Die besten Tragikomödien der 2000er Jahre II

Frei nach Chaplin: Mit einem Lächeln, wahrscheinlich auch mit einer Träne. Teil 1 hat uns schon viele tragikomische Meisterwerke gebracht: Auf zu Runde 2…

Broken Flowers [Jim Jarmusch]

(USA 2005)

Ein alt gewordener, ewiger Junggeselle begibt sich auf die Suche nach seinem Sohn und der möglichen Mutter. Jim Jarmuschs Broken Flowers ist eine unaufgeregte, der klassischen Jarmusch-Ästhetik verpflichtete Tragikomödie, die durch Reduktion zum Wesentlichen findet. Trocken, lakonisch, komisch, traurig, mit einem Bill Murray der grandios aufspielt und dem ambivalenten Protagonisten überzeugend Leben einhaucht. Es geht um verpasste Chancen, Bereuen und Bedauern, aber auch um die Liebe zu den Frauen und vor allem um die Liebe zum Leben an und für sich. Dabei ist es gerade das Spröde, Sarkastische, das dazu beiträgt, dass der Film nie zu einem kitschigen Hollywoodstreifen mutiert sondern immer unberechenbar, unkonventionell und dennoch oder gerade deswegen ergreifend bleibt.

Adams Äpfel [Anders Thomas Jensen]

(Dänemark 2005)

Ein Film der vieles wagt und fast alles gewinnt. Adams Äpfel ist unkonventionell, böse bis auf die Knochen, schwarzhumorig, mysteriös, tragikomisch, einfach nur tragisch und ein herrlich überspitztes Vergnügen. Die schwarze Komödie um den Machtkampf zwischen einem Nazi und einem gutmütigen, naiven Pfarrer pendelt ständig zwischen düster, schreiend komisch und verblüffend einfühlsam. Jensen gelingt das provokante Balancieren am Abgrund auf perfekte Weise. Er vermag zu schockieren, Weltbilder aufzuräumen, umzuwerfen, in die Luft zu sprengen und neu zusammen zu setzen. Und doch dreht sich am Ende alles nur um einen Apfelkuchen, der zum Zentrum des Universums zu werden scheint. Ein großartiger Film, dem nichts und niemand heilig ist und der es  gerade deswegen vermag, Respekt für alles und jeden aufzubringen.

Breakfast on Pluto [Neil Jordan]

(Irland 2005)

Coming of Age, IRA, 50er, Religiosität und Bigotterie, Coming Out, Transidentität… Neil Jordans Anti Anti-Märchen Breakfast on Pluto ist vollgepfropft mit Themen, Motiven und Bildern. Dabei begleitet er seinen Protagonisten durch das Irland der 60er und 70er Jahre, lässt ihn immer wieder Schicksalsschläge erleiden, aber auch tiefes Glück erleben, sich selbst suchen aber auch sich selbst finden; er bezaubert ihn und quält ihn zugleich. Dass trotz der zahllosen angeschnittenen und erstaunlich weit ausdividierten Handlungsstränge der rote Faden – nämlich der Charakter des Protagonisten, der Protagonistin – nicht verloren geht, liegt vor allem am grandiosen Spiel von Cillian Murphy, der hier gekonnt zwischen Gemütszuständen, Geschlechtsidentitäten, Trauer und Hoffnung hin- und herpendelt und dabei die wahrscheinlich stärkste Performance seiner Karriere hinlegt.

The Million Dollar Hotel (Wim Wenders)

(USA, Deutschland, Großbritannien 2000)

Der deutsche Regisseur Wim Wenders ist bekannt für seine trockene, spröde, mitunter langatmige Art der Inszenierung. In der Tragikomödie The Million Dollar Hotel jedoch geht er erstaunlich leichtflüßig und schwerelos vor. Die Mischung aus Noir Krimi, Drama am Rande der Gesellschaft und skurriler Komödie voller absurder Charaktere ist ein warmherziges soziales Märchen; lässig inszeniert nach einem Drehbuch von Bono (ja genau, der U2-Bono), mit viel guter Musik, einer spannenden Erzählweise, interessanten Haupt- und Nebenfiguren und vor allem viel Philanthropie. Bezeichnend dafür ist die Aussage des Protagonisten Tom: „Erst als ich gesprungen bin, wurde mir klar: Die Welt ist voller Schönheit.“

The Cooler [Wayne Kramer]

(USA 2003)

Ein Cooler ist dafür verantwortlich, im Casino dafür zu sorgen, dass die Gäste nicht allzu viel gewinnen. Und ist diesem Fall ist der Cooler (gespielt von einem herausragenden William H. Macy) ein Versager auf ganzer Linie. In seinem Umkreis  herrscht das Unglück. Steht er an einem Roulettetisch, verlieren die Gäste reihenweise, bestellt er ein Getränk ist es ausgegangen. In seiner Umgebung geht jede Pflanze ein… doch dann verliebt er sich. Und plötzlich läuft alles ganz anders. Wayne Kramer erzählt diese unglaubliche Geschichte als wunderschönes Märchen, angesiedelt in einem Las Vegas, dass zwischen Tradition und Disney-Modernisierung steht. Angereichert mit tragikomischen Momenten, einer unfassbar schönen Liebesgeschichte und viel Phantasie ist „The Cooler“ ein skurriles, menschelndes und berührendes Meisterwerk: Bitter, lakonisch, rührend und einfach nur… glücklich.

Ricky [François Ozon]

(Frankreich, Italien 2009)

Wir bleiben beim Märchenhaften. In Ricky erzählt das französische Regie Enfant Terrible François Ozon die Geschichte von einem Kind mit einer besonderen Eigenschaft. Wie diese genau aussieht, soll an dieser Stelle freilich nicht verraten (und wer sich die Überraschung nicht verderben will, sollte auch den Trailer tunlichst meiden)… aber so wichtig ist dieses phantastische Element auch gar nicht. Viel bedeutender ist der ungefärbte Blick auf das Pariser Arbeitermillieu, auf die Sorgen einer jungen Familie und auf Zusammenhalt angesichts sozialer Herausforderungen. Darüber hinaus ist Ricky ein Plädoyer für die Kraft der Phantasie, der Träume und des Optimismus, irgendwo zwischen gnadenlosem Naturalismus und bezaubernder Überstilisierung. Ein ungewöhnlicher Film von einem unkonventionellen, herausragenden Regisseur.

Melinda und Melinda [Woody Allen]

(USA 2004)

Einer darf in diesem Genre nicht fehlen, und das ist Woody Allen. Mit Melinda und Melinda hat der große Tragikomiker und Neurotiker des New Hollywood auch gleich einen tragikomischen Prototypen hingelegt. Erzählt wird die Geschichte von Melinda… und zwar gleich zweimal. Einmal in der tragischen und einmal in der lustigen Variante, beides parallel inszeniert, beides mit viel Liebe für die Charaktere und beides Allen-typisch mit vielen Neurosen und Skurrilitäten. Dass das Konzept der Tragikomödie damit einmal komplett auseinandergerissen wird, liegt auf der Hand, und dennoch ist die emotionale Wirkmächtigkeit dieser tragikomischen Salad Bowl die selbe wie bei den hier sonst anzutreffenden tragikomischen Melting Pots. Die Geschichten von Melinda und Melinda berühren, bezaubern, unterhalten und bewegen. Auch im 21. Jahrhundert beherrscht Allen sein Handwerk wie nur wenige…

Son of Rambow [Garth Jennings]

(Großbritannien 2007)

Mitten in den 80ern angesiedelt ist dieser charmante Coming of Age Film, in dessen Verlauf zwei Kinder ein Remake des Action-Klassikers Rambo drehen wollen. Die Dreharbeiten entwickeln sich zu einer Zerreißprobe für ihre Freundschaft, eröffnen ihnen aber auch gleichzeitig die Tore zu einer neuen Welt, fernab des britischen Puritanismus und Konservatismus dieser Zeit. Son of Rambow ist ein wunderschöner Familienfilm und zugleich eine tragikomische Hommage an das 80er Jahre Actionkino und die Möglichkeiten und Träume der Kindheit: Respektlos, unverblümt, erfrischend und zugleich rührend, komisch und spannend.

Der Tintenfisch und der Wal (Noah Baumbach)

(USA 2005)

Um Kindheit in den 80ern geht es auch in der Scheidungs-Dramödie „Der Tintenfisch und der Wal“. Hier wird das Thema jedoch alles andere als familiengerecht angegangen. Stattdessen werden die Schattenseiten zweier Kids gezeigt, die plötzlich mit der Scheidung ihrer Eltern und geteiltem Sorgerecht klar kommen müssen. Der realistische, spitzfindige und zutiefst berührende „Kramer gegen Kramer“ des 21. Jahrhunderts ist eine wunderbare Tragikomödie zwischen Lakonie und großem Drama, ein sorgfältiges Porträt Heranwachsender und eine bissige Bestandsaufnahme des amerikanischen Bildungsbürgertums der 80er Jahre.
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The Royal Tenenbaums [Wes Anderson]

(USA 2001)

Wes Anderson durfte im letzten  Jahrzehnt gleich mehrmals mit ganz hervorragenden Filmen auftrumpfen. Seine subtile, zurückhaltende Art der Inszenierung ist perfekt dazu geeignet, Tragikomödien mit einer ungezwungenen Leichtigkeit und viel Outsidercharme zu inszenieren. Das durfte er auch 2001 mit der etwas anderen Familiengeschichte „The Royal Tenenbaums“ unter Beweis stellen. Abseitige Charaktere, skurrile Begebenheiten und dennoch ein warmer, herzlicher Sprachstil beherrschen diesen ungewöhnlichen Indie-Hit zwischen Drama, Komödie und absurden Szenarien.

Jeux d’enfants [Yann Samuel]

(Frankreich, Belgien 2003)

Yann Samuell romantisch-komisches Werk „Jeux d´enfants“ stellts sich dar wie die Verbildlichung der bekannten These Hannah Arendts über die Liebe, in der es heißt, dass die Welt zwischen den Liebenden verbrenne, da diese sich ausschließlich für den jeweils Anderen interessierten. Dies wird den Protagonisten dieses Films erst im Laufe von Jahren klar, da zunächst ein ominöses Wettspiel, welches sie in ihrer Kindheit begannen zu spielen, zwischen ihnen steht. Dieses Spiel nimmt im Laufe der Zeit derartige Ausmaße an, dass alles um sie herum, wie in einem Crescendo anwachsend, zu Bruch geht, bis schließlich beide sich als Eins erkennen. Eine kompromisslose und überzeichnete Darstellung purer, weltverbrennender Liebe, bei der einem fast nichts anderes übrig bleibt als heulend zu lachen.

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Erstveröffentlichung: 2010