Frank (2014) – Eine Ode an die experimentelle Musik

Die Bühne ist ebenso düster wie die ersten musikalischen Töne, die auf ihr erklingen. Wir sehen vier Gestalten versteckt hinter einer grotesken Maskierung: Schwarze, enge Masken, die über das ganze Gesicht gezogen sind, riesige Pupillen, die den gesamten Kopf verdecken… ebenso grotesk wie die Maskierung sind die Bewegungen ihrer Träger; irgendwie hypnotisierend, irgendwie abstoßend… ebenso grotesk wie die Bewegungen ist auch die Musik, die sich während dieser Performance entwickelt: Experimentell, avantgardistisch, schwer verdaulich, wie ein Monolith aus Genialität und Kakophonie. Die Experimentalband The Residents zum ersten Mal zu sehen, ist – wie man es auch deutet – ein Ereignis. Vielleicht eines der positiven, vielleicht eines der negativen Sorte, aber auf jeden Fall ein Ereignis, das man nicht so schnell vergisst. Und so ist es mit vielen Experimentalbands, denen ihr Auftreten und ihre Performance ebenso wichtig sind wie ihre Musik. Sie erschaffen besondere Erlebnisse, treffen in die Nische zwischen hoher Kunst und Dilettantismus und sind als Schöpfer immer gleichrangig mit ihrer Schöpfung. Die britische Indie Tragikomödie Frank (2014) von Lenny Abrahamson ist eine tiefe Verbeugung vor dieser Art von Band: Vor ihrem Schaffen, vor ihrer Kunst, vor ihrer Außenwirkung, aber auch vor ihren Macken, vor ihrem Narzissmus und ihrem vielfältigen Scheitern.

Jon (Domhnall Gleeson) ist ein von Unsicherheiten geplagter Nachwuchsmusiker, dem es einfach nicht gelingen will, aus seinem musikalischen Talent mehr zu machen, als ein paar Songideen auf der heimischen Festplatte abzulegen. So ist es auch eher dem Zufall zu verdanken, dass er von der Band Soronprfbs spontan angeheuert wird, ihren Keyboarder während eines Liveauftrittes zu vertreten. Jon stolpert ohne Vorahnung, ohne vorheriges Proben auf die Bühne und wird Zeuge eines Spektakels, das auch die Residents mit Stolz erfüllen würde: Soronprfbs spielen eine abgedrehte Mischung aus Indie Rock, Experimental, Post Punk und Kraut. Kopf der Band ist Frank (Michael Fassbender)… im wahrsten Sinne des Wortes: Er trägt als Maske einen überdimensionalen Pappmaché-Kopf, den er weder auf der Bühne noch Backstage absetzt. Trotz Franks offensichtlichem Talent gerät der Auftritt zum Desaster: Die Technik versagt und die anderen Bandmitglieder (Maggie Gyllenhaal, Scoot McNairy, François Civil, Carla Azar) brechen ihren Auftritt im lauten Streit ab, während Frank unbeirrt weiter performt. Doch obwohl Jon kaum Zeit hatte, etwas von seinem Talent zu zeigen, hat er Franks Interesse geweckt und wird von diesem kurzerhand zum neuen Pianisten der Band ernannt. Deren aktuelles Ziel ist es allerdings nicht, weiter zu touren. Stattdessen wollen sie endlich ihr Debütalbum aufnehmen. Und so fahren sie alle zusammen – inklusive Jon – in eine abgelegene Waldhütte irgendwo in Irland, wo sie sich an die entbehrungsreiche musikalische Arbeit machen. Dabei lässt sich Jon nicht nur von den musikalischen Visionen von Soronprfbs mitreißen, sondern ebenso von dem eigentümlichen Charakter Franks, der seine Maske wie ein Schutzschild trägt und dieses nie – aber auch wirklich nie – ablegt.

Nicht die Residents, sondern die Early 80’s Kunstfigur Frank Sidebottom ist die eigentliche Inspiration für Frank und seine Musik. Franks Pappmaché-Kopf ist eine 1:1 Nachbildung von Sidebottoms Maske, ein überdimensionierter, kindlich naiv wirkender Kopf, irgendwo zwischen putzig und leicht gruselig… Aber Frank ist keine Verfilmung der Lebensgeschichte dieser Kunstfigur oder der Lebensgeschichte ihres Schöpfers Chris Sievey. Und sie ist auch keine Reinterpretation dessen Werkes. In erster Linie ist Frank eine Liebeserklärung an all die musikalischen Visionäre, die unter ihrem eigenen Genie leiden, Frank ist ein Liebesbrief an all die Indie Rocker, all die Amateure, die Dilettanten und Genies, denen ihre eigene Vision über den Kopf wächst. Die die unerbittlich kämpfen, etwas großes zu erschaffen, aber meistens an ihren eigenen Ambitionen scheitern. Das musikalische Genre des Experimental, des Avantgardes, des Art Rock erhält außerhalb der Nische nun wirklich nicht viel Liebe, wird entweder belächelt oder gehasst, nicht verstanden, missverstanden und meistens einfach nur ignoriert. Umso schöner zu sehen, mit wie viel Liebe sich Frank dieser musikalischen Nische nähert. Ja, es gibt auch viel zu lachen, mit und manchmal auch über diese skurrile Band. Aber der Witz geht trotzdem nie auf Kosten der Menschen hinter den Künstlern. Für diese hat Frank eine Menge Liebe parat, für all ihre Macken, ihre Exzentrik und ihr neurotisches Verhalten.

Zentrum dieser Liebe und Zentrum des Films ist natürlich der titelgebende Frank. Es ist schon beeindruckend, wie es Michael Fassbender gelingt, diesen Frank mit Leben zu füllen, obwohl er die gesamte Filmlaufzeit über hinter der einschüchternden gigantischen Maske verschwindet. Mit einer merkwürdigen Mischung aus Lakonik, spirituellem Übermut, einer gewissen Grundverzweiflung und viel künstlerisch visionären Eifer ist Frank eine Erscheinung, sobald er die Szenerie betritt. Obwohl oder gerade weil er wenig spricht, scheint jeder seiner Dialoge oder Monologe Gewicht zu haben. Frank hält mit seinem Mut, mit seiner Vorstellungskraft und mit seiner unorthodoxen Art nicht nur die Band zusammen, sondern den gesamten Film. Das zweite wesentliche Zentrum ist Jon, der als Außenseiter zu der verrückten Truppe dazukommt, aber schnell eine innige Beziehung zu Frank aufbaut, die permanent zwischen naiver Bewunderung und Kontrollwut oszilliert. Domhnall Gleeson (bekannt aus Harry Potter und den neuen Star Wars Filmen) spielt diesen ebenso schüchternen wie aufdringlichen, ängstlichen und zugleich forschen Jon mit einer ungemein sympathischen Ambivalenz. Es wäre auch ein bisschen zu leicht, diesen als Identifikationsfigur durch die skurrile Szenerie stolpern zu lassen, und so entscheiden sich Regisseur Lenny Abrahamson und sein Hauptdarsteller dazu, Jon zu einem windigen, mitunter suspekten Charakter werden zu lassen, der sich zwischenzeitlich sogar als astreiner Egomane entpuppt.

Diese Ambivalenz ist nicht nur dem Protagonisten zu eigen. Sie durchzieht den gesamten Film. Anstatt das Naheliegende zu machen und die ganze Geschichte als bizarre Komödie zu erzählen, bewegt er sich konsequent auf tragikomischen Pfaden, bei denen die Plausibilität der Handlung stets im Mittelpunkt steht. Ebenso verzichtet er darauf, was bei einem solchen Sujet mindestens genau so verführerisch wäre, zum surrealen Experimentalfilm zu werden. Dadurch macht er sich mit seinem Beobachtungsobjekt nie gemein, wahrt die Distanz zur künstlerischen Vision, um sich den Menschen dahinter umso besser nähern zu können. Man muss kein Freund experimenteller Musik sein, man muss nicht einmal Musikliebhaber zu sein, um die Auseinandersetzung Franks mit dem Thema wertschätzen zu können. Frank ist ein sehr schmeichelhafter, liebenswerter Film, dem es hervorragend gelingt Inneneinsichten in eine komplizierte Welt zu bieten, ohne sich in dieser zu verlieren oder das normale Publikum abzuschrecken. Er ist ein Liebesbrief für die Welt der exzentrischen, experimentellen Musik, ist dabei aber nie selbst exzentrisch oder experimentell. Diese Stärke wird vor allem gegen Ende beeindruckend ausgespielt, wenn er die künstlerische Vision vollends hinter sich lässt und nur noch den Menschen – Frank – hinter seiner Maske in den Mittelpunkt rückt. Damit gelingen ihm wahrlich berührende Momente fernab jeder Artifizialität.

Alles in allem ist Frank ein kleiner, subtiler Schatz des Filmjahres 2014. Eine Liebeserklärung an eine besondere Kunstgattung und darüber hinaus eine wundervoll menschelnde Indie Tragikomödie, die den Vergleich zu großen emotionalen Blockbustern nicht zu scheuen braucht. Oder um es mit einem Spruch Franks auf den Punkt zu bringen, als Jon ihm erzählt, dass er die Maske beängstigend findet: Well, underneath it I’m giving you a welcoming smile.

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