Die besten Filme 2017: The Disaster Artist von James Franco

Schlechte Filme kommen und gehen. Und manche bleiben für die Ewigkeit. Was in den 50er Jahren Ed Wood und was in den 90ern Troll 2 und Showgirls war, dürfte zu Beginn des neuen Jahrtausends ohne Zweifel Tommy Wiseaus The Room (2003) gewesen sein: Nicht einfach ein schlechter Film, sondern ein Film, der so schlecht ist, dass er – auf eine zweifellos bizarre Weise – als unterhaltsam, sehenswert und irgendwie auch gut wahrgenommen werden kann. In seinem Buch The Disaster Artist: My Life Inside The Room, the Greatest Bad Movie Ever Made (2013) verarbeitete der damals beste Freund von Wiseau – und Nebendarsteller in dem Film – Greg Sestero seine Beziehung zu dem Regisseur sowie die chaotischen Dreharbeiten, die schließlich in den monumentalen „So bad it’s good“-Film münden sollten. Eine solche Geschichte ist eigentlich praktisch eine Einladung zu Spott und Häme. Dass weder Buch noch die Verfilmung unter dem Titel The Disaster Artist (2017) in diesen Niedrigkeiten verloren gehen, liegt vor allem an zwei Dingen: Ihrer ehrlichen Faszination an dem in der Tat äußerst schräg agierenden Wiseau und an der Empathie, die sie für alle Protagonisten und Protagonistinnen des cineastischen Jahrhundertdesasters mitbringt.

Der 19jährige Greg Sestero (Dave Franco) kämpft in den späten 90er Jahren darum, als Schauspieler berühmt zu werden oder wenigstens in der Branche Fuß zu fassen. Dazu gehört unter anderem der Besuch eines Schauspielseminars bei Jean Shelton, wo er den äußerst exzentrischen, extrovertierten und trotz fehlenden Talentes von Selbstvertrauen nur so schäumenden Millionär Tommy Wiseau (James Franco) kennenlernt. Sestero ist fasziniert von dem bizarren Riesen unbekannter Herkunft, da dieser mit seinem schamlosen, lauten Auftreten genau das Gegenteil von Sesteros Unsicherheit und Schüchternheit darstellt. Er freundet sich mit Wiseau an, übt mit ihm gemeinsam Szenen ein und zieht schließlich mit ihm zusammen in eine WG in Los Angeles. Beverly Hills ist allerdings ein hartes Pflaster für aufstrebende Schauspieler mit durchschnittlichem oder gar keinem Talent. Greg gelingt es gerade so mit Minirollen seinen Kopf über Wasser zu halten, während Tommy von Absage zu Absage, von Demütigung zu Demütigung schlittert. Dieses Scheitern an den Hürden der Traumfabrik bringt Wiseau dann auch schließlich dazu einen wagemutigen Plan zu fassen: Er hat genug Geld, genug Selbstvertrauen und genug Visionen; er will seinen eigenen Film drehen. Nach seinem eigenen Drehbuch. Mit sich als Regisseur. Und Produzent. Und in der Hauptrolle. Und Greg soll dabei seine rechte Hand sein.

Jeder, der die Geschichte rund um The Room – oder den Film selbst – kennt, weiß, wie es weitergehen wird. Die Dreharbeiten entwickeln sich zum Alptraum. Wiseau hat keine Ahnung von Filmtechnik, Narration und Dramaturgie und schraubt so eine äußerst stümperhaften Möchtegern-Erotikthriller zusammen. Am Set treibt er die gesamte Crew (unter anderem Seth Rogen und Paul Scheer) mit seinen Allüren und seinem fehlenden Gespür in den Wahnsinn. Er besteht auf zwei parallel filmende Kameras (einmal analog, einmal digital), inszeniert sich selbst als exzentrischer Kubrick-Virtuosen, schafft es aber gleichzeitig nicht, sich die einfachsten Drehbuchzeilen zu merken. Er versteht nichts von Continuity, hat keinerlei Gespür für die Bedürfnisse seines Teams und verschleißt so unzählige Arbeitsstunden, Dollar und Teammitglieder. Das ist manches Mal offensichtlich urkomisch, manches Mal tieftraurig und manches Mal irgendwo dazwischen. Denn auch, wenn wir es hier mit der Franco/Rogen-Crew zu tun haben, missbraucht diese den Stoff nicht für infantile Witze, oder um sich über ihr Sujet lustig zu machen. James Franco, der für den Dreh Hilfe vom Disaster-Artist-Autoren Sestero ebenso wie von Tommy Wiseau selbst erhielt, spielt seinen Wiseau einfach nur famos. Allein die Szenen in denen er glaubwürdig einen Tommy Wiseau verkörpern muss, der komplett over-the-top und schrecklich unglaubwürdig den Room-Protagonisten Johnny spielt, sind Gold wert. Denn Franco lässt sich nie von der Überdramatik von Wiseaus Schauspielverhalten verführen, stattdessen oszilliert er hervorragend zwischen extrovertiertem Phlegma (der private Wiseau), exzentrischem aktionistischem Wüten (der Regisseur Wiseau) und „What the Hell did he just do?“ (der schauspielende Wiseau) und weiß es dabei stets zwischen den unterschiedlichen Momenten zu differenzieren. Aber auch sein Bruder Dave Franco spielt den unsicheren, verletzlichen aber auch optimistischen Greg Sestero mit verflucht viel Charme und dem angemessenen Volumen an Tragikomik.

Und es sind nicht nur die beiden Protagonisten, die hier glänzen. The Disaster Artist lebt voll und ganz von seiner herausragenden Schauspielleistung. Allein schon, wenn in den Credits Filmszenen aus dem Original „The Room“ neben das Reenactment gestellt werden, sieht man, mit wie viel Liebe zum Detail hier das filmische Desaster nachgestellt wurde. The Disaster Artist lässt sich sehr viel Zeit, die Menschlichkeit aller Beteiligter vor und hinter der Kamera auszuloten: Nicht nur das neurotische, absurde Moment, sondern auch schlicht und ergreifend die emotionalen Befindlichkeiten in diesem Panoptikum aus gescheiterten, ambitionierten, aufstrebenden und verheizten Filmschaffenden. Damit wird eine Menge Bizarres und Absurdes abgefedert und der Film wird nie zum hämischen Kommentar auf die gescheiterte Filmproduktion. Äußerst passend, dass auch die Dramaturgie und Inszenierung von Disaster Artist eine Menge Indiecharme versprüht. Trotz namhafter Beteiligung haben wir es hier nicht mit einem Popcorn-Blockbuster zu tun. Die Sets sind einfach gehalten, die Szenen außerhalb der Dreharbeiten werden nie zu opulent, zu episch oder zu sauber in Szene gesetzt. Mit gerade Mal 10 Millionen Dollar Budget hat The Disaster Artist auch gerade mal doppelt so viel gekostet wie The Room, was man dem Film – im besten Sinne des Wortes – zu jeder Zeit ansieht. Obwohl er ein Film über überambitioniertes cineastisches Scheitern ist, ist er zugleich auch eine Verbeugung vor den Außenseitern, Verbrannten und Geschlagenen, die am Rande der Traumfabrik oft ein Schattendasein führen.

Dank dieses parabolischen Momentums kann man The Disaster Artist auch so manche Verkürzung verzeihen. In seiner Kompaktheit lässt er vieles aus, verzichtet auf einen Großteil des erzählerischen Ballastes der Vorlage und läuft so mitunter Gefahr, etwas zu hektisch von Station zu Station zu eilen. Damit bewegt er sich doch ein gutes Stück weg vom Buch Sesteros und natürlich erst Recht von den realen Begebenheiten rund um die Room-Dreharbeiten. Insofern dürften sich alle seiner Übertreibung bewusst sein, wenn der tatsächliche Tommy Wiseau den Film mit „99,9 Percent true“ adelt. Dafür fehlen dann doch zu sehr die ereignislosen Interludien zwischen dem Wahnsinn, dazu fehlt doch ein bisschen die Genese von der großen Ambition zur gigantischen Totalkatastrophe. Spätestens wenn bei der großen – viel zu großen – Filmpremiere die Rezeption des Werkes vom misslungenen Indiethriller zum berüchtigten schlechtesten Film aller Zeiten in ein paar Minuten zusammengestaucht wird, ist das auch zu viel des Guten. Hier hätte Regisseur James Franco seinem Publikum etwas mehr Abstraktionsvermögen zutrauen können und sollen. Aber wie gesagt, The Disaster Artist ist nicht nur ein realistisches (Film-)Biopic, sondern in erster Linie eine Parabel auf künstlerisches Scheitern und all die Tragik, all die Komik, all das Bizarre, was damit einhergeht. Und in diesem Kontext macht die Verkürzung Sinn, befreit den Film sogar in gewisser Weise von allzu realistischen Ambitionen.

Am meisten Spaß macht die ganze Chose natürlich, wenn man The Room und im besten Fall auch seine Rezeption kennt. Dann kann man auch über die kleinen Insider, die kleinsten Details und Absurditäten lachen. Aber auch ohne Vorwissen ist The Disaster Artist eine hervorragende Tragikomödie, die nicht nur von der Authentizität ihres Sujets lebt, sondern ebenso von ihrer Liebe für den bizarren Rand des Filmbusiness. Grotesk, albern und skurril… ja, aber auch warmherzig, empathisch und liebenswert.

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