Die besten Tragikomödien der 80er Jahre I

„Mit einem Lächeln und vielleicht mit einer Träne“ …Mit seinem Eingangszitat zu The Kid (1921) hat es Charlie Chaplin auf den Punkt gebracht und im Grunde genommen alles gesagt, was zum Genre der Tragikomödie gesagt werden muss. Dass sich die 80er Jahre nicht 100% daran halten würden, konnte er ja nicht voraussehen. Der tragikomische Film sollte in dieser Dekade nämlich in vielen Fällen ein besonderer Film sein, einer der Grenzen sprengte und Genres vermischte. Seine besten Auswüchse waren gut 60 Jahre nach Chaplins Genreverortung nicht einfach nur Kombinationen von Lächeln und Tränen, sondern ebenso Vermischungen mit dem Thriller (King of Comedy), dem magischen Realismus (Arizona Junior), dem Surrealismus (Stardust Memories) dem Biopic (Garp wie er die Welt sah) oder dem anekdotisch Literarischen (Hotel New Hampshire). Vielleicht waren sie in ihrer amerikanischen Iteration sogar die letzten würdigen Erben des New Hollywood, gepflegt von Altmeistern wie Martin Scorsese und Woody Allen und bereits unterwandert von jungen aufstrebenden Talenten wie den Coen Brüdern, die dem lahmenden Mainstream- und Blockbusterkino den Kampf ansagten. Genau diesen Genresprengern soll in dieser ersten Retrospektive gedacht werden …with a smile — and perhaps, a tear.

Stardust Memories [Woody Allen]

(USA 1980)

Stardust Memories ist ein merkwürdiger Film und wurde von der amerikanischen Kritik zu Beginn der 80er Jahre alles andere als wohlwollend aufgenommen. Rober Ebert sprach gar von einer herben Enttäuschung und beklagte sich über das viele „bitching and moaning“, das Woody Allen in diesen Film gepackt hätte. Man kann es ihm nicht verübeln; immerhin haben wir es hier mit einem großspurigen, ambitionierten Werk zwischen Wirklichkeit und Fiktion zu tun; ein Entwurf, der die Probleme des Filmemachens mit dem Stress des großen Ruhms und der Auseinandersetzung mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kombinieren will. Klingt verdammt prätentiös und narzisstisch? Genau das ist es auch. Obwohl Woody Allen in Folge immer wieder betonte, dass es sich nicht um ein autobiographisches Werk handeln würde, liegt doch ziemlich auf der Hand, dass dies Allens Versuch ist, ein Le Mepris oder Achteinhalb zu drehen. Und Teufel noch auch, das gelingt ihm: Stardust Memories ist manchmal albern, manchmal grotesk, dann wiederum zutiefst traurig, doch immer schwebt das Moment des Surrealen und Symbolistischen über ihm, wie eine kleine Gedenktafel an die Nouvelle Vague, an das von C.G.Jung inspirierte Autorenkino der 60er Jahre und natürlich an die großen Werke des New Hollywood.

The King of Comedy [Martin Scorsese]

(USA 1982)

Auch Martin Scorsese ist einer der großen Veteranen des New Hollywood. Nachdem er in den 70er Jahren mit düsteren Großstadtstudien für Aufmerksamkeit gesorgt hatte, wurde er zu Beginn und während der 80er Jahre deutlich Mainstream- und Blockbusterfreundlicher, ohne jedoch seinen Biss und Zynismus zu verlieren. The King of Comedy ist so etwas wie die Comedyschwester seines großen Meisterwerkes Taxi Driver (1976). Auch hier geht es um die Verlorenen und Abgehängten, um die Gestrandeten, die der Härte der urbanen Welt nicht gewachsen sind und sich dennoch und gerade deswegen gegen sie zur Wehr setzen. Aber Scorsese zelebriert diesen Kampf in diesem Fall mit einem deutlichen Augenzwinkern, vielen satirischen Spitzen und einem fast schon philanthropischen Touch. Robert De Niro glänzt als Möchtegernstar, Jerry Lewis als alt gewordener Entertainment-Zyniker und der eigentliche Star ist dann doch irgendwie Sandra Bernhard als durchgeknallter Groupie mit erhöhter Liebesbedürftigkeit. The King of Comedy ist ein groteskes Fest zwischen Satire, Tragikomödie und mitunter erstaunlich subtilem Großstadtdrama. Ein Film der es wert ist, auch heute entdeckt zu werden, nicht zuletzt, weil er mit Joker (2019) in jüngster Zeit ein spannendes Quasi-Remake spendiert bekam.

Arizona Junior [Joel Coen, Ethan Coen]

(USA 1987)

Bühne frei für die neuen Enfant Terribles des amerikanischen Kinos. Bekanntermaßen ist New Hollywood ja ein wenig am Blockbusterkino der späten 70er und frühen 80er Jahre zu Grunde gegangen. Aber auf seinem Leichnam bauten einige herausragende Indieregisseure eine ganz neue Form von unabhängigem, sehr amerikanischem Kino, das sich dezidiert mit den Schattenseiten des nordamerikanischen Kontinents auseinandersetzt. Joel und Ethan Coen durften vor allem in den 90er Jahren die erfolgreichsten Vertreter dieses Kinos sein. Und doch liegt ihr (vollkommen unterschätztes) Meisterwerk in ihren 80er Jahre Anfangstagen verborgen. Ich lege mich an dieser Stelle einfach mal – gegen die Mehrheitsmeinung – fest: Raising Arizona ist der beste Film des brüderlichen Regieduos. Er verbindet alles, was die späteren – sehr diversen – Filme auszeichnen sollte, ist fast schon eine Art Best-of-Coen, lange bevor diese mit ihren Filmen Legendenstatus gewinnen sollten: Er besitzt den grotesken Humor von Hudsucker, die enervierende Spannung von Millers Crossing, den Surrealismus von Barton Fink, die Herzenswärme von Fargo, den Abgesang auf den amerikanischen Traum von No Country for Old Men… und das alles in einer wilden Achterbahnfahrt zwischen Babyglück, Verbrechen und Dämonen aus dem Unterbewusstsein. Was für ein Trip, was für ein episches Meisterwerk.

Diesen Film haben wir auch in unserem Podcast besprochen.

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Garp und wie er die Welt sah [George Roy Hill]

(USA 1982)

George Roy Hill war nie eine Ikone des New Hollywood und erst recht war er nie ein unbekannter Rohdiamant im Independent-Bereich. Dafür waren seine Filme einfach zu verführerisch, zu nett und zu massentauglich. Aber verdammt, wie grandios ist es ihm immer wieder gelungen, mit einfachsten Mitteln sowohl zugängliche als auch komplexe Miniaturmeisterwerke zu schaffen. Die Verfilmung des John Irving Romans The World According to Garp (1978) ist dabei einer seiner epischsten Würfe. Hill arrangiert die episodische wie komplexe Biografie zu einem wundervollen Kaleidoskop zwischen Tragik, Komik, Poesie, Philosophie und Gesellschaftsspiegel. Dabei gelingt ihm etwas alles andere als Selbstverständliche: Den überbordernden Geist der Irving’schen Poesie so auf Zelluloid zu pressen, dass daraus ein kohärenter Film entsteht. An dieser Mammutaufgabe hat sich so manch anderer Regisseur die Zähne ausgebissen, im Falle Garps und seiner Welt wirkt es allerdings so einfach und spielerisch, jedoch ohne den Geist der Vorlage zu verlieren. Achja, und ganz nebenbei ist hier noch Robin Williams mit einer seiner besten Performances zu sehen.

Hotel New Hampshire [Tony Richardson]

(USA, Großbritannien, Kanada, 1984)

Noch eine John Irving Verfilmung und wie die anderen Filme hier auch ein ebenso besonderer wie schräger Film: Suizid, Vergewaltigung, Terrorismus, Inzest… Die Liste an schweren Motiven ist lang in der filmischen Umsetzung des Romans The Hotel New Hampshire (1981). Umso erstaunlicher ist es, wie es Regisseur Tony Richardson gelingt, diese düsteren Themen in ein heiter groteskes Gewand zu kleiden und dabei nie die Menschlichkeit aus den Augen zu verlieren. Ja, Hotel New Hampshire ist Bizarrerie, ist Gesellschaftssatire, ist schweres Drama; aber Hotel New Hampshire ist auch ein warmherziges Familienporträt, ist ein Film, dem seine Protagonisten und Protagonistinnen am Herzen liegen, ist ein Manifest des Miteinander. Im Gegensatz zu Garp deutlich weniger kohärent, deutlich episodischer und zerfahrener, dafür aber umso launiger und abwechslungsreicher; mit Mut zur bitterbösen Romantik und zum grotesken Chaos. Ein Film mit einem Lächeln und einer Träne und einem hysterischen Lachen, und einem verzweifelten Weinen, und einem euphorischen Schrei, und einem vitalistischen Wüten, und…

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