Die besten New Black Cinema Filme der 90er Jahre

Hmmm… ja. Hollywood und People of Colour. Das hat eine lange und allzu oft traurige Tradition. Angefangen bei weißen Darstellern, die mittels Blackfacing unsägliche rassistische Stereotypen bedienten, über die Sidekick-Rolle des netten, hilfsbereiten Schwarzen (die selbst heute noch erschreckend oft herangezogen wird) bis hin zum Black Cinema der 60er und 70er Jahre, in denen das so genannte schwarze Kino vor allem aus Klischee-Reißern und derben Blaxploitationfilmen bestand. Aber es gibt auch positive Entwicklungen und diese haben fast durchgängig ihre Geburtstätte in den 90ern: Als People of Colour endlich sowohl als Schauspieler als auch Filmemacher ernst genommen wurden, als sie plötzlich auch bei den großen Awards eine Rolle spielen durften, als „schwarze“ Themen nicht mehr mit der Kneifzange angefasst und nicht mehr mit Klischees ausdefiniert wurden: Spike Lee, Denzel Washington, Laurence Fishborne… alles Namen, die mittlerweile auch im Mainstream-Kino angekommen sind und nicht mehr rein durch ihre Hautfarbe interpretiert werden. Diese bildeten damals das „New Black Cinema“ und gaben damit dem (cineastischen) schwarzen Amerika eine Stimme, fernab von Stereotypen und Klischees. Die besten ihrer Filme, nach dem Klick.

Boyz N The Hood [John Singleton]

(USA 1991)

Boyz N The Hood ist so etwas wie die Mutter aller Ghettofilme, ein Film der ungeschönt, unstilisiert und ohne Klischees vom Leben von einem schwarzen Viertel in Los Angeles erzählt. Nie zuvor war ein derartiger Realismus bei der Darstellung des subkulturellen Amerikas zu sehen. Inszenatorisch schmerzhaft naturalistisch, sprachlich ungemein authentisch – der O-Ton sei hier dringendst empfohlen – und narrativ ohne Stereotype und aufgesetzte Dramaturgie inszeniert. Bei Boyz N The Hood dominiert der empathische und realistische Blick, aus dem Gehtto auf das Ghetto. John Singleton weiß was er erzählt und wie er dies erzählen muss, er erzählt nicht nur von seinen Protagonisten sondern auch für diese und erreicht so ein ungemein lebendiges, nachvollziehbares und vor allem ehrliches Bild der schwarzen Subkultur amerikanischer Stadtviertel.

Malcolm X [Spike Lee]

(USA 1992)

Während es John Singleton um das Straßenleben am Rande der Legalität (und darüber hinaus) geht, wirft Spike Lee in Malcolm X einen Blick auf die intellektuelle, politische und kampfbereite Seite des schwarzen Amerikas. Malcolm X ist ein Biopic des berühmten und einflussreichen politischen Agitators und Black-Muslim-Leaders Malcolm Little, herrausragend verkörpert von Denzel Washington. Spike Lee geht es dabei inszenatorisch sowohl um Legendenbildung als auch Legendendekonstruktion: Mit ungemein präzisem Scharfsinn und epischer Offensivkraft beleuchtet er Herkunft, Ideale, Handlungen, Wandel und Wirkung des ebenso ambivalenten wie streitbaren Bürgerrechtlers. Hier darf der herausragenden, dichten und epischen Inszenierung dann mitunter durchaus Heldenstilisierung vorgeworfen werden, Spike Lee gelingt es aber immer wieder erneut sich geschickt aus der Affäre zu ziehen und ein ebenso großes wie facettenreiches Bild von Malcolm X sowie dem Amerika des 20. Jahrhunderts zu zeichnen.

New Jack City [Mario Van Peebles]

(USA 1992)

Dass das New Black Cinema auch jenseits von politischer und sozialer  Realitätsabbildung spannende Geschichten erzählen konnte, bewies im gleichen Jahr der brutale und authentische Actionthriller/Gangster-Drama-Bastard „New Jack City“. Auf dem Fundament einer detaillierten Abbildung des kriminellen Milieus entwirft Mario Van Peebles eine komplexe Mischung aus Copthriller und Gangsterdrama, in dem beide Seiten zu ihrem Recht kommen, beide Seiten empathisch betrachtet werden und zugleich ihr Konflikt zu einem gewaltigen, rasanten Spekatkel wird. Mit Ice-T haben und Wesley Snipes haben ohnehin beide Fraktionen die Coolness auf ihrer Seite, und auch wenn der Kampf gegen die verheerenden sozialen Wirkungen von Drogen mitunter zu befindlichkeitsinszenatorisch thematisiert werden, reißt die Action und spannende Thrillerhandlung den Film ein ums andere Mal wieder auf das Niveau eines echten Meisterwerks.

Juice [Ernest R. Dickerson]

(USA 1992)

Zwischen Ghettodrama und coolem Thriller bewegt sich auch Ernest R. Dickersons Juice. An den Polen zwischen Freundschaft und Gewalt pendelnd, in seiner Narration immer wieder Schneisen schlagend, gelingt es Juice sowohl fragmentarische Momentaufnahmen als auch eine dicht gesponnene Crime-Handlung zu einem großen Ganzen zu verbinden. Nicht nur Dank der prominenten Besetzung Tupac Shakurs sondern auch Dank der herausragend gewählten Musik – unter anderem Naughty by Nature, Cypress Hill und Big Daddy Kane – ist Juice auch so etwas wie DER Film der Hip Hop und Eastcoast Subkultur, ein Film der deren Mentalitäten aufgreift, analysiert und auf die Leinwand wirft. Ebenso schick und trendy wie verzweifelt und kämpferisch, ein Film, der die subkulturellen Prämissen in sich trägt und auf Zelluloid bannt.

Jungle Fever [Spike Lee]

(USA 1991)

Und wieder Spike Lee, der wie schon erwähnt, weniger die Straßen und Ghettos im Visier hatte als viel mehr das vermeintlich aufgeklärte und intellektuelle Amerika, in dem Rassismus eigentlich der Vergangenheit angehören sollte. In der komplexen Liebestragikomödie „Jungle Fever“ untersucht Spike Lee, wie rassistische Vorurteile auch in den 90er Jahren noch tief hinein in die Gesellschaft greifen und wirklich jeden Menschen treffen können. Dabei sind es nicht nur die von außen auf die Protagonisten einbrechenden Klassifizierungen und Sterotypien sondern ebenso die, die tief im Inneren des Menschen verwurzelt sind, auf die Lee seinen Fokus richtet. Heraus kommt ein vielschichtiger, mehrdimensionaler, mit bissigem Humor inszenierter Blick auf soziales Gefüge, auf soziale Missstände und die psychologischen Dispositionen, die ein unvoreingenommenes Miteinander erschweren. Ein tragikomischer, nachdenklicher und pessimistischer Blick auf generationsübergreifende, vorurteilsbehaftete Verhaltensweisen.

Menace II Society  [Allen Hughes, Albert Hughes]

(USA 1993)


Wenn Boyz N The Hood so etwas wie die Geburt des 90er Jahre Ghetto-Films ist, stellt der knallharte Menace to Society seine Krönung dar. Gegen den wütenden und düsteren Schrei der Hughes-Brothers wirkt Singletons Ghetto-Blick fast schon brav und versöhnlich.  Menace II Society ist schonungslos offen, schmerzhaft realistisch, kennt weder gut noch böse, sondern einfach nur ambivalente Facetten des Lebens. Er zeigt nicht nur, wo die Gewalt herkommt und wie sie entsteht, sondern ist auch knallhart in ihrer Darstellung und in der Erzählung ihrer Konsequenzen. Gleichzeitig gibt er sich immer genug Raum zur Politisierung, zur Psychologisierung und auch zur Empathie für seine Protagonisten. Vielleicht sogar der beste – weil ehrlichste, schmezfreiste und tabuloseste – Film der New Black Cinema Welle, mit Sicherheit aber DAS Statement des Ghetto-Films, das alle Vorläufer und Epigonen weit in den Schatten stellt.

Gridlock`d – Voll drauf! [Vondie Curtis-Hall]

(USA 1997)

Yeah! Black Cinema geht auch in Komödien- und Groteskenform. Gridlock’d ist eine wilde Achterbahnfahrt zwischen bitterem Drogendrama und vollkommen überdrehter, absurder Satire: Der Versuch von drogenabhängigen Musikern ins Leben zurück zu finden, stellt seine Protagonisten als in die Ecke gedrängte Menschen dar, die immer wieder am System und dessen Vorurteilen scheitern, verzichtet aber nicht darauf, sie stets aufs neue kämpfen zu lassen. Das Ergebnis ist eine kafkaeske Jagd nach Hilfe, ein Krieg gegen Windmühlen, düster und traurig in der Parabolisierung gesellschaftlicher Realitäten, ohne Scheu in der Darstellung sozialer Konsequenzen aus Abhängigkeit und Außenseitertum, aber auch bissig, grimmig und immer mit der notwendigen Zugabe von ordentlich schwarzem Humor. Vielleicht der unterhaltsamste Black Cinema Ausflug und dennoch nicht ohne ein Rasiermesser, das präzise an der Halsschlagader der amerikanischen Gesellschaft sitzt.

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Erstveröffentlichung: 2011