Lupa of Wall Street – Rezension zu Hustlers (2019)

Es gehört in den letzten Jahren zum guten Ton der amerikanischen Rechten, sich über Filme zu beschweren, die ihrer Meinung nach zu woke, zu feministisch, zu liberal oder zu progressiv sind. Nachdem es 2019 bereits Captain Marvel erwischt hat, ist die aktuelle Sau, die durchs altright-Dorf getrieben wird Parasite beziehungsweise dessen in patriotischen Augen ungerechtfertigte Oscar-Auszeichnung. Ein Grund dafür dürfte nicht zuletzt die Tatsache sein, dass der Right Wing Darling Joker zumindest in dieser Kategorie bei den Oscars 2020 leer ausging. Anyway, bei so viel Aufregung ist die Abneigung der Konservativen und Rechten gegenüber Lorene Scafarias Hustlers (2019) fast ein wenig untergegangen. Aber sie war da, mit allem was dazu gehört: Leider auch inklusive hysterischer Wutvideos zweitklassiger rechter Vlogger, massenhaftem Downvoting bei IMDB und viel Gift und Galle, die versprüht wurden. Und wie immer gilt, man sollte sich von denen fernhalten, die alles erdenkliche tun, um einen Film – den sie mitunter gar nicht selbst gesehen haben – schlecht zu reden und in der Öffentlichkeit schlecht dastehen zu lassen (zumal die ironischerweise meistens die ersten sind, die laut „Cancel Culture!!!11Elf“ schreien, wenn ein von ihnen geliebtes Werk aus moralischen Gründen kritisiert wird), aber man sollte sich von den Schreihälsen zugleich nicht davon abhalten lassen, einen Film unbeeinflusst und auch kritisch zu rezipieren. Here we go again. Same old game, same old game.

In einem New Yorker Stripclub im Jahr 2007 lernt die junge Tänzerin Destiny (Constance Wu) die erfahrene und deutlich ältere Ramona (Jennifer Lopez) kennen, die unfassbar gut darin ist, den Kunden den Kopf zu verdrehen und sie um ihr Klein und Großgeld zu bringen. Fasziniert von Ramonas Geschick im Tanz und im Umgang mit den Männern geht Destiny bei ihr in die Lehre. Die beiden werden Freundinnen und Geschäftspartnerinnen und sind als Duo schließlich so gut, dass sie sich durch ihre Auftritte ein luxuriöses Leben leisten können. Zwei Dinge kommen diesem anstrengenden wie lukrativen Arbeitsleben jedoch in die Quere: Die Schwangerschaft Destinys und die große Finanzkrise des Jahres 2007, der große Teile des New Yorker Nachtlebens zum Opfer fallen. Als die beiden Frauen sich Jahre später wieder treffen, ist ihre Freundschaft so stark wie am ersten Tag. Aber sie müssen feststellen, dass sich das Business radikal geändert hat und es für klassische Tänzerinnen alles andere als leicht ist, so wie früher genug Geld zum Leben zu verdienen. Die beiden fühlen sich gezwungen kreativ zu werden, und das schließt halblegale und schließlich vollkommen illegale Aktionen mit ein.

So leicht sich die Besucher vom Glanz des Stripclubs, in dem die Protagonistinnen arbeiten, täuschen lassen, so leicht könnten sich die Zuschauer vom Glanz des Films täuschen lassen. Hustlers kommt enorm glamourös daher, wild, bunt tänzelnd und verführerisch. Jedoch wie in dem zentralen Etablissement verstecken sich hinter der schillernden Fassade Tiefen und Abgründe. Wie Hustlers diese Ambivalenz des Milieus und seiner eigenen Geschichte erzählt, wird bereits in den ersten Minuten eindrucksvoll visualisiert. Wir folgen Destiny ganz dicht durch die funkelnde, oberflächliche Welt der Bars, Bühnen und Stangen. Wir folgen ihr aber auch hinter die Kulissen, in die Garderobe, in die Zwischenräume, in die dunklen Hinterzimmer. Wir bleiben dort aber nicht stehen, denn schon gleich geht es auch wieder nach vorne, die Lichter dürfen wieder leuchten, die Gesichter dürfen glänzen und wir dürfen uns erneut verführen lassen. Hustlers ist ein einziges Pendeln zwischen Schein und Sein. Eben noch wurde ausgiebig gefeiert und schon kurz darauf werden wir mit den alles andere als glamourösen Realitäten hinter der Party konfrontiert. Eben noch durften wir einer ausgelassenen Shopping-Montage der neureichen Protagonistinnen beiwohnen, kurz darauf schon werden wir zurückgeworfen in den so einfachen Alltag der Gaunerinnen, die auch Mütter, Pflegerinnen, Freundinnen, Menschen mit alltäglichen Sorgen und Nöten sind.

Diese Ambivalenz lässt Hustlers leben und atmen. Die Inszenierung der Oberfläche ist glänzend und verführerisch. Jennifer Lopez liefert wohl die beste Leistung ihrer Karriere ab, darf gekonnt zwischen attraktiver Verführerin, eiskalter Betrügerin, herzensguter Mutter und Freundin und extrem intelligenter Geschäftsfrau pendeln. Constance Wu gibt ihrer Destiny eine ungemein charmante Unsicherheit mit auf den Weg, die sich im Laufe des Films mehr und mehr zu einer beeindruckenden Selbstsicherheit wandelt. Lorene Scafaria rückt die Ambivalenz ihrer Hauptfiguren genau ins richtige Licht, erzählt oft frivol, fast schon am Rande des Komischen, mit deutlichen Einflüssen klassischer Heist- und Ganovenfilme. Sowohl Martin Scorsese (der sich anscheinend auch um die Inszenierung dieser Geschichte bemüht hat) als auch Steven Soderbergh gehören zu den eindeutigen Referenzen dieses ebenso schicken wie durchdachten Szenarios. Die Kameraarbeit wie der Schnitt sind top notch, Hustlers ist ebenso temporeich wie attraktiv, amüsant wie bissig. Er scheut sich nicht vor dramatischen und tragischen Momenten, erzählt aber auch diese mit einer realistischen Lässigkeit und Unaufgeregtheit, und kippt so nie zu sehr ins Schwülstige. Fast könnte man meinen, es bloß mit einem amüsanten Ganovinnenstück zu tun haben, wären da nicht die manchmal harten, manchmal menschelnden Interruptionen, die Hustlers deutlich komplexer werden lassen als klassische Filme über Betrug und Gaunereien.

Hustlers liefert eine großartige Arbeit der Vermenschlichung der im Zentrum stehenden Täterinnen. Ja, die meiste Zeit über dürfen wir sie – zunächst bewundernd, im Verlauf der kriminellen Eskalation immer sprachloser – bei ihren Coups und Tricks, bei ihren eleganten Verführungen und kaltblütigen Verbrechen begleiten. Ihre hedonistischen Exzesse, ihre Suche nach schnellem Glück durch Konsum stehen oft an erster Stelle der Handlung. Werden diese Momente jedoch aufgebrochen (und das werden sie), schlägt die Realität umso erbarmungsloser zu. Am grandiosesten gelingt dies Hustlers, wenn er vom zurückliegenden Exzess zum aktuellen Gespräch zwischen Destiny und einer Reporterin (konsequent zurückhaltend: Julia Stiles) umschaltet. Dann offenbart sich das laute und schillernde Leben, von dem der Film erzählt, als Schein, als ruchloses Spiel, das längst verloren ist. Aber auch in anderen Momenten variiert Hustlers geschickt sein Ambiente: Da darf auch mal eine Tänzerin in der Garderobe heulen, weil sie keinen passenden Tampon dabei hat, da darf Destiny übermüdet zurück zu ihrer Großmutter in eine alles andere als glamouröse Vorstadtwohnung nach Hause kommen, oder da darf Ramona ihrer Tochter gewissenhaft bei den Hausaufgaben helfen. Diese Momente des Kontrastes, der Glamour-Destruktion und -Dekonstruktion sind rar, aber sie sind geschickt platziert und so pointiert, dass sie dem Publikum immer die Doppelbödigkeit der Hustler’schen Welt vor Augen halten.

Hustlers wurde vorgeworfen, dass ihm seine Opfer egal wären, dass er einen Dreck für die Geschädigten der perfiden Spiele von Ramona und Destiny geben würde. Und bis zu einem gewissen Punkt ist diese Kritik auch nachvollziehbar. Hustlers folgt einer äußerst subjektiven Perspektive. Sein ganzer narrativer Aufbau basiert auf dem Gespräch zwischen Destiny und der über sie schreibenden Reporterin (Der Film basiert auf der Reportage „The Hustlers at scores“ der Journalistin Jessica Pressler). Dementsprechend sind die männlichen Perspektiven auf die Geschichte komplett unterrepräsentiert. Wesentlich ist, wie Destiny und ihre Kumpaninnen die Ereignisse wahrgenommen haben: Und in dieser Wahrnehmung kommen Männer in der Tat schlecht weg: Sie sind die gierigen Broker, die am Tag gigantische Geschäfte machen und abends ihre Frauen betrügen. Sie sind die Kapitalisten mit Allmachtsfantasien und ausschweifendem Lebensstil. Sie sind die Tölpel, die nach einem kurzen, lasziven Lächeln bereits glauben, eine Frau sei ihnen verfallen. Und sie sind schließlich die Verursacher der Finanzkrise, sind die, die ein ganzes Land an den Rand des Abgrunds bringen, selbst aber nicht für ihre Missetaten bezahlen müssen. Destiny und Ramona sind in diesem Fall die Robin Hoods des Nachtlebens, die Armen, die den moralisch verkommenen Reichen Geld stehlen, um es den Armen (sich selbst) zurückzugeben.

Hier eine moralische Kritik an dem Film anzusetzen, übersieht aber zwei wesentliche Punkte: Zum einen die Frage nach der Opferperspektive ausgerechnet bei diesem Film zu stellen, wirkt doch ein wenig bigott. So ziemlich jedes Ganovenstück mit Täter im Mittelpunkt – von Robin Hood bis The Wolf of Wall Street (2013)) verzichtet größtenteils auf die Opferperspektive und glorifiziert seine Täter. Jeder Soderbergh, jeder Ritchie, jeder klassische Hollywood-Ganovenflick tut dies. Hustlers geht im Grunde sogar weitaus feinfühliger mit seinen Opfern um als viele andere filmische Gaunereien, in einer Szene sogar ganz explizit, als Destiny am Telefon mit dem Leid eines ihrer Opfer konfrontiert wird. Zum zweiten übersieht eine derart moralische Interpretation die raffinierte Doppelbödigkeit, die Hustlers in seine Perspektivierung einflechtet. Vor allem Ramona rechtfertigt ihre Verbrechen immer und immer wieder. Wie auch ihre Komplizinnen schaut sie herab auf die partygeilen, oberflächlichen Börsianer, die sich zum Opfer erkoren haben. Und währenddessen verwandeln sich die Frauen selbst in das, was sie hassen: Geben sich dem Konsum hin, feiern wilde Parties, das alles auf dem Rücken anderer… und plötzlich sind sie selbst bei einem oberflächlichen, hedonistischen und egoistischen Lifestyle angekommen. Hier arbeitet Hustlers geschickt mit Topoi aus der Bekenntnis- und Hochstaplerkultur, indem er immer wieder die eigene Erzählhaltung hinterfragt und sogar mit einem Über-Ich über der Erzählerin Lügen straft. Diese Dekontruktion der eigenen Erzählhaltung mag subtil, kaum wahrnehmbar sein, sie eröffnet aber eine erstaunliche Tiefe unter all dem Glamour, der den Film an seiner Oberfläche prägt.

Und diese Tiefe trägt den Film dann auch zu seinem Hauptthema. Im Kern von Hustlers steht die Freundschaft zwischen Destiny und Ramona. Es gab in den Ganovenstücken der letzten Jahrzehnte den Trend, weg von „Wer legt wen als nächstes rein“-Storylines und hin zu realistischen Charakterporträts. The Wolf of Wall Street war lange Zeit die große Referenz bei diesem Versuch, Ganoven und Betrüger zu vermenschlichen und plausibel zu gestalten. Hustlers geht noch einen Schritt weiter. Er widmet sich lange und ausgedehnt der Beziehung seiner beiden Protagonistinnen und versucht nicht mal im Ansatz diese auszuschlachten. Er betrachtet Zugeständnisse und echte Solidarität ebenso wie Eifersüchteleien, Krisen und sogar einen handfesten Betrug, macht aber stets deutlich, dass diese kleinen – und manchmal großen – Konflikte dem Kern der Freundschaft nichts anhaben können. So amoralisch sich Destiny und Ramona gegenüber ihren Opfern und Feinden verhalten, so sehr stehen sie füreinander ein. Ihr Miteinander ist von tiefem Respekt geprägt, und selbst ihr temporäres Gegeneinander wie nie übertrieben, sondern bleibt in einem Rahmen, der in einer solchen Freundschaft als realistisch und plausibel angesehen werden kann. Besonders beeindruckend ist eine Zuneigungsbekundung fast gegen Ende des Films, in der Hustlers sogar noch einmal richtig emotional, herzerwärmend und traurig werden darf.

Hustlers ist nicht frei von schwächen, verliert er sich oft und gerne an der Oberfläche, die er eigentlich demaskieren will. Seine Faszination für das kriminelle Geschäft, für den Glamour der Nachtwelt verhindert mehr als einmal, dass er seine zweifelsohne vorhandene Komplexität voll ausspielen kann. Und in mancher Oberflächlichkeit wird er sogar redundant und langatmig. Aber Hustlers ist auch in seinen besten Momenten extrem unterhaltsam, äußerst gut darin, sein Publikum mit den selben Mitteln zu verführen, mit denen die Protagonistinnen ihre Opfer drankriegen. Und er wird richtig stark in den Momenten, in denen er mit Schalk im Nacken narrativen Subtext-Schabernack mit seinem Publikum und seinen Figuren treibt: Ein weitaus cleverer Film, als man auf den ersten Blick vermuten könnte, hin und wieder amoralisch, hin und wieder erfrischend ambivalent, hin und wieder erstaunlich emotional, in erster Linie aber vor allem ein freudiges, doppelbödiges Ganovinnenstück mit viel Sex Appeal, viel Charme und viel Herzblut.

 

Diesen Film haben wir auch in unserem Podcast besprochen.

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