Die besten Filme 2016: Hell or High Water von David Mackenzie

Zu den etwas unscheinbareren – mit wenig Erfolgsaussichten auf Gewinn – bedachten Oscarnominierungen 2017 gehörte ohne Zweifel David Mackenzie Neo-Western Hell or High Water (2016). Wie zu erwarten war, gewann er nicht; immerhin war dies das Jahr von La La Land, der in den Hauptkategorien so richtig abräumen durfte… Oh wait! 2017 war ein besonderes Jahr für die Acadamey Awards. Es war nämlich auch das Jahr, in dem durch ein Missgeschick, beim besten Film ein falscher Gewinner – eben jenes im Vorhinein von vielen favorisiertes Musical – aufgerufen wurde und in dem letzten Endes der Gewinner doch das ebenso unscheinbare wie grandiose Drama Moonlight (2016) von Barry Jenkins war. Tatsächlich ist der Sieg des vermeintlichen Außenseiters in diesem Jahr nicht nur beachtenswert, weil er zeigt, dass die Academy durchaus für positive Überraschungen gut sein kann, sondern auch, weil er als direkter Konkurrent Hell or High Water fast so etwas wie dessen Seelenbruder und zugleich Nemesis ist. Beide Filme sind Auseinandersetzungen mit den oft mit Missachtung oder Ignoranz gestraften Rändern Amerikas, und zugleich spiegeln beide Filme sehr unterschiedliche Ränder der USA wider. Moonlight, als großes emotionales Manifest des schwarzen Amerikas, als Auseinandersetzung mit der urbanen Gangkultur, den sozialen Widrigkeiten der Großstadt und als poetisches Coming of Age Drama über Homosexualität. Hell or High Water als raubeiniger Blick auf die ländlich geprägten weißen Außenseiter West Texas‘, die ihre emotionalen Befindlichkeiten unter einem großen Berg an Wut begraben haben. Das eine, ein introspektives Gedicht, das andere ein knallharter Gossenroman. Dass Moonlight einer der besten Filme des Jahrzehnts ist, habe ich unlängst geschrieben, aber auch sein dreckiger Bruder wie Gegenspieler im Geiste ist mehr als einen Blick wert.

Die beiden Brüder Toby (Chris Pine) und Tanner (Ben Foster) sind hoch verschuldet und laufen Gefahr, ihr Farmland durch unbezahlte Hypotheken zu verlieren. Der einzige Ausweg, den sie sehen, besteht in einer Bankraubserie, der sie einmal quer durch die kleinen Orte und Ortschaften von West Texas führen soll. Tanner ist dabei der vermeintliche Profi von den beiden, saß er doch wegen Morde zehn Jahre im Gefängnis. Das Ziel der beiden besteht darin, so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erregen: Sie überfallen die Banken frühmorgens, wenn dort kaum ein Mensch zugegen ist, sie waschen das Geld im Casino eines Indianerreservats und sie wollen ihre Serie nur so lange weiterführen, bis die Hypothek abbezahlt ist. Aber so einfach wie gedacht ist eine Raubserie auch im ländlichen Raum keineswegs. Dass es nicht ohne Gewalt hinhaut, zeigt sich bereits beim ersten Überfall. Als sich dann auch noch der alte, kurz vor der Rente stehende Texas Ranger Marcus (Jeff Bridges) an die Fersen der beiden Kriminellen heftet, entwickelt sich das vermeintliche Kinderspiel schnell zum gefährlichen und brutalen Katz- und Mausspiel.

Das ganze klingt nicht nur wie ein unerhört regressives Tableau für eine rohe, ungezügelte Wildwest-Geschichte; genau das ist es auch. In seinen Ansätzen verbindet Hell or High Water all die großen und kleinen Tropes klassischer amerikanischer Pulp-Erzählungen: Zwei Kriminelle, einer der unkontrollierbar und gefährlich scheint, einer der immer wieder von Skrupeln geplagt wird; ein ebenso raubeiniger wie liebenswerter Texas Ranger, der den beiden auf der Spur ist. Eine Jagd durch den ländlichen texanischen Raum, in dem mitunter noch die Anarchie auf den Straßen herrscht… das birgt in sich all das Potential für dreckige, brutale Unterhaltung für kleine Jungs. Man darf sich von diesem Setup allerdings nicht täuschen lassen. So offensiv und offen Hell or High Water seine Pulp-Herkunft vor sich herträgt, so subtil unterläuft er diese auch im Laufe seines Geschehens. Zuerst sind es nur kleine emotionale Einwürfe, mit denen er seine Western/Thriller-Handlung garniert. Dann ist es ein nicht zu übersehenes Augenzwinkern, mit dem er seine Räuberpistole straight forward erzählt. Und schließlich werden überraschend leise Noten angeschlagen, die von Minute zu Minute konsequenter den filmischen Rahmen mit Leere und Stille füllen. Hell or High Water fühlt sich nämlich nicht nur der Schund- und Gossenliteratur, dem Exploitation und Pulp verpflichtet, sondern ebenso den in den letzten Jahrzehnten immer populärer werdenden Geschichten von der düsteren Seite des ruralen Amerikas: Filme wie No Country for old men, Three Billboards Outside Ebbing Missouri oder auch Serien wie True Detective haben diesen Raum ausgelotet und dem urbanen Publikum erfahrbar gemacht.

Hell or High Water indes schert sich relativ wenig darum, diesen Raum zu analysieren oder zu erklären. Er blickt auf diese kleine schmutzige Peripherie Amerikas und lässt sie für sich selbst sprechen. Sein West Texas ist bevölkert von Menschen, die keine großen Ideen oder Utopien besitzen, keine Fragen und keine Weisheit. Es sind keine Helden und auch keine Antihelden, die hier zu Gange sind, sondern einfach Menschen, die ihren Job machen, oder zumindest das, was sie für ihren Job halten. Dies gelingt ihm auf ganz famose Weise, weil er der großen amerikanischen Erzählung die kleine, unsaubere amerikanische Realität entgegenwirft. Wir treffen hier auf echte Charaktere, die in herausragenden, lakonischen Dialogen nichts von sich oder ihrem Milieu preisgeben und dadurch das Ungesagte für sich stehen lassen. Gerade weil Hell or High Water so wenig will, ist er ungemein authentisch und besitzt in dieser Authentizität eine rohe Romantik, die er immer wieder mit einem verschmitzten Augenzwinkern präsentiert. Damit ordnet er sich selbst irgendwo zwischen Spätwestern, Actionthriller und Sozialdrama ein, ohne eines der Genres voll erfüllen zu wollen: Für einen Neo Western ist er zu gefühlsduselig, für einen Actionthriller zu unspektakulär und für ein Sozialdrama viel zu trocken und zynisch. Seine Stärke liegt dementsprechend weniger in dem was er ist, sondern paradoxerweise in dem was er nicht ist, was er nicht sein will. Er ist einfach zu rau und kompakt, um jemals episch oder gar anthropologisch zu werden. Aber er hat das Herz am rechten Fleck. Er ist viel zu regressiv, viel zu maulfaul, um seine Versatzstücke zu dekonstruieren oder ihnen einen neuen Drive zu geben. Aber in dieser selbst aufgelegten narrativen und dramaturgischen Askese ist er absolut on point, trägt keinen überflüssigen Ballast mit sich und läuft so nie Gefahr, irgendwo in seiner Thematik verloren zu gehen.

Irgendwie klar, dass er mit diesen Stilmitteln bei den Oscars 2017 keine Chance hatte. Es ist eher ein Wunder, dass er überhaupt auf der Nominiertenliste stand. Aber das hat er verdient, und sei es nur als Gegenentwurf zu all den epischen, nachdenklichen und poetischen Filmen die Jahr für Jahr nominiert und ausgezeichnet werden. Hell or High Water ist ein Spucken auf den Wüstenboden, ein Haufen Schrot, der dem Publikum von rauem Wind ins Gesicht gepustet wird, eine dreckige kleine Genreperle; Pulp mit einem Schuss Melancholie, ein kleiner Bastard mit einer schlechten Sozialprognose und ohne Chance aus dem selbstverschuldeten Schlamassel rauszukommen. Und damit das perfekte Kontrastprogramm zur monumentalen Traumfabrik wie zum pittoresken amerikanischen Arthouse. Und ein Film, der nicht nur den Academy Awards verdammt gut getan hat, sondern der gesamten Filmwelt der 2010er Jahre.

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