Der Slow Burner „It follows“ – Horrorkino wie es öfter sein sollte

Es ist ja so, egal wie man es dreht und wendet: Die Hauptaufgabe eines Horrorfilms besteht darin, sein Publikum zu ängstigen. Klar, drumherum kann man eine Menge symbolischem Kunstschnickschnack veranstalten oder Tonnen an Kunstblut verschütten, um auch den Ekelfaktor in die Höhe zu treiben. Aber verdammt nochmal, horror bedeutet im Lateinischen Erstarren, Entsetzen und Grausen; nicht Nachdenken, Lachen oder sich Ekeln. Das Horrorkino der ausgehenden 2000er Jahre war lange ein Effektkino; das Erstarren oder Erschaudern wurde ersetzt durch das Erschrecken, durch den plötzlichen Schock, der auch im gleichen Moment eine – gerne mit Gelächter garnierte – Erleichterung mit sich bringt. Horrorfilme nach dem Slasherrevival waren vor allem im Mainstreamkino grauenhafte Komödien, Jump Scares waren ihre Pointen. Erst seit einigen Jahren beginnt sich das Blatt wieder langsam zu wenden. Auch wenn viele Filme – unter anderem die sehr erfolgreiche Conjuring-Reihe oder auch die Paranormal Activities Serie – nach wie vor auf Jump Scares in gehobener Zahl setzen, gibt es mittlerweile wieder eine Rückbesinnung auf den langsamen, schleichenden, das Publikum nicht erlösenden Schrecken. In diese Riege der neuen Horror Slow Burner fällt auch It Follows (2014; regulärer Kinostart 2015), der zwar gerne in Nostalgie badet, Horrorgeschichten der späten 70er und frühen 80er Jahre allerdings mit den Werkzeugen des Post Horror Films der 2010er Jahre erzählt. Und auch trotz seines ganzen Symbolismus-Schnickschnacks macht er primär das, was Horrorfilme primär tun sollten: Sein Publikum ängstigen.

Die 19-jährige Studentin Jaime (Maika Monroe) hat ein nicht ganz so erfolgreiches Date mit Hugh (Jake Weary). Dieser verhält sich bereits bei ihrem gemeinsamen Kinobesuch merkwürdig paranoid, dies ist aber nur ein Vorgeschmack dessen, was noch kommen soll. Nachdem sie Sex in seinem Auto hatten, betäubt Hugh Jaime und bringt sie an einen Stuhl gefesselt in ein Parkhaus. Dort erzählt er ihr, dass er verflucht war und diesen Fluch durch den gemeinsamen Sex nun auf sie übertragen hat. Der Fluch führt dazu, dass ES sie von nun an verfolgen wird. Was ES genau ist, kann Hugh nicht sagen, aber er weiß, wie Es sich verhalten wird: Es ist langsam, Es kann die Gestalt von jedem Menschen annehmen, Es ist auf Blut aus, vor allem aber wird Es ab sofort Jaime jagen, unnachgiebig, unerbittlich, mordlüstern, bis Jaime den Fluch durch Sex an eine andere Person weitergegeben hat oder von dem Wesen getötet wurde. Mit diesen Informationen entlässt er Jaime aus ihrer Gefangenschaft. Diese glaubt zuerst, es mit einem Verrückten zu tun zu haben, muss aber schon bald feststellen, dass tatsächlich irgendetwas hinter ihr her ist.

Horror als Verarbeitung von Teenager Angst, eine übernatürliche Bedrohung als Symbol einer post-sexuellen Bedrohung, verkörpert durch einen gesichtslosen, unbesiegbaren Verfolger? Das klingt nicht nur radikal nostalgisch, genau das ist es auch im Fall von It Follows. Das ganze Setup könnte ebenso aus einem späten 70er oder frühen 80er Jahre Slasherfilm stammen. Gerade das Transferieren von Sexualität als wesentliches Moment der Gefahr passt perfekt in das Genrekino der damaligen Zeit. Im Gegensatz zu Filmen wie Scream oder The Cabin in the Woods macht It Follows allerdings etwas für unsere Zeit ziemlich Ungewöhnliches: Es reflektiert sein Erbe nicht, ironisiert es nicht und dekonstruiert es nicht. Stattdessen stürzt es sich voll rein in die Good old Horror Days: Begleitet von einem angespannten 80er Synthie Score, mit Mut zu lange gehaltenen, distanzierten Totalen, sowie mit einem Verzicht auf jegliches Effekt-Brimborium, ausufernde Gewaltszenen und ausgedehnte Erklärungen, die sich im heutigen Horrorfilm leider viel zu viel, viel zu oft finden. It Follows spielt sein Genre, als hätte es das große 90er Slasher-Revival nie gegeben und als wäre der 2000er-Torture-Porn nur ein Fiebertraum gelangweilter Studiobosse gewesen. Das mag dann hin und wieder regressiv wirken, aber es ist dennoch äußerst originell in einer Filmlandschaft, in der Nostalgie sonst eigentlich nur mit Ironie, Subversion, Travestie und Reflexion im Gepäck vorbeischaut.

Und dann ist das regressive Moment dieses Biests auch ziemlich schnell vergessen, was es das macht, was Horrorfilme einfach mal tun sollen… Ängstigen… und zwar gewaltig! Dank des Verzichts auf Ironisierung, dank seiner selbstgewählten Langsamkeit, dank seiner ebenso simplen wie effektiven Prämisse ist It Follows einfach mal der unheimlichste Film seit langer, langer Zeit. Der Titel sagt im Grunde schon alles aus, was hier passiert. ES folgt dir und zwar gnadenlos. It follows lebt von seiner permanenten Anspannung, einer unfassbar paranoiden Atmosphäre, die von Minute zu Minute ungemütlicher wird. Das Publikum wird radikal in die Perspektive der Protagonistin gezwungen, inklusive aller blinder Flecken, Unschärfen und vagen Verdachtsfälle. Ist das da hinten ein gewöhnlicher Passant oder doch die unheimliche Bedrohung? Habe ich gerade aus den Augenwinkeln eine Bewegung auf mich zu wahrgenommen oder macht mich gerade nur meine Angst fertig? Bin ich hier sicher oder habe ich mich gerade in eine Falle manövriert? Der Blick von It follows ist pointiert radikal subjektiv und die Angst der Protagonistin ist damit auch immer die Angst der Zuschauer. Hinzu kommt die Tatsache, dass die gestaltwandlerische Bedrohung immer in den richtigen Momenten in den groteskesten Gestalten und Formen auftritt: Sei es als verunstaltetes Kind, als sich zombiehaft nach vorne schleichende alte Frau, als überlebensgroßer Riese oder als verzerrte Variante von vertrauten Personen. Es ist kaum in Worte zu fassen, wie unangenehm beängstigend die Atmosphäre ist, die durch diese Kombination aus Vagheit und Bizarrerie erzeugt wird. It Follows nimmt sein Genre ernst, schreibt Horror groß und mit Ausrufezeichen.

Da wird auch der Symbolismus-Schnickschnack praktisch zur Nebensache: Natürlich kann man It Follows als Parabel auf die Angst vor sexuell übertragbaren Krankheiten lesen. Natürlich wird hier metaphorisch der Verlust von jugendlicher Unschuld, die Entfremdung vor Eltern und Freunden und die verlorene Kindheit verhandelt. Natürlich kann man hier auch gerne eine Metapher auf gesellschaftlichen Druck, auf Stigmatisierung und soziale Ausgrenzung sehen. Aber warum sollte man, wenn man sich auch ganz ehrlich ohne jeden Subtext so richtig schön gruseln kann? Am schwächsten wird It Follows in der Tat im letzten Viertel, wenn er dann noch beginnt, den Horror nicht nur zu hinterfragen, sondern auch zu bekämpfen. Das Surreale und Vage weicht dann Erklärungsansätzen und schließlich sogar einer handfesten Kriegserklärung gegen das Böse. Lebte der Film zuvor von seiner beängstigenden Isolierung der Protagonistin, bekommen die Nebencharaktere plötzlich unerwartet prominente Rollen, die brutale Einsamkeit der Protagonistin wird aufgehoben und It Follows wird zu einem sehr konventionellen übernatürlichen Slasher. Er fängt sich in den Schlussminuten zwar wieder und wird wieder ebenso vage wie surreal, ein wenig kratzt sie aber schon am Gesamteindruck, diese geerdete und auch etwas holprige Zwischenepisode kurz vorm Ende.

It Follows ist dennoch eines der aufregendsten Horrorereignisse unserer Zeit: Nostalgisch und dennoch effektiv. Symbolisch, getragen und dennoch verdammt furchteinflößend. Bedrohlich erdrückend, aber nie effekthaschend, nie plump und billig. Ein klassischer Horrorfilm, wie es sie viel zu selten gibt, der gerade durch seine anachronistischen Momente angenehm zeitlos wirkt. Vor allem aber ein wirklich wirklich unheimlicher Film, bei dem, wenn es darum geht das Publikum zu ängstigen, alle Zahnräder perfekt ineinander laufen.

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