Die besten Filmdramen 2017: Three Billboards Outside Ebbing, Missouri

In den USA sind spätestens seit dem Wahlkampf Donald Trumps im Jahre 2016 alle Augen auf das so genannte Heartland gerichtet: Mal mit Verachtung, mal mit Spott, oft auch mit Sorge, aber immer öfter auch mit Neugier und sogar Faszination. Was macht es aus, dieses Land mitten im Zentrum des vermeintlich mächtigsten Staates der Welt? Wie ticken die Leute dort? Wie konservativ, wie reaktionär sind sie? Oder lassen sie sich vielleicht gar nicht so einfach einordnen? Wie stark wirken progressive Ideen unter ihnen, wie offen und liberal können sie sein? Und besitzen sie vielleicht sogar einiges, was den Städtern und Küstenbewohnern abgeht?

Missouri: Am Rand des kleinen Ortes Ebbing mietet Mildred Hayes (Frances McDormand) drei große Plakatflächen und bringt an ihnen eine einfache Textbotschaft an: „Raped While Dying“, „Still No Arrests?“ und „How come, Chief Willoughby?“. Die Person, auf die sich die erste Botschaft bezieht, ist ihre Tochter Angela, die vor einigen Monaten vergewaltigt und getötet wurde. Adressat der letzten beiden Botschaften ist der an Krebs erkrankte Polizeichef des Ortes (Woody Harrelson:), der bis zu diesem Tag keinerlei Ermittlungsergebnisse vorzuweisen hat. Obwohl die Plakate mitten im nirgendwo stehen, ziehen sie schnell die Aufmerksamkeit der regionalen Presse auf sich. Auch das Polizeibüro – allen voran der rassistische und jähzornige Officer Jason Dixon (Sam Rockwell) – und viele Einwohner von Ebbing sind angesichts dieser Rebellion gegen die Staatsgewalt aufgeschreckt. Im Kampf um die Plakate und die Deutungshoheit über gute Polizeiarbeit entspinnt sich ein rabiater Kleinkrieg, der immer weitere Kreise zieht und immer weitere Eskalationsstufen erreicht.

Es geht also um Vergewaltigung, um Mord, um eine überforderte Polizei, eine von Gewalt und Wegschauen geprägte Gesellschaft, um einen Krieg Bürger gegen Obrigkeit und um zahllose Probleme, die im amerikanischen Heartland zu Hause sind. Dass Three Billboards Outside Ebbing, Missouri nicht zur Sozialtragödie mit Fingerzeig verkommt, kann dem Film gar nicht hoch genug angerechnet werden. Denn so sehr sein Sujet schwere Kost ist, so geschickt kommt er drumherum diese ebenso schwer zu inszenieren. Das tragische Narrativ wird stattdessen von einer Dramaturgie geleitet, die weitaus mehr im komödiantischen Umfeld angesieselt ist, als man auf den ersten Blick vermuten könnte. Die Protagonistin Mildred ist eine schroffe, bärbeißige Lady, die immer in den passenden Momenten einen passenden Spruch auf den Lippen hat. In ihrem Zusammenprall mit Willoughby, Dixon und zahllosen anderen schrulligen Figuren dominieren dann auch weniger Anspannung und Hass, als viel mehr großartige Gesprächskomik. Jeder einzelne Dialog ist hier ein kleines Highlight an trockenem, sarkastischen Humor, an Missverständnissen, Ignoranz und Borniertheit. Dennoch macht sich der Film dabei nie über sein Thema oder seine Protagonisten lustig.

Ganz im Gegenteil: Selten hat man in letzter Zeit derart nuancierte Charaktere in einem amerikanischen Drama gesehen. Mögen die Sympathien noch zu Beginn klar verteilt wirken – die tapfere Kämpferin auf der einen, die bräsige, rassistische Polizei auf der anderen Seite -, wird diese Schwarz-weiß-Malerei von Sekunde zu Sekunde aufgelöst. Dass der Todkranke, seine Familie schützende und um Kompromisse bemühte Polizeichef schnell Sympathiepunkte einstreichen darf, geschenkt. Weitaus beeindruckender ist es, dass es Three Billboards gar gelingt, einem so durch und durch brutalen und regressiven Charakter wie Dixon nicht nur Leben einzuhauchen, sondern beim Zuschauer sogar Mitgefühl für ihn zu wecken. Hinzu kommt, dass auch die Protagonistin Mildred immer wieder neue Facetten erhält: Mal sympathisch, mal schrullig, mal anstrengend und furchtbar borniert.

Einen großen Anteil an diesem nuancierten Bild hat natürlich die Schauspielleistung aller Beteiligten. Vollkommen zurecht wurden Frances McDormand (für die beste weibliche Hauptrolle) und Sam Rockwell (beste männliche Nebenrolle) mit einem Oscar ausgezeichnet. Gerade Letzterer entwickelt sich im Laufe des Films fast schon zum heimlichen, unheimlichen Star, spielt sich die Seele aus dem Leib und darf so nach und nach alles sein: Hauptfeind, Superbösewicht, Kumpel und sogar Held. Aber nicht nur die Protagonisten glänzen an dieser Stelle sondern auch die zahllosen Nebencharaktere. Three Billboards gelingt es, sein Ebbing, Missouri zu einem lebendigen Ort werden zu lassen, der bis in die kleinsten Nebencharaktere hinein mit starken, profilierten Typen besetzt ist: Sei es der eigentlich nur im Kleinstadtpanorama leicht exzentrisch scheinende Plakatvermieter und Werber Red (Caleb Landry Jones), der für Mildred schwärmende stolze James (Peter Dinklage), Mildreds in sich zerrissener Ex-Mann (John Hawkes) oder ein meistens am Rande stehender und plötzlich groß menschelnder Seargent (Željko Ivanek)… Bis in die kleinste Figur herein, bis zur winzigsten Nebenrolle ist Three Billboards Outside Ebbing, Missouri herausragend besetzt und gewinnt jedem noch so nebensächlichen Charakter unerwartete Facetten und Nuancen ab.

Damit wird auch die Ambivalenz und Ambiguität des Heartlands als solches in einem faszinierenden Kleinstadtpanorama perfekt nachgezeichnet. Wie gesagt, das alles ohne Fingerzeig, ohne eindimensionale Positionierung: Stattdessen sehen wir Konservatives und Progressives, Entspanntheit angesichts dramatischer Ereignisse und pure Verzweiflung angesichts vermeintlicher Nebensächlichkeiten; wir sehen rückständigen Rassismus, ein überholtes Staats- und Gesellschaftsbild, aber auch Menschen im Aufbruch, Menschen die vieles wagen und vieles aufs Spiel setzen. Das alles mal in harmonischer Eintracht, mal im launigen Zwiegespräch, mal im offenen brutalen Konflikt, ohne dass es je zu sehr zu einer Seite kippen würde. Three Billboards Outside Ebbing, Missouri ist ein herausragendes Drama, ganz knapp an der Tragikomödie vorbei, manchmal direkt bei der Satire, kurze Zeit sogar im Krimigenre zu Hause, am Ende vor allem aber ein unfassbar ambivalentes, großartiges Porträt eines Teils der amerikanischen Gesellschaft, der viel öfter im Kino zu sehen sein sollte.

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