Die besten Filme 2019: Yesterday mit und ohne die Beatles

Ein beschaulicher Tag in der kleinen englischen Stadt Lowestoft. Der erfolglose Musiker Jack Malik (Himesh Patel), der vor kurzem von einem Bus angefahren und gerade aus dem Krankenhaus entlassen wurde, bekommt von seinen Freunden zur Feier des Tages eine neue Gitarre geschenkt. „Eine besondere Gitarre braucht einen besonderen Song“ sagt er und beginnt zu spielen:

Yesterday
All my troubles seemed so far away
Now it looks as though they’re here to stay
Oh, I believe in yesterday

Die Kamera verweilt nicht auf ihm, sondern wechselt zur Umgebung. Während die berühmten Lyrics und Akkorde von John Lennon und Paul McCartney zu hören sind, sehen wir Menschen im Park sitzen, ihr Blick in die Ferne schweifend, wir sehen Kinder im Gras spielen, wir sehen Wasser, den Himmel, die Sonne. Und dann sehen wir die Gesichter der Zuhörer, die kaum fassen können, was sie da gerade hören.

Suddenly
I’m not half the man I used to be
There’s a shadow hanging over me
Oh, yesterday came suddenly

Es ist ein (früher) Moment, in dem all das kumuliert, was aus Yesterday (2019) so einen außergewöhnlichen Film macht. Getarnt als raffiniertes „Was wäre wenn“-Fantasyszenario, erzählt mit Stilmitteln einer traditionellen RomCom ist Danny Boyles Film eine einzigartige Liebeserklärung an die Musik, wohlgemerkt nur die Musik, der Beatles, die sich Dank ihres Setups nicht um Image, Erfolg, Klatsch und Tratsch und persönliche Tragödien der Band kümmern muss und sich stattdessen voll und ganz vor ihrer Kunst verbeugt.

Aber zurück auf Anfang: Jacks Freunde können nicht fassen, was sie da hören, weil sie es zum ersten Mal hören. Während seines Busunfalls gab es für den Rest der Menschheit einen globalen Blackout, in dessen Folge bestimmte Dinge komplett sowohl aus dem Gedächtnis, als auch aus der Welt getilgt wurden: Dazu gehören neben Coca Cola auch die Beatles. Nicht betroffen (warum auch immer) Jack. Ein Glück, dass er als großer Fan viele Songs im Gedächtnis hat und diese – allerdings nicht 1:1 – reproduzieren kann. Nachdem er die großen Stücke auf kleineren Bühnen aufgeführt hat, wird der Popstar Ed Sheeran (der sich hier selbst spielt) auf ihn Aufmerksam und verschafft ihm Auftritte in seinem Vorprogramm und schließlich einen Plattenvertrag mit der knallharten Musikproduzentin Debra (Kate McKinnon). Was wie ein wahr gewordener Traum wird, wird für Jack allerdings zum Alptraum: Schließlich muss er plötzlich mit der neugewonnenen Popularität klarkommen, damit leben, dass seine ganze Karriere als bester Songwriter aller Zeiten auf einer großen Lüge basiert, und die sich aufbauende Distanz zu seiner vorherigen Managerin und besten Freundin Ellie (Lily James) verarbeiten.

Letztere Geschichte ist dann auch so ein bisschen das Feigenblatt des gesamten Films. Denn natürlich muss Drehbuchautor Richard Curtis (Notting Hill, Vier Hochzeiten und ein Todesfall) in Yesterday das unterbringen, was er am besten kann: Eine romantische Komödie. Dafür, dass Mr. British RomCom hier federführend wahr, bleibt die Liebesgeschichte zwischen Jack und Ellie aber überraschend lange im Hintergrund, wird maximal angedeutet und im letzten Viertel des Films zwar nicht mehr halbherzig dafür umso überhasteter abgespult. Ohnehin ist der Teil „Romantische Komödie“ der schwächste Part dieses sonst unfassbar verzaubernden Films. In seinem Herzen ist Yesterday ein unglaublich charmantes Märchen, das mit seiner ebenso genialen wie albernen Prämisse sowohl alle Trümpfe als auch verdammt viel Risiko in seinen Händen hält. Denn es gibt gar nicht so wenig, was man bei diesem Grundkonzept falsch machen könnte, Yesterday indes macht praktisch alles, was damit zusammenhängt, richtig. Natürlich braucht er dabei auch ein bisschen Unterstützung bei seinem Publikum: Ohne eine gehörige Portion Suspension of Disbelief und ein Hinwegsehen über so manche Logiklöcher (Radiohead in dieser Form ohne die Beatles? Wohl kaum) geht es nicht. Dies macht Yesterday einem aber auch ziemlich leicht, kommt er doch unfassbar charmant und leichtfüßig daher. Und das liegt nicht zuletzt an der Art, wie er mit den Beatles umgeht.

Deren Genialität und emotionale Bedeutung fängt er nämlich hervorragend ein. An den Stellen, an denen er einfach nur die Musik sprechen lässt, gelingt es ihm vorzüglich die Magie der Beatle’schen Musik auf die Leinwand zu zaubern. Dabei ist es gar nicht so sehr die Quantität als viel mehr die Qualität, die diese Momente auszeichnet. Es sind meistens die kleinen Augenblicke, die subtilen Gesten, die kurzen Reaktionen und Verknüpfungen von Ton und Bild, die symbolisieren, was für starke Musik wir hier vor uns haben. Ja, es könnten durchaus mehr Momente sein, aber die, die es gibt, haben es in sich: Die zurückhaltende Melancholie der zu Beginn erwähnten Yesterday-Szene, eine grandiose sehr freie Interpretation des Hits Help!, die dessen Verzweiflung und Wut überbetont und dadurch etwas ganz neues aus dem Pop-Meisterwerk herauskitzelt, die Visualisierung von Eleanor Rigby, die dessen Schrägheit gekonnt in Szene setzt und nicht zuletzt die fantastische Darbietung von The Long and Winding Road, bei der Ed Sheeran sich als stiller, ergriffener Zuhörer vor seinen Meistern verbeugt.

Ed Sheeran ist übrigens auch so ein Herzstück des Films. Sympathisch wie eh und je und mit verflucht viel Selbstironie ausgestattet, schenkt er Yesterday sowohl melancholische als auch lustige Momente, ohne dass es je so wirkt, als wolle er sich an den Beatles hochziehen. Stattdessen dürfen sogar einige seiner Ideen zum Songmaterial als Karikatur auf das aktuelle Pop-Business herhalten (in einer schreiend komischen Szene wird Dank seiner Hilfe aus Hey Jude der hippere Titel Hey Dude). In Sheerans Figur zeigt sich die Klasse des oft unterschätzten Richard Curtis, der einfach mal weiß, wie man in einer Komödie skurrile und trotzdem liebenswerte Nebencharaktere platziert. Neben Sheeran sind das vor allem die kalte Produzentin Debra, bei der Kate McKinnon wieder einmal unter Beweis stellt, was für ein Badass sie ist, Jacks bester Kumpel, der immer neben sich stehende Rocky (brillant verkörpert von Joel Fry) und die beiden namenlosen Beatles-Fans, die gegen Ende des Films einen kurzen aber im Gedächtnis bleibenden Auftritt hinlegen dürfen. Dagegen bleiben die beiden Hauptcharaktere fast schon blass, auch wenn sie von Himesh Patel und Lily James mehr als sympathisch und überzeugend verkörpert werden. Aber wie gesagt, als reine Liebeskomödie ist Yesterday am schwächsten aufgestellt.

Dafür ist er ein unfassbar warmherziger Feel Good Movie, ein sympathisches liebenswertes Märchen und eine fantastische Hommage an die Musik einer Band, die hoffentlich nie vergessen werden wird. Spätestens wenn die letzten Akkorde erklingen ist man verzaubert, begeistert und berauscht:

Yesterday
Love was such an easy game to play
Now I need a place to hide away
Oh, I believe in yesterday

Wer danach keine Lust hat, all die wundervollen Alben dieser wundervollen Band noch einmal rauf und runter zu hören, dem ist auch nicht mehr zu helfen.

 

Diesen Film haben wir auch in unserem Podcast besprochen.

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