Mary Poppins Returns (2018) – Can you Imagine that? And a Spoonful of „mehh!“
Disney ist derzeit durch und durch im Fortsetzungs-, Reboot- und Fanservice-Rausch. Nachdem sie Star Wars revitalisiert haben und nachdem sie so ziemlich jedem großen Disneyklassiker ein Realfilm- oder wenigstens CGI-Makeover verpasst haben, sollte man meinen, dass es nicht mehr so viel abzugrasen gibt, was die Nostalgie der Mausianer befriedigen könnte. Weit gefehlt! 54 Jahre nach dem Original – und damit einen Rekord für die längste Zeitspanne der Filmgeschichte zwischen Teil Eins und Teil Zwei setzend – veröffentlicht die Traumschmiede den zweiten Teil des Kinderilm- und Musicalklassikers Mary Poppins (1964). Auf der einen Seite sollten da natürlich sämtliche Alarmglocken läuten, auf der anderen Seite ist es gar nicht so abwegig, der Romanverfilmung eine Fortsetzung zu spendieren. Immerhin hatte die Autorin der Vorlage Pamela Lyndon Travers ihrer Mary Poppins auch einige Fortsetzungen spendiert, sieben an der Zahl, und nur nebenbei bemerkt war sie alles andere als glücklich mit der damaligen Verfilmung, die ihrer Meinung nach den Geist ihrer Bücher nicht im geringsten einfangen konnte, so unzufrieden, dass sie für eine spätere Musicalumsetzung ihrer Vision die Bedingung stellte, dass niemand, der an dem Film beteiligt war, in die Bühnenversion involviert werden sollte. So gesehen birgt Mary Poppins’ Rückkehr (2018) gar die Möglichkeit einer Wiedergutmachung des Großkonzerns; ein bisschen mehr Travers, ein bisschen weniger Robert Stevenson. Andererseits ist das Disney der letzten Jahre nicht unbedingt dafür bekannt, große Experimente zu wagen. Also dann, Let’s go fly a kite. Up to the highest height!
London, Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts. Die Banks-Kinder, denen die Nanny Mary Poppins einst gute Manieren, den Wert der Familie und die Macht der Fantasie nahegebracht hat, sind erwachsen geworden. Michael (Ben Whishaw) ist verwitwet, hat drei zauberhafte Kinder und arbeitet für die gleiche Bank, für die einst sein Vater arbeitete. Seine Schwester Jane (Emily Mortimer) hilft so gut sie kann in Michaels chaotischem Haushalt mit und ist ähnlich wie ihre Mutter politisch und sozial engagiert. Über dem Leben der Banks hängt allerdings ein dunkler Schatten: Michael hat bei seinem Arbeitgeber eine Hypothek auf das prächtige Banks-Anwesen, in dem er mit seinen Kindern lebt. Kann er seine überfälligen Schulden nicht ausgleichen, drohen er und seine Kinder auf der Straße zu landen. Zudem hat er sich derart in der Trauer über den Tod seiner Frau verloren, dass er kaum noch in der Lage ist, für seine Kinder da zu sein. Das sind mehr als genug Gründe für das ebenso strenge wie zauberhafte Kindermädchen Mary Poppins (dieses Mal gespielt von Emily Blunt) zurückzukehren. Stilecht schwebt sie an ihrem Schirm zum Haus der Familie und übernimmt ohne großes Zögern den Job, den sie schon einmal 20 Jahre zuvor erledigt hat: Das Leben einer strauchelnden Familie wieder zurechtbiegen. Unterstützt wird sie dabei vom Laternenanzünder Jack (Lin-Manuel Miranda), einer ganzen Menge schwungvoller Songs und der Fähigkeit, die Welt um sie herum in einen magischen Ort zu verwandeln.
Kommen wir als erstes zum Elefanten im Raum: Wie schlägt sich Emily Blunt als Mary Poppins, die 1964 von Julie Andrews derart zauberhaft auf die Leinwand gebracht wurde, dass jeder Vergleich eigentlich nur unfair sein kann? In der Tat gibt sich Blunt verdammt viel Mühe, das Faszinosum der ursprünglichen Mary Poppins einzufangen, so viel Mühe, dass es schon fast unheimlich ist. Viele, viele Stunden muss die Darstellerin investiert haben, ihr Vorbild zu betrachten, um es später perfekt imitieren zu können. Diese Nähe hat aber einen gewissen Preis: Blunt ist derart nah an Andrews, ohne sie 100% zu treffen, dass sich eine Art Uncanny Valley Effekt einstellt. Wir sehen das Kindermädchen, das wir kennen und lieben, spüren aber zugleich, dass es nicht exakt das gleiche Kindermädchen ist. Wir sehen eine nahezu perfekte Imitation, in der aber doch immer ein kleines bisschen Variation mitschwingt. Unabhängig davon, ob es freiwillig oder unfreiwillig geschieht, Blunt wirkt immer ein wenig strenger als Andrews, ein klein wenig weniger herzlich. Ihre Freude ist ein bisschen manischer, ein bisschen weniger verzückt. Wie gesagt, es geht hier wirklich nur um kleine Nuancen, die reichen aber schon, bei Leuten, die mit Mary Poppins nostalgisch verbunden sind, eine gewisse Irritation auszulösen. Es wäre wohl cleverer gewesen, ein bisschen mehr Variation zuzulassen, scheint doch gerade die größere Strenge, die etwas exaltiertere Kälte deutlich näher am Buch zu sein als die putzige Attraktivität, die Disneys Poppins verkörperte. Aber für ein Mehr an Variation, für Lust am Experiment und am Erneuern ist Disney im Jahr 2018 wirklich die falsche Adresse. Das trifft leider auch auf den Rest dieser Fortsetzung zu.
Das größte Problem von Mary Poppins’ Rückkehr ist, dass er auf Teufel komm raus allen Fans des Originals gefallen will. Alles an diesem Film ist darauf ausgelegt, eine perfekte Imitation zu sein. Wie schon Star Wars: The Force Awakens (2015) ist der Film nicht nur Fortsetzung sondern in vielerlei Hinsicht auch Remake seines übergroßen Vorgängers. Es fällt nicht schwer, zu praktisch jedem Song, zu praktisch jeder Szene, zu praktisch jeder Idee das entsprechende Pendant des Erstlings zu finden. Natürlich gibt es auch hier wieder nicht nur eine sondern gleich zwei „Realfilm trifft Zeichentrick“-Sequenzen. Diese werden als erste Ausflüge von Mary Poppins mit den Banks-Kindern derart opulent dem Publikum um die Ohren gehauen, dass man kurz das Gefühl bekommt, der Film wäre für all die gemacht, die sich nur noch an den legendären impressionistischen Parkausflug des 64er Musicals erinnern. Und dennoch gehören die Unterwasserreise in der Badewanne und der Ausflug auf eine zerbrochene Vase zu den stärksten Szenen des Films. Das liegt vor allem daran, dass sie ganz gut zeigen, was mittlerweile dank moderner Tricktechnik in der Vermischung von Traum und Realität möglich ist. War Mary Poppins bei seinem Trickausflug technisch noch limitiert, einfach wegen der Zeit, in der er produziert wurde, so fährt seine Fortsetzung schweres tricktechnisches Geschütz auf. Gott sei Dank nutzt er dies nicht, um großspurig mit seinen Effekten zu protzen, stattdessen gibt er sich wundervoll einfallsreich und in der Tat nicht nur technisch, sondern auch visuell berauschend. Und dennoch gelingt es ihm leider nicht, zu 100% den Zauber seines Vorgängers wiederzuerwecken. Ihm fehlt einfach ein wenig der Hauch dezente Magie, ein wenig die Freude am Kleinen und Verzückenden.
Von da an wird es nicht besser. Die Songs und Musicalnummern sind nicht schlecht, aber was nützt es, wenn man praktisch zu jedem Stück ein besseres Pendant aus dem Jahr 1964 findet. „Can You Imagine That?“ ist eben kein zweites „A Spoonful of Sugar“, „A Cover is Not the Book“, ist eine großartig gigantische Revuenummer, aber dennoch kein zweites „Supercalifragilisticexpialidocious“. Und „The Place Where Lost Things Go“ ist schön traurig, ihm fehlt aber komplett die emotionale Wucht von „Feed the Birds“. Man könnte so ewig weiter aufzählen. Mary Poppins‘ Rückkehr versucht Mary Poppins zu imitieren und scheitert immer auf den letzten Metern. Keiner der Songs geht so richtig ins Ohr, nichts bleibt so richtig hängen, alles fließt durch und erinnert viel zu oft viel zu sehr an die besseren Originallieder, die man in diesem Moment viel lieber hören würde. Ähnlich verhält es sich mit den Revuenummern und Tanzeinlagen. Natürlich erwartet niemand einen zweiten Schornsteinfegertanz, aber dann sollte auch gar nicht erst versucht werden, mit einer Laternenanzündernummer genau dessen märchenhafte Arbeiterklassen-Atmosphäre zu kopieren. Besonders unglücklich in diesem Zusammenhang ist die Entscheidung auf eine Bird Lady zu verzichten: Mary Poppins war eine im Großbürgertum spielende Geschichte, die durch die arme alte, die Vögel fütternde Frau, den Protagonisten und dem Publikum einen Blick auf eine unbekannte prekäre Welt ermöglichte. In Mary Poppins Returns werden die Protagonisten selbst zum Prekariat gemacht, mit dem man mitleiden und mitfiebern soll. Nur funktioniert dies im Poppins’schen Rahmen nicht so richtig, arbeitet sogar gegen den Grundgedanken des Films, neue Perspektiven zu eröffnen. Und wo wir schon dabei sind: Wo zur Hölle sind die Bösewichtsongs? Mary Poppins‘ Returns hat einen Bösewichten, mehr noch als das Original einen Schurken hatte. Aber wo die Antagonisten 1964 einen derben und zugleich groovigen Song spendiert bekamen („Fidelity Fiduciary Bank“), verzichtet die Fortsetzung komplett auf diese Chance, dem Fiesling ein wenig mehr Charakter zu geben.
Der einzige wirkliche Lichtblick in diesem Reigen an „knapp verpasst“ ist Meryl Streep, die als Cousine Topsy großartig exzentrisch, wild und gleichzeitig sympathisch daherkommt und mit ihrem Song „Turning Turtle“ das entsprechende Pendant des ersten Teils „I Love to Laugh“ sowohl inhaltlich als auch visuell und musikalisch schlägt. Ansonsten ist Mary Poppins‘ Rückkehr immer knapp davor in die Qualitätsregionen des Originals vorzustoßen, und lädt so sein wohlwollendes Publikum vor allem dazu ein, oft und ausgiebig „Schaaade!“ zu rufen. Das tut weh, weil der Film dabei nie wie eine lieblose Kopie und forcierte Cash Cow wirkt. Man spürt in jeder Momente das Bemühen aller Beteiligten noch einmal den Zauber von einst zu entfachen. Hier wird mit sehr viel Liebe zum Original inszeniert, dem Film und allen seinen Leuten ist es wirklich wichtig, etwas Schönes, Fantastisches und Würdevolles auf die Leinwand zu bringen: Und so darf dann auch tatsächlich ein 93jähriger Dick Van Dyke noch einmal eine heiße Sohle aufs Parkett legen, Julie Andrews wurde gefragt, ob sie für einen Cameo zur Verfügung stehen wolle (und lehnte ab, um Emily Blunt nicht die Show zu stehlen), und es gibt sogar einen Gastauftritt von der tollkühnen Hexe Angela Lansbury, in einem originalgetreuen Realfilmnachbau des Zeichentrickrummelplatzes aus Teil Eins.
Disney wollte hier – übrigens wie bei der aktuellen Star Wars Trilogie – alles richtig machen; nicht aus monetären Gründen, nicht um die Weltherrschaft zu erlangen, sondern wirklich aus Liebe und Respekt vor dem Original. Aber Liebe und Respekt reichen leider nicht für einen guten Film. Fans des Musicals von 1964 werden bestimmt Freude mit diesem Musicalmärchen haben, es gibt für diese genug zu schmunzeln, zu schmachten und mitzuwippen. Es reicht aber nicht. Und so sieht man hier eben doch vor allem eine Fee, die verzweifelt mit ihrem Zauberstab herumfuchtelt, ohne es so richtig Glitzer regnen zu lassen. Auch dieses Mal hat Disney unsere Kindheit in ihrem Remakewahn nicht zerstört. Aber um wirklich gutes zu schaffen, sollten sie in Zukunft genau davor etwas weniger Angst haben.
Willst du unsere enttäuschten Stimmen dazu hören? Wir haben diesen Film auch in unserem Podcast besprochen.