Kill List (2011) – Ein düsterer, gnadenloser Genrehybrid

Mal so ein kleines Rezensenten-Geständnis: Ich liebe die Kategorisierung Genre-Bastard, genauso wie ich Filme liebe, die in diese Kategorie fallen. Und auch wenn ich eine ziemlich genaue Vorstellung davon habe, was ich unter dem Begriff „Genre-Bastard“ verstehe, so habe ich mir doch nie eine einheitliche Definition dieses Neologismus zu Gemüte geführt, obwohl ich ihn auch in anderen Rezensionen des öfteren lesen durfte. Also was ist, in meiner Lesart, ein Genrebastard? Natürlich erst einmal ein Kind, ein Spross von gleich mehreren verschiedenen Genres: Science Fiction, Horror, Fantasy, Drama, Thriller… am besten sind gleich mehrere klassische Filmgenres die Eltern und das Ergebnis ist ein herrliches Crossover ihrer besten, manchmal auch ihrer, schlechtesten Eigenschaften. Aber da ist ja auch noch mehr. Immerhin ist „Bastard“ alles andere als ein netter Begriff, ist er doch die – mittlerweile sowohl sozial als auch sprachlich – überholte Bezeichnung für ein uneheliches Kind, entstanden durch eine Affäre und rechtlich nicht als Nachkomme anerkannt. Und genau das sind auch Genre-Bastards: gezeugt außerhalb der konventionellen Genrerahmen, wie bereits gesagt gleich mehrere Genregrenzen überschreitend und dabei – und das ist in der Tat sehr wichtig – derart neben den üblichen Genrespuren, dass sie von keiner Kategorie so richtig akzeptiert werden, gerne auch den Fans des jeweiligen Genres gegen den Strich gehen und im krassesten Fall vom klassischen Genrepublikum rundheraus abgelehnt werden. Ein Genrebastard ist spröde, hässlich, schwer zu konsumieren, schwer zu ertragen und alles andere als klassische Genrekost. Und wozu diese lange Vorrede? Ihr werdet es euch denken können: Wenn ein Film die Kategorisierung Genre-Bastard verdient, dann Ben Wheatleys 2011er Thriller/Drama/Horror-Hybrid Kill List.

Der ehemalige Auftragskiller Jay (Neil Maskell) hat eigentlich mit seinem Job abgeschlossen. Seit einem tragischen Ereignis in Kiew wird er von Lethargie und Depression geplagt und sieht sich zum Leidwesen seiner Frau Shel (MyAnna Buring) nicht mehr in der Lage, seiner Profession nachzugehen. Stattdessen verbringt er seine Tage zu Hause, spielt mit seinem Kind und verstrickt sich gleichzeitig immer wieder in heftige Streitereien mit seiner Frau, die auf diversen Ebenen eskalieren. Seinem ehemaligen Partner und besten Freund Gal (Michael Smiley) gelingt es schließlich doch, ihn zu überzeugen, wieder ins Geschäft einzusteigen. Der dafür vorgesehene Auftrag besteht aus einer Tötungsliste von drei Personen, die sich nacheinander ausradieren sollen. Dass dies allerdings kein gewöhnlicher Auftrag ist, wird schon deutlich, als ihr Auftraggeber darauf besteht, den Arbeitsvertrag mit Blut zu unterzeichnen. Als die beiden Killer schließlich bei einem ihrer Opfer eine riesige Videosammlung mit abstoßendem Inhalt entdecken, gerät der zuvor einfach scheinende Job vollends aus den Fugen.

Und damit ist nicht einmal im Ansatz abgedeckt, was in Kill List noch alles vor sich geht. Genau genommen gehört Kill List zu denjenigen Filmen, die umso besser sind, je weniger der Zuschauer im Vorfeld über ihren Inhalt weiß. So ist das Thrillermotiv – eigentlich das Hauptmotiv des Films – zu Beginn gerade mal rudimentär ausgebildet. Stattdessen geriert sich Kill List in seinem ersten Drittel als aggressive Beziehungs- und Familientragödie mit mysteriösen Andeutungen und einer eiskalten und zudem knochentrockenen Inszenierung. Aber auch als er schließlich die Abbiegung zum klassischen Genrekino nimmt, ist alles andere als offensichtlich, wohin die Reise letzten Endes führen soll. Stattdessen oszilliert Ben Wheatleys dreckige Genredekosntruktion zwischen Psychothriller, Beziehungsdrama, Crime und Horror mit expliziten Gewaltszenen und zugleich sehr abstrakter surrealer Narration, die wenig auf Plausibiltät gibt und noch weniger darauf, Motivation, Sinn oder Kausalitäten zu erklären.

Getragen wird dieses furiose und zugleich alles andere als leicht zu verdauende Genrecrossover von einer sehr guten Schauspielleistung, sowie einer hervorragenden, dichten Kameraführung, die immer auf den Punkt ist und zugleich permanent Auslassungszeichen und Lücken im Gesamtgefüge anzudeuten scheint. Im Kontrast zu diesen Punkten stehen allerdings die fast schon unpassend flachen Dialoge, die doch etwas plumpe Regie und die äußerst holprige Erzählweise, die einem schizophrenen Drehbuch entsprungen scheint. Kill List hat manchmal etwas von einem gehobenen B-Movie, manchmal etwas von einem kleinen Bruder der New French Extremity, manchmal etwas von einem holprigen Nicolas Winding Refn Klon, manchmal auch etwas von einem dreckigen Mysterythriller und bleibt so durch und durch zerfahren und zerfasert. Ein – wie so ziemlich alle anderen Figuren in dem Film ebenfalls – mysteriöser Arzt bringt es in einer – wie so ziemlich alle anderen Szenen des Films ebenfalls – mysteriösen Szene auf den Punkt: „Die Vergangenheit ist vorbei, die Zukunft hat noch nicht stattgefunden. Es gibt nur diesen einen Moment“. Genau an diesem einen Moment mäandert Kill List, gibt vage Andeutungen über die Vergangenheit seines Protagonisten, ohne diese jemals auch nur im Ansatz in die Narration einzuflechten, gibt vage Antizipationen der Zukunft, ohne dass diese jemals dem Verlauf der Dinge verpflichtet wirken.

Oft gibt der Film sowohl den Zuschauern als auch seinen Protagonisten Rätsel auf, Rätsel, die sich nicht lösen lassen, nicht gelöst werden können und stattdessen nur zum nächsten Rätsel führen. Irgendwie will der Film Symbol und Parabel, Thriller und Drama, Horror und Experiment sein, ohne dass er sich dazu verpflichtet, einem Genre oder einer Struktur zu folgen. Das mag inkonsequent klingen, aber genau das Gegenteil ist der Fall: Nur wenige Filme sind so konsequent, so streng deterministisch wie dieser dreckige Genrebastard. Die Katastrophe scheint bereits in der Prämisse und im Setup angelegt, der Weg dorthin mag holprig, konfus und mitunter orientierungslos sein, aber er führt dennoch konsequent zum Ziel. Auch wenn er alles in allem alles andere als rund ist und wirklich viel Schwächen aufweist, das muss man ihm zu Gute halten.

Gerade restrospektiv betrachtet lesen sich seine dunklen, ambivalenten Momente wie eine Vorwegnahme des – in den letzten Jahren durch Filme wie The VVitch oder Hereditary in der Blüte stehenden – Genre des Slow Burning Horror, gute fünf Jahre bevor dieses überhaupt im Feuilleton näher inspiziert wurde. Aber mit einem Hinweis auf seine (vermeintliche) Progressivität wird man Kill List auch nicht wirklich gerecht, ist doch seine größte Stärke, dass er sich Trends, Kategorien und Schubladen so weit entzieht, wie es nur möglich ist… und dabei doch immer wieder einen Bogen zu seinen Hauptmotiven schlägt. Wie gesagt, ein Genrebastard, wie er im Buche steht: Das ungewollte Kind der griechischen Tragödie, die mit dem B-Movie Horror- und Thrillerkino ins Bett gestiegen ist und diesen grotesken Abkömmling wohl nie als einer der ihren akzeptieren wird. Dieser verstoßene Sohn von Sophokles, David Lynch, David Cronenberg und Nicolas Winding Refn ist es aber für jeden offenen Zuschauer wert entdeckt und erlebt zu werden.

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