Die besten Thriller der 90er Jahre IV

Eine Thrillerretrospektive haben wir noch. Dann können wir uns wieder anderen Genres widmen…

Miller’s Crossing [Joel Coen]

(USA 1990)

Coens, die Erste: Miller’s Crossing ist eine gediegene, ungemein stilsichere Gangsterballade, wenn nicht sogar das beste Epos des organisierten Verbrechens seit dem Paten. In düsteren, kargen und stimmungsvollen Bildern entwerfen die Coen Brüder einen poetischen, musikalischen Rausch der Abhängigkeiten von Gewalt und Verzweiflung. Neben der Verbeugung vor dem Film Noir sind es vor allem die behutsam eingestreuten Reminiszenzen an amerikanische Groschenromane und Comics (jaja, das kann nicht nur Tarantino), die Miller’s Crossing zu einem grandiosen, eklektischen Spätwestern und raffiniert gebrochenen Mafiaepos werden lassen. Vielleicht zusammen mit „No Country for old men“ (Die besten Thriller der 00er) der am subtilsten ironische Film der beiden Brüder, vollkommen unabhängig davon aber ein zeitlos elegantes, perfekt konstruiertes und beispiellos dichtes Meisterwerk postmodernen Thrillerkinos.

Fargo [Joel Coen, Ethan Coen]

(USA 1996)

Coens die Zweite: Im Gegensatz zum atmosphärischen „Miller’s Crossing“ ist Fargo rau, trocken, lakonisch und bösartig dreckig. Die Geschichte von einem verwzeifelten Verlierer, einem angeheuerten Entführerduo, das alles falsch macht, was falsch zu machen ist und von einer Polizistin, die den beiden auf der Spur ist, wird naturalistisch und mit schwarzem Humor inszeniert, ist dadurch teilweise fast schon lächerlich grotesk und zugleich erschreckend, infam sezierend. Ein roher, gewalttätiger Thriller, der die Kälte seines Schauplatzes atmet, diese jedoch mit fast schon surreal und absurd anmutender Schönheit des einfachen Alltags kreuzt. Ein äußerst waghalsiges, wagemutiges Balancieren zwischen den Extremen und ein durch und durch erfolgreiches obendrein. Gemein, hinterfotzig, sarkastisch und einfach nur einzigartig genial.

Kiss of Death [Barbet Schroeder]

(USA 1995)

Weitaus konventioneller und straighter geht es da schon im Gangsterthriller „Kiss of Death“ zur Sache. Auch wenn der Protagonist ein ehemaliger Knacki ist, der mit dem FBI zusammenarbeitet um undercover in seinem Milieu zu ermitteln, gehört der Film doch ganz allein Nicolas Cage. Dieser darf hier herrlich überspitzt die Sau Raus lassen und sein großartiges Talent für Overacting unter Beweis stellen. Als comichaft überzeichneter Bösewicht Little Junior ist er charmant bösartig, schockierend brutal und einfach einer der geilsten Superbösewichte des 90er Jahre Kinos. Da wird die ebenfall sauber – wenn auch allzu geradlinig – erzählte Krimihandlung fast zur Nebensache. Und doch ist „Kiss of Death“ ein vollkommen anständiger, angenehm bodenständiger Thriller. Straight Forward in die Fresse, ehrlich, rau und schön spannend unterhaltsam.

In the Line of Fire – Die zweite Chance [Wolfgang Petersen]

(USA 1993)

Und noch einmal straight forward, und noch einmal Wolfgang Petersen (jaja, der konnte durchaus was). Nachdem sein Thriller „Tod im Spiegel“ (zu finden in der vorangegangenen Retrospektive) von den Kritikern eher warmherzig bis mau aufgenommen wurde, durfte er mit „In the Line of Fire“ ordentlich abräumen. Clint Eastwood spielt hier einen herrlich knochigen Personenschützer und liefert sich als dieser ein packendes Psychoduell mit dem kongenialen John Malkovich, der den Psychopathen und Präsidentenkiller mimen darf. Was die beiden aus der recht einfachen Geschichte machen, ist ein packender Hybrid aus großem Drama und mitreißendem Psychothriller: Nachdenklich, altersweise und zugleich immer mit der Hand am Abzug. Bodenständige, perfekt unterhaltende Acionthrillerware aus Hollywood: Schnörkellos, direkt, geerdet und sau spannend.

Léon – Der Profi [Luc Besson]

(Frankreich, USA 1994)

Luc Bessons Léon hat sich innerhalb kürzester Zeit einen Platz in den cineastischen Geschichtsbüchern erarbeitet… und das vollkommen zurecht: Der Film um einen Auftragsmörder und dessen kindliche Nachwuchskraft (herrausragend Natalie Portman und Jean Reno) ist eine poetische Melange aus Thriller, Drama und skurriler Freundschaftsgeschichte. Mitunter eiskalt und ohne mit der Wimper zu zucken brutal und akribisch in der dargestellten Gewalt, dann plötzlich wieder vollkommen leise, zärtlich, ja sogar warmherzig und mit einer ungeheuren Empathie für die zwiespältigen Charaktere: Zum Lachen, zum Weinen, zum Mitfiebern, spannend, brutal und oft genug einfach nur wunderschön.

Sneakers – Die Lautlosen [Phil Alden Robinson]

(USA 1992)

Fast schon anachronistisch bis hin zur Naivität wirkt Sneakers im Vergleich zu den anderen hier vorgestellten Filmen… Macht aber gar nichts. Denn der Hybrid aus Heist Movie, Thriller und Krimikomödie ist eine ausgesprochen elegante Melange, in der sowohl High Tech als auch Nostalgie ihren Platz finden. Die Geschichte von einer kleinen – etwas andersartigen – Firma, die von perfekten Hacking- und Einbruchsexperten geführt wird, ist charmant erzählt, geizt an den richtigen Stellen nicht mit Action und ist zudem mit einem dicken, ironischen Augenzwinkern ausgestattet. Bei all dem Spaß an der altmodischen, charismatischen Heist-Romantik geht der Thrillfaktor schon ein wenig verloren, dafür punktet Sneakers aber als konsequent altmodische Einbrecherarbeit im High Tech Gewand und bietet zusätzlich noch einen ausgesprochen feinsinnigen politischern post-cold-war-Subtext. Ein exquisiter Heist Movie und eine charmante Verbeugung vor dem gesamten Genre.

Diesen Film haben wir auch in unserem Podcast besprochen.

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Fudoh – The new Generation [Takashi Miike]

(Japan 1996)

Wem derlei amerikanische Heist-Movie Unterhaltung zu seicht sein sollte, der könnte mit Takashi Miike glücklich werden. In den 00er-Retrospektiven konnte der japanische Extremregisseur ja gar nicht oft genug gelobt werden (Horror, Superhelden, Surrealismus und so weiter), und auch in den 90ern hat er sich schon als ausgesprochen vielseitiges, wahnsinniges Genie erwiesen. Der Thriller „Fudoh – The new Generation“ ist ein bitterböser, philosophischer Bastard aus Yakuzafilm, verwirrend schwarzgumoriger (Anti)-Slapstick, nachdenklicher Generalabrechnung und einfach nur extremem Genrecrossover. Mal ruhig und in sich gekehrt, dann wieder laut, wild, hektisch und ohne Kompromisse. Ein spezieller – sehr spezieller – Revenge Thriller, der wie so ziemlich alle Miikes fast schon eine Glaubensfrage ist.

Kap der Angst [Martin Scorsese]

(USA 1991)

Kategorie: Remakes, die besser sind als ihr Original. Während die erste Verfilmung des Romans „Ein Köder für die Bestie“  ein nunja ganz ordentlicher Thriller war, nutzt Martin Scorsese seine Verfilmung für eine atemberaubende, düstere und majestätische Parabel über Gewalt und Gegengewalt. Die Geschichte um einen selbstgerechten Anwalt, der von einem ehemaligen Mandanten bedroht wird, ist ein sadistisches, fast schon pornographisch genaues Psychoduell, in dem trotz eindeutiger Rollenverteilung zwischen peiniger und Gepeinigtem, diese Rollen immer wieder verwischen, in Frage gestellt und dekonstruiert werden. Daneben ist Cape Fear einfach mal ein sau spannender Thriller mit einem unfassbar präsenten, Robert De Niro, der zusammen mit dem geschickt agierenden Nick Nolte aus dem zweikampf einen Krieg apokalyptischen Ausmaßes werden lässt.

Die Jäger [Kjell Sundvall]

(Schweden 1996)

Gediegene und intelligente Thrillerkost aus dem europäischen Norden: „Die Jäger“ von Kjell Sundvall hat gleich mehrere spannende Krimiplots zu bieten, die untereinander verschachtelt sind und zu einem komplexen, großen Ganzen zusammenlaufen. Es geht um unterdrückte Schuld, illegale Jagdaktivitäten, Familienzusammenhalt, Familienkrisen und schließlich auch ganz reale Morde. Dabei wird Jägarna angenehmerweise weder zum melodramatischen Rührstück noch zum überzogenen, kreischenden Thriller, sondern bleibt trotz seiner permanenten, dramatischen Steigerung immer authentisch, bodenständig und empathisch für seine Protagonisten. Ein raffinierter und spannender, oft unterkühlter Thriller, der es versteht seinen Plot ebenso mitreißend wie intelligent zu erzählen.

The crying Game [Neil Jordan]

(Großbritannien 1992)

Du meine Güte! Groß war zu Beginn der 90er die Aufregung um die Identität der mysteriösen Dil in dem packenden und spannenden Thriller Crying Game. Groß und hoffnungslos übertrieben. Trotzdem soll an dieser Stelle nicht verraten werden, welches „Geheimnis“ die Femme Fatale verbirgt, auch wenn der entsprechende Plot-Twist in der Geschichte eine eher nebensächliche – von Kritikern, Publikum und vor allem Filmstudios aufgebauschte – Rolle spielt. Viel mehr soll hier das packende Vexierspiel um Schein und Sein, Selbstfindung und Selbstverlust hervorgehoben werden, das den gesamten Film dominiert (und nicht nur den verdammten Dil-Subplot).  Zwischen IRA-Thriller, dunkler Romanze, Vergangenheit und Gegenwart entwickelt „The crying Game“ eine komplexe, herausfordernde Handlung und eine ungemein effektive Sogkraft zwischen Mitfiebern und Mitleiden. Ein perfekt arrangiertes, düsteres Thrillerdrama: Kompromisslos in seiner Struktur, differenziert in seiner Wertung, höllisch spannend in seiner Ausführung.

Carlito’s Way [Brian De Palma]

(USA 1993)

Brian De Palmas „Carlito’s Way“ ist eine komplexe und spannende Gangsterballade, die elegant zwischen Drama und Thriller osziliert. Natürlich gehört der Film vor allem Al Pacino, der hier in einer fantastisch wehmütigen Rolle den Gangster mimen darf, der sein kriminelles Leben hinter sich lassen will, was sich allerdings immer wieder als verdammt schwierig entpuppt. Neben Pacino weiß aber auch der Rest der ausgeklügelten Geschichte – nach einer Vorlage von Edwin Torres‘ – in ihren Bann zu ziehen. Komplex entfaltet sie die Ränkespiele zwischen Ganoven, Polizei und Justizia, durchleuchtet Motivationen, scheut sich nicht davor zurück auch unsympathischen Protagonisten ihren Platz zu geben und mündet schließlich in ein atembraubendes Actionthriller-Finale. Ein intelligenter Abgesang auf die stilisierte Welt des Verbrechens, ein Post-Mafiafilm, eine ebenso traurige wie mitreißende Ballade vom Versuchen, Kämpfen und Scheitern.

Red Rock West [John Dahl]

(USA 1993)

Nachdem Nicolas Cage schon bei den Liebesfilmen gleich zweimal zeigen durfte, was er in den 90ern als Schauspieler drauf hatte – und auch in der Thrillerretrospektive bereits gewürdigt wurde – darf er in „Red Rock West“ erneut unseren Applaus einheimsen. Der düstere Neo Noir Thriller um einen einsamen Wanderer, der mit einem Auftragskiller verwechselt wird, lehnt sich geschickt an klassische Noir-Stilistiken an – inklusive Femme Fatale und überspitztem Raubein – und würzt diese mit viel Sarkasmus und bitterböser Ironie. Das komplex gefädelte Netz aus Leidenschaft, Gier, Hass und Tod ist ein düsterromantisierter Spätwestern, ein rabenschwarzer Road Movie Thriller Bastard und hätte in der Form durchaus auch von den Coens stammen können.

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Erstveröffentlichung: 2011