Under the Silver Lake (2018) – Morde, Puzzles und Verschwörungstheorien

Ich habe gerade, kurz bevor ich mit diesem Text begonnen habe, nach Under the Silver Lake gegoogelt. Einfach weil ich immer gerne IMDB-Eintrag und Wikipedia-Artikel eines Films während des Schreibens geöffnet habe, um schnell Namen und Daten nachschlagen zu können. Viel interessanter als jene ist in diesem Fall aber das, was Google als Fragen offeriert, die andere User im Zusammenhang mit diesem Suchbegriff gestellt haben. An erster Stelle ist diesbezüglich beim Suchmaschinenriesen zu lesen: What was the point of under the Silver Lake? Und das wiederum ist David Robert Mitchells Film in a nutshell. Mit Under the Silver Lake (2018) präsentiert der Regisseur des Post-Horror-Kultfilms It follows (2014) einen durch und durch verworrenen, konfusen Mysterythriller, der immer auf der Suche nach seinem Punkt, seinem eigenen Inhalt zu sein scheint, und am Ende entweder zum Achselzucken oder zum verzweifelten Googeln einlädt. Was zur Hölle will uns dieser Film sagen? Und wenn das so unklar ist, lohnt es sich überhaupt, ihn zu sehen?

Im Grunde genommen ist die Handlung von Under the Silver Lake genau so wie der Protagonist, der in ihrem Zentrum steht. Sam (Andrew Garfield) ist ein gelangweilter Wirrkopf mit Freude an Verschwörungstheorien, einen Hang zum Slackertum und ohne klares Ziel im Leben. Er treibt sich in Los Angeles rum, kifft und spioniert seiner attraktiven Nachbarin Sarah (Riley Keough) hinterher. Dabei kommt er durch Zufall mit dieser in Kontakt, und die beiden verbringen einen romantischen Abend zusammen (oder zumindest das, was Sam dafür hält). Am nächsten Morgen jedoch ist Sam verschwunden und ihre Wohnung wirkt wie leergefegt. Sam kann sich nicht damit abfinden, dass sie einfach so weg ist und forscht ihrem Verschwinden hinterher. Durch ein wenig Detektivarbeit, mehr jedoch durch Zufall und durch Glück, kommt er peu à peu einer scheinbar riesigen Verschwörung auf die Spur, in die ein exzentrischer Gothic-Popsänger, ein brutaler Hundemörder, eine tödliche Eule und die gesamte Hollywoodelite verstrickt sind.

Und das ist erst der Anfang und zugleich auch irgendwie das Ende der Handlung. Robert Mitchell macht es seinem Publikum alles andere als leicht, den verworrenen Fäden seiner lose zusammengehaltenen Handlung zu folgen. Das liegt vor allem an der radikal subjektiven Perspektive, in die wir gezwungen werden. Sam, der als Reiseleiter durch die Welt der Verschwörungen und Mysterien führt, ist alles andere als ein klar denkender Detektiv. Wo in klassischen Noir-Thrillern die Ausgefuchstheit des Ermittlers alles zusammenhält und schließlich zu einer plausiblen Konklusion führt, müssen wir uns in Under the Silver Lake mit einem Querdenker, einem faulen und stolpernden Verrückten abfinden, der nicht nur ziemlich schwach sondern auch ziemlich egoistisch ist und zudem Realität und Fiktion weder auseinanderhalten kann noch auseinanderhalten will. Dadurch, dass wir in seine Weltsicht gezwungen werden, können wir selbst auch nie mit Sicherheit sagen, was an seinen Ermittlungsergebnissen denn nun Wahn und was echt ist, wobei es sich um eine tatsächliche Verschwörung handelt und was nur seinem Zwang entwächst, überall Zusammenhänge zu sehen. Seine Reise durch das elitäre Los Angeles fühlt sich dadurch ein wenig an wie ein Klicken durch Youtube-Verschwörungstheorie-Videos: Der Kopf rauscht, die Augen tränen und man selbst schwankt stets zwischen Ratlosigkeit und totaler Ermüdung. Oft wirken die konstruierten Zusammenhänge gewollt, umso albernener, wenn sie sich dann als Elemente einer tatsächlichen Verschwörung entpuppen, was in diesem Flickenteppich gar nicht so selten vorkommt.

Trotzdem gelingt es Under the Silver Lake an einem gewissen Punkt, Spaß zu machen. Dafür muss man sich allerdings darauf einlassen, sich von den wirren Fadenspinnereien von Protagonist und Geschichte treiben zu lassen. Diese Voraussetzung erfüllt stolpert man zusammen mit Sam zum eigentlichen Kern dieser Neo Noir Komödie: Ihrer absoluten Referenzgeilheit. In seinem Herzen ist Under the Silver Lake für Detektivgeschichten, Film Noir, Hollywood und Popkultur das, was Ready Player One (2018) für die Nerdkultur ist. Ein wildes Spiel mit Referenzen, ein Puzzle aus diversen Versatzstücken, ein großes Beverly Hills Wimmelbild, auf dem sich Alfred Hitchcock, Humphrey Bogart, Robert Anton Wilson, Hugh Hefner, Kurt Cobain und Shigeru Miamoto finden lassen. Ein komplett verdrehter Rubikwürfel, auf dessen bunt durcheinandergewürfelten Seiten Rock N Roll, Murder Mystery, Surrealismus, Comics und Weltuntergangsfantasien hervorblitzen. Dabei schwanken die Referenzwellen Robert Mitchells zwischen extrem offenem Name Dropping (wie es in Steven Spielbergs Science Fictioneer praktisch zu 100% vorkommt) und kleinen raffiniert eingewobenen Bildern, die sich bewusst an Experten und Expertinnen richten. Also ich bin mir sicher, dass ich zahllose Reminiszenzen übersehen habe. Ab einem gewissen Punkt lässt man die Bilder einfach zu und versucht sie nicht mehr mit dem eigenen kulturlexikalischen Wissen abzugleichen.

Um damit zu der Eingangsfrage zurückzukommen. Was ist der Punkt dieses Films? Es gibt einfach keinen. Under the Silver Lake besitzt weder eine kohärente Story noch ein allumfassendes Thema. Er mäandert, schlurft und stolpert irgendwie vor sich hin, ohne klares Ziel, ohne klares Ende. Umso wichtiger sind ihm die Spielereien, auf die er sich auf diesem Weg einlässt. Er hat Spaß daran, sowohl seinen Protagonisten als auch sein Publikum zu verwirren, zu kitzeln, auf richtige und falsche Fährten zu locken, mit Referenzen zu unterhalten, abzulenken und … naja … manchmal auch zu nerven. Das ist leider ein Moment dieser Mysterykomödie, das sich nicht verschweigen lässt. Under the Silver Lake kann ganz schön nerven. In seiner Verworrenheit, in seinem Narzissmus, in seiner Desorientierung, in seiner Lazyness. Er ist spröde, durcheinander und in dieser Konfusion viel zu sehr von sich überzeugt. Wie gesagt, man muss sich auf diesen Stil einlassen, einige Längen verzeihen können, dann findet man hier durchaus den ein oder anderen spaßigen, sinnfreien Moment, Akzeptanz der Sinnfreiheit vorausgesetzt. Und am Ende kann man ja immer noch Google anwerfen und fragen What was the point of under the Silver Lake?. Ganz ehrlich, mir war das alles dann doch zu egal, um auf den Link zur potentiellen Antwort zu klicken…

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