeld durchaus ein wenig zu unterhalten. Kein Meisterwerk und ziemlich überflüssig… aber allein weil er zu einer – vollkommen unangemessenen – Popularität gelangt ist, lohnt es sich durchaus ein Auge drauf zu werfen. Mehr als einen knapp unterdurchschnittlichen B-Movie-Horror solltet ihr aber nicht erwarten.

Die Tür [Anno Saul]

(Deutschland 2009)

Und noch ein Jahr zurück springend bleiben wir weiterhin in Europa. Anno Sauls Verfilmung von Akif Pirinçcis düsterem Roman „Die Damalstür“ ist schon irgendwie ein wenig am Publikum vorbeigegangen. Dabei hätte der Mysterythriller so einiges zu bieten, was durchaus die Zuschauerscharen ins Kino locken könnte: Die Geschichte von einem Vater, der für den Tod seiner Tochter verantwortlich ist, der durch eine ungewöhnliche Tür in die Vergangenheit reist, dort seine Tochter rettet und sein vergangenes Ich ermordet, verspricht erst einmal spannende Mystery-Kost. Schauspieler wie Mad Mikkelsen und Jessica Schwarz sollten ihr übriges tun, um das Gros des deutschen Publikums neugierig werden zu lassen. Es ist anders gekommen und das dunkle Zeitreisedrama findet primär unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Das ist einerseits schade, da „Die Tür“ mehr als genug auf der Habenseite besitzt, was ihn von Standard-Mystery-Reißern abhebt. Sympathieträger gibt es keine, stattdessen besessene, verzweifelte und depressive Menschen, die wie in die Ecke gedrängte Tiere zu allem bereit sind. Besonder Mikkelsen fasziniert als verletzter, geschlagener Mann, der für ein wenig Glück schreckliche Schuld auf sich nimmt. Jessica Schwarz wirkt als primär besorgte Mutter eher unterfordert, während Thomas Thieme als geheimnisvoller und brutal aufdringlicher Nachbar für die nötigen Gruselaspekte sorgt. Es ist vor allem die filmische Adaption des Romans, die „Die Tür“ permanent ins Leere laufen lässt. Wesentliche ethische Motive von Pirinçcis Vorlage werden untergraben, allzu oft verlässt sich der Film auf seine Sex&Crime-Aspekte und schlingert dabei immer wieder in nichtssagende Thrillergefilde. Das Warum? und die Konsequenzen werden meist nur am Rande angeschnitten, zu häufig wirkt der Film wie ein Baukasten atmosphärischer, spannender und tragischer Momente, ohne diese zu einem komplexen Ganzen verweben zu können.

So erreicht der Film leider nicht mehr als knappen Überdurchschnitt. Die spannenden, dramatischen und surrealen Momente sind zwar vorhanden, die Gesamtatmosphäre stimmt, und die Schauspielleistungen sind durch die Bank ordentlich (bis herausragend), irgendwie vermag er es aber nicht aus seinen Versatzstücken eine komplexe Geschichte zu erzählen. Der Vorlage „Die Damalstür“ ist dies weitaus besser gelungen und es bleibt schleierhaft, warum der Film auf so viele interessante Motive seiner großen Schwester verzichtet, wären diese doch problemlos filmisch umsetzbar gewesen. Für einen netten, kleinen Mystery-Filmabend allemal geeignet, für Fans der Vorlage und Freunde komplexer Mysterykost eher eine halbschwere Enttäuschung.

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Erstveröffentlichung: 2011